Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Oktober 2017

Ist das noch Punkrock?

Es mag ja durchaus sein, dass ich eines Tages das Puzzle meines Lebens zusammensetze, zufrieden zurückschaue und dabei selbst in dem bescheidenen Abschnitt von heute einen Teil des zwangsläufigen Weges zu Ruhm und Reichtum erkenne.

Bloß erzeugt diese Aussicht im Hier und Jetzt keineswegs ein Gefühl, das an so etwas wie Aufbruchstimmung erinnert. Überhaupt: Aufbruch – Ausbruch – wann genau finden solche Planspiele denn noch statt, da unsere Gedanken routiniert um die Bewältigung des Alltags kreisen und ansonsten eher aus der Verklärung des Vergangenen sowie einer gewissen Sorge ob des eigenen Alterungsprozesses bestehen.

Es wäre merkwürdig, wenn das bei mir anders liefe als bei Millionen anderer Menschen. Da spielt es auch keine Rolle, dass ich im Grunde sehr genau weiß: Geschichten von vollgeschissenen Unterhosen etwa, deren Entsorgung aus dem Fenster nur scheinbar elegant gelungen war, weil sie sich bei Tageslicht betrachtet an einem Ast des Baumes im Hof zum ständigen Mahnmal an eine versoffene Nacht entwickelte – solche Begebenheiten waren selbst in meiner Sturm-und-Drang-Phase eher Ausnahme als Standard. Auch seinerzeit hätte ich mich schwergetan, Woche für Woche einen Blog damit zu füllen.

Solches Verständnis ist hilfreich, wenn wieder einmal die Frage quält: Über was soll ich eigentlich schreiben? Soll ich berichten, wie ich von der Arbeit kam wie mein Sohn vom Spielplatz? Mit aufgeschürftem Knie nämlich. Zuhause würde ich von diesem Vorkommnis ob seiner limitierten Relevanz selbst dann nichts erzählen, wenn noch jemand anderes außer meinen Tieren zuhören würde. So etwas wird auf der Weihnachtsfeier nochmal hervorgekramt, und dann war´s das aber auch! Das ist mit Sicherheit keine Szene aus dem Film, der am Ende des Lebens an mir vorbeizieht. Falls doch, wäre es dann allerdings auch zu spät, am Plot noch etwas ändern zu wollen.

Doch was war überhaupt passiert? Selbst Arbeitsunfälle waren früher spektakulärer, daher weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ein Kopfverband mehr Prestige verleiht als ein Hinkebein. Ich bin über einen im Gang leicht hervorstehenden Karton gestolpert, und weil ich in jenem Moment sehr schnell unterwegs war, ging es halt um etwas mehr als wieder aufrichten, Staub abklopfen und the show must go on. Im Ergebnis hieß es zwar schon genau das, aber der Sturz war so sehenswert, dass jeder Schiedsrichter, der nicht Alfons Berg heißt, ohne zu zögern in seine Pfeife geträllert und mir den fälligen Elfmeter zugesprochen hätte.

Das „sehr schnell“ ist übrigens im Zusammenhang damit zu verstehen, was ein durchschnittlich abgenutzter 45-Jähriger eben noch so in die Waagschale zu werfen imstande ist, wenn es schnell gehen muss. Zwar denke ich, dass in meinem Alter diesbezüglich noch sehr viel geht, aber irgendwie musste ich dem Text an dieser Stelle eine Überleitung verpassen, die mit dem Älterwerden zu tun hat. Weil mich letztens nämlich eine relativ neue Aushilfe völlig unvermittelt gesiezt hat. Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Alle Umstehenden dachten das, wie mir rückgemeldet wurde. Also war die spontane Beschäftigung mit der Vorstellung, wie gut oder schlecht mir wohl ein Hörgerät stehen würde, etwas voreilig gewesen. Wieder bei Sinnen, musste ich den jungen Kollegen ermahnen: Sollten wir tatsächlich irgendwann zusammen ein Konzert einer Punkrockband besuchen, sollte er sich das abgewöhnen. Für mich wäre es nur halb so peinlich wie für ihn, aber was soll seine Bezugsgruppe denken, wen er mitgebracht hat?! Seinen Lehrer? Bewährungshelfer? Naja, als Lagerleiter ist man wahrscheinlich sowieso von beidem etwas.

Altern in Würde

Eines der letzten Male, dass ich gesiezt wurde, habe ich im Nachhinein als deutlichen Hinweis interpretiert, endlich das Studium abzuschließen. Es war an einem dieser Verkaufsstände für gebrauchte Bücher an der Neuen Mensa, als sie mich fragte: „Kann ich die bei Ihnen bezahlen?“ Ich hatte plötzlich am helllichten Tag Alpträume, in denen mir im überfüllten Seminarraum ein Sitzplatz angeboten wird. So wollte ich nicht enden! Obwohl ich andererseits genau wusste, wie irrational dieser Gedanke war. Denn die alten Studenten, die ich kennenlernen durfte, hatten gar nicht nötig, dass andere für sie aufstehen mussten: Wie alle alten Menschen verfügten offenbar auch die Studierenden unter ihnen über ein Übermaß an Zeit, das sie nicht etwa wie andere Altersgenossen dazu nutzten, ständig im Supermarkt vor einem herzutrotten. Sondern sie waren grundsätzlich die ersten, die im Seminarraum waren. Egal, wie früh ich eintraf – sie waren grundsätzlich schon da und hatten es sich mit der mitgebrachten BILD gemütlich eingerichtet.

Ich habe viel gesehen, aber ich bin gern zuzugeben bereit: Das habe ich bis heute nicht überwunden. Wer BILD liest, hat sich doch – unabhängig vom Alter – eigentlich schon aufgegeben. Danach kommt nur noch Schlager hören und Filme von Rosamunde Pilcher ansehen. Man richtet sich ein, weil man sich damit abgefunden hat, dass das Leben keine entscheidende Wendung mehr hervorbringen wird. Der Hirntod hat mit Lesen dieses Presseerzeugnisses doch schon eingesetzt. Wie passt das alles damit zusammen, ein geisteswissenschaftliches Studium aufzunehmen?

Immerhin: In Geschichte habe ich diese älteren Semester geliebt. Zeitzeugen sind dort eine schöne Sache. Auch wenn es rechnerisch nicht möglich war, haben sie doch ein Sendungsbewusstsein ausgestrahlt, als wären sie mittendrin statt nur dabei gewesen. Wer möchte schon so enden, solange er noch frei darüber entscheiden kann?

Offen gestanden ist das Alter, auf das ich an jenem Tag von einer jungen Schönheit unbarmherzig aufmerksam gemacht wurde, auch nur der eine Teil der Geschichte. Alt und studierend – im schlimmsten Fall wäre es zunehmend ruhiger im Raum geworden, sobald man ihn betreten hat. Weil viele denken: Das kann nur der Dozent sein. Ein leichtes Räuspern, nachdem man seinen Platz eingenommen hat, lässt auch die letzten Gespräche abrupt verstummen. Damit hätte ich nicht nur leben können, ich hätte das sogar genossen!

Aber alt und Flohmarkthändler? Das wiegt viel schwerer. Das nagt bis heute an meinem Selbstbewusstsein. An diesem Tag habe ich das erste Mal im meinem Leben gemerkt, dass etwas verkehrt läuft. Also musste sich irgendwas ändern.

Jetzt bin ich Lagerist.

Ich glaube, das ist Punkrock.

Nicht restlos überzeugt

Angenommen, vor zwanzig Jahren hätte mir jemand ein Buch unter die Nase gehalten, das im Untertitel Aufklärung darüber verspricht, „wie Sie Kompetenz zeigen und Menschen für sich gewinnen“ – im günstigsten Fall hätte ich es einfach nicht angerührt. Viel wahrscheinlicher hätte ich es ihm aber aus der Hand geschlagen. Beruflicher Erfolg, um den es in dem Werk geht, zählte in der Szene, in der ich mich bewegte, nicht direkt zu den Primärzielen. „Arschkriecher“ wäre damals eine der wahrscheinlichen Umschreibungen gewesen, welche wir für Jack Nasher sowie die Leser seines Buches „Überzeugt!“ gefunden hätten.

In der Zwischenzeit ist man natürlich um die Erfahrung reicher, dass etliche der Leute von damals schon bald (oder sogar noch während sie mit uns gemeinsam Parolen schwangen) doch Karriere angestrebt haben. Oder jedenfalls das, was nach ihren Möglichkeiten in dieser Hinsicht drin war. Vor diesem Hintergrund sowie manch anderer Veränderung stellt sich heute natürlich auch für mich die Frage nach beruflichem Erfolg anders als damals. Richtig oder falsch – was bedeutet das schon?! Manches werde ich nicht mehr nach- oder aufholen können, aber ich kann dafür sorgen, dass mein eigener Weg ab sofort weniger von Zufällen abhängt. Zumal solches Wissen nicht allein auf den beruflichen Kontext beschränkt ist, sondern in mancher Lebenslage des Privaten auch Gültigkeit besitzt.

Als in beiden Sphären tendenziell weniger Begünstigter dachte ich selbst nachdem mir der Zahn schon mehrfach gezogen worden war, es würde schon für sich sprechen, was ich kann. Insofern wurde es höchste Zeit, mit der Lektüre dieses Buches auf das Offensichtliche aufmerksam gemacht zu werden: Dass die meisten Menschen die Kompetenz anderer nämlich gar nicht angemessen beurteilen können, ihr Urteil demnach weniger von Fakten, sondern von der Wirkung des zu Beurteilenden abhängt.

Ausgangspunkt ist also die Annahme, dass es einen Unterschied zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Kompetenz gibt. Letztere sei die entscheidendere. Eine darin steckende gewisse Plausibilität lässt sich nicht leugnen und würde darüber hinaus erklären, weshalb ich bislang nicht einfach so entdeckt wurde, ohne aktiv auch nur irgendwas dafür zu tun. Doch in dieser Beobachtung steckt aber natürlich noch eine Komponente, deren Tragik weitaus schwerer wiegt als das Unentdeckt-Bleiben einiger Talente. Beantwortet sie doch Fragen, die sich jeder von uns schon mindestens einmal im Leben gestellt haben dürfte: Wie zum Teufel ist der an diesen Posten geraten? Hält der sich jetzt wirklich für einen Experten, weil er drei Youtube-Tutorials zu diesem Thema angesehen hat? Die Welt ist nämlich voll mit Menschen, die viele der im Buch versammelten Tipps schon kannten, bevor Jack Nasher so freundlich war, das alles relativ kompakt zusammenzutragen. Die Trumpisierung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Und zwar nicht erst seit gestern.

Insofern wäre die Zeit überreif, für eine bessere Vermarktung meiner selbst zu sorgen, um diesem Trend ein mächtiges Pfund entgegenzusetzen.

So weit, so überzeugend. Wie viele von den im Buch geäußerten Vorschlägen ich aber umsetzen kann oder will – ich weiß es nach wie vor nicht. Mich hat das Buch nicht ganz überzeugt, stellenweise sogar verstört. Zum Beispiel durch den im Kapitel „Immer schön zuversichtlich“ geäußerten Gedanken, Menschen ließen sich nicht von demjenigen mit den besten Argumenten überzeugen, sondern von demjenigen mit der größten Zuversicht. Die Erkenntnis: Selbst wer grandios scheitert (und darin halte ich mich für kompetent), wird als kompetent wahrgenommen, sofern er – und jetzt kommt es – vorher ein deutlich positiveres Ergebnis prognostiziert hatte. Wohingegen derjenige, der sein Scheitern realistisch eingeschätzt hatte, wesentlich schlechter abschneide. Die Welt ist eben nicht gerecht.

Hier immerhin würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen. Wundert Euch also nicht, wenn ich demnächst sage: „100 kleine Gäste soll ich in dieser einen Stunde mit Luftballonfiguren versorgen? Eine meiner leichtesten Übungen.“ Vorher: „Oh, da werden aufgrund mangelnder Zeit aber einige Kinder leer ausgehen müssen.“

Oder ich höre mich schon auf der Arbeit sagen: „Ach! Das sind bloß vier Paletten. Die habe ich an einem halben Tag kontrolliert und verräumt.“ Früher: „Zwei bis drei Tage wird einer allein dafür schon brauchen.“

Was ich voraussichtlich eher nicht beherzigen werde, sofern ich meine Glaubwürdigkeit nicht komplett in die Tonne treten möchte: Das im Kapitel „Wie Sie Ihre Beliebtheit und Attraktivität steigern“ allen Ernstes als probates Mittel genannte Einschmeicheln:

Bekommen Versuchspersonen Komplimente von jemandem, der gerade ihre Hilfe benötigt, ist die Schmeichelei klar ersichtlich, und doch steigt dadurch die Beliebtheit des Schmeichlers, ganz egal, ob die Komplimente der Wahrheit entsprechen oder nicht. Die Durchschaubarkeit von Schmeicheleien scheint uns Menschen bis zu einem gewissen Grad nicht zu stören, da wir schlicht und einfach ein sehr starkes Bedürfnis danach haben, mit uns selbst zufrieden zu sein.“

Selbst wenn die Empirie auf Nashers Seite zu stehen scheint, bleibt mir meine Selbstachtung wichtiger als Erfolg. Daher werde ich diesen Rat bei der praktischen Umsetzung regelmäßig überspringen. Doch auch wenn es bis hierhin eventuell nicht so ´rüberkam: Mit Großteilen der alten wie neuen Erkenntnisse aus „Überzeugt!“ kann man arbeiten! Sicher sind darunter auch Punkte, die der eine oder die andere an anderer Stelle schon ´mal gehört hat. Aber Wiederholungen schaden auch nicht unbedingt. Sie sind jedenfalls moralisch bei weitem nicht so anstößig wie die eben genannten Negativbeispiele.

Zu denen gehören Sprache und Körpersprache. Das schadet ja niemandem, wenn man es umsetzt. Es gibt Tipps, die schwierig umzusetzen wären, aber gerne mitgenommen werden, wenn man ausnahmsweise sowieso zu den Begünstigten zählt: Bei 185 cm Körpergröße stört es mich tendenziell weniger, wenn große Menschen kompetenter wirken. Umgekehrt trifft es mich, dass attraktive Menschen ebenfalls als kompetenter eingeschätzt werden. Nicht dass ich mich selbst als unattraktiv beschreiben würde. Nur sehe ich mich ja auch zaghaft nach einer Partnerin um und weiß daher, dass in dieser Hinsicht Selbst- und Fremdeinschätzung divergieren können.

Ein paar Attraktivitätspunkte kostet mich wohl meine Brille. Aber wenn ich sie schon der Erfolgschancen bei Frauen wegen nicht absetze, werde ich das der Kompetenzwirkung wegen erst recht nicht tun.

Aber das sage ich heute. Wer weiß schon, wie ich in zwanzig Jahren darüber denken werde…

Übers Lesen

Wäre nicht die räumliche Nähe, würde sich die Frage ganz anders, wahrscheinlich aber eher gar nicht stellen. Zumindest nicht jedes Jahr. Da der Ort des Geschehens aber eben um die Ecke liegt, kann man sich selbst bei erfolgreicher Missachtung des Ereignisses nicht einmal dagegen wehren, von Anderen mit der Frage konfrontiert zu werden. „Und – gehst Du dieses Jahr hin?“ Zwar finde ich es grundsätzlich schön, dass die Buchmesse in meinem Umfeld ein Thema ist, obwohl nur die Wenigsten von Berufs wegen damit zu tun haben. Der Haken an der Geschichte ist bloß: Von dem Genuss, den man mit Lesen im allgemeinen verbindet, ist so rein gar nichts zu spüren, während man von Massen von Menschen wie Schlachtvieh durch die Gänge geschoben wird.

Unter bewusster Vermeidung des Wortes „irgendwann“, das Pläne und Absichten für gewöhnlich bis mindestens ins Rentenalter zurückstellt, beschließe ich trotzdem: Dieses Jahr nicht, aber ich werde auch wieder ´mal hingehen. Ein einziges Mal bis jetzt halte ich für einen 45-Jährigen mit einigermaßen ausgeprägter Neigung zum Lesen etwas arg wenig. Selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass ich deswegen kein schlechterer Mensch bin.

Für eine kurze Phase meines durchwachsenen Lebens hatte ich sogar so etwas Ähnliches wie den Glauben daran, dass diese Ausstellung vielleicht so etwas wie ein Pflichttermin werden könnte: Eine kleine, feine Verlagsgenossenschaft suchte Autoren für diverse Themen. Als jemand, dessen Texte einem der Genossenschaftsvorsitzenden oft gefallen hatten, kam an dieser Stelle ich ins Spiel. Die Sache kam ins Rollen, ich setzte mich ein knappes Jahr lang auf den Hosenboden, um das Manuskript fristgerecht fertigzustellen, und träumte eine Zeitlang den Traum, irgendwie Teil dieser Branche werden zu können.

Es wäre zu einfach, das Zerplatzen dieser Träume im Nachhinein auf die etwa zur gleichen Zeit beginnende Beziehung mit meiner nunmehrigen Ex-Gattin zu schieben. Aber wenn ich das Urteil abgebe, dass es – auch – damit etwas zu tun hat, werde ich niemandem Unrecht tun. Diese und einige weitere Erfahrungen später kann ich meine Autorenkarriere getrost wie folgt einschätzen: In diesem Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr. Wenn demnach die Buchmesse auf mich verzichten kann, kann ich das ebensogut umgekehrt. So kann man sich das auch schönreden.

Dabei geht es bei all dem ja auch längst nicht mehr nur um bedrucktes Papier. Das mag mancher doof finden. Das Medium ist egal und war es schon immer. Wenn ein Film in der gleichen Zeit mehr ´rüberbringt als ein Buch, bedeutet das nicht den Untergang der abendländischen Zivilisation. Es braucht doch niemand so tun, als wäre ein Buch per se gut und dass es keine schlechten Bücher gäbe. Das hieße, das gedruckte Werk auf einen Sockel zu heben, der viel zu hoch dafür ist angesichts der Fülle an überflüssigen Veröffentlichungen. Denn, ja, es gibt viele schlechte Bücher. Ich tippe, jeder hat im Leben bereits mindestens eins gelesen, das er einfach nicht mehr weiterlesen konnte. Nicht wollte. Konnte! Umgekehrt ist der individuelle Geschmack natürlich auch kein Gradmesser für die Qualität einer Lektüre.

Mach mal langsam!

Aber das Buch steht als Symbol noch für etwas, das diese beschleunigte Gesellschaft so dringend benötigt: Sich für etwas Zeit zu nehmen, nicht alles im Schnelldurchgang abzuhaken und sich dem nächsten Reiz auszusetzen. Ob das nämlich einem Gemeinwesen am Ende gut steht – man weiß es noch nicht, ahnt aber, dass uns die Antwort tendenziell nicht gefallen wird.

Meine Prognose dazu ist leider nicht so ganz optimistisch. Gerade wenn man als Beispiel die Vermittlung von Informationen betrachtet. Im Prinzip war es nämlich wenn nicht immer, dann doch zumindest sehr lange schon so, dass eine Mehrheit sich mit Informationshäppchen à la BILD versorgte, sich damit zufrieden gab und gut informiert wähnte. Fake news, das Thema dieser Tage – sie sind kein vollkommen neues Phänomen. Lediglich Art und Ausmaß der Verbreitung hat eine durchaus Besorgnis erregende neue Qualität erhalten.

Nun mangelt es nicht an – auch guten – Vorschlägen, wie das Individuum die Fülle an Informationen in den Griff bekommen könnte. Für eine Vielzahl an Menschen scheint es jedoch die bequemere Lösung, einfach noch weniger zu lesen und sich über das weltpolitische Geschehen nahezu überhaupt nicht mehr zu informieren. Kann man so machen. Blöderweise führte solcherlei Desinformiertheit noch nie dazu, dass diejenigen anschließend ihre Meinung nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit kund tun. Was allerdings wieder ein anderes Thema ist. Das Buhlen um den verbleibenden Rest an Aufmerksamkeit dagegen setzt eine Spirale in Gang, wonach die Texte immer kürzer werden, um überhaupt noch Zugang zum Publikum zu finden. Inzwischen kommt kaum noch ein Schreib-Ratgeber ohne den Tipp aus, einen Text soundso kurz zu halten, um die Aufmerksamkeitsspanne der Leser bloß nicht zu überfordern. Eine Veröffentlichung to go sozusagen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele Texte heutzutage auf dem Weg von A nach B gelesen werden, während dabei gleichzeitig noch etliche andere Dinge erledigt werden, muss ich fast entschuldigend nachlegen: Ich wünschte, diese Formulierung wäre eine harmlose Überspitzung, doch die Realität befindet sich auf der Überholspur.

