Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Januar 2020

Ende in Sicht

Wenn man sich erst einmal die simple Formel vergegenwärtigt hat, wonach alte Menschen tendenziell zurück, junge dagegen nach vorn schauen, erscheint es konsequent: Zwar ist es langsam nicht mehr wegzudiskutieren, dass die Erde angesichts fortschreitender Erwärmung ihren Charakter verändert. Aber deshalb gleich einen Aufstand anzetteln? Man hat schließlich schon ganz andere Sachen überlebt.

Man kann Warnungen als Hysterie abtun. Man kann aber auch noch ein paar weitere Jahre nichts tun, abwarten, zuschauen. Und sich dann eventuell wundern, dass doch alles schneller als erwartet ging. Man kann das als Generationenkonflikt betrachten. Oder eben auch nicht.

Denn wann immer eine „Generation“ aus dem Hut gezaubert wird, sollte man mindestens so skeptisch sein wie manche Verblendete es in Bezug auf die globale Erwärmung sind. Denn noch nie war eine Generation, ob nun mit X, Y, Golf, Praktikum oder Z etikettiert, so homogen, dass ein Versuch, dem Ganzen einen passenden Stempel zu verpassen, wirklich Sinn ergeben hätte. Selbst die 68er-Generation hatte – zu einer Zeit also, als es noch wirklich fundamentaler gesellschaftlicher Veränderungen bedurfte, um begründet von einer Generation zu sprechen – nicht nur den Konflikt mit ihren Altvorderen auszutragen. An anderer Front galt es, sich mit der Mehrheit der unpolitischen Gleichaltrigen auseinanderzusetzen.

Fridays for Future sind unerwartet viele, allerdings auch keine Mehrheit. Eine weitere Parallele zur 68er-Generation: Ihr Thema hat ähnliche, sehr wahrscheinlich sogar größere Dimensionen als die Probleme der 68er.

Die Dringlichkeit, sich mit dem Thema Klimawandel zu befassen, wurde im Laufe der letzten Jahre ja nun wirklich nicht geringer. Im Gegenteil wurde durch jahrzehntelange Ignoranz der Entscheider in Wirtschaft und Politik, aber natürlich auch weiter Teile der Bevölkerung, sehr viel Zeit von der Uhr genommen, was den Handlungsspielraum mittlerweile stark einengt. Wen wundert es, dass irgendwann mehr Leute als die sonst üblichen Verdächtigen auf die Straße gehen und versuchen, noch etwas zu retten, wo eventuell weniger zu retten ist als man sich das momentan noch erhofft?! Die Last auf den jungen Protestierenden ist immens: Endzeitstimmung vor Augen haben, aber Aufbruchstimmung erzeugen müssen. Man darf daher gespannt sein, wann die Stimmung in Resignation umschlägt und was dann geschieht.

Und auch wenn die Adressaten der wütenden Anklagen von FFF die älteren Generationen sind – die Konfliktlinien verlaufen nicht entlang von Geburtsjahrgängen, sondern von Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema. Mancher ältere, der die ärgsten Auswüchse des Klimawandels nicht mehr miterleben dürfte, aber seit Jahrzehnten aus Überzeugung mit dem Rad fährt, ist näher dran an der Bewegung als der 18-jährige Mitschüler, der für ein Wochenende zur Selbstverwirklichung mit dem Billigflieger nach Barcelona jettet, was für das Klima ein teuer bezahlter Spaß ist. Die Angehörigen der Generation EasyJet hatten eben bis jetzt einfach noch nicht genügend Zeit, ihren ökologischen Fußabdruck dermaßen nachhaltig zu versauen, dass man es ihnen schon genauso vorwerfen könnte wie den Älteren.

Wie mehr oder weniger alle Generationen vor ihnen, sind demnach auch die aktuell auf die Straße gehenden Jahrgänge eine gespaltene Generation.

Noch unübersichtlicher wird die Gemengelage, wenn man berücksichtigt, dass sich unter dem Label FFF streng genommen zwei verschiedene Generationen vermengen: Die jüngeren Angehörigen der Generation Y treffen auf den älteren Teil der Generation Z.

Über die Generation Y meint man zu wissen, dass sie wie kaum eine andere Generation in Bildung investiert, weil diese der Garant für einen vernünftigen Arbeitsplatz ist. Da die Firma, in der ich seit einiger Zeit im Lager arbeite, viele studentische Aushilfen beschäftigt, habe ich in den letzten fünfeinhalb Jahren etliche junge Menschen kennenlernen dürfen, manchmal aber auch müssen, die sich anschicken, in den nächsten Jahren die Schlüsselpositionen dieser Gesellschaft zu besetzen. Ich muss gestehen: Das macht mir eher Angst als Mut. Vor allem konnte ich aber auch folgendes Geheimnis bislang nicht enträtseln: Wenn lebenslanges Lernen für diese Jahrgänge selbstverständlich ist – weshalb wird dieser Prozess dann von so vielen ausgerechnet bei uns unterbrochen?

Muss man sich also schon sehr anstrengen, wenn man die Ypsiloner überhaupt wahrnehmen will, gilt ähnliches auch für die Vertreter der Generation Z. Und die Angehörigen beider genannter Generationen sind keineswegs alle umweltbewegt, sondern genauso hedonistisch wie die Generationen vor ihr. Generationenübergreifend größtes Hobby scheint zu sein, den halben Tag Serien auf netflix anzuschauen. Die andere Hälfte des Tages wird damit verbracht, sich mit Anderen über das Gesehene zu unterhalten. Die Zukunft wird thematisiert, wenn es darum geht, welche Serie als nächstes angeschaut wird, nicht aus Sorge ums Klima. Das interessiert bestenfalls am Rande. Am Rande bemerkt sei übrigens: Videostreaming verbraucht jährlich so viel CO2 wie Spanien.

Und als ob fehlende klimapolitische Weitsicht bei Altersgenossen wie Älteren nicht schon ausreichte, muss man sich als Aktivist zusätzlich noch rechtfertigen, warum man nicht auch noch dieses oder jenes zur Rettung des Planeten unternehme. Von Leuten wohlgemerkt, die ihre Finger in Sachen Dekarbonisierung nur rühren, um mit ihnen auf andere zu zeigen, weil die ja auch viel Dreck machen. Doch so funktioniert die Rettung des Planeten nicht.

Es wird Zeit, den Spieß langsam umzudrehen und den Rechtfertigungsdruck auf diejenigen zu erhöhen, die weiteres Zusehen als adäquate Reaktion auf die vielfach belegten und sichtbaren Veränderungen halten, weil „wir“ schließlich nicht sämtliche Probleme der Welt lösen können. Auf dem Klima-Index von Germanwatch liegt Deutschland mit seinen Bemühungen auf dem 23. Platz. Soviel zur Behauptung, dass „wir“ die Probleme der Welt lösen. Wenn man betrachtet, welche Alpträume bereits die bloße Möglichkeit eines Tempolimits auf Autobahnen auslöst, mag man sich das Theater besser nicht vorstellen, das hierzulande los ist, wenn man irgendwann tatsächlich mit deutlichen unfreiwilligen Einschränkungen bei den drei Lieblingshobbys Autofahren, Reisen und Fleischessen leben muss.

Aber so ist das eben – mit dieser Generation und mit allen anderen: Meldungen, die die eigene Meinung bestätigen, werden ungeprüft als richtig eingestuft. Deshalb nimmt mancher an, man würde durch demonstratives Verzichten auf nichts tatsächlich einen relevanten Beitrag leisten. Deshalb lässt das unreflektierte Weiterverbreiten von offensichtlichen fake news bereits auf das Weltbild des Teilenden schließen. Soweit die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht lautet jedoch: Bislang lassen sich die Aktivisten wenig beeindrucken. Nicht davon, dass die Gegenseite der Klimaleugner ihre Geschütze längst in Position gebracht hat. Nicht davon, dass sie noch auf absehbare Zeit mit einer desillusionierenden Ignoranz weiter Teile der Bevölkerung zu rechnen haben. Nicht davon, dass ihnen von prominenten Politikern, die dazu beigetragen haben, dass es überhaupt so weit kommen konnte, die Urteilsfähigkeit ob ihres Alters abgesprochen wird.

Alles das verdient meine Hochachtung.

Schlecht beraten

Mancher hat es bereits wieder hinter sich, die Disziplinierteren dagegen befinden sich gerade mittendrin: Da vor kurzem ein neues Jahr das alte abgelöst hat, ist allenthalben wieder Durchstarten angesagt. Zwar wartet man bislang vergeblich darauf, dass böse Vorsätze gesellschaftlich genauso anerkannt werden wie gute. Irgendwie mitmachen wollen dennoch die meisten.

Auch ich habe mir wieder vorgenommen, meine Komfortzone in den nächsten zwölf Monaten das ein ums andere Mal zu verlassen. Nichts mit guten oder schlechten Vorsätzen zu tun hat dagegen, dass ich mir fast pünktlich zum Jahreswechsel eine Schutzausrüstung für meine Inline Skates zugelegt habe. Dass zwischen dem Überlassen-bekommen-Haben eines Paars dieser Teile und dem letztendlichen Kauf der Gelenkschoner, ohne die mir das Fahren damit bislang als zu gefährlich erschien, inzwischen mehr als 15 Jahre liegen, dürfte Beleg genug dafür sein, dass der Kauf eher zufällig zeitlich mit dem Jahreswechsel zusammenfiel. Berücksichtigt man ferner, dass ich selbst nach diesen 15 Jahren immer noch keine Schutzausrüstung hätte, wenn sie mir nicht zufällig gebraucht für 2 Euro über den Weg gelaufen wäre, wird man mir vieles unterstellen können, aber gewiss keinen Vorsatz.

Zwar bin ich nach wie vor der Ansicht, dass der Vorsatz meist so gut nicht sein kann, wenn man von der Idee bis zur Umsetzung lieber noch ein bestimmtes Datum abwarten will. Dennoch war die bis jetzt überraschendste Erkenntnis des Jahres: Irgendwie scheine ich meinen Frieden mit Neujahrsvorsätzen geschlossen zu haben. Man verändert sich ja sowieso permanent, ganz gleich ob man das nun möchte oder nicht und unabhängig davon, ob man es bemerkt oder nicht. Bevor man sich am Ende des Jahres dann wieder ärgert, wie kacke die vergangenen zwölf Monate doch wieder waren, kann man dieser Veränderung ja eine Richtung geben, von der man vermutet, sie würde einem gut zu Gesicht stehen.

Das führt mich zu einem Thema, von dem ich mir manchmal wünschte, es niemals entdeckt zu haben. Es gibt nämlich Menschen, die sich um die Persönlichkeitsentwicklung Anderer viele Gedanken machen. Sogar das ganze Jahr über.

Disziplin, Motivation, Kommunikation, Erfolg, Glück – Selbstverbesserungsprojekte gibt es zuhauf. Weshalb ich in einer gewissen Phase meines Lebens auf diese Szene gestoßen und trotz gewisser Vorbehalte von manchen dieser Konzepte recht angetan war.

Trotz Versprechen der Güteklasse „Sofort mehr Selbstbewusstsein ausstrahlen mit diesen simplen Tricks“ überwog die Neugier die Skepsis. Natürlich war besagte Phase nicht kritisch genug, dass mir nicht sofort aufgefallen wäre: Das letzte, das unsere Gesellschaft zur Zeit und sehr wahrscheinlich auch in Zukunft braucht, sind noch mehr Typen, deren Selbstbewusstsein in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren Kenntnissen, Fähig- und Fertigkeiten steht. Die dringender bei einem Psychiater auf der Couch als bei einem Trainer oder Coach aufgehoben wären, weil sie auf dem schmalen Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung reichlich Schlagseite bekommen haben. Doch das alles tat der guten Stimmung zunächst keinen Abbruch.

Selbst die den meisten dieser Selbstoptimierungskonzepte zugrundeliegende unkritische Nähe zur Leistungsgesellschaft vermochte mein Interesse nicht zu bremsen. Obwohl mir doch vormals diejenigen, die das Ziel maximalen (beruflichen) Erfolgs am intensivsten verfolgten, stets sehr suspekt gewesen sind. Das ist besser zu verstehen, wenn man folgende Hintergründe kennt:

Mein persönliches „Karriereziel“ zwischen 16 und 33 war im Prinzip das Herbeischreiben einer Situation, in der eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung es für völlig normal hält, in Wort und Tat für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur, ohne Grenzen, Rassismus und Sexismus einzutreten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Okay – an die Sache mit dem Sexismus mussten uns unsere Genossinnen das ein ums andere Mal erst erinnern, was an der groben Richtung aber nichts geändert hat. Man kann jedenfalls nicht behaupten, wir hätten keine Ziele gehabt. Disziplin dagegen besaßen nur wenige.

Zu unserem Unverständnis hatten wir mit diesen Ideen eine nicht zu vernachlässigende Menge an Menschen gegen uns, die mit unseren Zielen genauso wenig anfangen konnten wie umgekehrt wir mit der auf individuelles Glück abzielenden Karrieregeilheit der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.

Nachdem das ursprüngliche Vorhaben also gescheitert war, musste ein Plan B her. Den ich auf die Schnelle nicht hatte. Seitdem bin ich Lagerist, wenn man das grob, aber nicht unzulässig verkürzt zusammenfassen wollte. Vielleicht war ich schlecht beraten. Vielleicht gut. Vielleicht gar nicht. Wer weiß das schon so genau?!

Was aber hat das alles mit 2020 zu tun? Zuallererst: Ich weiß nach all den Jahren zum Beispiel, dass im Gegensatz zu den Versprechen der Motivationscoaches nicht alles Vorstellbare auch erreichbar ist.

Zweitens: Wenn jemand seine Ziele nicht erreicht, kann das daran liegen, dass er es nicht hartnäckig genug versucht hat. Muss es aber nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar sehr hoch, dass andere Gründe für das letztendliche Scheitern ausschlaggebend sind.

Drittens: Niemand hat es nötig, von Leuten, die für einen 45-minütigen Vortrag ein Honorar in Höhe des Monatseinkommens eines Lageristen erhalten, erzählt zu bekommen, dass weniger eigentlich mehr ist, nur weil sie gemerkt haben, dass sie in ihrem Reichtum zu ersticken drohen.

Viertens: Dass Methoden der Stressreduktion inzwischen zum Standardrepertoire der meisten Trainer gehört, könnte damit zu tun haben, dass man die Situation selbst herbeigeführt hat, indem man den Coachees einredet, dass sie „für ihre Sache brennen“ müssen. Muss es aber nicht. Die Wortverwandtschaft mit „ausgebrannt sein“ ist gewiss zufällig.

Fünftens und letztens scheine ich in den letzten Jahren intuitiv nicht wesentlich mehr falsche als richtige Entscheidungen getroffen zu haben. Das heißt nicht, dass überhaupt kein Optimierungsbedarf mehr bestünde. Das heißt aber auch: So schlimm, dass man sich ohne Not irgendwelche dummen Vorsätze ausdenken müsste, ist es auch nicht. Vielleicht sollte man bei allem Veränderungswillen auch das Man-selbst-Bleiben auf der Liste der zu erledigenden Dinge etwas weiter oben platzieren. Gepaart mit einer optimistischen Grundeinstellung wird man das Jahr schon halbwegs anständig über die Bühne bringen.

Im Grunde genommen kann festgehalten werden, dass meine Vorstellungen von Erfolg, meine Definitionen von Glück sowie daraus resultierende Herangehensweisen an gewisse Dinge sich im Vergleich zu meinem 16-jährigen Ich nicht einmal wahnsinnig geändert haben.

Und das ist auch gut so.

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