Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Dezember 2019

Bei Anruf Mist

Die Beantwortung der Frage, wie harmonisch das Weihnachtsfest verlaufen ist, hängt regelmäßig ganz wesentlich davon ab, wie frei oder voll der Gabentisch von Schnäppchen war, die Mama nach intensivem Studium eines Teleshopping-Senders als zukünftig unverzichtbare Accessoires für ihre Liebsten auserkoren hat.

Nicht erst seit vor zwei Jahren ein Spielzeug für den Kleinen von so erlesener Qualität gewesen ist, dass es den zweiten Weihnachtsfeiertag nicht mehr im gleichen Zustand erlebte, in dem es Heiligabend noch aus seiner Verpackung geholt wurde, hege ich eine gesunde Skepsis gegenüber den von solchen Sendern feilgebotenen Waren. Streng genommen muss man mit der Grundsatzkritik schon bei der Art der Produkte beginnen: Verkauft werden vornehmlich Artikel, die eine Lösung für ein Problem versprechen, von dem man vorher nicht einmal ahnte, dass man es hat. Etwas wohlwollender formuliert: Dinge, die dem Leben wieder einen Sinn geben.

Wenn ich mit meinem Blick durch das Wohnzimmer meiner Mutter schweife, fallen als erstes gewaltige Mengen künstlicher Kerzen auf, für deren Betrieb sie pro Woche etwa 300 Batterien verbraucht. Es sieht beinahe so aus als wäre sie einmal quer durchs Lager von QVC gegangen, um zuhause das Studio so originalgetreu wie nur möglich nachzubauen. Falls das Aufnahmestudio irgendwann einmal aus unerklärlichen Gründen abbrennt, können die Sender jederzeit einfach von meiner Mutter aus senden.

Bei einem Wechsel der Örtlichkeit ergeben sich ähnliche Bilder: Die Küche ist voll mit antibakteriellen Schneidbrettern, farblich korrespondierenden Messer- und Topfsets sowie weiteren kleinen, mittleren und großen praktischen Helfern, selbstredend alles zum „unschlagbaren“ Preis geschossen. In den Schränken im Flur befinden sich eine zweimal benutzte Eismaschine und diverse, nicht wesentlich öfter gebrauchte Reinigungshelfer neben weiteren Erzeugnissen, deren Existenz sie mir aus nachvollziehbaren Gründen verschweigt. Im Bad findet man mehr Kosmetika von M. Asam als im entsprechenden Regal einer durchschnittlich ausgestatteten Rossmann-Filiale.

So sehr ich meine Mutter in anderen Punkten auch verehre – an dieser Stelle hat sie auch nach über 20 Jahren Teleshopping nicht begriffen, dass die 20-minütige Produktpräsentation Werbung ist, teilweise sogar sehr plumpe, die lediglich einem Ziel dient: in kürzester Zeit so viel wie möglich davon unter die Leute zu bringen. Sorgfältiges und ausgiebiges Testen wäre in dieser Hinsicht kontraproduktiv und findet demnach nicht statt. Umso größer ist später das Erstaunen, wenn in unschöner Regelmäßigkeit das Zeug nicht so reibungslos funktioniert wie am Bildschirm noch dargeboten.

Das merkt man nicht immer sofort, später dafür nicht minder eindrucksvoll. So zum Beispiel bei den giftgrünen Fusselrollern, die man nach Gebrauch einfach abspülen, trocknen lassen und erneut verwenden kann. Ich formuliere es ´mal so: Hätten die Entwickler dieser Innovation zu einer anderen Zeit gelebt, hätte die Menschheit seitdem wahrscheinlich Feuer mit lauwarmen Flammen.

Die hartnäckigsten, letzten Endes aber ebenso ergebnislosen Diskussionen hatte ich allerdings bei einem Produkt, das im Gegensatz zu etlichen anderen nur vermeintlichen Problemlösungen umgekehrt fast schon zu gut funktioniert: Al Faras, das zuhause bei mir niemals zum Einsatz kommen würde. Was so wirksam die komplette Population an Blattläusen in unserem damaligen Garten beseitigt hat, kann einfach nicht „für Mensch und Tier gleichermaßen unschädlich“ sein, wie es bis heute behauptet wird. Tatsächlich ist der Extrakt aus Chrysanthemenblüten ein astreines Nervengift, das Insekten aufgrund seines Geruchs beim Anflug zum Abdrehen veranlasst. Wer es zu spät bemerkt, ist eben selbst schuld. Wer, wie Katzen, nicht über ein entsprechendes Enzym im Körper verfügt, um den Stoff abzubauen, riskiert fiese Vergiftungen. Weil aber nicht sein kann was nicht sein darf, argumentierte meine Mutter, das hätten die doch in der Sendung sonst gesagt. Außerdem sind Chrysanthemenblüten ja ein reines Naturprodukt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Selbst mein Hinweis, dass Knollenblätter- und Fliegenpilz auch reine Naturprodukte sind, half nichts gegen die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung, das Zeug sei unschädlich.

Ganz und gar nicht natürlich dagegen ist ein anderes Allheilmittel aus den Häusern HSE und QVC: Pastaclean. Das Zeug hat einen so übelst strengen Geruch, dass ich lieber erst gar nicht wissen möchte, was sich darin verbirgt. Mit Pastaclean bekommt man relativ zuverlässig Flecken aus Kleidung, von Teppichen und Sesseln, dummerweise aber auch jede andere Farbe, die an dem betreffenden Stück jemals zu sehen war.

QVC macht weit über 90 Prozent seines Umsatzes über seine 1,8 Millionen Stammkunden, die im Schnitt 26mal im Jahr zum Hörer greifen und mehr oder weniger nützliche, oftmals jedoch vor allem skurrile Gegenstände ordern, nachdem diese ihnen in einer 20-minütigen Gehirnwäsche ausreichend schmackhaft gemacht wurden. In allen Studien zum Thema stößt man darauf, dass 80 Prozent der Kundschaft dieser Sender Frauen sind, deren durchschnittliches Alter bei über 50 Jahren liegt. Den Seniorinnen wird auf diese Weise langfristig mehr Geld aus der Tasche gezogen als durch alle Enkeltricks dieser Republik zusammen. Folgerichtig fürchten Millionen Deutsche darum, dass ihr Erbe vorzeitig verjubelt wird und sie hinterher stattdessen Dutzende Tuben Pastaclean zum Schadstoffmobil bringen müssen, weil es die später nie wieder so günstig gab als seinerzeit.

Nicht dass es Tinnef wie gruselige Puppen oder Hemdenbügler nicht auch andernorts zu kaufen gäbe. Aber die Teleshopping-Händler haben die Kunst entwickelt, von allen Dingen, die die Welt nicht braucht, die unterirdischsten aller Angebote herauszufiltern und sich dann zu sagen: „Das kriegen wir noch schlechter hin, meine Damen und Herren! Geht nicht, gibt’s nicht.“ Das Publikum seinerseits goutiert diesen Ehrgeiz, indem es bestellt.

Man kann sich das durchaus schönreden: Man spart Zeit und Benzin, weil die Fahrt zum Fachgeschäft entfällt. Man hat keinen Stress im Geschäft und muss sich nicht über inkompetente Verkäufer ärgern. Woher allerdings der Glaube kommt, ausgerechnet bei HSE und Co. eine ausgewogene Beratung zu erhalten, hat noch niemand vernünftig zu erklären vermocht.

Die Illusion, der Moderator als Verkäufer nehme sich Zeit für einen, ist wohl einer der Gründe für den Erfolg dieses Vertriebswegs. Den Moderatoren gelingt, was Verkäufern im stationären Handel nicht oder nicht mehr gelingt: Vertrauen aufzubauen. Sie erzählen Geschichten zu den gezeigten Produkten, sind nett, menschlich und nahbar. Dafür bekommen sie Fanpost. Dass man sich die Zeit nimmt, jeden Quadratzentimeter eines Mikrofaser-Handtuchs detailliert zu erklären, steigert die Konsumlust. Da wird dann auch gern mal drüber hinweggesehen, dass die Sachen so geil gar nicht sind und einem preislichen und qualitativen Vergleich mit ähnlichen Produkten nicht standhalten würden.

Neben ihrem penetranten Dauerlächeln scheint es die vornehmste Aufgabe der Moderatoren zu sein, das angepriesene Produkt zu bewundern wie das eigene Kind. Selbst wenn es nur Dinge zu erledigen vermag, die man von einem Produkt für den jeweiligen Preis selbstverständlich erwarten dürfen sollte, kennt die Begeisterung der Moderatoren weder Scham noch sonstige Grenzen.