Sicher: Der umgekehrte Fall ist nicht viel besser: Dass nämlich Autoren von (Sach-)Büchern ihre Kernaussagen auf 200 Seiten aufblähen, obwohl man sie problemlos auf 30 Seiten hätte herunterbrechen können. Weniger von diesem Extrem wäre sicher ein angenehmer Nebeneffekt. Wenn sich aber immer mehr Texter allein nach der Aufnahmefähigkeit der Mehrheit der potentiellen Leser richten, dann ist da von mehreren Schritten in die eigentlich richtige Richtung mindestens einer zuviel gemacht worden. Nach Definition der UNESCO grenzt sich ein Buch gegenüber Broschüren und Vergleichbarem über den Mindestumfang von 49 Seiten ab. Kann sein dass die Menge an Menschen zunimmt, die selbst mit dieser Anzahl bereits überfordert sind. Am Ende bestimmt die Generation Klick den Umfang eines Werkes.

Seltsam, aber so steht es geschrieben…

Fünf Sätze, die ich spätestens 2018 nicht mehr hören will

Es gibt Texte, für die ich mir selbst gleich mehrere Nobelpreise verleihen möchte. Bei denen einfach alles stimmt: Ein originelles Thema, kreativ und leidenschaftlich aufbereitet. Saubere Gliederung. Klare und direkte Formulierungen, die nötige Prise Poesie dennoch nicht vermissen lassend.

Auf der anderen Seite gibt es eben auch ´mal Texte wie diesen hier. Nicht eben einfallsreich, aber notwendig. Vielleicht.

Die Reihenfolge ergibt sich aus dramaturgischen Gesichtspunkten und stellt keine Wertung dar. Anders formuliert: Der oberste Satz in der Aufzählung ist genauso scheiße wie der letzte. Den Start macht ein Evergreen des schlechten Geschmacks:

Für das leibliche Wohl ist gesorgt“

Geschätzt zwei von drei Veranstaltungshinweisen werden von diesem Satz verunziert. Und zwar seit ich denken kann. Was ja jetzt auch nicht erst seit gestern der Fall ist. Es fehlen die Belege, aber die Indizien sprechen dafür, dass die Formulierung damals schon nicht mehr originell gewesen ist. Bei weniger häufiger Verwendung könnte man diesem Satz eventuell noch etwas abgewinnen; sachlich richtig ist er ja in den allermeisten Fällen. Doch kommt zu dem überstrapazierten Gebrauch dieser Floskel ja oft genug auch noch erschwerend hinzu, dass der sonstige Einladungstext ebenfalls seit Jahrzehnten kaum verändert wurde. Vom Design des Plakates, das dann an drei bis vier Orten diejenigen paar Leute informiert, die sowieso Bescheid wissen, fange ich besser gar nicht erst an. Das Datum anzupassen ist dementsprechend auch ausreichend, denn der Rest bleibt ja wie gewohnt.

Und genau das strahlt dieser Satz eben auch aus: Innovationsgrad Null, das Programm ist oft so hausbacken wie die Formulierung mit dem Leiblichen Wohl es befürchten ließ. Das ist doch keine Veranstaltung, die ich gerne besuche! „Das nächste Mal sollen das sowieso andere machen.“ Dieser Satz ist selbst heißer Anwärter, in nicht allzu ferner Zukunft auf einer solchen Liste unerwünschter Sätze zu landen. Denn wer die Anderen in die Pflicht nehmen möchte, muss damit rechnen, dass diese auch irgendwas anders machen wollen. Zum Beispiel die Showtime an der Wersi-Orgel durch etwas Zeitgemäßeres ersetzen. Was dann wiederum auch nicht recht ist. Diese Gedankenkette wird inzwischen bei mir in Gang gesetzt, wenn ich etwas vom Leiblichen Wohl aufschnappe.

Trotz allem hält sich diese Formulierung hartnäckig. Immerhin: Den Nerv-Faktor 11 von 10 hat sich der Satz über Jahrzehnte erarbeiten müssen. Andere Sätze in dieser Güteklasse kommen auf, bleiben ein paar Jahre und gehen wieder, ohne dass ihnen jemand auch nur eine einzige Träne nachweint. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit wären etwa „Das geht gar nicht!“ oder die Feststellung „Wie geil ist das denn!“ Es bedarf keines Meteoriteneinschlags, um diese Sätze aussterben zu lassen, die Halbwertszeit solcher Modeerscheinungen ist gering.

Insofern kann das Leibliche Wohl durchaus zu den Dinos unter den missliebigen Sätzen gezählt werden. Der Alltag hält sonst lediglich eine Formel mit mehr Ausdauer bereit:

Wie geht’s?“

Hier steckt der Teufel im Detail: Gemeint ist natürlich nicht die ehrliche Frage, sondern die Floskel. Das Unangebrachte daran ist auch schnell erklärt: Wenn Ihr keine Zeit oder keinen Bock habt, darauf eine Antwort zu hören, die sich nicht in den drei Worten Gut, Danke, Selbst erschöpft, dann stellt diese Frage nicht. Falls Ihr weiter wollt oder müsst, stößt es zwar auch vor den Kopf, wenn ebendiese Information der Gesprächseinstieg und also auch gleichzeitige -ausstieg ist. Allerdings schon bedeutend weniger als wenn Ihr erst Interesse heuchelt und dann die Antwort nicht ´mal abwartet.

Denkt bitte daran, bevor Ihr das nächste Mal diese Frage stellt. Und habt keine Scheu, mich daran zu erinnern, wenn ich selbst einmal nicht so handle wie ich es von anderen erwarte.

Was mir mit Sicherheit niemals selbst passieren wird, jedenfalls nicht solange ich gesund bin, ist folgendes:

War azch nucht auf duch bezogen“

So etwas kommt eigentlich und zum Glück bis jetzt nur geschrieben vor und steht stellvertretend für folgenden Sachverhalt: Ihr habt zu dicke Finger für die Tastatur Eures mobilen Endgerätes und seid gleichzeitig zu bequem, das auf solche Weise Entstandene noch zu korrigieren, bevor Ihr es abschickt. Wenngleich sich der Adressat den Sinn meistens auch erschließen kann, bleibt es ihm gegenüber reichlich despektierlich. Wenn es einmal schnell gehen muss, klar! Wenn Ihr es nicht besser könnt, auch klar! Aber wenn das System hat und die Ausnahme zur Regel wird, erkläre ich hiermit: Wenn ich Euch nicht die Mühe wert bin, dass Ihr mir korrekte Sätze schickt, dann erspare ich Euch hiermit die Mühe. Schreibt irgendjemand anderem, aber nicht mehr mir.

In diesem Zusammenhang: Auf der Arbeit muss ich mich täglich damit beschäftigen, Adressen zu dechiffrieren, die offensichtlich auf sehr ähnliche Weise entstanden sind. Ich weiß nicht, ob sich alle darüber im Klaren sind, deswegen mache ich es an dieser Stelle öffentlich: Wir tun das, damit die Kollegen vom Kundenservice nicht übermorgen wütende Nachfragen beantworten müssen, wo denn bitteschön die Bestellung X oder Y abgeblieben ist. Aber eigentlich würden wir uns auf der Arbeit viel lieber aufs Wesentliche konzentrieren.

Wenn wir gerade bei mobilen Endgeräten sind, darf ein Satz natürlich nicht fehlen, auf den ein Single eigentlich nur wartet, wenn ein an und für sich harmloses Gespräch irgendwann an einen gewissen Punkt gelangt:

Versuch´s doch ´mal bei Tinder..!“

Hier bin ich dann mitunter tatsächlich einmal froh, älteren Semesters zu sein. Denn kämen zu den diesbezüglichen Tipps der jüngeren Kollegen auch noch massenhaft gleich lautende von den Vertretern meiner Generation – es wäre kaum auszuhalten. Womöglich hätte ich schon eine Partnerin erfunden oder gekauft, nur um Ruhe vor diesem Satz zu haben.

Es ist ja – erstens – nicht so, dass es bei Tinder primär um das Herbeiführen einer nachhaltigen Beziehung geht. Wenngleich das gelegentliche Zustandekommen einer solchen als Zufallsprodukt gern als Argument herhalten darf, dass sogar ich das ´mal probieren sollte. Aber was soll ich bitte – zweitens – von einer Anwendung halten, die ein Prinzip zum Standard erklärt, das mir in der analogen Welt schon Gräuel genug ist: die Eingrenzung potentieller zweiter Hälften nach ausschließlich optischen Gesichtspunkten. Ich bin Realist genug, zu wissen, dass das von Angesicht zu Angesicht genauso funktioniert, aber da ist besagtes Prinzip noch etwas durchlässiger und begünstigt auch ´mal Menschen wie mich, wo der Inhalt stimmt, die Verpackung aber tendenziell mittelmäßig und auch nur in geringem Maße effektheischend ist. Beim Wisch-und-Weg der nachfolgenden Generationen geht’s eigentlich um nichts anderes mehr als das Äußere.

Inwieweit sich meine Sichtweise darauf ändern würde, wäre ich mit einem besseren Erscheinungsbild ausgestattet, also Profiteur einer solchen Geschichte, ist natürlich schwierig zu überprüfen.

Wenigstens muss ich bei der Kontaktaufnahme nicht ausschließlich auf Maßnahmen aus dem vorigen Jahrtausend bauen, sondern kann guten Gewissens auf Angebote zurückgreifen, die nicht ganz so fragwürdig sind wie Tinder, aber trotzdem nicht so antiquiert wie der Tanztee.

Das Problem bleibt jedoch das Gleiche wie im realen Leben: Meistens ist es immer nur einer, der sich alle elf Minuten verliebt. Plus/minus vier bis fünf Minuten vielleicht, aber das Problem bleibt das Gleiche. Und um ihm das auf elegante Weise klarzumachen, ist folgender Satz in Mode gekommen:

Ich suche eigentlich nicht“

Da ich diesen Spruch hier im Blog schon ausführlich behandelt habe, hier nur die Kurzfassung. Das soll eine diplomatischere Variante von „Danke, aber ich habe kein Interesse an Dir“ sein. Es mag im Alltag, auf der Straße oder auf der Party ein absolut probates Mittel sein, diesen Satz zu gebrauchen. Ob als Wiedergabe eines Faktums oder als Vorwand ist dabei von nachrangiger Bedeutung. Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn das im Kontext von Dating-Seiten oder meinetwegen -Apps geschieht, wo man sich mit der Anmeldung ja schon irgendwie wenigstens ein bisschen dazu bekennt, mehr oder weniger auf der Suche nach was oder wem auch immer zu sein. Insofern kommt zu dem für sich genommen schon unschönen Zustand, eine Abfuhr zu erhalten, auch noch die Sachlage dazu, für blöd gehalten zu werden. Eine Kombination weit entfernt davon, euphorisches Frohlocken auszulösen.

Ich merke allmählich: Es geht bei all dem um weit mehr als nur ein paar ungelenke Sätze.

Aber bis zum Inkrafttreten 2018 ist ja auch noch etwas Zeit.

Traumjob Inselhüter

Ich höre immer nur Prüfungen. Nicht dass mich das angesichts der zahlreichen Studierenden unter unseren Aushilfen überrascht. Nicht dass mir was fehlt, weil ich aus diesem Thema vorläufig draußen bin. Das Dasein allgemein, der Arbeitsalltag an sich und, ja, auch einige der Kollegen – das alles ist ja Prüfung genug. In der Schule des Lebens, so sagt man ja zutreffend, bleibt man stets ein Schüler.

Da ich als Lernender immer auf der Suche nach Inspiration bin, habe ich wieder einmal die Suchmaschine angeworfen. „Welche große Prüfung hält das Leben für Dich bereit?“ ködert mich da auf der ersten Seite der Trefferliste eine Seite, die verspricht, dies in 10 Fragen herauszufinden. Da das www ja mehr weiß als wir alle zusammen, habe ich mich für meine Verhältnisse spontan, das heißt nach etwa zwei Minuten des Überlegens, dazu hinreißen lassen, dem Link zu folgen. Durchfallen kann ich bei einem Persönlichkeitstest ja eher nicht. Da wäre ich wahrscheinlich der Erste. Nach dem Motto: „Bevor Du für Deine Umwelt alles noch schlimmer machst, überlege Dir eine angenehme oder wahlweise spektakuläre Art des Freitodes und ziehe wenigstens dieses eine Mal etwas bis zum Ende durch.“ Ich gestehe: Solche Antworten vor Augen, hätte ich auch bei einem Fragespiel dieser Art Prüfungsangst. So aber muss ich schlimmstenfalls mit einem Ergebnis rechnen, das mir nicht gefällt. Früher, als wir diese Dinger noch in der BRAVO hatten, haben wir deswegen ja auch keine ehrlichen Antworten gegeben. Sondern die, die unserem Wunschergebnis mutmaßlich am förderlichsten waren. Weil wir damals cool waren.

In diesem Fall hielt sich mein Missmut über die Antwort aber eigentlich in Grenzen. Meine größte Prüfung sei, die vielen Zitronen, die mir das Leben gibt, zu Limonade zu verarbeiten.

Da seit den BRAVO-Tagen so viel Zeit vergangen ist, dass ich inzwischen ein altersweiser Mann geworden bin, weiß ich, was Ihr jetzt denkt: Wenn früher jemand mit so einem Spruch angekommen wäre, hätten wir ihn in eine Rangelei mittleren Ausmaßes verwickelt. Weil wir damals cool waren.

Heute kann ich mit dem Ergebnis aber ganz gut leben, und als ein nicht nur altersweiser, sondern auch von Grund auf neugieriger Mensch habe ich gleich noch weitere Tests gemacht.

Um es vorwegzunehmen: Realistischer wurde es nicht unbedingt. Dafür lustiger.

Vielleicht lag es auch schon an den eher unpassenden Fragestellungen. In der Rubrik Job gibt es zum Beispiel folgendes Thema: „Hättest Du das Zeug dazu, im Zirkus zu arbeiten?“ Tatsächlich habe ich Zirkuserfahrung. Das weiß nur niemand, weil die Zirkusse, in den ich gearbeitet habe, sich auf perfide Weise als Großbäckerei, Wäscherei oder Kulturamt, als ganz normale Betriebe also getarnt hatten, in denen ich als Fahrer, Büro- oder technische Aushilfe oder später eben Lagerist ein bisschen so etwas wie der Quoten-Gescheite gewesen bin.

In der Testauswertung werden diese Erfahrungen jedoch nach meinem Dafürhalten nicht in angemessener Weise gewürdigt. Was einerseits schade ist, mich andererseits auch sofort zum nächsten Thema führt.

„Wärst Du ein guter Polizist?“ Will ich das wirklich wissen? Ich bin ein integrer Mensch mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit. Nach allem, was ich über diesen Beruf weiß, sind das nicht unbedingt die Schlüsselqualifikationen, die dort erwartet würden. Der Test bestätigt meine Auffassung, dass das keine gute Idee wäre. Trotzdem – vielleicht auch gerade deswegen – klicke ich mich langsam, aber stetig in einen regelrechten Rausch. Vielleicht erhalte ich hier ja noch mehr Antworten auf nicht gestellte Fragen.

Welcher Traumjob wäre wie für mich geschaffen? Inselhüter. Schon deswegen, weil angeblich 25,7 Prozent der Test-Teilnehmer das gleiche Ergebnis haben, ist mir die Antwort suspekt. Immerhin: Es gibt mindestens einen Job, der für mich noch weniger Attraktivität ausstrahlt als der eines Polizisten. Hätte ich vorher auch nicht erwartet.

Reset-Schalter fürs Leben

Halten wir fest: Es gibt auf der Seite haufenweise schlechte Antworten auf Fragen, die ich mir vermutlich im Traum nie stellen würde. (Und das will schon was heißen angesichts meiner Träume!) Die Stimmung kippt: Ich spüre, wie ich beginne, die Seite richtig doof zu finden.

Andererseits: Das ist Unterhaltung! Mehr noch: Mache ich hier im Blog nicht im Prinzip genau das Gleiche: Antworten geben auf Fragen, die sich außer mir niemand stellt?! Mit dem Unterschied, dass der Meilensteinbildhauer eben als Geschäftsmodell nichts verspricht. Die Stimmung kippt erneut, und ich spüre, wie ich beginne, die Seite auf eine diffuse Weise cool zu finden.

Nach den im vorhergehenden Absatz geäußerten Gedanken spielt mein Kopf meinen ultimativen Lebens-Test ab. Die Fragestellung, immer gleich, lautet: Was mache ich im Leben eigentlich verkehrt? Die Antwort wird wahrscheinlich ebenfalls bis zum Ende desselben immer gleichlautend bleiben: Irgendwas mache ich im Leben verkehrt. Das ist bei weitem nicht immer so traurig wie es jetzt klingt, aber ist nun mal so und unter anderem dem Umstand geschuldet, dass das echte Leben viel bietet, eines jedoch nicht:

Einen „Test wiederholen“-Button.

Richtig: Zu den putzigsten Funktionen, die die Seite anzubieten hat, gehört dieser Button. Denn wer stand nicht schon vor dem Problem, dass ihm keine drei Minuten nach der erstmaligen Beantwortung mehrerer Fragen plötzlich siedend heiß einfällt, dass er eigentlich ganz andere Antworten hatte geben wollen?

Sicher: Einstellungen können, sollen und dürfen sich ändern. Aber normalerweise ist das eine Angelegenheit von Jahren, wenigstens aber Monaten. Und wenn ich sonst vielleicht nicht sehr viel weiß, ist zumindest eines unumstritten: Wer nach einer solchen Zeitspanne immer noch das Browserfenster eines solchen Tests offen hat, um diesem Button dann einen Sinn zu geben, hat sehr wahrscheinlich Probleme, die solche Tests definitiv nicht zu lösen imstande sind.

Als altersweiser Mensch habe ich im Laufe der Jahrzehnte aber auch viel gesehen und weiß daher: Immer nur motzen führt in nahezu allen Fällen im Alter zu Gesichtern, die selbst ihre Träger nicht mehr gern ansehen möchten. Diesem unschlagbaren Sachargument gebe ich mich natürlich geschlagen und erkenne hiermit positiv an: Neben unsinnigen Antworten auf nicht gestellte Fragen finde ich auf der Seite auch Tests, bei denen zumindest die Fragestellungen direkt aus meinem persönlichen Leben gegriffen sind: „Bist Du ein echtes Genie?“, „Wie gut läuft es wirklich bei Dir?“ oder „Welche Figur aus der Sesamstraße ähnelt Dir?“ sind ja Fragen, die ich mir permanent stelle. Das Ergebnis des letztgenannten Tests war übrigens Rumpel, also jemand mit harter Schale und weichem Kern und insofern ja nicht ganz unzutreffend.

Dass es sogar noch besser geht, beweist folgende Einschätzung:

„Du bist eine vielseitige, intelligente Person, die sich in verschiedenen Gesellschaftsschichten wohlfühlt und sicher bewegt. (…) Man darf nur einen Fehler nicht machen: dich langweilen. Du brauchst Herausforderungen, gute Gespräche und wirkliche Aufgaben. Gesellschaftliche Anlässe, die nur der Gesichtspflege dienen, sind dir zuwider. Dann kann sich auch schon einmal dein Widerspruchsgeist regen, obwohl du sonst ein ausgeglichener und loyaler Mensch bist.“

Viel zutreffender hätte ich mich selbst nicht charakterisieren können. Deshalb soll hier auch nicht vorenthalten werden, wonach eigentlich gefragt wurde. Wäre das hier ein Bühnenprogramm, würde ich an dieser Stelle Trommelwirbel einspielen lassen, bevor ich damit herausrücke: Das Thema, das zu dieser Antwort geführt hat, lautete „Welche Hunderasse repräsentiert Deine Manieren?“

Damit nicht genug! Der erste Satz der Auswertung lautete: „Deine Manieren haben was von einem Deutschen Schäferhund.“

Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber um auf so etwas zu kommen, muss man im Leben bereits durch einige Prüfungen gefallen sein..!

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén