Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: August 2017

Banausen ohne Grund

Es gab da diesen einen Kollegen: Glühender Anhänger eines inzwischen viertklassigen Fußballvereins aus der Gegend hier. Aber auf den klassischen Montagvormittag-Gesprächseinstieg „Und – Kickers..?“ hat er oft genug erst ´mal zurückfragen müssen, wie sie gespielt haben.

Hallo..?!

Nicht dass es mir zustünde, zu verurteilen, wenn Menschen an Spieltagen lieber ihre Zeit verschwenden als vor Ort, am Radio oder anderen mobilen Endgeräten mit ihrem Team zu kämpfen, zu leiden, zu gewinnen oder um den Sieg beschissen zu werden. Aber es konnte mir auch niemand plausibel folgenden Sachverhalt erklären: Jemand, der zwei Tage lang das Ergebnis „seines“ Vereins gekonnt zu ignorieren in der Lage ist, kann sich plötzlich ebenso gekonnt darüber aufregen, dass der Aufstieg verspielt wird. Und das obwohl es Montag Vormittag auf der Arbeit ist und es also inzwischen bei weitem andere Dinge gäbe, über die aufzuregen sich eher lohnte.

Manchmal haben wir uns überlegt: Was würde wohl passieren, wenn wir ihm einfach ´mal ein komplett falsches Ergebnis durchgeben? Oder gleich eine ganze Saison lang im Glauben lassen, dass es diesmal mit dem Aufstieg klappt. Aber weil wir schon damals zu gut für diese Welt gewesen sind, endete es bei diesem Gedanken. Und der Einsicht: Banausen sollten besser unter sich bleiben.

Banausendarsteller dagegen verhalten sich wie Banausen, sind aber keine. Sie lieben das ironische Spiel mit den Banausigkeiten. Und wo praktizieren sie diese spezielle Form des method acting? Natürlich dort, wo es wehtut: Im Stadion nämlich zwischen den 99 Prozent der anderen, der echten Banausen. Die sich mit ihren zwei verbliebenen Zähnen im Maul des Verdachts auf Ironie gar nicht erst aussetzen, wenn sie „Frankfurt ist die geilste Stadt der Welt“ und „Alles außer Frankfurt ist scheiße“ rufen. Wer solche Gestalten sieht, ahnt, weshalb der Ausdruck „Fremdschämen“ in den letzten Jahren in Mode gekommen ist.

Wie grandios dagegen das Kino, welches die Banausendarsteller bieten: Nicht allein dass sie zwischen all jenen Vollpfosten Contenance wahren – augenzwinkernd greifen sie das Gehabe der Banausen auf und vollenden es auf ihre Weise.

Es sind diejenigen, die den Strafstoß am vehementesten von allen einfordern, obwohl sie genau gesehen haben, dass es eine Schwalbe war. Was „unsere“ Spieler jedoch niemals tun würden. Sie schämen sich nicht, laut „Schieß!“ zu brüllen, wenn der Spieler der anzufeuernden Mannschaft den Ball gerade erobert hat und frei zum Schuss käme, sich allerdings dort, in Höhe des Mittelkreises, in alles andere als aussichtsreicher Position zum Torabschluss befindet. Sie wissen auch, dass man diesen Ausruf noch einmal bringen kann, nach diesem zweiten Mal aber kein weiteres Mal.

Das mit den Distanzschüssen ist übrigens ein gern aufgegriffenes Thema: Ein anderes Mal stand einer neben uns, der darüber klagte, „schon lange keine 60-Meter-Schüsse“ mehr gesehen zu haben.

Man weiß über die Banausendarsteller, dass sie genauso unter dem müden Gekicke leiden wie alle anderen. Aber mit einem nur vordergründig resignativen „Beim Elfmeter kann er wenigstens keinen Fehlpass spielen“, illustrieren sie eindrucksvoll, dass Humor dem Leben diese gewisse Leichtigkeit wiederbringt, die angesichts gewohnt schlechter Leistungen auf dem Platz oft schon beim Ansehen des Aufwärmprogramms abhanden kommt.