Das Hauptproblem bleibt freilich bestehen: Die Qualität des angepriesenen Artikels wird ja nicht automatisch besser, bloß weil unentwegt wiederholt wird, wie besonders und aufregend und besonders aufregend diese bei Licht betrachtet zum Teil nicht anders als skurril zu bezeichnenden Sachen sind.

Das eigentlich Schockierende daran: Die Sender prüfen alles, was bei ihnen präsentiert wird. Die sprechen in diesem Zusammenhang wirklich von Qualitätssicherung, das ist leider kein Scherz. Das kann man bei manchen Sachen kaum glauben, aber wenn man weiß, wie wenig dort dem Zufall überlassen wird, muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass die sehr genau wissen, dass die Qualität der vorgeführten Waren in keinem Verhältnis zu ihrem Verkaufspreis stehen. Aber sie kommen mit dieser Masche so gut durch, dass kein Anlass besteht, daran etwas zu ändern.

Bei der Betrachtung des Erfolgs dieser Sender darf ein wichtiger Bestandteil nicht fehlen: Indem ständig eine sinkende Verfügbarkeit des gepriesenen Artikels eingeblendet wird, wird bei den Menschen vor den Bildschirmen massiver Druck aufgebaut, möglichst sofort zum Hörer zu greifen und die Bestellung aufzugeben. Gerade die Angehörigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration kennen das Gefühl noch von früher, wenn etwas knapp war und man sich also beeilen musste, zuzuschlagen.

Konsumieren gegen die innere Leere und der rund zweiminütige Kick, etwas Neues in den Händen zu halten, ist allerdings kein spezielles Problem, das diese Generation der Kernzielgruppe der Homeshopping-Sender exklusiv hätte, sondern ein grundsätzliches: Wer lästert, sei daran erinnert, dass Teile der jüngeren Generation Videos anschauen, in denen Leute, die selbst für eine Teilnahme beim Dschungelcamp zu unbekannt sind, ihre Einkäufe auspacken und sich dabei vor ihrer Fangemeinde keineswegs rechtfertigen, warum sie dies oder jenes gekauft haben, sondern sich im Gegenteil dafür feiern lassen. Dass nur einen Mausklick entfernt ein anderer Influencer erklärt, wie man Minimalismus praktiziert und den Mist wieder loswird, den man bei seinem Kollegen als heißesten Scheiß verkauft bekommen hat, macht die Angelegenheit nicht übersichtlicher. Besser schon gleich gar nicht. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen, denn meine eigenen Kaufentscheidungen folgen wahrlich nicht immer rationalen Erwägungen, aber das alles wirkt nicht wirklich gesünder als die Praktiken der Homeshopping-Sender.

Jede Gesellschaft hat eben nicht nur die Produkte, sondern auch die Vertriebsformen, die sie verdient. Und da es ja wirklich allerhöchste Zeit wird, dass man zugunsten des Planeten und der nächsten Generationen auf mancherlei Dinge verzichtet – ich sehe bei den meisten der Sachen, welche via Teleshopping verhökert werden, ein wirklich sehr großes Potenzial für diesbezügliche Maßnahmen.

Im Sinne eines harmonischen Weihnachtsfestes war es dieses Jahr förderlich, dass bei uns nichts dergleichen unterm Weihnachtsbaum gelandet ist. Danke dafür, Mama, und natürlich auch für Tausende weitere Geschenke materieller und noch mehr immaterieller Art in den vergangenen bald 48 Jahren nicht nur an Weihnachten!

Mancher mag an dieser Stelle natürlich einwenden, dass Fanartikel von Eintracht Frankfurt unter gewissen Umständen auch überteuert und überflüssig sein können.

Aber in diesem Fall ist das Geld wenigstens für eine gute Sache ausgegeben worden. Und darum, Gutes zu tun, geht es an Weihnachten ja schließlich auch.

Wenigstens ein bisschen.

Das letzte Kind hat kein Fell

Man muss anerkennen: Sie sind schon äußerst possierlich, wenn sie sich zaghaft in Bewegung setzen, zögerlich die Wohnung inspizieren, einer Katze gleich neugierig jeden Winkel der Wohnung erforschen, dabei mitunter unvermittelt abdrehen, um fortan in einer ganz anderen Ecke des Raumes weiterzumachen. Dabei sollen sie eigentlich nur die Wohnung saugen. Es scheint, als würden Saugroboter mehr können als sie versprechen und nämlich als zusätzliche Eigenschaft die Funktion als Haustierersatz integriert haben.

Ein kleines Etwas, das langsam und unsystematisch durch die Wohnung streift und Sachen in sich aufnimmt – vielen Hundebesitzern dürfte dieses Bild sowieso schon verdächtig bekannt vorkommen. Zwar führt die Beziehung eines Menschen zu seinem Haushaltshelfer nicht automatisch dazu, dass er ihm Leckerlis hinwirft, die er sich einverleiben kann. Durch Marktforschung bestätigt allerdings ist der Sachverhalt, dass 9 von 10 Besitzern eines Modells des Marktführers ihren Robotern Namen geben.

Es wäre demnach konsequent, die Geräte gleich mit Fell und Gesicht anzubieten.

Man könnte die Dinger ja theoretisch so programmieren, dass sie von Zeit zu Zeit ihren Halter ansteuern, um von ihm ihre Streicheleinheiten einzufordern. Für die ganz Hartgesottenen wäre ein interessantes, weil authentisches Feature, wenn sie ab und an den Inhalt ihres Körpers auf den Teppich entleeren. Tierarzt oder Wartung – was macht das schon für einen Unterschied, außer dass Erstgenanntes in aller Regel teurer, dafür aber auch unappetitlicher ist?

Wenn die Entwickler dem Teil noch eine Hundeschnauze gäben, wäre auch folgendes Problem gelöst: Weil die Geräte sich überall drehen können müssen, sind sie meistens rund. Weshalb aber Ecken in aller Regel zuverlässig nicht erreicht werden und man letzten Endes für diesen Zweck doch besser, wie seit eh und je, auf kleine Frauenhände zurückgreift.

Generell muss das Rad nicht permanent neu erfunden werden. So ist die Idee an sich, dass sich in Abwesenheit jemand um den Haushalt kümmert, so neu ohnehin nicht: Unserer Elterngeneration war dieses Konzept unter dem Namen „Ehegattin“ bekannt. Noch bis heute sind in vielen Familien Spuren dieser Kultur erhalten.

Während Frauen also immer schon einen produktiven Beitrag zum Gesamtgeschehen geleistet haben, hält sich die Mitwirkung von Haustieren in überschaubaren Grenzen: Ein Hund hat früher wenigstens noch den Hof gegenüber Eindringlingen verteidigt. Katzen hingegen haben für das geschnorrte Essen lediglich ein paar erledigte Mäuse als Gegenleistung angeboten. Das klingt bis hierhin nicht wie ein Argument gegen den Erwerb eines Saugroboters, sondern vielmehr gegen die Anschaffung von Katzen, ist aber an sich eine nüchterne Bestandsaufnahme: Die Tiere sind jetzt halt einfach ´mal da. Und dass man in seiner Eigenschaft als Haustier Argument sowohl für als auch gegen die Anschaffung eines Saugroboters ist, muss den Viechern auch erst ´mal jemand nachmachen.

Einerseits verursachen Muschi und Bello einfach so viel mehr Dreck als man wegsaugen kann – jedenfalls sofern man außer dem Haushalt noch weitere Hobbys hat. Andererseits kann die überwältigende Mehrheit aller Haustiere eben nicht so friedlich mit so einem Apparat koexistieren wie uns zahlreiche Propagandavideos suggerieren wollen, auf denen Katzen entspannt auf solchen Geräten durch die Wohnung cruisen. Meine Tiere jedenfalls würden sich von einem Saugroboter nicht elegant herumchauffieren lassen, sondern müssten sich im Angesicht dieses surrenden Etwas´ zwischen Angriff und Flucht zu entscheiden haben.

Der Kater würde eher flüchten und für die Dauer des Einsatzes den Kleiderschrank oder einen anderen Bereich, den ein Saugroboter niemals erreichen wird, mit seinen Haaren einsauen. Der Hund hätte früher so ein Teil einfach aus dem Weg gebellt oder es wenigstens über die komplette Einsatzdauer des Gerätes versucht. Heute würde er sich wahrscheinlich für die dritte Alternative entscheiden, mit welcher das Zwischenhirn auf Gefahrensituationen reagiert: Totstellen. Ganz als ob er irgendjemandem beweisen müsste, dass auch ein älterer Hund noch lernfähig ist, arbeitet er permanent an einer weiteren Verfeinerung seiner Technik des penetranten In-den-Weg-Legens. Früher hat man sich ab und zu aufgeregt, weil er im Garten ausgerechnet dort liegt, wo man eigentlich graben wollte. Heute legt er sich ständig in den Flur, selbstredend quer, denn der Flur ist nun ´mal der engste, gleichzeitig aber meistfrequentierte Ort der gesamten Wohnung. Der Saugroboter wiederum würde das lebende Hindernis Hund als Ende des Raumes interpretieren, sich zwar eventuell unterfordert fühlen angesichts der geringen Ausmaße seines Einsatzgebietes, letzten Endes aber die Arbeit beenden. Und weil ein Roboter tendenziell dumm wie das Brot ist, dessen Krumen er wegsaugen soll, muss man seine Arbeit kontrollieren. Von unterwegs.

Ab hier führen wir eine andere Diskussion: Denn ganz abgesehen von der Ungewissheit, wie gut meine sensiblen Daten der Wohnungseinrichtung bei einem Technologiekonzern aufgehoben sind, bleibt die Frage, was man davon hat, dass man von überall abrufen kann, an welcher Stelle der Wohnung der Saugroboter sich gerade befindet. Als jemand, der sich vor kurzem einen schlecht funktionierenden Hemdenbügler zugelegt hat, bewege ich mich mit solcherlei Grundsatzkritik am technisch Machbaren natürlich auf denkbar dünnem Eis. Dennoch: Wenn man sich Testberichte durchliest, stößt man immer wieder auf Berichte, dass der Automat aus misslichen Lagen hat befreit werden müssen. Das Argument, man könne den Sauger in Abwesenheit seine Arbeit verrichten lassen, auf dass am Feierabend nichts mehr zu tun wäre, wird durch solche Fehlfunktionen nicht nur ein bisschen entkräftet. Dass ich dann, wo immer ich mich gerade aufhalte, eine Warnung auf mein smartes Telefon bekomme, dass etwas nicht stimmt, ohne dass ich gerade aufgrund meiner Abwesenheit akut irgendetwas dafür tun könnte, dass er weiterarbeitet, macht die Angelegenheit nicht stressfreier.

Doch kann sich außer dem neuen Haushaltshelfer auch ein Hund einmal in einer misslichen Lage befinden. Nämlich dergestalt, dass er sich nicht mehr anders als durch Setzen eines Haufens in die Wohnung zu helfen weiß. In diesem Fall riecht man das bereits im Treppenhaus kurz bevor man die Wohnungstür aufschließt, weil sich der Duft seinen Weg durch sämtliche sichtbaren und unsichtbaren Ritzen bahnt. Das allein ist lästig genug, aber – man ahnt, was jetzt kommt: Wenn dann nämlich in der Zwischenzeit so ein Roboter einmal in Fahrt gekommen ist und erfolgreich daran gearbeitet hat, die ganze Scheiße in der Wohnung zu verteilen, hat man das ziemliche Gegenteil eines gemütlich-unaufgeregten Feierabends. Das ist nicht smart, das ist im nicht nur übertragenen Sinn einfach scheiße. Und man wird den Tag verfluchen, an dem man sich das einst so possierliche Spielzeug zugelegt hat. Beziehungsweise sich freuen, dass man zu arm ist, um sein Geld in unausgereifte Technik investiert zu haben.

Die Kunst, Zeit zu haben

Zwar erfordert es ein gehöriges Maß an Gleichgültigkeit gegenüber dem Leser, einen Text mit „Die Zeiten ändern sich“ einzuleiten. Andererseits wird dieser Aussage vermutlich auch niemand ernsthaft widersprechen wollen. (Können natürlich erst recht nicht.) Und angesichts des Themas, um das es geht, erscheint sogar diese abgenutzteste aller Phrasen angemessen.

Wenn man nämlich runde dreißig Jahre lang auf der Jagd nach Schnäppchen in Sachen Lesefutter verbracht hat und plötzlich zum zweiten Mal hintereinander den Medienflohmarkt der örtlichen Bibliothek als diesbezüglichen (Halb-)Jahreshöhepunkt mit lediglich einer Hand voll CDs verlässt und derweil das Angebot an Büchern überhaupt nicht angemessen inspiziert hat, dann ist das mehr als eine Laune, fürchte ich. Das ist eine Zeitenwende. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es jeweils eher zwei Hände voll CDs gewesen sind. Eine Zäsur.

Spät, letzten Endes aber erfolgreich, hat sich doch noch die Einsicht durchgesetzt, dass ich die zu Hunderten in meinen Regalen befindlichen ungelesenen Veröffentlichungen in diesem Leben nicht mehr alle werde lesen können. Das bedeutet nicht, dass ich mir nie wieder ein Buch kaufen werde. Jedoch brauche ich mir nicht noch regelmäßig regelrechte Massen an Schrifterzeugnissen zusätzlich kaufen, bloß weil sie zum Schnäppchenpreis zu haben sind.

Auch wenn mir das alles nicht erst seit gestern dämmert, benötigte ich zur endgültigen Bekehrung meinen Sohn, der mir unlängst den Spiegel vorgehalten und meine Konsumgewohnheiten entlarvt hat: Als es um die Frage ging, ob er den von mir geschenkten Band Disneys Lustige Taschenbücher mit zu sich nach Hause nehmen möchte, meinte er, die sammele er hier bei mir.

Sammeln.

Sammeln..!

Da bei jedem Neuzugang im Regal ja unausgesprochen die Frage im Raum stand, wann bitteschön ich das lesen soll, ging es mir in Wahrheit wohl ab einem heute nicht mehr genau zu rekonstruierenden Zeitpunkt wenigstens zum Teil darum, die Bücher einfach nur zu haben. Vielleicht war meine Leseleidenschaft einfach nur eine gut getarnte Sammelleidenschaft. Das Sammelgebiet sind günstige Bücher, die irgendwo lesenswert sind, von denen man aber angesichts der durchschnittlichen Lebenserwartung weiß, dass sie aufgrund des immensen Vorrates an ebenso lesenswerten Büchern niemals zum Zuge kommen werden. Die man andererseits aber auch nicht stehen lassen kann, weil man sie schließlich nie wieder so günstig bekommen wird.

Hat man als Hauptursache fürs Nichtlesen erst einmal den Mangel an Zeit identifiziert, ist es recht naheliegend, beim Aufräumen mit Sprachkursen zu beginnen, bei denen über das reine Lesen hinaus noch weitere Zeit investiert werden muss. Als hätte ich es geahnt, hatte ich mich im Laufe der letzten Zeit bereits von den Lehrbüchern für Italienisch, Türkisch und Tschechisch getrennt und mir dafür bei gleicher Gelegenheit „Die Kunst, Zeit zu haben“ zugelegt. Leider hatte ich bis jetzt keine Zeit, ins Buch zu schauen.

Den „Sprachlehrgang Norwegisch. Ein Standardkurs für Selbstlerner“ hatte ich, wohl weil sich die Sprache sehr witzig anhört, bis jetzt vor der Verbannung ins Tauschregal der Sparkassenfiliale verschont. Aber irgendwann muss sogar ich vor mir selbst zugeben, dass meine nicht vorhandenen Norwegisch-Kenntnisse nicht daran liegen, dass das Begleitmaterial zum Buch auf Kassette ist. Denn dass ich zu den Wenigen gehöre, die für diese Dinger überhaupt noch eine Abspielmöglichkeit besitzen, dürfte diejenigen, die mich entweder kennen oder ersatzweise diese Texte hier regelmäßig lesen, kein direkt überraschendes Bekenntnis sein.

Den Russisch-Sprachkurs dagegen behalte ich noch. Man kann ja nicht wissen, wofür dieser eventuell noch ´mal gut sein kann.

Die kalte Haut der Stadt“ ist ein Buch aus der Zeit, als ich mindestens einmal im Monat samstags nicht auf den Flohmarkt gehen konnte, um dort neue alte Bücher zu kaufen. Denn wenn man sich in einem gewissen Alter befindet, zieht eigentlich gefühlt jeden Samstag irgendjemand aus dem erweiterten Freundeskreis um, der für unkomplizierte Hilfe beim Schleppen dankbar ist. Einmal bekam ich bei dieser Gelegenheit einen über 500 Seiten starken Roman in die Hand gedrückt. Ich solle ihn einfach mitnehmen. Das war zwar kein gleichwertiger Ersatz für die vier bis fünf Biere, die ich bei solchen Events üblicherweise zu mir zu nehmen gewohnt war, aber irgendwie war ich überrumpelt genug, das Teil wie angeordnet mitzunehmen, auf dass es seit diesem Tag weitgehend unangetastet bei mir im Regal steht. Weitgehend meint in diesem Fall, dass es lediglich zum Zwecke meiner eigenen seitherigen Umzüge in die Hand genommen wurde. Einen dritten Umzug möchte ich dem Wälzer ersparen. Auch wenn ich derzeit keinen solchen plane, muss das Buch jetzt weg. Man kann ja nie so genau wissen, was das Leben noch so bereit hält.

