Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

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Ende in Sicht

Wenn man sich erst einmal die simple Formel vergegenwärtigt hat, wonach alte Menschen tendenziell zurück, junge dagegen nach vorn schauen, erscheint es konsequent: Zwar ist es langsam nicht mehr wegzudiskutieren, dass die Erde angesichts fortschreitender Erwärmung ihren Charakter verändert. Aber deshalb gleich einen Aufstand anzetteln? Man hat schließlich schon ganz andere Sachen überlebt.

Man kann Warnungen als Hysterie abtun. Man kann aber auch noch ein paar weitere Jahre nichts tun, abwarten, zuschauen. Und sich dann eventuell wundern, dass doch alles schneller als erwartet ging. Man kann das als Generationenkonflikt betrachten. Oder eben auch nicht.

Denn wann immer eine „Generation“ aus dem Hut gezaubert wird, sollte man mindestens so skeptisch sein wie manche Verblendete es in Bezug auf die globale Erwärmung sind. Denn noch nie war eine Generation, ob nun mit X, Y, Golf, Praktikum oder Z etikettiert, so homogen, dass ein Versuch, dem Ganzen einen passenden Stempel zu verpassen, wirklich Sinn ergeben hätte. Selbst die 68er-Generation hatte – zu einer Zeit also, als es noch wirklich fundamentaler gesellschaftlicher Veränderungen bedurfte, um begründet von einer Generation zu sprechen – nicht nur den Konflikt mit ihren Altvorderen auszutragen. An anderer Front galt es, sich mit der Mehrheit der unpolitischen Gleichaltrigen auseinanderzusetzen.

Fridays for Future sind unerwartet viele, allerdings auch keine Mehrheit. Eine weitere Parallele zur 68er-Generation: Ihr Thema hat ähnliche, sehr wahrscheinlich sogar größere Dimensionen als die Probleme der 68er.

Die Dringlichkeit, sich mit dem Thema Klimawandel zu befassen, wurde im Laufe der letzten Jahre ja nun wirklich nicht geringer. Im Gegenteil wurde durch jahrzehntelange Ignoranz der Entscheider in Wirtschaft und Politik, aber natürlich auch weiter Teile der Bevölkerung, sehr viel Zeit von der Uhr genommen, was den Handlungsspielraum mittlerweile stark einengt. Wen wundert es, dass irgendwann mehr Leute als die sonst üblichen Verdächtigen auf die Straße gehen und versuchen, noch etwas zu retten, wo eventuell weniger zu retten ist als man sich das momentan noch erhofft?! Die Last auf den jungen Protestierenden ist immens: Endzeitstimmung vor Augen haben, aber Aufbruchstimmung erzeugen müssen. Man darf daher gespannt sein, wann die Stimmung in Resignation umschlägt und was dann geschieht.

Und auch wenn die Adressaten der wütenden Anklagen von FFF die älteren Generationen sind – die Konfliktlinien verlaufen nicht entlang von Geburtsjahrgängen, sondern von Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema. Mancher ältere, der die ärgsten Auswüchse des Klimawandels nicht mehr miterleben dürfte, aber seit Jahrzehnten aus Überzeugung mit dem Rad fährt, ist näher dran an der Bewegung als der 18-jährige Mitschüler, der für ein Wochenende zur Selbstverwirklichung mit dem Billigflieger nach Barcelona jettet, was für das Klima ein teuer bezahlter Spaß ist. Die Angehörigen der Generation EasyJet hatten eben bis jetzt einfach noch nicht genügend Zeit, ihren ökologischen Fußabdruck dermaßen nachhaltig zu versauen, dass man es ihnen schon genauso vorwerfen könnte wie den Älteren.

Wie mehr oder weniger alle Generationen vor ihnen, sind demnach auch die aktuell auf die Straße gehenden Jahrgänge eine gespaltene Generation.

Noch unübersichtlicher wird die Gemengelage, wenn man berücksichtigt, dass sich unter dem Label FFF streng genommen zwei verschiedene Generationen vermengen: Die jüngeren Angehörigen der Generation Y treffen auf den älteren Teil der Generation Z.

Über die Generation Y meint man zu wissen, dass sie wie kaum eine andere Generation in Bildung investiert, weil diese der Garant für einen vernünftigen Arbeitsplatz ist. Da die Firma, in der ich seit einiger Zeit im Lager arbeite, viele studentische Aushilfen beschäftigt, habe ich in den letzten fünfeinhalb Jahren etliche junge Menschen kennenlernen dürfen, manchmal aber auch müssen, die sich anschicken, in den nächsten Jahren die Schlüsselpositionen dieser Gesellschaft zu besetzen. Ich muss gestehen: Das macht mir eher Angst als Mut. Vor allem konnte ich aber auch folgendes Geheimnis bislang nicht enträtseln: Wenn lebenslanges Lernen für diese Jahrgänge selbstverständlich ist – weshalb wird dieser Prozess dann von so vielen ausgerechnet bei uns unterbrochen?

Muss man sich also schon sehr anstrengen, wenn man die Ypsiloner überhaupt wahrnehmen will, gilt ähnliches auch für die Vertreter der Generation Z. Und die Angehörigen beider genannter Generationen sind keineswegs alle umweltbewegt, sondern genauso hedonistisch wie die Generationen vor ihr. Generationenübergreifend größtes Hobby scheint zu sein, den halben Tag Serien auf netflix anzuschauen. Die andere Hälfte des Tages wird damit verbracht, sich mit Anderen über das Gesehene zu unterhalten. Die Zukunft wird thematisiert, wenn es darum geht, welche Serie als nächstes angeschaut wird, nicht aus Sorge ums Klima. Das interessiert bestenfalls am Rande. Am Rande bemerkt sei übrigens: Videostreaming verbraucht jährlich so viel CO2 wie Spanien.

Und als ob fehlende klimapolitische Weitsicht bei Altersgenossen wie Älteren nicht schon ausreichte, muss man sich als Aktivist zusätzlich noch rechtfertigen, warum man nicht auch noch dieses oder jenes zur Rettung des Planeten unternehme. Von Leuten wohlgemerkt, die ihre Finger in Sachen Dekarbonisierung nur rühren, um mit ihnen auf andere zu zeigen, weil die ja auch viel Dreck machen. Doch so funktioniert die Rettung des Planeten nicht.

Es wird Zeit, den Spieß langsam umzudrehen und den Rechtfertigungsdruck auf diejenigen zu erhöhen, die weiteres Zusehen als adäquate Reaktion auf die vielfach belegten und sichtbaren Veränderungen halten, weil „wir“ schließlich nicht sämtliche Probleme der Welt lösen können. Auf dem Klima-Index von Germanwatch liegt Deutschland mit seinen Bemühungen auf dem 23. Platz. Soviel zur Behauptung, dass „wir“ die Probleme der Welt lösen. Wenn man betrachtet, welche Alpträume bereits die bloße Möglichkeit eines Tempolimits auf Autobahnen auslöst, mag man sich das Theater besser nicht vorstellen, das hierzulande los ist, wenn man irgendwann tatsächlich mit deutlichen unfreiwilligen Einschränkungen bei den drei Lieblingshobbys Autofahren, Reisen und Fleischessen leben muss.

Aber so ist das eben – mit dieser Generation und mit allen anderen: Meldungen, die die eigene Meinung bestätigen, werden ungeprüft als richtig eingestuft. Deshalb nimmt mancher an, man würde durch demonstratives Verzichten auf nichts tatsächlich einen relevanten Beitrag leisten. Deshalb lässt das unreflektierte Weiterverbreiten von offensichtlichen fake news bereits auf das Weltbild des Teilenden schließen. Soweit die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht lautet jedoch: Bislang lassen sich die Aktivisten wenig beeindrucken. Nicht davon, dass die Gegenseite der Klimaleugner ihre Geschütze längst in Position gebracht hat. Nicht davon, dass sie noch auf absehbare Zeit mit einer desillusionierenden Ignoranz weiter Teile der Bevölkerung zu rechnen haben. Nicht davon, dass ihnen von prominenten Politikern, die dazu beigetragen haben, dass es überhaupt so weit kommen konnte, die Urteilsfähigkeit ob ihres Alters abgesprochen wird.

Alles das verdient meine Hochachtung.

Schlecht beraten

Mancher hat es bereits wieder hinter sich, die Disziplinierteren dagegen befinden sich gerade mittendrin: Da vor kurzem ein neues Jahr das alte abgelöst hat, ist allenthalben wieder Durchstarten angesagt. Zwar wartet man bislang vergeblich darauf, dass böse Vorsätze gesellschaftlich genauso anerkannt werden wie gute. Irgendwie mitmachen wollen dennoch die meisten.

Auch ich habe mir wieder vorgenommen, meine Komfortzone in den nächsten zwölf Monaten das ein ums andere Mal zu verlassen. Nichts mit guten oder schlechten Vorsätzen zu tun hat dagegen, dass ich mir fast pünktlich zum Jahreswechsel eine Schutzausrüstung für meine Inline Skates zugelegt habe. Dass zwischen dem Überlassen-bekommen-Haben eines Paars dieser Teile und dem letztendlichen Kauf der Gelenkschoner, ohne die mir das Fahren damit bislang als zu gefährlich erschien, inzwischen mehr als 15 Jahre liegen, dürfte Beleg genug dafür sein, dass der Kauf eher zufällig zeitlich mit dem Jahreswechsel zusammenfiel. Berücksichtigt man ferner, dass ich selbst nach diesen 15 Jahren immer noch keine Schutzausrüstung hätte, wenn sie mir nicht zufällig gebraucht für 2 Euro über den Weg gelaufen wäre, wird man mir vieles unterstellen können, aber gewiss keinen Vorsatz.

Zwar bin ich nach wie vor der Ansicht, dass der Vorsatz meist so gut nicht sein kann, wenn man von der Idee bis zur Umsetzung lieber noch ein bestimmtes Datum abwarten will. Dennoch war die bis jetzt überraschendste Erkenntnis des Jahres: Irgendwie scheine ich meinen Frieden mit Neujahrsvorsätzen geschlossen zu haben. Man verändert sich ja sowieso permanent, ganz gleich ob man das nun möchte oder nicht und unabhängig davon, ob man es bemerkt oder nicht. Bevor man sich am Ende des Jahres dann wieder ärgert, wie kacke die vergangenen zwölf Monate doch wieder waren, kann man dieser Veränderung ja eine Richtung geben, von der man vermutet, sie würde einem gut zu Gesicht stehen.

Das führt mich zu einem Thema, von dem ich mir manchmal wünschte, es niemals entdeckt zu haben. Es gibt nämlich Menschen, die sich um die Persönlichkeitsentwicklung Anderer viele Gedanken machen. Sogar das ganze Jahr über.

Disziplin, Motivation, Kommunikation, Erfolg, Glück – Selbstverbesserungsprojekte gibt es zuhauf. Weshalb ich in einer gewissen Phase meines Lebens auf diese Szene gestoßen und trotz gewisser Vorbehalte von manchen dieser Konzepte recht angetan war.

Trotz Versprechen der Güteklasse „Sofort mehr Selbstbewusstsein ausstrahlen mit diesen simplen Tricks“ überwog die Neugier die Skepsis. Natürlich war besagte Phase nicht kritisch genug, dass mir nicht sofort aufgefallen wäre: Das letzte, das unsere Gesellschaft zur Zeit und sehr wahrscheinlich auch in Zukunft braucht, sind noch mehr Typen, deren Selbstbewusstsein in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren Kenntnissen, Fähig- und Fertigkeiten steht. Die dringender bei einem Psychiater auf der Couch als bei einem Trainer oder Coach aufgehoben wären, weil sie auf dem schmalen Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung reichlich Schlagseite bekommen haben. Doch das alles tat der guten Stimmung zunächst keinen Abbruch.

Selbst die den meisten dieser Selbstoptimierungskonzepte zugrundeliegende unkritische Nähe zur Leistungsgesellschaft vermochte mein Interesse nicht zu bremsen. Obwohl mir doch vormals diejenigen, die das Ziel maximalen (beruflichen) Erfolgs am intensivsten verfolgten, stets sehr suspekt gewesen sind. Das ist besser zu verstehen, wenn man folgende Hintergründe kennt:

Mein persönliches „Karriereziel“ zwischen 16 und 33 war im Prinzip das Herbeischreiben einer Situation, in der eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung es für völlig normal hält, in Wort und Tat für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur, ohne Grenzen, Rassismus und Sexismus einzutreten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Okay – an die Sache mit dem Sexismus mussten uns unsere Genossinnen das ein ums andere Mal erst erinnern, was an der groben Richtung aber nichts geändert hat. Man kann jedenfalls nicht behaupten, wir hätten keine Ziele gehabt. Disziplin dagegen besaßen nur wenige.

Zu unserem Unverständnis hatten wir mit diesen Ideen eine nicht zu vernachlässigende Menge an Menschen gegen uns, die mit unseren Zielen genauso wenig anfangen konnten wie umgekehrt wir mit der auf individuelles Glück abzielenden Karrieregeilheit der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.

Nachdem das ursprüngliche Vorhaben also gescheitert war, musste ein Plan B her. Den ich auf die Schnelle nicht hatte. Seitdem bin ich Lagerist, wenn man das grob, aber nicht unzulässig verkürzt zusammenfassen wollte. Vielleicht war ich schlecht beraten. Vielleicht gut. Vielleicht gar nicht. Wer weiß das schon so genau?!

Was aber hat das alles mit 2020 zu tun? Zuallererst: Ich weiß nach all den Jahren zum Beispiel, dass im Gegensatz zu den Versprechen der Motivationscoaches nicht alles Vorstellbare auch erreichbar ist.

Zweitens: Wenn jemand seine Ziele nicht erreicht, kann das daran liegen, dass er es nicht hartnäckig genug versucht hat. Muss es aber nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar sehr hoch, dass andere Gründe für das letztendliche Scheitern ausschlaggebend sind.

Drittens: Niemand hat es nötig, von Leuten, die für einen 45-minütigen Vortrag ein Honorar in Höhe des Monatseinkommens eines Lageristen erhalten, erzählt zu bekommen, dass weniger eigentlich mehr ist, nur weil sie gemerkt haben, dass sie in ihrem Reichtum zu ersticken drohen.

Viertens: Dass Methoden der Stressreduktion inzwischen zum Standardrepertoire der meisten Trainer gehört, könnte damit zu tun haben, dass man die Situation selbst herbeigeführt hat, indem man den Coachees einredet, dass sie „für ihre Sache brennen“ müssen. Muss es aber nicht. Die Wortverwandtschaft mit „ausgebrannt sein“ ist gewiss zufällig.

Fünftens und letztens scheine ich in den letzten Jahren intuitiv nicht wesentlich mehr falsche als richtige Entscheidungen getroffen zu haben. Das heißt nicht, dass überhaupt kein Optimierungsbedarf mehr bestünde. Das heißt aber auch: So schlimm, dass man sich ohne Not irgendwelche dummen Vorsätze ausdenken müsste, ist es auch nicht. Vielleicht sollte man bei allem Veränderungswillen auch das Man-selbst-Bleiben auf der Liste der zu erledigenden Dinge etwas weiter oben platzieren. Gepaart mit einer optimistischen Grundeinstellung wird man das Jahr schon halbwegs anständig über die Bühne bringen.

Im Grunde genommen kann festgehalten werden, dass meine Vorstellungen von Erfolg, meine Definitionen von Glück sowie daraus resultierende Herangehensweisen an gewisse Dinge sich im Vergleich zu meinem 16-jährigen Ich nicht einmal wahnsinnig geändert haben.

Und das ist auch gut so.

Bei Anruf Mist

Die Beantwortung der Frage, wie harmonisch das Weihnachtsfest verlaufen ist, hängt regelmäßig ganz wesentlich davon ab, wie frei oder voll der Gabentisch von Schnäppchen war, die Mama nach intensivem Studium eines Teleshopping-Senders als zukünftig unverzichtbare Accessoires für ihre Liebsten auserkoren hat.

Nicht erst seit vor zwei Jahren ein Spielzeug für den Kleinen von so erlesener Qualität gewesen ist, dass es den zweiten Weihnachtsfeiertag nicht mehr im gleichen Zustand erlebte, in dem es Heiligabend noch aus seiner Verpackung geholt wurde, hege ich eine gesunde Skepsis gegenüber den von solchen Sendern feilgebotenen Waren. Streng genommen muss man mit der Grundsatzkritik schon bei der Art der Produkte beginnen: Verkauft werden vornehmlich Artikel, die eine Lösung für ein Problem versprechen, von dem man vorher nicht einmal ahnte, dass man es hat. Etwas wohlwollender formuliert: Dinge, die dem Leben wieder einen Sinn geben.

Wenn ich mit meinem Blick durch das Wohnzimmer meiner Mutter schweife, fallen als erstes gewaltige Mengen künstlicher Kerzen auf, für deren Betrieb sie pro Woche etwa 300 Batterien verbraucht. Es sieht beinahe so aus als wäre sie einmal quer durchs Lager von QVC gegangen, um zuhause das Studio so originalgetreu wie nur möglich nachzubauen. Falls das Aufnahmestudio irgendwann einmal aus unerklärlichen Gründen abbrennt, können die Sender jederzeit einfach von meiner Mutter aus senden.

Bei einem Wechsel der Örtlichkeit ergeben sich ähnliche Bilder: Die Küche ist voll mit antibakteriellen Schneidbrettern, farblich korrespondierenden Messer- und Topfsets sowie weiteren kleinen, mittleren und großen praktischen Helfern, selbstredend alles zum „unschlagbaren“ Preis geschossen. In den Schränken im Flur befinden sich eine zweimal benutzte Eismaschine und diverse, nicht wesentlich öfter gebrauchte Reinigungshelfer neben weiteren Erzeugnissen, deren Existenz sie mir aus nachvollziehbaren Gründen verschweigt. Im Bad findet man mehr Kosmetika von M. Asam als im entsprechenden Regal einer durchschnittlich ausgestatteten Rossmann-Filiale.

So sehr ich meine Mutter in anderen Punkten auch verehre – an dieser Stelle hat sie auch nach über 20 Jahren Teleshopping nicht begriffen, dass die 20-minütige Produktpräsentation Werbung ist, teilweise sogar sehr plumpe, die lediglich einem Ziel dient: in kürzester Zeit so viel wie möglich davon unter die Leute zu bringen. Sorgfältiges und ausgiebiges Testen wäre in dieser Hinsicht kontraproduktiv und findet demnach nicht statt. Umso größer ist später das Erstaunen, wenn in unschöner Regelmäßigkeit das Zeug nicht so reibungslos funktioniert wie am Bildschirm noch dargeboten.

Das merkt man nicht immer sofort, später dafür nicht minder eindrucksvoll. So zum Beispiel bei den giftgrünen Fusselrollern, die man nach Gebrauch einfach abspülen, trocknen lassen und erneut verwenden kann. Ich formuliere es ´mal so: Hätten die Entwickler dieser Innovation zu einer anderen Zeit gelebt, hätte die Menschheit seitdem wahrscheinlich Feuer mit lauwarmen Flammen.

Die hartnäckigsten, letzten Endes aber ebenso ergebnislosen Diskussionen hatte ich allerdings bei einem Produkt, das im Gegensatz zu etlichen anderen nur vermeintlichen Problemlösungen umgekehrt fast schon zu gut funktioniert: Al Faras, das zuhause bei mir niemals zum Einsatz kommen würde. Was so wirksam die komplette Population an Blattläusen in unserem damaligen Garten beseitigt hat, kann einfach nicht „für Mensch und Tier gleichermaßen unschädlich“ sein, wie es bis heute behauptet wird. Tatsächlich ist der Extrakt aus Chrysanthemenblüten ein astreines Nervengift, das Insekten aufgrund seines Geruchs beim Anflug zum Abdrehen veranlasst. Wer es zu spät bemerkt, ist eben selbst schuld. Wer, wie Katzen, nicht über ein entsprechendes Enzym im Körper verfügt, um den Stoff abzubauen, riskiert fiese Vergiftungen. Weil aber nicht sein kann was nicht sein darf, argumentierte meine Mutter, das hätten die doch in der Sendung sonst gesagt. Außerdem sind Chrysanthemenblüten ja ein reines Naturprodukt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Selbst mein Hinweis, dass Knollenblätter- und Fliegenpilz auch reine Naturprodukte sind, half nichts gegen die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung, das Zeug sei unschädlich.

Ganz und gar nicht natürlich dagegen ist ein anderes Allheilmittel aus den Häusern HSE und QVC: Pastaclean. Das Zeug hat einen so übelst strengen Geruch, dass ich lieber erst gar nicht wissen möchte, was sich darin verbirgt. Mit Pastaclean bekommt man relativ zuverlässig Flecken aus Kleidung, von Teppichen und Sesseln, dummerweise aber auch jede andere Farbe, die an dem betreffenden Stück jemals zu sehen war.

