Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: August 2018

Alles paletti

Wie es geht, will er von mir wissen. „Solange wir nicht über Fußball reden, geht’s gut“, erkläre ich wahrheitsgetreu. Ich erkenne, dass ich am Feintuning meiner Formulierungen noch zu arbeiten habe, als wir ab dem nächsten Satz wie selbstverständlich über Fußball reden. Ich gehe ja kaum noch ins Stadion, würde aber im Falle eines Falles als in etwa angemessene Gegenleistung für das entrichtete Eintrittsgeld erwarten wollen, dass ein Sieg meiner Mannschaft wenigstens nicht ganz im Bereich des Utopischen ist. Momentan freilich wären solche Erwartungen definitiv zu hoch angesetzt, weil die Verantwortlichen in einer für Eintracht Frankfurt typischen pathologischen Mischung aus Größenwahn und Inkompetenz ein neues Konzept erschufen:

1. Eine beunruhigend hohe Menge an „Perspektivspielern“ und Versprechen für die Zukunft in den Kader implementieren. 2. Hernach überraschend feststellen, dass man eine gewisse Anzahl Spieler zu viel in den Reihen zählt. 3. Vorhandene Spieler aussortieren, von denen man von einem Teil definitiv weiß, dass sie dem Team aktuell eher weiterhelfen könnten als die Neuzugänge. 4. Dementieren, dass es die für die Aussortierten eingerichtete Trainingsgruppe II überhaupt gibt.

Immerhin hat man für hiesige Verhältnisse früh auf die diese Saison anstehende Mehrfachbelastung reagiert und als Sofortmaßnahme die Anzahl der Pflichtspiele durch den Erstrunden-Knockout im DFB-Pokal wenigstens ein bisschen reduziert. Nicht das, was der gemeine Fan sich wünscht, aber effektiv.

Ich spüre, wie mein Blutdruck ungekannte Höhen erklimmt, während ich mich in Rage rede, und bin daher dankbar, dass unser Gespräch durch Eintreffen seines Busses beendet wird. Beim Einsteigen lässt mir mein Kumpan noch den Rat zurück, mich nicht aufzuregen. Wenige Minuten später hinterlässt diese Unterhaltung bei mir überraschenderweise in der Tat ein eher angenehmes Gefühl. Und ich glaube auch zu wissen, warum.

Es war nämlich eine gepflegte Konversation der Sorte, in der nicht alles „nice“ ist und entsprechend „hart gefeiert“ wird. Ohne Vokabular wie „random“, wenn man „zufällig“ meint, „als ob“, wenn der Wahrheitsgehalt einer Aussage angezweifelt wird, oder „wayne“, wenn einem etwas egal ist. Auch weiß ich zu schätzen, wenn nicht jeder zweite Satz entweder mit „Ja, Mann“, „Dicker“ oder „Alter“ eingeleitet wird.

Jetzt kann man als halbwegs informierter Mensch natürlich durchaus wissen, dass nicht gleich der Untergang der abendländischen Kultur ins Haus steht, nur weil ein paar Halbstarke anders kommunizieren als ich es gewohnt bin. Vor allem benutze ich manches davon ja selbst auch: „Alter“, das ist schon so lange gebräuchlich – ich war selbst noch jung, als das aufkam. Davor meinte man mit „Alter“, nun ja, das Lebensalter. Auch für den Vater war „Alter“ seinerzeit ein sich allmählich etablierender jugendsprachlicher Ausdruck, der heute ebenso selbstverständlich im Duden steht wie die Verwendung als Anrede. Mein Missmut richtet sich hauptsächlich gegen den inflationären Gebrauch des Begriffs. Zumal „Alter“ zusätzlich ja auch jeder zweiten Aussage nachgestellt wird, es also absolut keine Seltenheit darstellt, wenn „Alter“ in einem Satz am Anfang UND am Ende vorkommt. Vor allem benutze ich „Alter“ nicht gegenüber einer Frau. Und als allererstes nicht zu meiner Mutter!