Anders als die meisten anderen Menschen aus meinem Umfeld habe ich meine bisherigen Umzüge nicht als Gelegenheit wahrgenommen, auf einen Schlag viele Bücher einfach ´mal auszusortieren. Das Ausmustern von Büchern war dreißig Jahre lang Mittel zum Zweck, neue gebrauchte Bücher irgendwie unterzubringen. Dass die Sammlung beide Umzüge plus Ehegattin überstanden hat, verdeutlicht den Stellenwert, den Bücher trotz des bis hierhin Gesagten für mich hatten und haben. Aber seien wir ehrlich: Ein Umzug mit Büchern ist das beste Argument für einen ebook-Reader. Gleichzeitig aber auch das einzige.

Schon allein das Fehlen des Momentes, in dem ich einem Freund gegenüber das Versprechen äußere, er könne das Buch haben, wenn ich damit durch bin, zerfickt jede denkbare Rechtfertigung für so ein Gerät. Trotz meiner Sammelwut bin ich nämlich ein Kandidat dafür, meine Bücher zu verschenken. (Allerdings für eine gewisse Zeit noch der Illusion zu erliegen, ich hätte sie nur verliehen.)

Dass sich diese Praxis nicht allein auf Bücher beschränkt, macht die Angelegenheit nicht eben einfacher. Doch weiter im Text!

Autogenes Training. Anwendung, Heilwirkungen, Methoden“ ist ebenfalls zum Abschuss freigegeben. Mehr als ein Buch zu diesem Thema zu haben, erinnert mich immer an die „Zwei Hände, aber nur einen Mund“-Problematik. Wenn man es nicht praktiziert, ist streng genommen auch ein Buch darüber schon eins zuviel. Ich behalte es trotzdem. Man kann schließlich nie wissen…

Es wäre schön, wenn die Sachlage immer so eindeutig wäre wie bei den bisher genannten Titeln. Was aber mache ich mit Marilyn French, Simone de Beauvoir, Cheryl Benard/Edit Schlaffer? Standards der feministischen Literatur oder wie ein früherer Bundeskanzler es wahrscheinlich kurz, dafür prägnant umschreiben würde: Frauengedöns. Titel, die mein Denken mindestens genauso geprägt haben wie die Beobachtung, dass nicht wenige der Freundinnen und Genossinnen, welche mir diese ans Herz gelegt haben, sich am Ende des Tages die letzten Prolls inner- oder außerhalb der Szene als Partner ausgeguckt haben. Verkehrte Welt. Doch wenn letztgenannte sowieso irgendwann zugrunde geht, ist es wahrscheinlich sowieso zweitrangig, wie belesen oder gebildet man ist. Viel wichtiger: Dass man selbst dabei noch den bestmöglichen Eindruck hinterlässt. Dazu gehört, auch wenn diese Einsicht für mich wieder ´mal recht spät kam, dass man das beste Outfit trägt, das die Situation dann gerade zulässt.

Aufmerksame Leser werden registrieren, dass wir allmählich auf die Stelle des Textes zusteuern, in der zur Besinnung auf das wirklich Wichtige im Leben aufgefordert wird. Gerade wenn am Ende die Erkenntnis steht, dass man mit dem gelegentlichen Ausmisten des Bücherregals eher die Symptome anstelle der Ursachen bekämpft, kann die Beschäftigung damit, was einem wirklich wichtig ist, kein so ganz untaugliches Konzept sein.

Zwar kann man das selbstverständlich auch praktizieren, ohne vorher ein entsprechendes Buch gelesen zu haben, aber selbstverständlich gibt es auch zu diesem Thema ein selbstverständlich nicht gelesenes Buch in meinem Bestand: „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will“ verspricht Antworten auf Fragen, die ich mir mindestens schon so lange stelle wie ich Bücher sammle.

Ich glaube, diesen Titel behalte ich lieber noch. Man kann ja nie wissen, wofür es noch gut ist.

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