QVC macht weit über 90 Prozent seines Umsatzes über seine 1,8 Millionen Stammkunden, die im Schnitt 26mal im Jahr zum Hörer greifen und mehr oder weniger nützliche, oftmals jedoch vor allem skurrile Gegenstände ordern, nachdem diese ihnen in einer 20-minütigen Gehirnwäsche ausreichend schmackhaft gemacht wurden. In allen Studien zum Thema stößt man darauf, dass 80 Prozent der Kundschaft dieser Sender Frauen sind, deren durchschnittliches Alter bei über 50 Jahren liegt. Den Seniorinnen wird auf diese Weise langfristig mehr Geld aus der Tasche gezogen als durch alle Enkeltricks dieser Republik zusammen. Folgerichtig fürchten Millionen Deutsche darum, dass ihr Erbe vorzeitig verjubelt wird und sie hinterher stattdessen Dutzende Tuben Pastaclean zum Schadstoffmobil bringen müssen, weil es die später nie wieder so günstig gab als seinerzeit.

Nicht dass es Tinnef wie gruselige Puppen oder Hemdenbügler nicht auch andernorts zu kaufen gäbe. Aber die Teleshopping-Händler haben die Kunst entwickelt, von allen Dingen, die die Welt nicht braucht, die unterirdischsten aller Angebote herauszufiltern und sich dann zu sagen: „Das kriegen wir noch schlechter hin, meine Damen und Herren! Geht nicht, gibt’s nicht.“ Das Publikum seinerseits goutiert diesen Ehrgeiz, indem es bestellt.

Man kann sich das durchaus schönreden: Man spart Zeit und Benzin, weil die Fahrt zum Fachgeschäft entfällt. Man hat keinen Stress im Geschäft und muss sich nicht über inkompetente Verkäufer ärgern. Woher allerdings der Glaube kommt, ausgerechnet bei HSE und Co. eine ausgewogene Beratung zu erhalten, hat noch niemand vernünftig zu erklären vermocht.

Die Illusion, der Moderator als Verkäufer nehme sich Zeit für einen, ist wohl einer der Gründe für den Erfolg dieses Vertriebswegs. Den Moderatoren gelingt, was Verkäufern im stationären Handel nicht oder nicht mehr gelingt: Vertrauen aufzubauen. Sie erzählen Geschichten zu den gezeigten Produkten, sind nett, menschlich und nahbar. Dafür bekommen sie Fanpost. Dass man sich die Zeit nimmt, jeden Quadratzentimeter eines Mikrofaser-Handtuchs detailliert zu erklären, steigert die Konsumlust. Da wird dann auch gern mal drüber hinweggesehen, dass die Sachen so geil gar nicht sind und einem preislichen und qualitativen Vergleich mit ähnlichen Produkten nicht standhalten würden.

Neben ihrem penetranten Dauerlächeln scheint es die vornehmste Aufgabe der Moderatoren zu sein, das angepriesene Produkt zu bewundern wie das eigene Kind. Selbst wenn es nur Dinge zu erledigen vermag, die man von einem Produkt für den jeweiligen Preis selbstverständlich erwarten dürfen sollte, kennt die Begeisterung der Moderatoren weder Scham noch sonstige Grenzen.

Das Hauptproblem bleibt freilich bestehen: Die Qualität des angepriesenen Artikels wird ja nicht automatisch besser, bloß weil unentwegt wiederholt wird, wie besonders und aufregend und besonders aufregend diese bei Licht betrachtet zum Teil nicht anders als skurril zu bezeichnenden Sachen sind.

Das eigentlich Schockierende daran: Die Sender prüfen alles, was bei ihnen präsentiert wird. Die sprechen in diesem Zusammenhang wirklich von Qualitätssicherung, das ist leider kein Scherz. Das kann man bei manchen Sachen kaum glauben, aber wenn man weiß, wie wenig dort dem Zufall überlassen wird, muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass die sehr genau wissen, dass die Qualität der vorgeführten Waren in keinem Verhältnis zu ihrem Verkaufspreis stehen. Aber sie kommen mit dieser Masche so gut durch, dass kein Anlass besteht, daran etwas zu ändern.

Bei der Betrachtung des Erfolgs dieser Sender darf ein wichtiger Bestandteil nicht fehlen: Indem ständig eine sinkende Verfügbarkeit des gepriesenen Artikels eingeblendet wird, wird bei den Menschen vor den Bildschirmen massiver Druck aufgebaut, möglichst sofort zum Hörer zu greifen und die Bestellung aufzugeben. Gerade die Angehörigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration kennen das Gefühl noch von früher, wenn etwas knapp war und man sich also beeilen musste, zuzuschlagen.

Konsumieren gegen die innere Leere und der rund zweiminütige Kick, etwas Neues in den Händen zu halten, ist allerdings kein spezielles Problem, das diese Generation der Kernzielgruppe der Homeshopping-Sender exklusiv hätte, sondern ein grundsätzliches: Wer lästert, sei daran erinnert, dass Teile der jüngeren Generation Videos anschauen, in denen Leute, die selbst für eine Teilnahme beim Dschungelcamp zu unbekannt sind, ihre Einkäufe auspacken und sich dabei vor ihrer Fangemeinde keineswegs rechtfertigen, warum sie dies oder jenes gekauft haben, sondern sich im Gegenteil dafür feiern lassen. Dass nur einen Mausklick entfernt ein anderer Influencer erklärt, wie man Minimalismus praktiziert und den Mist wieder loswird, den man bei seinem Kollegen als heißesten Scheiß verkauft bekommen hat, macht die Angelegenheit nicht übersichtlicher. Besser schon gleich gar nicht. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen, denn meine eigenen Kaufentscheidungen folgen wahrlich nicht immer rationalen Erwägungen, aber das alles wirkt nicht wirklich gesünder als die Praktiken der Homeshopping-Sender.

Jede Gesellschaft hat eben nicht nur die Produkte, sondern auch die Vertriebsformen, die sie verdient. Und da es ja wirklich allerhöchste Zeit wird, dass man zugunsten des Planeten und der nächsten Generationen auf mancherlei Dinge verzichtet – ich sehe bei den meisten der Sachen, welche via Teleshopping verhökert werden, ein wirklich sehr großes Potenzial für diesbezügliche Maßnahmen.

Im Sinne eines harmonischen Weihnachtsfestes war es dieses Jahr förderlich, dass bei uns nichts dergleichen unterm Weihnachtsbaum gelandet ist. Danke dafür, Mama, und natürlich auch für Tausende weitere Geschenke materieller und noch mehr immaterieller Art in den vergangenen bald 48 Jahren nicht nur an Weihnachten!

Mancher mag an dieser Stelle natürlich einwenden, dass Fanartikel von Eintracht Frankfurt unter gewissen Umständen auch überteuert und überflüssig sein können.

Aber in diesem Fall ist das Geld wenigstens für eine gute Sache ausgegeben worden. Und darum, Gutes zu tun, geht es an Weihnachten ja schließlich auch.

Wenigstens ein bisschen.

Das letzte Kind hat kein Fell

Man muss anerkennen: Sie sind schon äußerst possierlich, wenn sie sich zaghaft in Bewegung setzen, zögerlich die Wohnung inspizieren, einer Katze gleich neugierig jeden Winkel der Wohnung erforschen, dabei mitunter unvermittelt abdrehen, um fortan in einer ganz anderen Ecke des Raumes weiterzumachen. Dabei sollen sie eigentlich nur die Wohnung saugen. Es scheint, als würden Saugroboter mehr können als sie versprechen und nämlich als zusätzliche Eigenschaft die Funktion als Haustierersatz integriert haben.

Ein kleines Etwas, das langsam und unsystematisch durch die Wohnung streift und Sachen in sich aufnimmt – vielen Hundebesitzern dürfte dieses Bild sowieso schon verdächtig bekannt vorkommen. Zwar führt die Beziehung eines Menschen zu seinem Haushaltshelfer nicht automatisch dazu, dass er ihm Leckerlis hinwirft, die er sich einverleiben kann. Durch Marktforschung bestätigt allerdings ist der Sachverhalt, dass 9 von 10 Besitzern eines Modells des Marktführers ihren Robotern Namen geben.

Es wäre demnach konsequent, die Geräte gleich mit Fell und Gesicht anzubieten.

Man könnte die Dinger ja theoretisch so programmieren, dass sie von Zeit zu Zeit ihren Halter ansteuern, um von ihm ihre Streicheleinheiten einzufordern. Für die ganz Hartgesottenen wäre ein interessantes, weil authentisches Feature, wenn sie ab und an den Inhalt ihres Körpers auf den Teppich entleeren. Tierarzt oder Wartung – was macht das schon für einen Unterschied, außer dass Erstgenanntes in aller Regel teurer, dafür aber auch unappetitlicher ist?

Wenn die Entwickler dem Teil noch eine Hundeschnauze gäben, wäre auch folgendes Problem gelöst: Weil die Geräte sich überall drehen können müssen, sind sie meistens rund. Weshalb aber Ecken in aller Regel zuverlässig nicht erreicht werden und man letzten Endes für diesen Zweck doch besser, wie seit eh und je, auf kleine Frauenhände zurückgreift.

Generell muss das Rad nicht permanent neu erfunden werden. So ist die Idee an sich, dass sich in Abwesenheit jemand um den Haushalt kümmert, so neu ohnehin nicht: Unserer Elterngeneration war dieses Konzept unter dem Namen „Ehegattin“ bekannt. Noch bis heute sind in vielen Familien Spuren dieser Kultur erhalten.

Während Frauen also immer schon einen produktiven Beitrag zum Gesamtgeschehen geleistet haben, hält sich die Mitwirkung von Haustieren in überschaubaren Grenzen: Ein Hund hat früher wenigstens noch den Hof gegenüber Eindringlingen verteidigt. Katzen hingegen haben für das geschnorrte Essen lediglich ein paar erledigte Mäuse als Gegenleistung angeboten. Das klingt bis hierhin nicht wie ein Argument gegen den Erwerb eines Saugroboters, sondern vielmehr gegen die Anschaffung von Katzen, ist aber an sich eine nüchterne Bestandsaufnahme: Die Tiere sind jetzt halt einfach ´mal da. Und dass man in seiner Eigenschaft als Haustier Argument sowohl für als auch gegen die Anschaffung eines Saugroboters ist, muss den Viechern auch erst ´mal jemand nachmachen.

Einerseits verursachen Muschi und Bello einfach so viel mehr Dreck als man wegsaugen kann – jedenfalls sofern man außer dem Haushalt noch weitere Hobbys hat. Andererseits kann die überwältigende Mehrheit aller Haustiere eben nicht so friedlich mit so einem Apparat koexistieren wie uns zahlreiche Propagandavideos suggerieren wollen, auf denen Katzen entspannt auf solchen Geräten durch die Wohnung cruisen. Meine Tiere jedenfalls würden sich von einem Saugroboter nicht elegant herumchauffieren lassen, sondern müssten sich im Angesicht dieses surrenden Etwas´ zwischen Angriff und Flucht zu entscheiden haben.

Der Kater würde eher flüchten und für die Dauer des Einsatzes den Kleiderschrank oder einen anderen Bereich, den ein Saugroboter niemals erreichen wird, mit seinen Haaren einsauen. Der Hund hätte früher so ein Teil einfach aus dem Weg gebellt oder es wenigstens über die komplette Einsatzdauer des Gerätes versucht. Heute würde er sich wahrscheinlich für die dritte Alternative entscheiden, mit welcher das Zwischenhirn auf Gefahrensituationen reagiert: Totstellen. Ganz als ob er irgendjemandem beweisen müsste, dass auch ein älterer Hund noch lernfähig ist, arbeitet er permanent an einer weiteren Verfeinerung seiner Technik des penetranten In-den-Weg-Legens. Früher hat man sich ab und zu aufgeregt, weil er im Garten ausgerechnet dort liegt, wo man eigentlich graben wollte. Heute legt er sich ständig in den Flur, selbstredend quer, denn der Flur ist nun ´mal der engste, gleichzeitig aber meistfrequentierte Ort der gesamten Wohnung. Der Saugroboter wiederum würde das lebende Hindernis Hund als Ende des Raumes interpretieren, sich zwar eventuell unterfordert fühlen angesichts der geringen Ausmaße seines Einsatzgebietes, letzten Endes aber die Arbeit beenden. Und weil ein Roboter tendenziell dumm wie das Brot ist, dessen Krumen er wegsaugen soll, muss man seine Arbeit kontrollieren. Von unterwegs.

Ab hier führen wir eine andere Diskussion: Denn ganz abgesehen von der Ungewissheit, wie gut meine sensiblen Daten der Wohnungseinrichtung bei einem Technologiekonzern aufgehoben sind, bleibt die Frage, was man davon hat, dass man von überall abrufen kann, an welcher Stelle der Wohnung der Saugroboter sich gerade befindet. Als jemand, der sich vor kurzem einen schlecht funktionierenden Hemdenbügler zugelegt hat, bewege ich mich mit solcherlei Grundsatzkritik am technisch Machbaren natürlich auf denkbar dünnem Eis. Dennoch: Wenn man sich Testberichte durchliest, stößt man immer wieder auf Berichte, dass der Automat aus misslichen Lagen hat befreit werden müssen. Das Argument, man könne den Sauger in Abwesenheit seine Arbeit verrichten lassen, auf dass am Feierabend nichts mehr zu tun wäre, wird durch solche Fehlfunktionen nicht nur ein bisschen entkräftet. Dass ich dann, wo immer ich mich gerade aufhalte, eine Warnung auf mein smartes Telefon bekomme, dass etwas nicht stimmt, ohne dass ich gerade aufgrund meiner Abwesenheit akut irgendetwas dafür tun könnte, dass er weiterarbeitet, macht die Angelegenheit nicht stressfreier.

Doch kann sich außer dem neuen Haushaltshelfer auch ein Hund einmal in einer misslichen Lage befinden. Nämlich dergestalt, dass er sich nicht mehr anders als durch Setzen eines Haufens in die Wohnung zu helfen weiß. In diesem Fall riecht man das bereits im Treppenhaus kurz bevor man die Wohnungstür aufschließt, weil sich der Duft seinen Weg durch sämtliche sichtbaren und unsichtbaren Ritzen bahnt. Das allein ist lästig genug, aber – man ahnt, was jetzt kommt: Wenn dann nämlich in der Zwischenzeit so ein Roboter einmal in Fahrt gekommen ist und erfolgreich daran gearbeitet hat, die ganze Scheiße in der Wohnung zu verteilen, hat man das ziemliche Gegenteil eines gemütlich-unaufgeregten Feierabends. Das ist nicht smart, das ist im nicht nur übertragenen Sinn einfach scheiße. Und man wird den Tag verfluchen, an dem man sich das einst so possierliche Spielzeug zugelegt hat. Beziehungsweise sich freuen, dass man zu arm ist, um sein Geld in unausgereifte Technik investiert zu haben.

Die Kunst, Zeit zu haben

Zwar erfordert es ein gehöriges Maß an Gleichgültigkeit gegenüber dem Leser, einen Text mit „Die Zeiten ändern sich“ einzuleiten. Andererseits wird dieser Aussage vermutlich auch niemand ernsthaft widersprechen wollen. (Können natürlich erst recht nicht.) Und angesichts des Themas, um das es geht, erscheint sogar diese abgenutzteste aller Phrasen angemessen.

Wenn man nämlich runde dreißig Jahre lang auf der Jagd nach Schnäppchen in Sachen Lesefutter verbracht hat und plötzlich zum zweiten Mal hintereinander den Medienflohmarkt der örtlichen Bibliothek als diesbezüglichen (Halb-)Jahreshöhepunkt mit lediglich einer Hand voll CDs verlässt und derweil das Angebot an Büchern überhaupt nicht angemessen inspiziert hat, dann ist das mehr als eine Laune, fürchte ich. Das ist eine Zeitenwende. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es jeweils eher zwei Hände voll CDs gewesen sind. Eine Zäsur.

Spät, letzten Endes aber erfolgreich, hat sich doch noch die Einsicht durchgesetzt, dass ich die zu Hunderten in meinen Regalen befindlichen ungelesenen Veröffentlichungen in diesem Leben nicht mehr alle werde lesen können. Das bedeutet nicht, dass ich mir nie wieder ein Buch kaufen werde. Jedoch brauche ich mir nicht noch regelmäßig regelrechte Massen an Schrifterzeugnissen zusätzlich kaufen, bloß weil sie zum Schnäppchenpreis zu haben sind.

Auch wenn mir das alles nicht erst seit gestern dämmert, benötigte ich zur endgültigen Bekehrung meinen Sohn, der mir unlängst den Spiegel vorgehalten und meine Konsumgewohnheiten entlarvt hat: Als es um die Frage ging, ob er den von mir geschenkten Band Disneys Lustige Taschenbücher mit zu sich nach Hause nehmen möchte, meinte er, die sammele er hier bei mir.

Sammeln.

Sammeln..!

Da bei jedem Neuzugang im Regal ja unausgesprochen die Frage im Raum stand, wann bitteschön ich das lesen soll, ging es mir in Wahrheit wohl ab einem heute nicht mehr genau zu rekonstruierenden Zeitpunkt wenigstens zum Teil darum, die Bücher einfach nur zu haben. Vielleicht war meine Leseleidenschaft einfach nur eine gut getarnte Sammelleidenschaft. Das Sammelgebiet sind günstige Bücher, die irgendwo lesenswert sind, von denen man aber angesichts der durchschnittlichen Lebenserwartung weiß, dass sie aufgrund des immensen Vorrates an ebenso lesenswerten Büchern niemals zum Zuge kommen werden. Die man andererseits aber auch nicht stehen lassen kann, weil man sie schließlich nie wieder so günstig bekommen wird.

Hat man als Hauptursache fürs Nichtlesen erst einmal den Mangel an Zeit identifiziert, ist es recht naheliegend, beim Aufräumen mit Sprachkursen zu beginnen, bei denen über das reine Lesen hinaus noch weitere Zeit investiert werden muss. Als hätte ich es geahnt, hatte ich mich im Laufe der letzten Zeit bereits von den Lehrbüchern für Italienisch, Türkisch und Tschechisch getrennt und mir dafür bei gleicher Gelegenheit „Die Kunst, Zeit zu haben“ zugelegt. Leider hatte ich bis jetzt keine Zeit, ins Buch zu schauen.

Den „Sprachlehrgang Norwegisch. Ein Standardkurs für Selbstlerner“ hatte ich, wohl weil sich die Sprache sehr witzig anhört, bis jetzt vor der Verbannung ins Tauschregal der Sparkassenfiliale verschont. Aber irgendwann muss sogar ich vor mir selbst zugeben, dass meine nicht vorhandenen Norwegisch-Kenntnisse nicht daran liegen, dass das Begleitmaterial zum Buch auf Kassette ist. Denn dass ich zu den Wenigen gehöre, die für diese Dinger überhaupt noch eine Abspielmöglichkeit besitzen, dürfte diejenigen, die mich entweder kennen oder ersatzweise diese Texte hier regelmäßig lesen, kein direkt überraschendes Bekenntnis sein.

Den Russisch-Sprachkurs dagegen behalte ich noch. Man kann ja nicht wissen, wofür dieser eventuell noch ´mal gut sein kann.

Die kalte Haut der Stadt“ ist ein Buch aus der Zeit, als ich mindestens einmal im Monat samstags nicht auf den Flohmarkt gehen konnte, um dort neue alte Bücher zu kaufen. Denn wenn man sich in einem gewissen Alter befindet, zieht eigentlich gefühlt jeden Samstag irgendjemand aus dem erweiterten Freundeskreis um, der für unkomplizierte Hilfe beim Schleppen dankbar ist. Einmal bekam ich bei dieser Gelegenheit einen über 500 Seiten starken Roman in die Hand gedrückt. Ich solle ihn einfach mitnehmen. Das war zwar kein gleichwertiger Ersatz für die vier bis fünf Biere, die ich bei solchen Events üblicherweise zu mir zu nehmen gewohnt war, aber irgendwie war ich überrumpelt genug, das Teil wie angeordnet mitzunehmen, auf dass es seit diesem Tag weitgehend unangetastet bei mir im Regal steht. Weitgehend meint in diesem Fall, dass es lediglich zum Zwecke meiner eigenen seitherigen Umzüge in die Hand genommen wurde. Einen dritten Umzug möchte ich dem Wälzer ersparen. Auch wenn ich derzeit keinen solchen plane, muss das Buch jetzt weg. Man kann ja nie so genau wissen, was das Leben noch so bereit hält.

Anders als die meisten anderen Menschen aus meinem Umfeld habe ich meine bisherigen Umzüge nicht als Gelegenheit wahrgenommen, auf einen Schlag viele Bücher einfach ´mal auszusortieren. Das Ausmustern von Büchern war dreißig Jahre lang Mittel zum Zweck, neue gebrauchte Bücher irgendwie unterzubringen. Dass die Sammlung beide Umzüge plus Ehegattin überstanden hat, verdeutlicht den Stellenwert, den Bücher trotz des bis hierhin Gesagten für mich hatten und haben. Aber seien wir ehrlich: Ein Umzug mit Büchern ist das beste Argument für einen ebook-Reader. Gleichzeitig aber auch das einzige.

Schon allein das Fehlen des Momentes, in dem ich einem Freund gegenüber das Versprechen äußere, er könne das Buch haben, wenn ich damit durch bin, zerfickt jede denkbare Rechtfertigung für so ein Gerät. Trotz meiner Sammelwut bin ich nämlich ein Kandidat dafür, meine Bücher zu verschenken. (Allerdings für eine gewisse Zeit noch der Illusion zu erliegen, ich hätte sie nur verliehen.)

Dass sich diese Praxis nicht allein auf Bücher beschränkt, macht die Angelegenheit nicht eben einfacher. Doch weiter im Text!

Autogenes Training. Anwendung, Heilwirkungen, Methoden“ ist ebenfalls zum Abschuss freigegeben. Mehr als ein Buch zu diesem Thema zu haben, erinnert mich immer an die „Zwei Hände, aber nur einen Mund“-Problematik. Wenn man es nicht praktiziert, ist streng genommen auch ein Buch darüber schon eins zuviel. Ich behalte es trotzdem. Man kann schließlich nie wissen…

Es wäre schön, wenn die Sachlage immer so eindeutig wäre wie bei den bisher genannten Titeln. Was aber mache ich mit Marilyn French, Simone de Beauvoir, Cheryl Benard/Edit Schlaffer? Standards der feministischen Literatur oder wie ein früherer Bundeskanzler es wahrscheinlich kurz, dafür prägnant umschreiben würde: Frauengedöns. Titel, die mein Denken mindestens genauso geprägt haben wie die Beobachtung, dass nicht wenige der Freundinnen und Genossinnen, welche mir diese ans Herz gelegt haben, sich am Ende des Tages die letzten Prolls inner- oder außerhalb der Szene als Partner ausgeguckt haben. Verkehrte Welt. Doch wenn letztgenannte sowieso irgendwann zugrunde geht, ist es wahrscheinlich sowieso zweitrangig, wie belesen oder gebildet man ist. Viel wichtiger: Dass man selbst dabei noch den bestmöglichen Eindruck hinterlässt. Dazu gehört, auch wenn diese Einsicht für mich wieder ´mal recht spät kam, dass man das beste Outfit trägt, das die Situation dann gerade zulässt.

Aufmerksame Leser werden registrieren, dass wir allmählich auf die Stelle des Textes zusteuern, in der zur Besinnung auf das wirklich Wichtige im Leben aufgefordert wird. Gerade wenn am Ende die Erkenntnis steht, dass man mit dem gelegentlichen Ausmisten des Bücherregals eher die Symptome anstelle der Ursachen bekämpft, kann die Beschäftigung damit, was einem wirklich wichtig ist, kein so ganz untaugliches Konzept sein.

Zwar kann man das selbstverständlich auch praktizieren, ohne vorher ein entsprechendes Buch gelesen zu haben, aber selbstverständlich gibt es auch zu diesem Thema ein selbstverständlich nicht gelesenes Buch in meinem Bestand: „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will“ verspricht Antworten auf Fragen, die ich mir mindestens schon so lange stelle wie ich Bücher sammle.

Ich glaube, diesen Titel behalte ich lieber noch. Man kann ja nie wissen, wofür es noch gut ist.

Meine Fresse

Wenn man an einem Sonntagmorgen gegen 7.30 Uhr noch während der Hunderunde feststellt, dass man nach dem anschließenden Fütterungsritual erst einmal gepflegt, aber dennoch relativ dringend für zwei bis drei Minuten ungestört die Toilette aufsuchen sollte, ist das Geständnis der Partnerin, sie habe die Toilette verstopft, von vielen denkbaren ungünstigen Zeitpunkten mutmaßlich einer der unwillkommensten.

Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, und möchte es mir auch nicht unbedingt vorstellen. Aber nachdem sie mir erst einen Tag vorher erzählt hatte, dass sie auf der Fahrt zu mir mit der Zugtoilette bereits das Gleiche angestellt hat, sehe ich mich in meiner Praxis bestätigt, nicht mehr an Zufälle zu glauben. Zwar weit entfernt, deshalb irgendwelche Verschwörungstheorien zu entwickeln, meine ich doch aber zumindest eine gewisse Methode dahinter zu erkennen.

Wenigstens gerät man in dieser Situation schnell an einen Punkt, an dem man die durch dieses Malheur ausgelöste Verschiebung des Frühstücks nicht mehr bedauert, weil der Appetit durch das Herumstochern in der Keramik in geradezu beeindruckender Weise gezügelt wird. Nun ja – schaden kann dies uns beiden nicht.

Ich sollte zur Ehrenrettung noch erwähnen, dass die Dame auch andere Kompetenzen hat. Aber mich in gerade einmal zweieinhalb Monaten Beziehung bereits das zweite Mal textlich in Sachen Fäkalthemen zu inspirieren, muss einem erst einmal gelingen.

Gelingen sollte mir im weiteren Verlauf dann auch die Wiedereröffnung der Toilette. Alles andere als gelungen war dagegen das kurze Zeit darauf dann natürlich doch stattgefundene Frühstück.

Wenn man es genau nimmt, war das Frühstück natürlich ein Frühstück wie jedes andere. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem mir rund die Hälfte eines Backenzahnes weggebrochen ist. Einen gelungenen Sonntag stelle ich mir anders vor.

Dass mir meine zahnhygienischen Jugendsünden an der betroffenen Stelle sehr bald eine Krone bescheren würden, wusste ich zwar bereits seit meinem letzten Zahnarztbesuch, der erst wenige Wochen her ist. Dieses Wissen löst allerdings nicht das Problem, dass mir für diese Behandlung exakt drei Dinge fehlen: Erstens Lust, zweitens Zeit, drittens Geld.

Als ob ich in den zehn Tagen davor mit zusammengerechnet rund 200 Euro Behandlungskosten für den Hund nicht bereits ausreichend Geld auf mein Karma-Konto umzubuchen gezwungen war..!

Andererseits: Wenn man bei einem fast fünfzehnjährigen Hund angesichts der weitgehenden Verweigerung der Nahrungsaufnahme schon sein baldiges Ende herannahen sah, freut man sich natürlich über einen weiteren Aufschub seines Abschiedes, bevor man an das Geld denkt. Es heißt ja allenthalben, ein Hund sei wie ein Familienmitglied. Dieser Sichtweise muss ich hier und heute widersprechen: Im Falle einer dauerhaften Trennung von Ehefrau und Kind sind die großzügigerweise überlassenen Haustiere nicht einfach nur Mitglied, sondern die Familie selbst. Der Unterschied ist höchstens, dass man von Hund und Katze seltener in Frage gestellt wird. Also – von Hund seltener als von Katze, aber das wäre ein anderes Thema.

Alles ist relativ

Um zwischendurch auch ´mal einen der positiven Aspekte meines Daseins zu würdigen, erlaubte ich mir, angesichts meines 19. Trockengeburtstages fünf Packungen Windbeutel auf die Arbeit mitzubringen. Dass mich eine Kollegin mit ihrer Anmerkung, die letzten von mir spendierten Windbeutel wären nach meiner Scheidung gewesen, just in dem Moment, als ich alles Ungemach wenigstens für einen kurzen Moment lang ausblenden wollte, daran erinnerte, dass nicht nur mein Gebiss ein Trümmerhaufen ist, sondern genau genommen mein komplettes Leben, war so natürlich nicht beabsichtigt, hat aber seine Wirkung nicht verfehlt.

Seit mit zunehmendem Alter des Hundes auch die Gassirunden kürzer geworden sind und mich morgens regelmäßig am Haupteingang eines Seniorenheims vorbeiführen, rufen mir die dort gelegentlich stehenden Fahrzeuge von Bestattungsunternehmen in schonungsloser Direktheit ins Gedächtnis, dass verstopfte Klos und kaputte Zähne im Vergleich zu anderen Szenarien durchaus lösbare Aufgaben sind.

Ich denke mir beim Vorbeilaufen manchmal: Wenn mein Leben heute zu Ende wäre und ich vorher noch die Gelegenheit hätte, darüber nachzudenken, wie es denn unterm Strich so war, wäre mein Urteil zwar nicht direkt vernichtend, umgekehrt aber eben auch nicht übertrieben begeistert.

Auch wenn es vielleicht gerade so klingt – das soll kein Plädoyer dafür sein, sich ein möglichst abruptes Ableben zu wünschen, das einem jede Möglichkeit nimmt, noch einmal in aller Ruhe das Geschehene zu resümieren. Ich möchte nicht so plötzlich aus dem Leben scheiden wollen, dass zwischen „Hoppla, wie geschieht mir gerade?“ und dem völligen Nichts, das ich für diesen Fall leider erwarte, kein Gedanke mehr passt, also auch nicht die üblichen Besänftigungsformeln wie „Ein Beinbruch wäre schlimmer“ oder „Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus“.

Sollte ich dereinst vorher noch die Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, würde ich aber vermutlich anerkennen, dass solche Dinge wie Hund, Katze oder Partnerin, obwohl allesamt in der Haltung nicht ganz billig, auch dazu beigetragen haben werden, das alles extrem lebenswerter gemacht zu haben.

Schade nur, dass „Ich werde es überleben“ als Standardkommentar zu kleinen und mittleren Alltagskatastrophen ab einem gewissen Alter in Zweckoptimismus übergeht.

Ordnung muss sein

Es ist völlig zutreffend, dass nicht sämtliche Probleme dieser Welt umgehend vom Tisch wären, wenn die Leute nur ihren Müll ordentlich trennen würden. Insofern darf die Frage zumindest gestattet sein, inwieweit es lohnt, sich über einen Margarinebecher im Restmüll überhaupt aufzuregen. Aber tief in mir drin würde ich andererseits gern verstehen wollen, was genau daran eigentlich so schwierig zu begreifen ist. Wer sich die Mühe macht, Zeitungen und Zeitschriften von anderem Mist zu trennen und in das richtige Behältnis zu entsorgen, sollte an und für sich imstande sein zu erkennen, dass es dem ursprünglichen Zweck dieses Abfallmanagements zuwiderläuft, wenn gleichzeitig die Plastiktüte, in der das Papier dankenswerterweise gesammelt wurde, ebenfalls in die Papiertonne geworfen wird. Intelligentes Leben sieht anders aus.

Wie gesagt, geht dadurch die Welt nicht unter. Seine Brisanz erhält dieses Problem durch Weiterspinnen folgenden Gedankengangs: Wie sollen Lösungen für wirklich komplexe Angelegenheiten eigentlich beschaffen sein, wenn es ein guter Teil der Leute nicht einmal geschissen bekommt, solche vergleichsweise einfachen Dinge fehlerfrei durchzuführen?! Daher ist mir auch komplett rätselhaft, woher manche Menschen ihren völlig unangebrachten Optimismus nehmen, es könnte mit diesem Planeten doch noch ein versöhnliches Ende geben.

Ähnlich unergründlich folgender Sachverhalt: Wenn die Papiertonne regelmäßig nicht aufnehmen kann, was die Hausgemeinschaft in dieser Hinsicht zusammenträgt, wird man dieses Problem kaum lösen, indem Einzelne weiterhin mittlere bis große Kartons darin platzieren, ohne sie vorher zusammengefaltet zu haben. Aber woher soll man so etwas auch wissen? Volle Tonnen jedenfalls führen in der Regel dazu, dass alles, was nicht mehr hineinpasst, einfach in eine andere verfügbare Tonne geworfen wird, die das Pech hat, erstens in unmittelbarer Nähe zu stehen und zweitens noch Platz zu bieten. Zumindest wird das in Offenbach so praktiziert. Man kann die Chose schließlich nicht einfach unter den Tisch kehren. Was nicht passt, wird passend gemacht, und die Fehlwurfquote interessiert in diesen Fällen einen feuchten Kehricht. Unterschiedliche Untersuchungen gehen davon aus, dass zwischen 10 und 60 Prozent der Abfälle im verkehrten Behältnis landen. Kein Wert, auf den man sich etwas einbilden könnte. Und das in Deutschland, das im Rest der Welt als Inbegriff penibler Mülltrennung gilt.

Doch auch wenn man es nicht immer ganz genau nimmt – das reine Gewissen lässt man sich deswegen nicht nehmen: Immerhin zwei Drittel gaben bei einer vor ein paar Jahren durchgeführten Umfrage an, Müll zu trennen sei ihr größter Beitrag zum Umweltschutz. Dass man – zumindest was Verpackungsmüll betrifft – europaweit auch mit einigem Abstand den meisten Müll produziert, sehen dann wie immer wieder nur die, die immer an allem etwas auszusetzen haben. Dabei wussten wir dieser Problematik bereits vor knapp 30 Jahren die passende Antwort entgegenzusetzen: den Grünen Punkt.

Seitdem füllen wir einen bestimmten Teil unseres Abfalls in Säcke, die nur minimal stabiler sind als Seifenblasen. Wenn man zudem das Pech hat, beispielsweise in Offenbach zu leben, ist man seitdem doppelt bestraft. Zum einen – logisch – weil man halt in Offenbach lebt. Zum anderen, weil hier die gelben Säcke nur alle vier Wochen abgeholt werden. Wer sich zum Beispiel den Luxus eines Haustieres gönnt, weiß, dass für eine Schale Hunde- oder Katzenfutter vier Wochen eine lange Zeit sind, in der sich der Inhalt dieser Säcke nicht immer geruchsneutral verhält. Auch um zu vermeiden, dass die Ratten beim Abtransport der Wertstoffe dem Entsorgungsunternehmen zuvorkommen, wird man also unweigerlich dazu übergehen, die Leichtverpackungen zu spülen. Dafür dass bis vor kurzem zwei Drittel der gesammelten Kunststoffe am Ende auch einfach verbrannt werden durften, vielleicht etwas zuviel des Aufwands.

Das größte zweifelhafte Verdienst der Einführung des Grünen Punktes ist allerdings die seitdem eingetretene Unübersichtlichkeit. Fragen, ob zum Beispiel die farblich getrennten Glasflaschen auf dem Fahrzeug nicht ohnehin wieder vermischt oder die Heftklammern einer Zeitschrift das Recycling des Papiers verunmöglichen würden, waren harmlos im Vergleich zu der Diskussion, was genau eigentlich in die gelben Behältnisse, sei es Tonne oder Sack, hineingehört. Hartnäckig hält sich nämlich bis heute das Gerücht, sämtliche Kunststoffe würden darin ihr Happy End finden. In Wahrheit gehört aber der Strohhalm in den Restmüll und nur die stoffgleiche Verpackung desselben in den Gelben Sack. Dass der Müll nach seiner ehemaligen Funktion und nicht nach Stoffen getrennt wird, war zur Zeit der Einführung des Grünen Punktes schon nicht zeitgemäß. Auf gut Deutsch: Das Duale System war schon immer für die Tonne. Wer etwas anderes behauptet, erzählt Müll.

Gerade einmal halb so alt wie das Duale System, hat das Zwangspfand auf Einwegflaschen innerhalb kürzerer Zeit für noch größere Verwirrung gesorgt: Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 wusste die Hälfte der Befragten den Unterschied zwischen Einweg- und Mehrwegflaschen nicht. Ich weiß zwar nicht, wen die da gefragt haben, aber dieses Ergebnis lässt hoffen. Wenn der Unterschied bekannt, die daraus eigentlich resultierenden Konsequenzen dem Endverbraucher allerdings gleichgültig wären, hätte dies bei mir offen gestanden für größere Beunruhigung gesorgt. So bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass niemand so wirklich etwas dafür kann, dass bei der Masse das Bewusstsein entstand: Da man die Flaschen nicht mehr wegwirft, sondern zurückgibt, kann das nur im Sinne des Umweltschutzes sein. Im Laufe weniger Jahre hat sich dadurch die Absicht, durch Erhebung des Zwangspfandes die Leute zum Kauf von Mehrwegprodukten zu animieren, in ihr Gegenteil verkehrt: Der Anteil an Einwegbehältnissen bei Getränken ist inzwischen mehr als doppelt so hoch wie zur Zeit der Einführung des Dosenpfands. Als Erfolg immerhin lässt sich verbuchen: 97 Prozent der verkauften Einweg-Getränkeverpackungen finden den Weg zurück zum Händler; in Büschen und auf Wiesen liegen heute deutlich weniger davon herum als das noch vor 20 Jahren der Fall gewesen ist.

Erst das Einwegpfand hat das Auflesen herrenloser Flaschen zu einer halbwegs rentablen Einnahmequelle gemacht.

Vielleicht steuern wir ja doch auf ein versöhnliches Ende hin und ich bin derjenige, der zu kurzsichtig ist, den guten Weg zu erkennen, auf dem wir uns schon befinden.

Der Hemdenbügler

Wer im Glashaus sitzt, lehrt das Sprichwort, sollte nicht mit Steinen werfen. Sollte ich mich also jemals wieder über Fehleinkäufe meines Lieblings-Fußballvereins aufregen, dürfen mich gute Freunde bei dieser Gelegenheit gern an einige Dinge erinnern, die ich mir in den letzten Jahren zugelegt habe und die ihr Geld im Grunde genauso wenig wert gewesen sind als so mancher mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachte Spieler in Schwarz-Rot.

Meine neueste diesbezügliche Errungenschaft ist ein Notenständer. Dass das Desinteresse meiner Mitbürger an einem Gitarrenkurs an der Volkshochschule ausgeprägt genug sein könnte, um den Kurs mangels Teilnehmern nicht stattfinden zu lassen, hatte ich als Möglichkeit gar nicht auf dem Zettel und also über ebay schon einen Ständer beschafft gehabt, bevor mich die schlechte Nachricht erreichte, dass ich gar keinen brauche.

Im Gegensatz zu dem an dieser Einrichtung seinerzeit ebenfalls nicht zustande gekommenen Clowns-Workshop oder später der Einführung ins Lachyoga fand der Kurs über Hundeerziehung vor ein paar Jahren ein ausreichend großes Publikum. Bevor jemand von einem Fall auf den anderen schließt – den Hund hatten wir selbstverständlich bereits vorher und nicht etwa eigens für den Besuch dieses Kurses angeschafft. Allerdings habe ich mir im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema irgendwann eine Reizangel gekauft. Ich glaubte, dass es eine sinnvolle Sache sein könnte, den Hund damit zu beschäftigen und etwas auszulasten. Erst als ich sie bereits hatte, dachte ich darüber nach, dass für einen Hund, den ich aufgrund seiner Gelenkprobleme schon seit einigen Jahren die Treppe hoch und runter trage, ein Spielzeug, das zu abrupten Richtungswechseln verleitet, eher suboptimal ist. Also war auch diese Anschaffung für die Katz gewesen. Der Kater jedenfalls hat an solchen Spielen ein reges Interesse. Im Gegensatz übrigens zu allen Dingen, die extra für ihn angeschafft, von ihm allerdings konsequent ignoriert und auf diese Weise ebenfalls zu Fehlkäufen wurden.

Sich Dinge zuzulegen, die mehr versprechen als sie halten, ist übrigens keine Problematik, der man sich erst spät im Leben zu stellen hat, wenn man bereits wenn nicht alles, so doch zumindest ausreichend besitzt, um im Prinzip ein glückliches Leben führen zu können. Ein Blick auf meine Plattensammlung, deren erste Bestandteile ich mir zu Teenagerzeiten ins Haus geholt habe, bestätigt mir noch heute das ein ums andere Mal schmerzhaft, was ich mit meinem ersten selbst verdienten Geld teilweise angerichtet habe. Den Vogel abgeschossen hat jedoch ein früherer Bekannter: Eines Abends schenkte er mir eine CD einer Band namens „Gladiators“. Er hatte sie sich gekauft in der Annahme, dass es sich um ein Werk der bekannten Reggae-Kapelle The Gladiators handelt. Reggae war es nicht ganz, was da aus den Lautsprechern schepperte, als ich sie einlegte. Ich war allerdings kein bisschen überrascht, denn manche Bandlogos weisen den Kenner schon zu 99 Prozent darauf hin, welches musikalische Genre in etwa zu erwarten ist. Das Bandfoto auf der Rückseite des Booklets bestätigte meinen Verdacht: Die langhaarigen Musikanten waren weiß, was zu einer jamaikanischen Band genauso wenig passt wie das Outfit aus Jeans und Lederjacken. Mancher mag es als engstirnig empfinden, aber ich kann die Enttäuschung nachvollziehen, wenn entgegen der Erwartung schon nach wenigen Sekunden des Hörens eine Wand aus verzerrten Gitarren signalisiert, dass man sich mit dieser CD vergriffen hat und nicht die Gladiators aus Jamaika, sondern die Metal-Band gleichen Namens erwischt hat.

Ich habe die CD übrigens seit diesem Abend kein weiteres Mal mehr angehört.

Ohne dass es eines besonderen Schlüsselerlebnisses bedürfte, begreift man dann irgendwann im Leben einfach: Fehlkäufe sind ganz normaler Ausdruck einer übersättigten Gesellschaft, die sonst keine größeren Probleme hat. Fitnessgeräte sind der Klassiker. Aber auch Kleidungsstücke, die dieses berühmte „etwas“ zu klein sind, in die man aber bestimmt bald hineinpasst, wenn man nur erst dieses ebenso berühmte „etwas“ Gewicht abgeworfen hat. Als Mensch, der Zeit seines Lebens ´mal mehr, ´mal weniger „etwas“ über dem Wunschgewicht liegt, kenne ich die Hoffnung, man möge mit „etwas“ mehr Konsequenz in das neue Lieblingsstück noch im umgekehrten Sinn „hineinwachsen“, natürlich bestens. Schließlich ist man ja ohnehin gerade wie eigentlich immer am Abnehmen. Dumm nur, wenn selbst jahrzehntelange Lebenserfahrung nicht lehrt, dass der Prozess des Abnehmens sich regelmäßig in sein Gegenteil verkehrt und man den neuen schicken Fummel niemals ohne Schmerzen wird tragen können.

Angesichts dieser Serie von Fehlkäufen bin ich insgeheim froh, dass ich meistens preisbewusst einkaufe. Für richtig große Anschaffungen wie Flugzeugträger oder ähnlichen Klimbim fehlt dem gemeinen Lageristen ohnehin meist das gewisse Etwas an Taschengeld. Doch auch im Alltag wird darauf geachtet, nicht zu teuer einzukaufen. Das macht einen Fehlkauf nicht weniger ärgerlich, sondern bestenfalls häufiger:

Als Angebots- und Flohmarkt- oder generell Gebraucht-Käufer unterliegt man einer gewissen Anfälligkeit, im falschen Moment zuzuschlagen, ihn aber im Eifer des Gefechts für den richtigen zu halten. Schließlich bekommt man diese Dinge sonst nie wieder zu diesem Preis! Ob man das Zeugs tatsächlich braucht, gerät dabei genauso zur Nebensache wie die Erfahrung, dass man oft genug doch noch ein vergleichbares Schnäppchen findet. Vor allem aber verleitet das Gebrauchtwarentreiben dazu, eine Kaufentscheidung sehr schnell zu treffen, weil schon der Nebenmann derjenige sein könnte, der einem den begehrten Artikel wegschnappt, wenn man zu lange zögert. Dass der Nebenmann sich bloß für das ausliegende Werkzeug interessiert, sieht man ihm ja nicht an. Das ist natürlich ein Druckmittel, das sonst nicht einmal Teleshopping-Sender künstlich aufbauen können. Und ehe man richtig darüber nachgedacht hat, sieht man sich einen Schein über den Tisch reichen, um im Gegenzug einen Schokobrunnen zu empfangen, der in den kommenden zehn Jahren zweimal selbst benutzt und ein weiteres Mal an die Ex-Gattin verliehen wird. Fehlkauf-Faktor 9 von 10.

Und als wären Tombolapreise, Impulskäufe und Spielzeug für die Katze nicht schon genug der unbenutzten Gegenstände für einen einzigen Haushalt, kommen als Höhepunkt dann noch Anschaffungen dazu, bei denen ich vorher sogar gut überlegt habe, ob ich sie wirklich haben muss.

Was nicht immer einfach ist. Denn ist man erst einmal über den Punkt hinaus, an dem alles, was weder Grundbedürfnisse stillt noch Fanartikel von Eintracht Frankfurt ist, von vorneherein Luxus und daher kein Muss ist, wird es mangels klarer Kriterien zwangsläufig kompliziert. Das vorläufig letzte Resultat solcher Überlegungen ist ein Hemdenbügler, der mir 15 Euro und eine Fahrt nach Dörnigheim wert war.

Im Gegensatz zum Notenständer, von dem ich zum Zeitpunkt, als ich ihn in den Händen hielt, schon wusste, dass ich ihn dieses Jahr nicht mehr benötigen würde, ist der Hemdenbügler aktuell heißester Anwärter darauf, in der Silvesternacht rückblickend als überflüssigster Kauf des Jahres gehandelt zu werden, gerade weil ich ihn benutzt habe. Viel Konkurrenz im Rennen um diesen Titel wird er jetzt nicht mehr bekommen. Hoffe ich. Große Lust, mir jetzt extra noch etwas Sinnloses zuzulegen, damit der Titelkampf bis zum Schluss spannend bleibt, habe ich aus naheliegenden Gründen jedenfalls nicht.

Dabei ist das Konzept Hemdenbügler ja nicht verkehrt. Es liegt einfach nur daran, dass diese Dinger nicht so funktionieren wie ursprünglich wahrscheinlich gedacht und man sich aber offenbar sagte: „Das ist uns jetzt erstmal scheißegal. Wir hauen die Dinger trotzdem auf den Markt. Irgendwelche Deppen werden sie schon kaufen.“ Ich vermute, dass es aus diesem Grund weltweit auch nur weniger als 100 Exemplare gibt, die einfach immer wieder gebraucht weiterverkauft werden, bis man auch im letzten Dorf dieses Erdballs weiß, dass diese Technik nicht begeistert. Der Hemdenbügler ist demnach so ein bisschen der Schwarze Peter unter den Haushaltsgeräten: Wenn man ihn denn einmal hat, möchte man ihn so schnell wie möglich wieder loswerden. Ich warte drauf, dass jemand eines dieser Teile im Tausch gegen eine Flasche Sekt anbietet, die dann zur Feier des Tages umgehend nach der Übergabe geköpft wird.

Der Vergleich mag zynisch klingen, aber manche Sachen sind wie der Besuch der Schwiegermutter: Man freut sich zwar auch ein bisschen und kann eine kurze Zeit lang sogar etwas mit ihr anfangen, aber dann kommt doch recht bald der Punkt, ab dem man sich darauf freut, dass sie bald wieder weg ist.

So ging es mir jedenfalls. Mit einer Gitarre, die ich ´mal besessen hatte.

Jene Gitarre wurde mir eines Abends von niemand geringerem als dem Menschen mit der Gladiators-CD mitgebracht. Er hatte sie irgendwo auf dem Weg zu mir gefunden. Ob es für den Sperrmüll bestimmt war oder ob es einen anderen, womöglich plausiblen Grund dafür gibt, weshalb die am Straßenrand liegt, ist in Offenbach in der Regel kaum zu ermitteln. Doch spätestens seit diesem Abend weiß ich die Vorzüge einer Gitarre gegenüber einem Klavier sehr zu schätzen. Die Gitarre hatte sieben Saiten, von denen fünf bespannt waren. Eine eindeutig zu komplexe Konstellation für jemand, der zwar keine Gitarre spielen kann, aber immerhin weiß, dass – wenn er sie spielen könnte – es nur mit sechs Saiten ansatzweise normal klingen würde. Obwohl man sich bei meinem Kumpel – wie auch das Beispiel mit der CD bestätigt – nie ganz sicher sein kann, ob er sich bei irgendeiner seiner Aktionen etwas denkt, behauptete er, er habe sich gedacht, ich könne eventuell ja noch etwas damit anfangen. Konnte ich zwar nicht. Zumindest nicht sofort. Aber wenigstens dieses eine Mal bewahrheitete sich die alte Messie-Weisheit „Das kann man bestimmt irgendwann noch ´mal gebrauchen“…

Als ich nämlich zwei Jahre später gemeinsam mit einem anderen Freund für einen Abend ein Zeltlager der katholischen Jugend besuchte, um einen netten zusätzlichen Programmpunkt zu gestalten, waren wir uns einig, dass wir nur dann glaubwürdig böse Zauberer verkörpern, wenn wir etwas vorsätzlich zerstören.

In Wahrheit hatten wir einfach Bock darauf, etwas kaputtzumachen, weswegen wir mit der zufälligen Übereinstimmung mit dem Ziel, fiese Gestalten möglichst authentisch darzustellen, keine Schwierigkeit hatten. Und da sich die Szene am Lagerfeuer abspielen sollte, tauschten wir vor dem Auftritt die Gitarre des offiziellen Lagergitarristen gegen unsere aus, damit wir den Kindern im richtigen Moment beweisen konnten, dass wir es absolut ernst meinen. Auf diese Weise kam ich zu ein paar Sekunden Rockstar-Feeling, als ich die Gitarre zerschmettern durfte. Die Zeltlagerteilnehmer dagegen trauten ihren Augen nicht, und die Gitarre fand im Lagerfeuer letzten Endes doch noch den Weg zu einer sinnvollen, wenn auch nicht ganz CO2-neutralen Verwertung.

Wenn es für einen Blogeintrag wichtig wäre, eines zu haben, könnte das diesmalige Fazit in etwa lauten: Wenn man sich schon die Bude mit unnützen Sachen zumüllt – nehmt CDs, Hemdenbügler oder zur Not auch Reizangeln. Denn schlechte Fußballspieler lassen sich fürs Schrottwichteln bei der Weihnachtsfeier ähnlich schlecht einpacken wie ein Flugzeugträger.

Big business

Nicht dass ich ernsthaft darüber nachdenken würde, plötzlich Reisen in andere Länder unternehmen zu wollen, aber falls ich doch irgendwann einmal auf solch abwegige Gedanken käme, würde jegliches Fernweh durch die Aussicht auf eine unvertraute Toilettenkultur recht zuverlässig wieder zerstört.

Als einerseits Zeltlager-erfahrener und andererseits Punkrock-affiner Mensch habe ich in diesem Leben eigentlich ausreichend komplett heruntergerockte Aborte gesehen und eine entsprechend hohe Toleranzgrenze. Wirkungsvoll abgeschreckt werde ich eher von hochgerüsteten High-End-Toiletten mit Sitzheizung, Massagefunktion oder automatischer Deckelöffnung.

Vielleicht wird das alles in wenigen Jahren auch außerhalb von Japan oder Korea komplett normal sein, aber wer 47 Jahre ohne solchen Schnickschnack überlebt hat, verzichtet für eine einfache Notdurft auch in Zukunft gern auf Urin-Analyse oder die Möglichkeit, die Spülung mit dem Smartphone auszulösen. Selbst wenn diese Technik tatsächlich hygienischer ist, sollte zumindest die Frage gestattet sein, ob nicht das Benutzen des Smartphones auf dem Klo an sich viel unhygienischer ist. Andererseits sollte man über manche Sachverhalte eventuell auch gar nicht so intensiv nachdenken. Zum Beispiel habe ich bis heute keine Antwort auf die zugegeben auch nicht besonders oft gestellte Frage, inwiefern es meine Beziehung zu ihnen verändern würde, wenn ich wüsste, dass meine auf Flohmärkten geschossenen oder im Tauschregal ergatterten Bücher von ihren Vorbesitzern auf dem Klo gelesen wurden. Naja – drauf geschissen! So eklig wie es im ersten Moment klingt, finde ich es eigentlich gar nicht. Zumindest solange man die sich anschließende Frage ausblendet, wie ein Stehpinkler auf der Toilette liest

Bei längeren Sitzungen ist das Lesen eines guten Buches ein durchaus angemessenes Mittel, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Fachleute warnen jedoch davor, sich permanent länger auf der Keramik aufzuhalten als unbedingt notwendig: Hämorrhoiden, Beckenboden- oder Blasensenkung wären hierfür die Stichworte. Generell sind Toiletten nicht die ungefährlichsten Orte, gleich ob die Risiken nun beim allzu starken Pressen (Stuhlgangsohnmacht, Schlaganfall) oder in der Schüssel (Schlangenbiss) lauern.

Sogar ohne selbst auf dem Thron zu sitzen, kann eine Toilette eine bedrohliche Situation generieren. Im August diesen Jahres wurde in der Nähe von Ingolstadt ein LKW-Fahrer plötzlich von einem in seine Windschutzscheibe einschlagenden Dixi-Klo überrascht. Zwar ging der Unfall für alle Beteiligten glimpflich aus, doch seit dem Lesen dieser Meldung fährt bei mir stets die Angst mit, irgendwann aus einer Bewusstlosigkeit zu erwachen und beim Versuch, das Geschehene zu rekonstruieren, festzustellen, dass das letzte, an das ich mich erinnern kann, ein mobiles Toilettenhäuschen gewesen ist.

Abgesehen von den skizzierten Gefahrenquellen leidet die Aufenthaltsqualität regelmäßig darunter, dass man bemüht ist, das Geschäft möglichst leise zu verrichten. Eine Schüssel mit derartigem Volumen stellt ja auch einen nicht zu unterschätzenden Resonanzraum dar. Angesichts der Töne, die auf dem Lokus generiert werden können, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich die Bezeichnung „Stilles Örtchen“ überhaupt glaubwürdig durchsetzen konnte.

Auf dem Campingplatz, auf dem ich die Wochenenden meiner Kindheit zu verbringen pflegte, suchte einst meine Mutter gemeinsam mit einer meiner Tanten die dortige Gemeinschaftstoilette auf. Neun Kabinen nebeneinander hielten die Beiden nicht davon ab, durch die Wände miteinander zu quasseln. Irgendwann kam dann mitten in der Unterhaltung ein respektables Dröhnen, welches meine Mutter zu der anerkennenden Bemerkung hinriss, dies sei ja „eine ordentliche Granate“ gewesen. Die trocken vorgetragene Antwort meiner Tante lautete allerdings überraschend: „Das war ich gar nicht.“ Spätestens ab diesem Moment war für eine unbekannte dritte Person die Sache gelaufen.

Nach dem Motto „Jetzt lass´ uns doch ´mal schauen, wer das war“ standen meine Mutter und ihre Schwägerin dann noch eine Weile vor dem Gebäude, um abzuwarten, wer als nächstes herauskommt. Aber seien wir ehrlich: Nach einer solchen Aktion hätte ich auch mindestens eine Stunde gewartet, bis ich das Klo verlasse. Selbst ohne Klo-Lektüre wäre die Scham, als Urheber dieses Geräusches identifiziert zu werden, größer als die Langeweile gewesen.

Nicht immer war das Verhältnis zu dringenden Bedürfnissen so unentspannt. In der Antike waren öffentliche Toiletten keine voneinander isolierten Kabinen, sondern große Gemeinschaftstoiletten mit Sichtkontakt zueinander. Es wurde sich angeregt unterhalten, Dichter rezitierten dort ihre Werke, und sogar Geschäfte wurden dort angebahnt oder abgeschlossen. Dieser Praxis verdanken wir die heutige Redewendung vom „Geschäft machen“

Heutzutage gibt es den Welttoilettentag genauso wie den Tag des Toilettenpapiers. Und in der Tat sind beides Dinge, deren Wichtigkeit man erst dann zu würdigen weiß, wenn sie gerade nicht zur Verfügung stehen.

Wenn Du unterwegs dringendst ein Klo benötigst, dann scheißt Du auf Technik wie Komfort gleichermaßen. Denn wenn es wirklich pressiert, reicht Dir auch ein handelsüblicher Busch, der Deine Verrichtung ansatzweise zu verdecken in der Lage ist.

Meistens hast Du dann halt kein Papier. Speziell wenn Du gerade aus dem Fußballstadion kommst, hast Du im Normalfall kein Papier dabei. Und gerade in solch dringenden Fällen würde man eher mehr und nicht weniger Papier benötigen als sonst im Durchschnitt. Und weil Du kein Papier dabei hast, läufst Du anschließend ´rum wie ein Idiot. Ein Gefühl vollkommener Leere hat sich jedenfalls mitnichten eingestellt. Du willst eigentlich hauptsächlich nach Hause, um die Sache zu bereinigen. Und egal wie oft Du diesen Weg schon gelaufen bist, ohne irgendjemandem zu begegnen – Du kannst sicher sein, dass Dir an exakt diesem Abend jemand Bekanntes über den Weg läuft.

Bis heute frage ich mich, ob die Angelegenheit durch den Umstand, dass dieser Jemand besagte Tante von der Campingplatz-Episode gewesen ist, noch schlimmer oder eher weniger peinlich wurde.

Fertig. Abputzen.

Pogo in Togo

Wie es geht, will jemand wissen. Ich denke mir nur: Heutzutage ist schon die Frage verkehrt gestellt. Die Frage lautet doch schon längst nicht mehr, wie es geht, sondern bloß noch, wie schnell es geht. Geschwindigkeit ist die Leitwährung unserer Zeit. Alles muss gleichzeitig passieren. Und weil das so ist, obwohl es so nicht sein müsste, gibt es viele Güter des täglichen Bedarfs hauptsächlich „to go“ Das mit dem Kaffee war ja nur der Auftakt. Damals vor gut 20 Jahren, als nicht wenige einschließlich des Verfassers dieser Zeilen irgendwann nach dem dritten oder vierten Lesen erkennen mussten, dass der feilgebotene Kaffee mitnichten in Togo angebaut wurde.

Inzwischen erledigen wir nicht nur das Kaffeetrinken, sondern fast alles von unterwegs. Und natürlich hatte die Etablierung dieser To-Go-Kultur nicht nur Sinnvolles im Gepäck, sondern auch reichlich Absurditäten. Sogar Autos gibt es inzwischen „zum Gehen“, und als besonderen Höhepunkt faltbare Schuhe „to go“. Wofür auch sonst?! Wenn ich an die Zeiten ohne Ersatzschuhe zum Mitnehmen zurückdenke, kommt mir vor allem eines in den Sinn: Es ging auch irgendwie.

Und heute? In Läden, die früher als Tankstelle bekannt waren, bekomme ich mit Mühe noch einen Liter Motoröl, aber ansonsten hauptsächlich Dinge zum Mitnehmen und dabei noch die irritierende Frage aufgeworfen, was bei Rewe to go außer dem Benzin der Unterschied zu einem ordinären Rewe sein könnte. Ist der Kunde in den herkömmlichen Rewe-Märkten etwa eingeladen, seine dort erstandenen Waren direkt vor Ort zu konsumieren? Oder ist er angehalten, weiterzuziehen, nachdem – natürlich schnellstmöglich – die Kasse passiert ist?

„To go“ ist der Zeitgeist, derweil Mediziner beklagen, dass wir zu viel sitzen und uns zu selten wirklich bewegen. Das hatte die Evolution eher nicht auf dem Schirm, als sie uns einst anbot, aufrecht zu gehen. Der Mitnehmkaffee mutiert zum Symptom für eine gestresste Gesellschaft, der Wegwerfbecher ist längst zu einem Symbol für einen allzu sorglosen Umgang mit Umweltproblematiken aufgestiegen. Trotzdem ist die Nachfrage nach dem Wachmacher im Einwegbehältnis anhaltend hoch. So werden Erfolgsgeschichten heutzutage geschrieben.

„Keine Zeit“ lautet das Mantra dieser Tage. Doch genau genommen hat der Tag immer noch 24 Stunden. Man „hat“ demnach weder mehr noch weniger Zeit als vor 50, 500 oder 5000 Jahren, sondern exakt genauso viel. Aufgaben und Verpflichtungen haben sich im Laufe der Zeit wohl geändert, aber man darf getrost unterstellen, dass viele durchaus die Zeit hätten, ihren Kaffee „to stay“ zu genießen, sich aber bewusst für andere Möglichkeiten entscheiden, ihre freie Zeit mit Inhalt zu füllen. Und irgendwann registriert man, dass man auf die Frage, wie es geht, eigentlich antworten müsste: Nicht gut. Und natürlich verspricht die schnelle neue Welt auch hierfür Lösungen: Eine Vielzahl an Apps verspricht allen Smartphone-Geschädigten eine Auszeit wann und wo man möchte. Meditation to go ist das Schlagwort für alle, die für Meditation eigentlich keine Zeit haben.

Doch es mangelt uns ja nicht nur an Zeit, sondern auch an Geduld. Da ich meine wertvolle Zeit tagsüber damit verbringe, dafür zu sorgen, dass Bestellungen in einem der coolsten Onlineshops dieses Planeten möglichst am nächsten Tag beim Empfänger landen, bekomme ich natürlich hautnah mit, wie stark die Ansprüche da inzwischen gestiegen sind. Es soll ja Leute geben, die eine Stunde nach ihrer Bestellung schon den gerade erst erhaltenen Link zur Sendungsverfolgung aktivieren, um nachzusehen, an welcher Stelle im Netzwerk des Paketdienstleisters sich die heiße Ware gerade befindet. Ich spoilere nur sehr ungern, verrate an dieser Stelle aber dennoch: Sehr weit ist sie in aller Regel nicht gekommen.

Früher, als ja bekanntlich immer alles besser war, sah eine Bestellung ungefähr so aus: Man übertrug Artikelnummern und -bezeichnungen der gewünschten Produkte aus einem Katalog auf das Bestellformular und rechnete anschließend den zu zahlenden Gesamtbetrag aus. Diesen schrieb man auf einen Verrechnungsscheck, der mit dem Bestellformular zusammen in ein Briefkuvert gesteckt und an den Händler geschickt wurde.

Die erste Woche (ver-)ging. Danach hätten wir jemanden getötet, wenn es uns dabei geholfen hätte, herauszufinden, ob eine baldige Ankunft des erwarteten Paketes bevorsteht oder nicht. Stattdessen wusste man nicht einmal, ob der Versender überhaupt die Bestellung erhalten hat. Letztendgültig wusste man das erst, wenn man nach 10 bis 14 Tagen mit der lange ersehnten Sendung quasi auch die Auftragsbestätigung in den Händen hielt und mittelmäßig enttäuscht war, dass viele der bestellten Teile nicht mitgeliefert wurden, weil ein Katalog natürlich nicht die verfügbaren Mengen abbilden kann und daher auch etliche bereits ausverkaufte Artikel zeigt.

Heute, wo die Frage nicht mehr lautet, wie es geht, sondern wie schnell es geht, geht selbst der Verfasser dieser Zeilen konform mit dem Lauf der Dinge, weiß die Vorzüge der modernen Zeit zu schätzen und plädiert daher keineswegs für eine Rückkehr der Postkutsche.

Gegen eine Rückkehr zu der Erkenntnis, dass Glück nur höchst selten von der Geschwindigkeit abhängt, mit der unsere Einkäufe bei uns eintrudeln, hätte er dann allerdings in der Tat nichts einzuwenden.

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