Echte Banausen fordern auch schon ´mal die Auswechslung eines Spielers, von dem sie nicht mitbekommen haben, dass er diesmal ohnehin auf der Bank sitzt. Banausendarsteller fordern „Funkel raus“ bei vollem Bewusstsein darüber, dass der Geschmähte seit letzter Woche beurlaubt ist und für manches, nicht aber für die aktuell schlechte Vorstellung des Teams verantwortlich ist. Die echten Banausen sind auch die Mädchen, die den Torwart der Bochumer ganz süß finden, auch wenn der Gast eigentlich Werder Bremen ist. Was natürlich so viele Klischees bedient, dass die Anmerkung unbedingt vonnöten ist, dass sich auch schon Kerls über Tore des Gegners gefreut haben, weil sie die Trikotfarben nicht zuordnen konnten. Echte Banausen halt.

Fußball ist vielleicht nicht so seine Stärke, aber sonst ist das eigentlich okay, was der da macht.“ (unbekannter, ungenannter, unbemannter oder umbenannter Herkunft)

In einem sind sich authentische wie darstellende Banausen genau gleich: Die Sprüche fallen unabhängig vom Spielverlauf. Allerdings steigt die Wahrnehmung dafür, wenn auf dem Platz nichts geschieht. Was zu dem Gefühl führt: Je schlechter das Spiel, umso dümmer die Sprüche. Es gab in der Geschichte meines Vereins bekanntlich häufig Zeiten, zu denen die Sprüche zwangsläufig interessanter als das Spiel gewesen sind. Weil alles interessanter gewesen wäre als das Spiel. Angenommen, es wären vor Anpfiff die Wände gestrichen worden – es wäre interessanter gewesen, der Farbe beim Trocknen zuzusehen, so schlecht haben die gespielt. Oder wie es einer aus dem Block mal formulierte: Das Interessanteste am Spiel sind die Flugzeuge, die dauernd drüberfliegen.

Als besonders inspirierend empfinde ich auch so manche originelle Beleidigung, die mich das ein ums andere Mal sogar für eine Last-Minute-Niederlage entschädigt hat. Manchmal auch für eine seit der ersten Minute feststehende Niederlage. Was ein anderes Thema ist.

Adressat einer ausgestoßenen Beschimpfung kann theoretisch jeder sein: Eigene oder des Gegners Spieler (Abwesenheit schützt wie gesehen nicht vor Unmutsbekundungen), Trainer, Vorstand, Schiedsrichter, Zuschauer im gegnerischen Block, Zuschauer im eigenen Block. Im Stadion gibt es eigentlich immer jemanden ohne Anlass zu beschimpfen. Und zwischen der Monokultur aus „Hurensohn“ und „schwuler Was-auch-immer“ wird dann eben auch ´mal die eine oder andere Perle ausgespuckt.

Wenn zum Beispiel dem Sohnemann, in Richtung der Gästefans deutend, mit den Worten „Das da drüben sind die Idioten“ die allererste Lektion zum Thema Mikrokosmos Stadion beigebracht wird, verdient das ohne Zweifel das Prädikat „pädagogisch besonders wertvoll“.

Ansonsten ohne zusätzlichen Kommentar einige der schönsten Beleidigungen, die ich beim Fußball das erste Mal gehört habe und die offen gestanden viel zu lange (und im übrigen auch völlig unbegründet) in meinem Formulierungsschatz lange nicht vorkamen und erst dank der Beschäftigung für diesen Blogeintrag wieder ins Bewusstsein gerückt sind:

„Der kriegt nicht mal den Senf auf die Bratwurst“

„Der würde sogar über ein kabelloses Telefon stolpern“

„Ich hab´ schon gegen Sachen gepisst, die schlauer waren als der“

„Der ist zu blöd um eine leere Schublade aufzuräumen“

Nicht fehlen dürfen in diesem Zusammenhang noch die Verbalinjurien Beilagenesser, Hafensänger, Langscheißer, Kassenpatient sowie das immer wieder großartige, oft kopierte und nie erreichte Hammerwerfer. Es wird Zeit, sich ´mal wieder ein Spiel vor Ort anzusehen.

Erfolglos genug spielen sie ja in der Zwischenzeit wieder.

Grundgesetz für die BRD

Präambel
Ist das Grundgesetz noch zeitgemäß? War es jemals zeitgemäß? Soziokulturelle Verschiebungen haben im Laufe der Jahre eine Parallel-Verfassung entstehen lassen. Dieser Entwicklung wird nun Rechnung getragen, das neue Grundgesetz hiermit in Form gegossen.

Artikel 1
(1) Der Ball ist rund
(2) Das Runde muss in das Eckige
(3) Wir sind Weltmeister

Artikel 2
(1) Geiz ist geil
(2) Ich bin doch nicht blöd

Artikel 3
(1) Das Auto ist der Haushalt des Mannes
(2) Wer bremst, verliert
(3) Die paar Schritte kann ich auch fahren

Artikel 4
(1) Wenn drei Deutsche sich treffen, gründen sie einen Verein
(2) Privat Krankenversicherte sterben länger
(3) Wer Butter vom Amt will, muss Milch auf den Dienstweg schicken

Artikel 5
(1) Ich mache nicht nur leere Versprechungen, ich halte mich auch dran (E. Stoiber)
(2) Der Vater des Wunsches ist hier der Gedankengang (ebenda)
(3) Außer den Simpsons gibt es keine normale Familie mehr im TV (ebenda)

Artikel 6
(1) Es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage (F. Beckenbauer)
(2) Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser (ebenda)
(3) Die Schweden sind keine Holländer (ebenda)
(4) Ich habe immer nur gesagt, was mir gerade eingefallen ist (ebenda)
(5) Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören (R. Völler)

Artikel 7
(1) Zuwiderhandlungen werden zur Anzeige gebracht
(2) Rechts stehen, links gehen
(3) Das geht alles von Ihrer Zeit ab
(4) Sie brauchen dafür eine Genehmigung
(5) Draußen gibt’s nur Kännchen
(6) Es ist nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als dauernde Berufsunfähigkeit (…) zu werten und demgemäß den erhöhten Freibetrag abzuziehen (Bundessteuerblatt)

Artikel 8
(1) Ist die Katze gesund, freut sich der Hund
(2) Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch

Artikel 9
(1) Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt es nicht (K. Adenauer)
(2) Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen (ebenda)
(3) Ich habe ihn im Netz zappeln sehen (H. Lübke, #Wembley)

Artikel 10
(1) Einer muss den Job ja machen
(2) Egal ist ein Handkäse

Artikel 11
(1) Der HSV spielt in der 1. Bundesliga
(2) Es ist eine Uhr im Stadion zu installieren, welche anzeigt, wie lange der Verein schon schlecht spielt

Artikel 12
(1) Der Adler ist gelandet
(2) Der Igel beendet seinen Winterschlaf. Serviert das Müsli
(3) Kasse 3 bitte

Artikel 13
(1) Opa war nur Funker bei den Sanitätern
(2) Das wird man ja wohl noch sagen dürfen
(3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz

Artikel 146
Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort. Unverzüglich. (G. Schabowski)

Vom Ernst des Lebens

Wenn vom beginnenden Ernst des Lebens die Rede ist, kann man sich sicher sein, daß gerade etwas Einschneidendes geschieht. Für den Betroffenen nicht weniger als eine Zeitenwende. Eine Zäsur. Oder auch, wenn man es ein bisschen kleiner mag, einen Rest von Pathos aber noch belassen möchte: Ein Meilenstein. Insofern könnte man behaupten, das Thema passt in diesen Blog wie der sprichwörtliche Arsch auf Eimer.

Ich weiß nicht, wie viele neue Schüler in den kommenden Tagen in den Genuss dieser Mischung aus Drohung, Warnung und Verheißung kommen werden.Was ich allerdings weiß: Der Ernst des Lebens wird für keinen von ihnen zum letzten Mal beginnen, ihnen vielmehr spätestens dann wieder begegnen, wenn das Abenteuer Schule nach einigen Jahren seinem Ende entgegengeht.

Die gute Nachricht lautet demnach: Wer jetzt versäumt, den Spruch anzubringen – macht nichts, es gibt im Leben noch mehrere Gelegenheiten, ihn zu platzieren.

In meiner Kindheit war meine Tante an und für sich für die Unterbringung solcher Floskeln zuständig. Sie muss wohl am Tag meiner Einschulung einen schlechten Tag gehabt haben. Aber ein Freund aus der Straße, wenig älter als ich, ließ ihn dann irgendwann noch vom Stapel. Da nur die wenigsten Kinder den Unernst des Lebens bis zur Einschulung im luftleeren Raum verbringen, hat so ziemlich jeder auch eine gewisse Ahnung, was danach folgt. Sicher ist die Vorstellung nicht sonderlich attraktiv, nunmehr einen weitgehend fremdbestimmten Alltag zu verleben. Sicher – manche brauchen das auch. Wiederum anderen schadet es zumindest nicht, ein Minimum an Struktur vorgegeben zu bekommen. Die Aussicht, formal in Werten zwischen Eins und Sechs beurteilt zu werden, ist auch nicht das, was ich als besonders reizvolle Angelegenheit bezeichnen würde.

Andererseits meine ich mich zu erinnern, dass nicht nur ich, sondern die meisten Mitstreiter dann doch relativ unbefangen an den neuen Lebensabschnitt herangingen. Was sollte schon Schlimmes passieren?! Ungelegte Eier. Sorgen kann man sich als Erwachsener immer noch mehr als ausreichend machen. Von so einem profanen Ereignis wie dem ersten Schultag wird man sich doch nicht gleich die Laune verderben lassen.

Und tatsächlich hatte ich das Glück, dass mir der Schulalltag nicht ganz so schwer gefallen ist und ich mehr Spaß als Ernst hatte. Und das obwohl ich – in den 1970er und 1980er Jahren eigentlich kaum noch vorstellbar, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – zweimal in meiner schulischen Laufbahn Ohrschellen seitens des Lehrpersonals einstecken durfte. Natürlich wegen nichts. Jedenfalls nichts, womit ich angeben könnte. Eine andere Unsitte mancher Lehrkräfte: Man durfte zumindest nicht überrascht sein, wenn ein Schlüsselbund durch die Gegend gepfeffert wurde und direkt neben einem einschlug. Aber weil ich dessen unbeeindruckt gute Noten einfuhr, zuhause also den Anschein erwecken konnte, alles sei in Ordnung, hatte ich Spaß. Wenigstens an den Tagen, an denen kein Sportunterricht auf dem Stundenplan stand.

Eine noch größere Rolle als beim Sport spielt das Verhältnis zum eigenen Körper in der spaßbefreitesten Phase der menschlichen Entwicklung überhaupt: der Reifezeit. Mit dem einsetzenden Interesse an Mädchen bei gleichzeitigem erfolglosen Werben um sie drang der Ernst plötzlich und unerwartet in mein Leben ein. Und das ohne dass mich vorher jemand davor gewarnt hätte. Logisch, dass er sich auf die Schule auswirkte. Spätestens zur Vorbereitung auf die Abi-Prüfung wurde es dann richtig ernst: viele Sachen konnte ich einfach nicht mehr aufholen, was ich in den Jahren zuvor versäumt hatte. Es hat gereicht, um durchzukommen, aber nicht gereicht, wirklich zu brillieren. Nur dabei statt mittendrin. Spaß hat´s trotzdem gemacht.

Und der Spaß ging weiter: Ersatzdienst. Hier war niemand, der was vom Ernst des Lebens faselte. Das Feiern ging einfach weiter. Es gab exakt zwei Zivi-Feiern und ebenso viele Zivi-Ausflüge. Jeweils die ersten und die letzten. Die Gnade der zum rechten Zeitpunkt erfolgten Geburt bescherte mir den Genuss, bei beiden Meilensteinen in der Geschichte des Mobilen Sozialen Hilfsdienstes des DRK dabei gewesen zu sein. Behaupte noch einmal jemand, Zivildienst sei eine ernste Angelegenheit.

Ernsthaft jetzt..!

Nach 15 Monaten das nächste große Ding, auf das sich neu einzustellen war: Ausbildung, in meinem Fall Studium. Man hat also den Ort gewechselt, aber die Party ging weiter. Immer noch keine Spur vom Ernst des Lebens. Immerhin: Mit dem Ernst verwandte Fragen nach dem Sinn des Lebens wurden nun neu und öfter gestellt.

Das eigentlich Schöne an all dem war aber, dass ich weder wegen des Ersatzdienstes noch wegen des Studiums jemals ernsthaft erwägen musste, meiner Geburtsstadt den Rücken zu kehren. Im Nachhinein bedaure ich diese damals mit guten Gründen vollzogenen Entscheidungen natürlich. Aber aus Schnee von gestern formt man heute kein effizientes Wurfgeschoss. Daher lieber liegenlassen.

Es ist unschwer zu erkennen, dass der Text sich allmählich wieder dem gewohnten Kalenderspruchniveau annähert. Dabei habe ich gar nichts gegen solche Sinnsprüche. Im Gegenteil. Ich habe aber meine Probleme damit, wenn solche Zitate sofort wieder entwertet werden, indem die Aussage zwar vor sich hergetragen wird, ansonsten aber keinerlei Konsequenzen daraus gezogen werden.

Ohne Anspruch auf Repräsentativität ergab eine Mini-Erhebung, nämlich ein Blick auf die Pinnwände meiner Facebook-Bekanntschaften, dass mehrheitlich Frauen eine Empfänglichkeit für solche Aphorismen haben. Zum Beispiel also auch für folgenden Satz: „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden. Sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.“ Naiv, wer sich nun denkt: Okay, ich kaufe eine Carrera-Bahn für zweihundert Euro. Sie benötigt ein wenig Platz, das Wohnzimmer eignet sich also hervorragend, das Teil ein Wochenende lang auf Herz und Nieren zu prüfen.

Wer schon einmal das Vergnügen hatte, einen gemeinsamen Haushalt mit einer selbst gewählten Partnerin zu pflegen, weiß: Jetzt kann der Unterschied zwischen Theorie und Praxis live und in Farbe betrachtet werden. Es würde die Stimmung nämlich nur höchst unzureichend beschreiben, einfach nur zu schreiben, das wäre der Partnerin dann allerdings auch wieder nicht recht. Eher kann man darauf wetten, dass ziemlich bald Schluss mit Lustig ist und das schöne Spielzeug am Ende der Auseinandersetzung für alle Ewigkeiten aus dem Haushalt verbannt ist. So sehen Kompromisslösungen heutzutage aus. Und die Frauen denken sich: Dann doch lieber alt. Und die Männer denken sich: Dann doch lieber diese als keine.

Vielleicht beginnt mit Eingehen einer Zweierbeziehung der wahre Ernst des Lebens. Das hätte mir aber wirklich jemand vorher sagen können.

Heimtückisch daran ist ja vor allem, dass es nicht einfach wie eine nervige und überflüssige Krankheit zu einem Zeitpunkt, zu dem man sie am allerwenigsten gebrauchen kann, über Nacht einfach da ist. Sondern sich eher lange Zeit unbemerkt entwickelt, bis man eines Tages aufwacht und denkt: Scheiße, bin das eigentlich noch ich?

Fast hat man geglaubt, die Rede vom Ernst des Lebens wäre der running gag in der eigenen das halbe Leben andauernden coming-of-age-Geschichte, und dann plötzlich das!

Weil keiner meiner Texte einen solchen desillusionierenden Schluss verdient hat, zum Ende nochmal einen positiv stimmenden Denkspruch, der in verschiedensten Varianten sinngemäß predigt, dem Ernst des Lebens am besten mit Humor zu begegnen. Ich schätze, das immerhin ist mir trotz allem bis heute über weite Strecken relativ gut gelungen.

Erlebnis Einkauf

Die Ferienzeit hat häufig selbst dann einen gewissen Erholungsfaktor, wenn der eigene Urlaub schon wieder Wochen vorüber ist oder gar nicht stattfindet. Der gelegentliche leichte Regen erinnert einen daran, dass es momentan nicht unbedingt so viel reizvoller wäre, genau jetzt frei zu haben. Außerdem wird es auf der Arbeit gerade zu dieser Zeit oft etwas gemächlicher. Was Kollegen betrifft, bin ich aktuell vergleichsweise verwöhnt, habe aber schon Betriebe kennen gelernt, bei denen man staunte, wie gut gelaunt und produktiv manche Mitarbeiter sein konnten, wenn sie für zwei bis drei Wochen von gewissen anderen in Urlaub Weilenden in Ruhe gelassen wurden. Auch der Weg in die Firma und von dort weg wird in der Regel stressfreier, weil man ihn sich mit durchschnittlich weniger Menschen teilen muss.

Vor allem aber ist zu dieser Zeit das Einkaufen angenehmer. Was besonders samstags, wenn üblicherweise auch die Amateure einkaufen gehen, ein Labsal für die geschundene Seele ist.

Wer vor dem Hintergrund meiner sonstigen Texte beim Stichwort Einkaufen nun erwartet, eine weitere Episode des bereits mehrfach zu Ende erzählten Themas Flirten im Supermarkt zu bekommen, darf beruhigt aufatmen.

Weil es dazu nämlich nichts zu erzählen gibt.

Zwar hält sich nach wie vor hartnäckig die Legende, dass zwischen Konserven und Teigwaren eine gute Gelegenheit sei, derartige Dinge zu erledigen. Ein repräsentativer Streifzug durch die Geschichte der Paare in meinem näheren Bekanntenkreis ergibt jedoch keinen einzigen Treffer, der als Beleg dafür herhalten könnte.

Sicher: Wenn man manche Pärchen beobachtet, wie sie während ihres Einkaufs die Klingen kreuzen, könnte man unter Umständen potentielle zukünftige Singles erspähen. Fündig würde ich hier also durchaus. Wenn ich professioneller Partnerschaftsberater wäre. Das war es aber auch schon.

Um das Untersuchungsdesign abzurunden, bin ich gestern Abend extra nochmal in den gegenüberliegenden Rewe. Ergebnis: Jeder ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie in einer solchen Stress- und Hetz-Kultur eine angenehme Flirt-Atmosphäre überhaupt entstehen können soll, muss mir erst einmal beantwortet werden. Das kann also alles, ähnlich wie das mit dem Hund als Flirt-Helfer, als Gerücht bezeichnet werden. Und zwar eines der uncoolsten aller Gerüchte. Weil nicht einmal böswillig in die Welt gesetzt. Etwa vom Einzelhandel. Um Hunderttausende verzweifelter Singles in die Geschäfte zu locken. Um dort noch mehr Dinge einzukaufen, die sie nicht benötigen. Sondern einfach nur ein Gerücht. Herkunft ungeklärt. Punkt.

Kein Gerücht dagegen: Wer einem immer begegnet, ob beim Gassigehen oder eben beim Einkaufen, sind die Senioren.

Jetzt ist das Thema Rentner und Einkaufen natürlich ähnlich ausgereizt wie eben erwähnte Leier von der Singlebörse Supermarkt. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Anpassungsfähig sind sie, unsre Ü-60-er. Erinnern wir uns an das Einkaufserlebnis der 80er Jahre: kein Markt – ob HL, Schade oder PLUS – hat sich darüber Gedanken gemacht, welch genialer Dienst am Kunden es doch wäre, wenn diese nur schnell genug durch die Kasse geschleust würden. Dass zu jener Zeit häufiger als heutzutage vorkam, wenn Leute entnervt aufgaben und ihre Einkäufe einfach stehen ließen, wurde in Kauf genommen. Dann kann es auch nicht so wichtig gewesen sein. Es war die Zeit, als die Läden mittags zwischen 13 und 15 Uhr geschlossen hatten und abends ab 18.30 Uhr auch. So wertvoll das für die im Einzelhandel Beschäftigten vielleicht gewesen sein mag – es herrschte ein bisschen die Mentalität: Die Kunden brauchen etwas, also haben sie sich nach uns zu richten. Auf den Gedanken, dass die ihr Feierabendbier dann halt nicht am nächsten Tag holen, sondern dass sie das am gleichen Tag andernorts erledigen, kam offenbar niemand. Dieser Einstellung entsprechend war es auch egal, wenn im vollen Markt exakt eine Kasse besetzt war und es Wartezeiten wie an den damals ebenfalls noch nicht geöffneten Grenzübergängen gab. Man fragte sich manchmal, weshalb überhaupt die Fläche für mehr als zwei Kassen geopfert wurde. Aber das war es dann auch mit der Kritik. Es war die Epoche der Stoiker.

Die Nachkriegsgeneration war schließlich immer noch dankbar, daß es nach Jahren der Entbehrung überhaupt etwas gab. Das Schlangestehen kannten sie in noch einmal anderer Qualität, als es darum ging ein paar Holzbriketts zu ergattern. Derart geprägt wurde selbst Jahre später nicht einmal im Postamt gemeckert, wenn man nach fünfzehn Minuten oder längerer Wartezeit endlich an der Reihe war, dann aber das Pech hatte, exakt zur Mittagspause des Beamten am Schalter ohne Vorwarnung den Rolladen vorm Gesicht heruntergelassen zu bekommen.

Nirgendwo Niveau

Kaum dass es sich jedoch eingebürgert hat, alle Kunden schnellstmöglich durch den Warenausgang zu befördern, wird allerdings ausgerechnet die Generation, die das Schlangestehen von der Pike auf gelernt hat, als erstes ungeduldig. Die Altersgruppe, die sonst jede auch nur minimale Veränderung missmutig bis hin zum ultimativen „Hier komm´ ich nie mehr her“ kommentiert. Wehe, der Kaffee befindet sich nicht mehr dort, wo er jahrelang gestanden hat. Aber sobald eine Veränderung bequem ist, nimmt man sie natürlich gern mit. Also wird schon ab vier Kunden in der Reihe nach einer zusätzlichen geöffneten Kasse gequäkt, was das Zeug hält.

Die Rettungsgasse wird vorsorglich schon ´mal halb blockiert. Rettungsgasse bezeichnet die noch imaginäre Einkaufswagenschlange zur noch leeren Kasse, die aber vermutlich in kurzer Zeit geöffnet wird, damit die alten Herren keinen Lynchmob formieren, wenn ein unschuldiger Marktangestellter erneut vorbeiläuft und tatsächlich anderes zu tun hat als gleich die nächste Kasse zu öffnen.

Da stehe ich nun und stelle mir selbst die Frage, was ich widerwärtiger finde: Das Gezeter während des Vorspiels oder die Szenen, die sich abspielen, wenn der Ernstfall naht. Das Gemetzel um die pole position mit dem Verhalten von Aasgeiern zu vergleichen, würde den Tieren nicht gerecht. Und wer Minuten zuvor noch Zeuge wurde, wie gemächlich und zerbrechlich die alten Körper in den Gängen hin- und hergeschoben wurden, darf sich in der Tat ein klein wenig darüber wundern, wie agil die Mummelgreise auf einmal sind, wenn es um einen Platz an der Sonne geht.

Dass wiederum dieselben Menschen bei so ziemlich jeder anderen Gelegenheit den nachfolgenden Generationen Rücksichtslosigkeit und Egoismus vorwerfen – diesen Widerspruch muss man erst ´mal aushalten können. Eigentlich logisch, daß die Sitten verrohen, wenn solche Leute die Vorbilder sind.

Und dann kommen wieder die Gedanken hoch, die jeder schon ´mal gedacht hat: Die haben doch eigentlich jede Menge Zeit. Und dann muss man sich vergegenwärtigen, dass das so ja gar nicht stimmt. Vermutlich haben sie geringeren Termindruck als ein durchschnittlicher Werktätiger, der ja zwischen Arbeit und Einkauf auch noch irgendwo Zeit braucht, selfies aus dem Fitness-Studio in die Welt zu funken. Setzt man die Wartezeit allerdings ins Verhältnis zur Restlebenszeit, relativiert sich einiges. Das entschuldigt nicht, sich wie die Axt im Wald zu benehmen, generiert aber vielleicht das nächste Mal ein bisschen mehr Verständnis, wenn die Alten es wieder einmal übertreiben.

Da man natürlich heutzutage keinen Text über #Supermarktkasse schreiben darf, ohne sich im Glaubenskrieg zwischen Bar- und Kartenzahlern zu positionieren, bitteschön: Bargeld geht im Durchschnitt schneller. Das wurde einigermaßen repräsentativ ermittelt. Kein Scheiß, da haben sich tatsächlich Menschen Mühe gemacht und Tausende Bezahlvorgänge mit der Uhr gestoppt, um dem Handel die Informationen zu liefern, die er benötigt.

Was bedeutet dieser Befund jetzt für den Alltag? Zunächst: Kein Plädoyer für einen Bummelstreik beim Bezahlen. Aber: Wenn schon für Betrag X in dem Laden eingekauft wird, warum darf ich dann beim Check-Out nicht mehr erwarten als die monoton vorgetragenen Begrüßungsfloskeln, Fragen nach Payback-Karte und Nennung des Zahlbetrags, während schon alles für den nächsten Mohren in der Reihe nach mir vorbereitet wird, der dann ebenfalls umgehend gehen kann, sobald er seine Schuldigkeit getan, sprich bezahlt hat?

Noch eins: Im Laufe eines Lebens verplempert wahrscheinlich jeder ausreichend Zeit mit Schwachsinn verschiedenster Art. Jeder mit auch nur rudimentär ausgeprägter Fähigkeit zur Selbst-Reflexion sollte dies zuzugeben in der Lage sein. Warum also wird dann allenthalben so getan als ob ausgerechnet dort, wo es in Summe gerade ´mal um Sekunden oder wenige Minuten mehr oder weniger geht, die an anderer Stelle achtlos vergeudete Zeit wieder aufgeholt werden könnte?

Analog zum Einkaufen ist das Kehren vor der eigenen Haustür eben eine Beschäftigung mit eher geringem Lustgewinn. Urlaub hin oder her.

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