Trainingsgruppe II rockt

„Bruder“ hat eine andere Bedeutung, wird aber ähnlich überstrapaziert. Mein „Bruder“ war früher noch ein weiterer männlicher Nachkomme meiner Eltern. Im Zweifelsfall auch noch ein Insasse eines Klosters und in sehr seltenen Fällen tatsächlich auch ´mal ein dicker Freund. Die Freundschaft musste aber dann schon auch eine von der Qualität Winnetou und Old Shatterhand sein. Aber heute wird jeder Dahergelaufene, mit dem man drei- oder viermal gesoffen hat, zum „Bruder“ erklärt.

Und so wie zu meiner Zeit gute Freunde sind es heutzutage eben „Brüder“, die sich irgendwann auch wieder voneinander entfremden, nachdem sie für eine gewisse Weile gemeinsam abgehangen haben. Denn bevor man allenthalben begann, unproduktive Zusammenkünfte als „Chillen“ zu bezeichnen, war die gängige Umschreibung dafür „abhängen“. Auch 25 Jahre später finde ich „abhängen“ als Begriff noch treffender, weil er von einem Selbstverständnis zeugt, sich nicht unbedingt bemühen zu müssen, den Umstand zu beschönigen, dass es sich genau genommen um Nichtstun unter Gleichgesinnten handelte. Wir haben also nicht „gechillt“, wir haben „abgehangen“ und fanden uns „cool“ und „geil“. Da ich allerdings nicht nur in den Achtzigern jung war, sondern auch noch ein bisschen in den Neunzigern, musste ich leider miterleben, wie das Abhängen langsam vom „Feiern gehen“ abgelöst wurde. Was bedeutete, dass man sich zwar immer noch zusammen in einer Gruppe Gleichaltriger langweilte, die Umschreibung „ich war feiern“ aber suggerierte, man hätte mächtig Spaß gehabt, während man sich in Wahrheit meistens in einer ordinären Schankwirtschaft gegenseitig unter den Tisch zu saufen versucht hatte.

Obwohl das Raute-Symbol zu dieser Zeit noch Raute genannt wurde und im Prinzip auch keine besondere Funktion hatte, die ihr Erscheinen auf sämtlichen Tastaturen dieser Welt gerechtfertigt hätte, war diese Umdeutung damals vielleicht der erste Vorbote hin zu einer Entwicklung, für die später mit den bekannten sozialen Netzwerken das ultimative Werkzeug zur Verfügung gestellt wurde: Das meist zutiefst durchschnittliche Leben als höchst interessanten und abwechslungsreichen Alltag zu inszenieren.

Wirklich „gediegene“ Momente wurden in etwa ab dieser Zeit von allen, die etwas auf sich hielten, auf keinen Fall mehr als „cool“ bezeichnet, sondern als „fett“. „Edel“ ging auch noch, wenn ein Gegenstand besonderes Gefallen erregt hatte, aber „cool“ hatte, wie heute das „nice“, den Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch der Erwachsenen geschafft und war aus diesem Grund im Laufe der Zeit uncool geworden. Um nicht zu sagen mega-uncool. Niemand hatte mehr „Bock drauf“. Die Dinge nahmen ihren Lauf; die Begriffe änderten sich und mit ihnen der Zeitgeist. Eventuell auch umgekehrt. Wer weiß das schon so genau?! Jedenfalls war „null Bock“ out, „null Problemo“ dafür in. Andere Ausdrücke blieben: Hatte ein Sachverhalt einen extremen Eindruck auf uns gemacht, war er „krass“ oder „abgefahren“. Angelegenheiten, die wir eher nicht gefeiert hatten, bekamen das Prädikat „ätzend“. In heftigeren Fällen konnte man auch schon ´mal „eine Krise kriegen“. Das Stichwort Krise schließlich führt uns schneller als mir lieb sein kann wieder zum Ausgangspunkt zurück und damit zum besten Verein der Welt und damit zu den obligatorischen Fragen: Was kommt? Was bleibt?

Was kommt, vermag ich nicht seriös zu beurteilen. Warum sollte es mir da auch besser gehen als den meisten anderen?! Was bleibt, ist die Bestätigung der Erkenntnis, dass manche Ideen Zeit benötigen, um ihre Wirkung voll zu entfalten. So registriere ich, wie die Idee einer Trainingsgruppe II mir nach und nach besser gefällt, ohne dass die Idee etwas dafür kann, weil sie sich schlicht gar nicht geändert hat, sondern nur meine Wahrnehmung. Jedenfalls ist mein Urlaub vorüber und also bin ich ab nächster Woche wieder dafür verantwortlich, ein Team von Aushilfen mit der Kadergröße eines durchschnittlichen Bundesligisten anzuleiten.

Da kommt mir diese Inspiration gerade recht.

Fast würde ich mich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen: Nice!

Suche Beziehung, tausche Schreibblockade

Sind wir ´mal ehrlich: Eigentlich ist Urlaub Zeitverschwendung. Man schläft länger, hat aber aufgrund eines deutlich verlangsamten Tagesablaufs mitnichten das Gefühl, dadurch fitter durch den Tag zu kommen. Man kümmert sich um Angelegenheiten, die man im normalen Alltag zurecht vernachlässigt, so etwa das Beantragen eines neuen Personalausweises oder die Korrespondenz mit dem Beitragsservice von ARD und ZDF. Nimmt man nach dem Mittagessen ein Buch zur Hand, werden nach 15 Minuten die Augenlider schwer.

Ein Tierarztbesuch ist auch so ein Sommerhöhepunkt, auf den ich gern zugunsten eines Ausflugs oder der nächsten Lektion im Poi-Spielen verzichtet hätte. Aber immerhin befindet sich der Terrier in einem guten Gesamtzustand. „Es spricht momentan nichts gegen die Annahme, dass er zu seinem 14. Geburtstag im nächsten Februar immer noch fit und munter sein wird“, erklärt mir seine Ärztin. „Super“, freue ich mich über jede Sekunde, die mein Hund Oka an meiner Seite ist, obwohl er ja auch schon etliche Kilometer auf dem Tacho hat. Ich denke aber trotzdem auch, dass diese Aussage angesichts der Kosten, die das Tier inzwischen durch regelmäßige Besuche bei ihr verursacht, wenigstens zu einem kleinen Teil eher Drohung als Versprechen ist. Man kann ja den seinerzeitigen Move meiner Mutter, in der Tierklinik nach erfolgter Nachsorgeuntersuchung einfach ohne zu bezahlen das Gebäude zu verlassen auch nicht beliebig oft wiederholen.

Der Gipfel der Zeitverschwendung ist allerdings das vermehrte Herumtreiben auf Online-Partnerbörsen, obwohl man es ja eigentlich besser weiß. Ich habe es im Rahmen meiner freien Tage trotzdem wieder gemacht. Und diesmal hat es sich sogar gelohnt!

Nicht in dem Sinne, dass sich in der Tat endlich einmal etwas Ernsthaftes anbahnen würde. Aber wenn es eine Frau schafft, mich zu einem Text zu inspirieren, frage ich nicht mehr, ob das von ihr beabsichtigt war oder nicht, sondern tue das, was ein Mann in meiner Situation tun muss. Ich will nicht direkt behaupten, dass ein Blogthema mehr wert ist als ein eventueller freundschaftlicher Kontakt mit Aussicht auf mehr. Aber wenn man miterlebt, wie diese Internetpräsenz ihren originären Zweck, Menschen zusammenzubringen, bei mir in all der Zeit nicht erfüllt hat, möchte ich auch niemanden verurteilen, wenn er so denkt.

Zum Punkt: Grundlage jeder Aktivität auf solchen Plattformen ist ein aussagekräftiges Profil. Oft wird dabei versucht, mittels alternativer Fakten bezüglich Profilbild, sportlicher Aktivitäten, Alter oder Kinderanzahl dem Glück etwas auf die Sprünge zu helfen. Das kann man aber auch weniger ansprechend machen. Dafür ehrlich. In vorliegendem Fall war mein spontaner erster Gedanke, dass man wirklich niemals denken sollte, man habe schon alles gesehen. Die Urheberin hatte offenbar alle ihre Antworten auf verschiedene Fragen gleichzeitig ausgekotzt und danach mit unterschiedlichem Erfolg versucht, Ordnung in diese Buchstabensuppe zu bringen.

Sicher gibt es Fragen, bei denen es ausreicht, wenn sie kurz, dafür präzise mit Ja oder Nein beantwortet werden. Die Frage „Was ist das „gewisse Etwas“, das er/sie haben muss“ gehört nach meiner Auffassung nicht dazu. Mit „Nein“ ist diese Frage in meinen Augen also selbst dann nicht hinreichend beantwortet, wenn ich berücksichtige, dass es im Kontext solcher Fragen eigentlich kein Richtig oder Falsch geben sollte. Ebenfalls originell ihre Antwort auf die Frage „Wie kleiden Sie sich?“: „Einen sexy“ Man merkt, wie sich jemand Gedanken darüber gemacht hat, keine 08/15-Antworten wie alle anderen zu geben, sondern etwas wirklich Originelles. Darauf muss man auch erst einmal kommen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass hier irgendeine Information versucht wird zu unterschlagen.

Alle Karten auf den Tisch legt sie dagegen hier: „Wie gehen Sie mit einer Trennung um?“ – „Wenn es nicht passt ok“ Kurz und bündig, wie es eben ihre Art ist. Dazu ein sachlich-pragmatischer Umgang mit Problemen, bei denen bei anderen Menschen die Bereitschaft zu töten definitiv steigt.

Biete Schreibblockade gegen Schokolade

„Was hätten Sie in Ihrem Leben gerne anders/auf keinen Fall anders gemacht?“

Obwohl ich mich auch häufig umständlich und missverständlich ausdrücke, bilde ich mir ein, dass ich bemerkt hätte, dass die Angabe „Meine 4 jungs“ bei dieser Fragestellung in unterschiedliche Richtungen interpretierbar ist. Ich spüre, wie sich angesichts dieses Ersteindrucks inzwischen einige Schubladen zum Einsortieren geöffnet haben. Weshalb ich als Reaktion auf „Haben Sie bereits jemanden über das Internet persönlich kennengelernt“ schon selbst ergänze: Wird bei solchen Auskünften auch verdammt schwierig werden.

Mein zweiter Gedanke: Um wieviel genau bin ich mit meinen ach so schlauen, wohlüberlegten und wortgewandten Antworten weiter als sie? Ihre tatsächliche Erwiderung ist übrigens mit sechs Wörtern die von ihr am ausführlichsten beantwortete Frage überhaupt: „Nein noch nicht den richtigen gefunden“. Dritter Gedanke: Das wird schon werden. Es gibt in der Männerwelt ausreichend Exemplare, die in ihren Beziehungen keinen gesteigerten Wert darauf legen, auf halbwegs normale Fragen gescheite Antworten von ihrer Partnerin zu erhalten. Da kann man wirklich nicht behaupten, dass es an solchen Frauen keinen Bedarf gäbe. Nach allem, was ich gelesen habe, vermute ich, dass die eher als dürftig zu bezeichnende Art der Kommunikation zu der Entstehung der vier Kinder nicht nur unwesentlich beigetragen hat. Da die weiter oben geöffneten Schubladen nach wie vor weit offen stehen – der Nick „Mami“ tut wahrscheinlich sein übriges dazu, dass diese Frau Männer anzieht, die ihre Rolle als erwachsenes fünftes Kind mit Sicherheit bestens ausfüllen.

Deswegen habe ich ihr eine Nachricht geschrieben.

Habe ich natürlich nicht. Aber ich wollte.

Ich habe mich aber von ihrem schlichten „Ja“ als Antwort auf die entscheidende Frage „Wie möchten Sie in keinem Fall angesprochen/angemailt werden“ abschrecken lassen. Angesichts solcher Sprachfertigkeit, der Fähigkeit, in dieser ungekannten Leichtigkeit mit den Worten zu jonglieren, kam mir mit einem Mal alles, was ich ihr hätte schreiben wollen, so furchtbar trivial vor. Plötzlich war die Schreibblockade da. Dafür hatte ich ein Thema für meinen wöchentlichen Blogeintrag.

Im Grunde also kein schlechter Tausch.

Dass ich sie nicht angeschrieben habe, sondern stattdessen während meines obligatorischen Spaziergangs durch den in Wurfweite meiner Wohnung gelegenen Wetterpark sogar unvermittelt begann, die verschiedenen Typen von Wolken zu studieren – ich werte es ´mal als gutes Zeichen, dass ich noch ganz gut einordnen kann, was echte Zeitverschwendung wäre und was gerade noch so im Rahmen ist.

Sind wir ´mal ehrlich: Allein schon dass ich auf solche Weise zu der Erkenntnis gelangt bin, noch am Leben zu sein, hat den Urlaub gerechtfertigt.

Für Felix Klaus

Normalerweise fallen rund um diesen Anlass Sprüche wie „Daran merkt man, wie alt man ist“. Sieht man darüber hinweg, dass jeder halbwegs normal veranlagte Mensch an ganz anderen Vorgängen merken sollte, wie alt er ist, gäbe es natürlich zuvorderst anzumerken, dass Teilzeitpapas wie ich die Entwicklung ihrer Kinder sowieso im Zeitraffer verfolgen. „Mein Kleiner“ erscheint mir schon seit längerem eine unpassende Anrede, mein Großer. Deine diese Woche erfolgte Einschulung ist ein weiterer Abschnitt, nicht aber der Beginn dieser Entwicklung. Um festzustellen, „wie schnell doch die Zeit vergeht“, brauche ich dieses Datum nicht zwingend.

Aber natürlich ist es ein bedeutsames Ereignis für Dich. Ich will Dir hier ausdrücklich nicht vom Ernst des Lebens erzählen, denn schließlich weiß man mit ein paar Jährchen Vorsprung, dass der Ernst des Lebens erst sehr viel später richtig beginnt. Aber es ist eine Zäsur. Ein Meilenstein, wenn man so will. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass ab dieser Woche die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens beginnt. Es wird sich etwas ändern. Du wirst mehr als bisher spüren, dass Dein Beitrag für eine Gemeinschaft nicht daran gemessen wird, dass Du einfach nur da bist, sondern daran, was Du kannst und was Du weißt. Mit Sicherheit wirst Du bei solchen Beurteilungen das ein oder andere Mal ein diffuses Gefühl bekommen, dass bei diesen Einschätzungen nicht immer alles objektiv ist und gerecht zugeht. Allerdings: Solange Du selbst an Dich glaubst, kann gar nicht so viel passieren!

Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass ein einzelner Absatz dieses Blogeintrags bald mehr Pathos versprüht als ein durchschnittlicher Songtext der Broilers. Ich muss das jetzt trotzdem durchziehen. Weil angefangene Dinge zu einem halbwegs ordentlichen Ende gebracht werden müssen. Was, wenn wir über das Thema Schule sprechen, eine der erste Lektionen ist, die zu lernen wäre.

Denn um Lernen dreht sich das Ganze schließlich. Und hier laueren ja auch schon die ersten Gefahren: Nicht alle Lerninhalte werden Dir gleich gut liegen. Du wirst nicht alles gleich spannend finden. Nicht immer liegt das am Thema an sich, sondern an der Art der Vermittlung. Wenn Du Hilfe dabei brauchst, den Unterschied herauszufinden, werde ich Dir selbstverständlich immer so gut ich kann zur Seite stehen.

Nicht bei allem wird sich Dir der Nutzen des zu Lernenden für Dich selbst oder wenigstens für die Gesellschaft als Ganzes sofort erschließen. Und ja – bei manchem wirst Du Dich Zeit Deines Lebens fragen, warum man Dich in der Schule damit belästigt hat. Das einzige, das ich mir in diesem Zusammenhang wirklich von Dir wünsche, ist eine gewisse Unvoreingenommenheit. Dazu gehört natürlich auch, dass ich es nicht gern höre, wenn Du Deinen älteren Freund zitierst, der Dir vorher schon einredet, Schule sei langweilig. Wenn Du diese Einstellung übernimmst, machst Du Dir selbst das Leben wahrscheinlich schwerer als Dir lieb ist. Vor allem ignoriert diese Einstellung komplett, dass Ihr als Kinder die wichtigste Eigenschaft fürs Lernen immer noch in Euch tragt: Die Neugier nämlich. Glaub´ mir: Auch die wird im weiteren Verlauf Deines Lebens schon noch früh genug nachlassen. Was sowieso schade ist. Umso trauriger fände ich es aber, wenn Du Dich ohne Not jetzt schon frühzeitig ihrer entledigen würdest.

The kids are alright

In diesem Zusammenhang: Auch das ist klar – es kommt früher oder später die Zeit, in der das Urteil Deiner Freunde so oder so relevanter ist als das Deines Vaters. Was dann umgekehrt eine Lektion ist, die vor allem ich dann erst mühsam lernen muss. Da hilft zunächst auch das Wissen darum nicht viel, dass wiederum sehr viel später gelegentlich die Erkenntnis durchscheinen wird, dass nicht alles Mist ist, was Dein alter Herr Dir gesagt hat. Deswegen höre wenigstens in diesem nach wie vor frühen Stadium Deiner Entwicklung auf Deinen Papa.

Neugier und Interesse, das will ich Dir nicht verschweigen, sind aber nur die eine Seite. Mir ist klar, dass Du Dich im Leben häufiger Situationen gegenüber siehst, die es notwendig machen, andere Dinge auszublenden und Dich auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren. Sei es weil eine Prüfung dies erfordert, sei es weil Du ein eigenständiges Interesse an einem Thema entwickelt hast und diesen magischen Moment kennenlernst, wenn eine Sache Dich gepackt hat und Du aus eigenem Antrieb viel tiefer eindringen willst als sämtliche Lehrpläne dieser Welt es erfordern. Bevor Du diesen Punkt erreicht hast: Nimm´ einfach so viel wie möglich auf!

Ich mache mir keine Illusionen: Irgendwann kommt der Tag, an dem Du mich daran erinnerst, dass ich in Bezug auf Motivation nicht direkt jederzeit als leuchtendes Vorbild in Erscheinung getreten bin. Was mich allerdings nicht davon abhalten wird, hier und heute meine Sorge zu äußern, dass Deine Konzentration und Deine Ausdauer momentan noch eher als „ausbaufähig“ bezeichnet werden müssen. Da hege ich aber – zumindest solange ich nicht eines Besseren belehrt werde – leise Hoffnung, dass Dir die Schule durch ihren formalen Ablauf dabei hilft, Dich auch ´mal länger als fünfzehn Minuten mit einem Thema zu beschäftigen. Dass ausgebildete Pädagogen andere Mittel haben und mehr Erfahrung einbringen, um Dir diese Ausdauer beizubringen und den Stoff so aufzubereiten, dass er Euch Spaß macht. Oder dass es vielleicht sogar ohne weiteres Zutun zu größerer Aufmerksamkeit kommt. So wie der Hunger beim Essen. Oder aus Gründen einer Mischung aus vielen Faktoren. Jedenfalls träume ich von mehr Durchhaltevermögen als dem, das ich von Dir kenne, wenn Du Ballons modellieren wolltest wie ich. Wenn Du Tricks für Deine Zaubershow einstudiert hast. Wenn Du Experimente machen wolltest.

Experimente! Was habe ich nicht schon für Dinge zusammensuchen müssen, um Dir Experimente zu ermöglichen, die immer sehr ähnlich aufgebaut sind. Du kippst irgendwas zusammen, meistens ist mindestens ein Bestandteil flüssig. Ein sehr aufschlussreiches Experiment in dieser Hinsicht war: Brausepulver in Wasser auflösen. Weniger bunt: Einen Stein in Wasser legen und warten, was geschieht. Das heißt: Eigentlich hast Du nach etwa einer Minute das Warten aufgegeben und Dich wieder anderen Dingen gewidmet. Nachdem Du bei Deinem nächsten Aufenthalt bei mir zwei Wochen später ebenfalls keine Sekunde Zeit verschwendet hast, Dich für den Fortgang Deines Experiments zu interessieren, habe ich es irgendwann nach sorgfältiger Abwägung von Chancen und Risiken abgebrochen. Eigenmächtig und den Wunsch in mir tragend, Deine Kreativität möchte alsbald durch ein angemessenes Maß an Ausdauer ergänzt werden.

Auf meiner Stichwortliste stehen noch einige Punkte mehr. Aber vielleicht nicht zu viel auf einmal. Trotz des Zeitraffer-Modus´ unserer Beziehung muss nicht alles an einem Tag geklärt werden. Wenn am Ende dieses einen Tages allerdings ein Zwischenfazit gezogen werden sollte, würde es so lauten: Sei als Kind so erwachsen wie nötig. Bleib´ als Erwachsener so viel Kind wie möglich.

Hips don´t lie

Selbst wenn in zwei bis drei Generationen unsere Art zu leben einmal komplett vom Kopf auf die Füße gestellt sein wird, werden nach meiner heutigen Einschätzung zumindest bei der Art, wie hierzulande eine Veranstaltung abzulaufen hat, nach wie vor zwei Dinge prägend sein. Zum einen wird, auch wenn ansonsten 150 Street Food Trucks ihre Gerichte feilbieten und für Abwechslung auf dem Speiseplan sorgen, in irgendeiner Ecke ein ganz profaner, aber stark frequentierter Grill zu finden sein, an dem ganz ordinäre Bratwürste zu erstehen sind, die in aufgeschnittenen Brötchen serviert und mit Senf oder Ketchup aus 10-Liter-Eimern dekoriert werden. Unter Berücksichtigung des Aspekts, dass in spätestens 20 Jahren Fleischfresser in etwa so beliebt sein werden wie heute Raucher, Diesel-Fahrer oder Sachsen beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Die zweite Konstante im Trend-Dschungel: Sobald die Musik aufspielt, muss im Prinzip jederzeit damit gerechnet werden, dass von irgendwoher ein Typ auftaucht, der es vorher geschafft hat, komplett unauffällig zu bleiben, maximal harmlos an seinem Kaltgetränk genuckelt hat, jetzt aber vom ersten Ton an die Hüften schwingt und abgeht, als gäbe es kein Morgen. Die Choreografie erlaubt auch den Versuch akrobatischer Elemante wie Purzelbaum, Spagat oder Dreifach-Toeloop. Die meisten dieser Verrenkungen sehen jedoch eher danach aus, als ob wir gerade erst noch lernen würden, aufrecht zu gehen.

Solche Figuren erinnern mich nicht nur an meinen eigenen Tanzstil, sondern auch und vor allem an das Zappeln vor der Keramik, wenn der Reißverschluss klemmt. Es darf auch niemandem böse Absicht unterstellt werden, wenn er angesichts solcher Darbietungen erst in zweiter Linie überhaupt an Tanzen denkt.

Zwangsläufig erinnern mich solche Gestalten allerdings auch daran, dass ich als Single dem Thema Tanzen etwas aufgeschlossener gegenüber sein sollte. Indessen: Sollte die Vorführung dieser eigenwilligen Moves tatsächlich auch nur bei einem Menschen signifikant zur Steigerung der Paarungsbereitschaft beitragen, braucht sich über den Zustand dieser Gesellschaft ganz offensichtlich niemand mehr wundern. Ich wiederum wundere mich gerade in Fragen menschlichen Balzverhaltens seit einigen Jahren ohnehin schon über so ziemlich gar nichts mehr. Wenn am Ende des Tages solcherlei Zappeln dann wider Erwarten doch zu Sex führen sollte, würde es mich dann andererseits doch wieder wundern. Das Leben ist wohl tatsächlich wie eine Schachtel Pralinen, wie wir alle spätestens seit Forrest Gump wissen. Man weiß nie, was man am Ende bekommt.

Von der anderen Seite aufgerollt wird es nicht unbedingt besser: Wenn zur Steigerung der Paarungsbereitschaft potentieller Kandidatinnen tatsächlich solches Gehampel notwendig sein sollte, steige ich aus dem Genpool besser freiwillig aus. Wenn der Preis für eine langfristige Beziehung oder zumindest eine schnelle Gelegenheit hinter einem Busch die Komplettaufgabe jeglicher Selbstachtung sein sollte – mir persönlich wäre der Preis zu hoch. Folgerichtig appelliere ich an meinen Kumpel, der zwar nicht ganz so fassungslos wie ich, wenigstens aber mit einem zaghaften Schmunzeln im Gesicht die Szenerie beobachtet, die sich uns eines schönen Sonntagnachmittags im Sommer diesen Jahres bietet: „Egal, was passiert – wenn ich irgendwann einmal so ´rumhopse, verpass´ mir eine Schelle, dass ich nicht mehr stehen kann.“

Seine Reaktion auf meine Bitte war voraussehbar. Solange dieser Mensch beim „Tanzen“ seinen Spaß habe, sei es erst ´mal egal, wie scheiße das aussieht.

Die Stimme der Unvernunft

Wenn den Typen nicht stört, wie Hunderte Menschen ihn auslachen, darf er auch seinen Spaß haben. Da habe ich gar nichts dagegen.“

Schnell näherten wir uns dem Punkt, an dem ich darauf hinweisen muss, dass es zwischen „gern tanzen“ und „gut tanzen“ einen Unterschied gibt. Und wenn alle Tänzer dieses Landes sich nur einmal im Leben ihr Tanzen ansehen müssten, um dabei objektiv festzustellen, dass es so geil jetzt auch wieder nicht ist, würde sich die Anzahl der Hobbytänzer schon von selbst auf ein gesundes Maß reduzieren. Übrig blieben die, die es tatsächlich können. Plus die, denen es tatsächlich nichts ausmacht, dabei von allen Seiten belächelt zu werden.

Es geht hier aber außerdem um weit mehr als solche allgemeinen Fragen. Es geht um mich. Das ist wie eine Patientenverfügung. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte erkläre ich Dir hiermit, dass ich nicht beim Tanzen in der Öffentlichkeit gesehen werden will, sollte ich irgendwann einmal in die Verlegenheit kommen, nicht mehr Herr meiner Entscheidungen zu sein. Weil es nicht nur so scheiße aussieht wie bei diesem Patienten dort, sondern noch wesentlich schlimmer, wenn ich tanze. Also schick´ mir ein Klotz, wenn es ´mal so weit kommen sollte. Je weniger ich mich danach bewegen kann, umso besser…“

Da dieses Gespräch nur ungefähr so stattgefunden hat wie hier rekonstruiert, darf man sich gern ab dieser Stelle anstelle meines Kumpels eine Bauchrednerpuppe vorzustellen, die stellvertretend das wiedergibt, was der Puppenspieler denkt, sich aber scheut, selbst auszusprechen. „Jetzt mach´ ´mal einen Punkt! Du warst sieben Jahre verheiratet, würdest es sogar wieder tun, und dann willst ausgerechnet Du mir noch ernsthaft was von ´Herr Deiner Entscheidungen´ erzählen..! Von der Selbstachtung, die Du vorhin als Stichwort in den Ring geworfen hast, will ich erst gar nicht wieder anfangen.“

Der Scharfsinn seiner Argumentation überfordert mein Bedürfnis, mich weiter in das Thema ´reinzusteigern.

Da ich nicht restlos davon überzeugt bin, mich im besten Alter für die Tanzschule zu befinden, würde ich bis auf weiteres bei der Partnerwahl trotzdem eine Nichttänzerin bevorzugen, die sich damit anfreunden kann, dass ich meiner Stimme der Unvernunft schon seit längerem keine Sprechzeiten mehr gewähre.

Auf der Heimfahrt von einem mäßig attraktiven Fest am Ufer der Lahn, bei dem die Live-Musik eindeutig den Ausreißer nach oben darstellte und folgerichtig meinerseits durch ekstatisches Mitwippen begleitet wurde: „Ich hab´s mir überlegt. Du brauchst mich von nichts abhalten, wenn es irgendwann doch einmal so weit sein sollte. Lass´ mich einfach hüpfen“, erkläre ich generös.

Ich kann schließlich nicht zulassen, dass Du anschließend wie der Assi dastehst, der einen anderen ausknockt, bloß weil er bescheuert tanzt.“

Sag´ nochmal jemand, man könne in diesem Land durch Argumente nichts bewegen.

Ob man für diese Erkenntnis bis nach Gießen fahren musste, steht auf einem anderen Blatt.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén