Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Oktober 2018

Das Grauen kehrt zurück

Man kann an diesem Land einiges kritisieren – an gruseligen Gestalten hat es ihm jedoch nur in den seltensten Fällen gemangelt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Entscheidung, Halloween als Thema des dieswöchigen Blogeintrags zu wählen, am Ende schneller gefallen als zunächst befürchtet werden musste, wenn man bedenkt, dass das Alternativthema die Zeitumstellung gewesen wäre und damit ein Thema, dessen Gruselfaktor eigentlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Man tausche einmal Narren gegen gruselige Gestalten und merke an, diese bereits das ganze Jahr über in ausreichender Anzahl um sich herum zu haben. Schon hat man Halloween analog zu Fasching zur ganz und gar überflüssigen Veranstaltung erklärt. Auf diese Weise könnte man sich halbwegs passabel in den Text kalauern. Doch dieser Spruch kam auf der Arbeit schon nicht so gut an wie eigentlich beabsichtigt, als ich ihn diese Woche dort platzierte.

Dabei hatte ich damit ausnahmsweise nicht einmal explizit meine Kollegen beleidigen wollen, sondern die Zombies, die einem auf der Straße, beim Einkaufen oder anderen Alltagssituationen über den Weg laufen. Auf die Gefahr hin, wieder ungerecht zu erscheinen, ein Beispiel zur Illustration: Männer, denen der Zahn der Zeit nicht mehr als einen Haarkranz am Hinterkopf gelassen hat, retten diese unvorteilhafte Situation mitnichten, indem sie ihre Sonnenbrille nach oben auf die Halbglatze schieben. Mit Verlaub: Das sieht gespenstisch aus, um nicht zu sagen haarsträubend, und ich musste es einfach gesagt haben, bevor in den nächsten Tagen jemand die gelungene Maske lobt.

In solche Verlegenheiten kommen unsere meist sehr jungen Aushilfskollegen noch früher als ihnen lieb sein kann, auch wenn sie aktuell noch nicht damit rechnen. Doch so klar im Grunde ist, dass weder Alter noch Äußerlichkeiten wie die Haarpracht Indikatoren für die Grausigkeit eines Individuums sein können, so unheimlich ist auf der anderen Seite, zahlreichen Gesprächen unter eben jenen jungen Kollegen zu entnehmen, dass bei ihnen an den meisten Tagen nach 20 Uhr außer Berieselung auch nicht mehr allzuviel stattfindet. Wollte man Lebendigkeit am Aktivitätsgrad jenseits der Tagesschau messen, sind die Untoten wohl in jeder Generation in der Mehrheit. Ein Befund mindestens so grauenhaft wie die Blini, welche die Klitschko-Brüder auf der Universität immer essen mussten, bevor sie die Milchschnitte entdeckten.

Auf der anderen Seite steht die jüngere Generation für einen fast beneidenswerten Umgang mit Halloween, resultierend aus dem Umstand, dass es dieses Ereignis für sie einfach immer schon gegeben hat. Insofern dreht es sich für sie lediglich um die Frage, in welchem Umfang man daran teilnimmt. Und nicht wie bei manchen Älteren um den Glauben daran, dass der Spuk irgendwann auch wieder vorüber gehen könnte.

Dass das Gruselfest unter den heute Über-Vierzig-Jährigen besonders beliebt wäre, will wahrscheinlich in der Tat niemand ernsthaft behaupten. Ursprünglich erstmals 1991 wegen Faschings-Ausfall mit größerem Nachdruck promotet, halten die Widerstände gegen das hierzulande traditionslose Fest teils bis heute an. Zu amerikanisch, lautet die Argumentation mitunter bis in die Gegenwart. Nicht immer war amerikanischer Kulturimperialismus in Deutschland so unwillkommen. Aber auch bei den Jeanshosen, dem Kaugummi und speziell dem Rock´n´Roll der Nachkriegszeit hat es skeptische Stimmen der damals älteren Generation gegeben. Wie man hinterher immer besser weiß, auch in diesen Fällen nicht besonders erfolgreich. Und angesichts der ganzjährigen Penetranz von Coca Cola und McDonalds kann man Halloween wohl gerade noch verkraften.

Auf Deutsch: Man kann es auch scheiße finden, aber man wird sich kaum dagegen wehren können, dass sich eine signifikante Anzahl an Menschen findet, die es feiern. Erst recht nicht wird man den Handel dazu drängen können, auf diese Umsatzquelle zu verzichten. Denn es geht ja längst nicht mehr bloß um ein paar Kostüme zusätzlich, sondern um Dekoration, Süßigkeiten und noch einiges mehr. Die Supermärkte haben schon seit Wochen entsprechend aufgerüstet, und wahrscheinlich ist der Absatz von Eiern zur Zeit in der Tat erkennbar höher als sonst. Die Veranstaltungsbranche reibt sich ebenfalls die Hände. Im Endeffekt gibt es halt einen Vorwand mehr, sich zu besaufen und ´rumzupöbeln. Zwei Dinge, die in diesem Land immer funktionieren.

Selbst wenn man sich eigentlich noch von der Zeitumstellung erholen muss.

Schluss mit lustig

Ich möchte nicht undankbar erscheinen, doch diese permanenten Ratschläge können einem schon manchmal auf den Keks gehen. Womit noch nicht einmal die oftmals ungefragt erhaltenen Tipps von Freunden, Kollegen sowie – auch wenn es hier manchmal besonders schwierig ist – Müttern gemeint sind. Bedeuten diese doch immerhin, dass da überhaupt jemand ist, der Anteil nimmt. Und wer von ihnen kann schon ernsthaft etwas dafür, wenn zu den meisten unserer Probleme außer Plattitüden nichts so recht einfällt, was mir ja zugegeben umgekehrt oft auch nicht anders geht.

Viel schlimmer als solche unbeholfenen, aber doch immerhin gut gemeinten Ratschläge sind doch die ungefragt im Raum stehenden Tipps, die einen an manchen Tagen ob ihrer Allgegenwärtigkeit schon durch ihre bloße Existenz auf die Palme bringen. Ja – man benutzt sie auch selbst. Wenigstens hin und wieder. Richtig – so völlig unwahr, dass man ihnen umgehend widersprechen müsste, sind sie ja auch nicht. Jedenfalls nicht solange man noch einigermaßen bei Trost ist. Trotzdem.

Nicht in Problemen, sondern in Lösungen zu denken ist zum Beispiel so ein Spruch. Hört sich super an, und da man außer denken zunächst nichts tun muss, wird auch der Umsetzung nicht gar zu viel im Weg stehen.

Wenn man dann allerdings einen technisch nur mittelmäßig ausgestatteten Haushalt wie ich führt, scheitert dieser Vorsatz bereits morgens bei einer vergleichsweise harmlosen Übung wie dem Aufstehen. Der Wecker schafft es nämlich, in dem jetzt noch nicht ganz halben Jahr, seit ich die Uhr bei der Umstellung auf Sommerzeit neu gestellt habe, sagenhafte acht Minuten nachzugehen. Man hat ja Kollegen, die auf diese Weise funktionieren: immer ein bisschen langsamer als der Rest. Jeder Fußballfan kennt das Problem, dass sein Lieblingsverein mindestens einen Spieler in seinen Reihen hat, der bei jeder Aktion diesen einen Schritt zu spät ist. Menschen müssen nach meiner Auffassung allerdings auch nicht perfekt sein. Bei einer Uhr, die zwar nicht für teures, immerhin aber doch für Geld verkauft wird, lege ich die Messlatte etwas höher. Auf meinen Wecker will ich mich verlassen können. Vielleicht habe ich unser gesellschaftliches System trotz über vierzigjähriger intensiver Teilhabe daran einfach immer noch nicht verstanden, aber selbst nach einer so langen Zeit der Gewöhnung würde ich mich schämen, ein nicht einwandfrei funktionierendes Produkt auf den Markt zu bringen.

Derweil zeigt mir die andere Uhr im Schlafzimmer, die des Radioweckers, den ich nach dem Kauf des neuen Weckers behalten musste, weil das Display der Neuanschaffung vom Bett aus praktisch gar nicht lesbar ist, eine Uhrzeit vier Minuten über der eigentlichen Zeit an. Ich hoffe, nicht extra erwähnen zu müssen, dass die Uhr dieses Geräts ebenfalls Ende April gestellt wurde. Wenn ich mich also ein knappes halbes Jahr später um eigentlich 6 Uhr wecken lasse, der Wecker mit acht Minuten Verspätung anfängt zu scheppern, ich auf die Uhr sehe, die vier Minuten vorgeht, bekomme ich 6.12 Uhr angezeigt. Bei mir zuhause bekommt die Redewendung, dass die Zeit rast, eine komplett neue Bedeutung. Wann soll ich das jemals wieder aufholen? Aber: Nicht in Problemen, sondern in Lösungen denken. Gute Idee eigentlich. Höchstens noch zu toppen von: Vielleicht sollte ich auch einfach ´mal eine Nacht drüber schlafen, denn: Bestimmt sieht morgen die Welt schon wieder ganz anders aus. Ein Versuch kann ja nicht schaden, denke ich mir, auch wenn ich im Falle der Uhren zu einer gewissen Skepsis tendiere. Der obligatorische Blick auf die beiden Wecker am nächsten Morgen bestätigt: Mein Pessimismus war gerechtfertigt.

Manchmal denke ich, die Drei-Schritte-Strategie Fenster auf – Wecker ´raus – Fenster wieder zu wäre die zwar nicht perfekte, aber die einzige Lösung. Und wer glaubt, noch jeder Wecker, der morgens mit einem gezielten Wurf auf der Straße gelandet ist, wäre mehr Dichtung statt Wahrheit, nicht viel mehr als ein verzweifelter Versuch, einer Geschichte etwas mehr Pep zu geben, unterschätzt die Realität in der Offenbacher Ziegelstraße. Aus pädagogischen Gründen merke ich hiermit an, dass ich die Aktion kacke gefunden hätte, wenn dadurch jemand verletzt worden wäre. Da dies aber nicht der Fall gewesen ist: Ganz großes Tennis! Allererste Sahne (Fischfilet)!

Es muss nicht immer Kaviar sein

Ich hoffe, man verzeiht mir den Versuch, an dieser Stelle eine höchstens halbgare Überleitung zu generieren, aber: Wo wir gerade beim Thema Essen sind, fällt mir die nächste Ungeheuerlichkeit an Tipp ein. Wer hat nicht schon einmal gehört: Wer zu schnell ist, verpasst den Sättigungspunkt.

Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich an einen Scherz, aber die meinen das ernst! Es gibt in Deutschland tatsächlich Menschen, die an einen Sättigungspunkt glauben! Ich gebe bereitwillig zu, dass die Qualität meines Essens nicht das oberste Fach im Regal ist, aber: Wenn ich „nur“ esse, bis ich satt bin, verzehre ich sehr sicher mehr als ich das momentan tue. Aus sehr ähnlichen Gründen glaubte ich übrigens nicht daran, dass wiederverschließbare Packungen bei Schokolade sich jemals durchsetzen würden. Inzwischen haben sie sich jedoch genauso im Markt etabliert wie Wecker, die nicht richtig ticken. Ein erfolgreicher und weitsichtiger Unternehmer werde ich in diesem Leben jedenfalls nicht mehr. Was mir im Rahmen dieses Textes immerhin erlaubt, erneut von der individuellen auf die gesamtgesellschaftliche Ebene zu springen und damit zu einem Punkt, der in Predigten und anderen Sonntagsreden gern hervorgehoben wird, wenn es irgendwo knirscht im Gebälk: das Verbindende gegenüber dem Trennenden in den Fokus zu rücken. Ein Textbaustein mit ähnlich geringem Gebrauchswert wie mein Wecker oder wie all die anderen hier im Text erwähnten Floskeln. Denn wenn ich mir beispielsweise die seit Jahren wiederkehrenden Bilder von Wutbürgern ansehe und ihre Äußerungen in den Kommentarspalten des www verfolge, weil es mir nicht gelingen will, sie zu ignorieren, stelle ich fest: Wir werden auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Wir haben weder in ethischen noch in orthografischen Fragen gemeinsame Standards. Unterm Strich sprechen wir in etlichen Fällen nicht einmal die gleiche Sprache, auch wenn sämtliche Witze darüber wahrscheinlich bereits erzählt wurden. Nehmen wir – auch wenn ich mich frage, wie ich ausgerechnet auf diesen Dialekt komme – Sächsisch: Ich verstehe nicht alles, aber das meiste. Und im Grunde höre ich es gern. Wenn mich etwas daran stört, dann wenn Sätze in diesem Idiom zum Besten gegeben werden, von denen „Hören Sie auf, mir ins Gesicht zu filmen“ noch zu den harmloseren Äußerungen gehören.

Erneut könnte mir günstigstenfalls mein Unterbewusstes Antworten auf die Frage geben, wie ich gerade jetzt auf Eichhörnchenhirne komme, aber wie diese Woche berichtet wurde, ist in den USA vor einiger Zeit ein Mann nach Verspeisen eines solchen an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. Auch hier muss zumindest die Frage gestattet sein: Was verbindet mich mit so jemandem? Unabhängig von meinem Esstempo wäre angesichts einer solchen Mahlzeit mein Sättigungspunkt unter Garantie schon vor dem ersten Bissen erreicht. Da ich insgesamt eine Neigung zu weniger spektakulären Hobbys habe, werde ich auch über diesen Punkt keine Gemeinsamkeiten herstellen können.

Was bleibt also? Wenn das hier das Ergebnis der Absicht ist, einen optimistischen Text über Frustbewältigung und über das Lachen schreiben zu wollen, sollte ich eventuell wirklich ´mal anfangen, nicht in Problemen, sondern in Lösungen zu denken sowie das Verbindende über das Trennende zu stellen. Dann würde die Welt morgen zwar auch keine andere sein, aber vielleicht tatsächlich ganz anders aussehen. Am besten, ich schlafe ´mal eine Nacht drüber und fange dann gleich nächste Woche damit an.

Und vielleicht, aber nur vielleicht esse ich sogar auch etwas langsamer.

Grüner shoppen

Trends, von denen ich eher zufällig im Nachhinein mitbekomme, dass es sie überhaupt gegeben hat, sind mir offen gestanden die liebsten. Völlig unaufgeregt kultiviere ich mein Nicht-Wissen und meine Nicht-Teilhabe, während ich den Bekannten beim Wetteifern zuhöre, wer von ihnen der erste gewesen sein will und etwas Bestimmtes schon gemacht oder besessen hat, bevor alle anderen überhaupt Notiz davon nahmen, dass es so etwas überhaupt gibt. Was ja in den allermeisten Fällen sowieso nichts anderes bedeutet als dass der vermeintliche Gewinner einem geschickten Marketing als erstes auf den Leim gegangen ist.

Meine Neigung zur Ignoranz von Trends jedweder Art zeigt sich insbesondere in den Märkten der Mode sowie der Unterhaltungselektronik. Aber auch „Urban Jungle“ hätte ich beinahe verpasst, wenn ich nicht letzte Woche, also etwa eineinhalb Jahre nach Anwerfen der Trendmaschine und resultierendem Ausspucken des Begriffs zufällig in einer wöchentlich in meinem Briefkasten befindlichen kostenlosen Zeitung einen Beitrag zum Thema gefunden hätte.

Jetzt wird sich jeder pseudo-intellektuelle Blogger natürlich als erstes daran abarbeiten, dass schon der Begriff erstens wenig originell und zweitens mindestens irreführend ist. Wer die von Einrichtungshäusern und Pflanzenhändlern zwecks besserer Darstellung dieses Trends komplett durchgestylten Wohnungen begutachtet, ahnt, dass diese perfekt angeordneten Arrangements von der Unübersichtlichkeit sowohl einer Großstadt als auch eines Dschungels in etwa so weit entfernt ist wie meine SGE von der Verteidigung ihres Titels als DFB-Pokalsieger. Zudem fällt auf, wie sehr es in vielen Beiträgen zum Thema primär um die Instagram-Tauglichkeit der eigenen Wohnung geht und erst irgendwann am Rande auch um den Wohlfühlfaktor derselben jenseits dieser Vorzeigbarkeit.

Damit nicht genug, löst der oft einleitende Hinweis, dass Zimmerpflanzen vor „Urban Jungle“ als relativ spießig galten, zusätzliche Irritationen aus. In welcher Blase lebe ich eigentlich? Nicht nur, dass ich erst jetzt mitbekomme, dass Elefantenfuß und Fensterblatt plötzlich so trendy sind, dass sie aus dem großstädtischem Leben nicht mehr wegzudenken sind – ich hatte darüber hinaus nicht einmal mitbekommen, dass sie vorher als spießig verpönt waren.

Vielleicht bin ich resistent gegen Trends, aber ich hätte mich eigentlich vor dieser Modeerscheinung aufgrund meiner Eigenschaft als Zimmerpflanzenhalter nicht als besonders spießig bezeichnet. Jedenfalls als weniger spießig als der Durchschnitt der Bevölkerung oder wenigstens als der Durchschnitt aller Zimmerpflanzenhalter. Gerade auch weil ich weiß: Spießig sind sowieso immer nur die anderen.

Und: Nur weil Gestrüpp in der Wohnung auf einmal angesagt ist, fühle ich mich dagegen auch nicht besonders hip, bloß weil ich schon Bock auf Pflanzen hatte, bevor Urban Jungle um die Ecke kam. Das wäre ja auch noch schöner.

Spießigkeit als neue coolness

Aber ehrlich gesagt verstehe ich sowieso nicht, weshalb an dieser Stelle ein Gegensatz zwischen Spießern und Hipstern aufgemacht wird. Weil sie wie immer an Äußerlichkeiten festgemacht wird, während es sich in Wirklichkeit eher um eine Frage der Einstellung handelt. Natürlich gibt es auch den real existierenden Prototyp des Spießers, der bereitwillig jedes dementsprechende Klischee bedient. Aber nur weil jemand vom Kopf bis zu den Füßen tätowiert ist und – noch(!) – am Nachtleben teilnimmt, bedeutet das nicht automatisch, dass er immun gegen Spießigkeit wäre. Spießigkeit findet im Kopf statt. Findet – zugegeben – manchmal in Äußerlichkeiten seine Bestätigung. Kehrt dann am Ende aber wieder in den Kopf zurück. Deswegen ist eine Rechtsschutzversicherung definitiv spießiger als ein Bogenhanf.

Beispiel: Die Nachbarin fragt mich, ob ich mitbekommen hätte, dass die neuen Nachbarn im Treppenhaus rauchen. Habe ich nicht. Sie auch nicht. Ob sie denn etwas gerochen hätte, will ich wissen. Hat sie nicht. Aber es würde sie stören, wenn sie es tun. Schon klar. Das nenne ich spießig. Dass sich die Nachbarin dagegen wenig bis gar nicht daran stört, wenn ihr eigener Gatte regelmäßig einen Zigarillo anwirft, bevor er von ganz oben nach ganz unten durchs Treppenhaus wackelt, macht die Angelegenheit nicht weniger spießig, ist dafür tendenziell eher mein Humor.

Doch verlassen wir diese Nebenkriegsschauplätze und wenden uns einem ernsthaften Problem zu: Wenn es nämlich jemand gibt, der noch nie ein Problem damit hatte, spießige Gegenstände als trendy zu vermarkten, dann sind das die Homeshopping-Sender, die meine Mutter auf den vorderen Programmplätzen gespeichert hat und den halben Tag lang anschaut. Wer sich jetzt fragt, worin genau nun das Problem bestünde, darf sich glücklich schätzen. Alle anderen kennen die Situation, wenn Mutter stolz ihren letzten Einkauf präsentiert und erwartet, dass man das überteuerte, dafür minderwertige Zeug genauso schick und praktisch findet wie sie.

Es ist ja nicht so, dass ich als Pflanzenfreund nicht sowieso schon genügend Sorgen hätte.

Der schwarze Daumen

Nicht allein, dass ich in meiner Wohnung mehr Platz für Pflanzen habe als Licht dafür hereinkommt.

Nicht nur, dass ich ob der Allgegenwärtigkeit des Themas momentan ständig dazu verführt werde, meinen Pflanzenbestand trotzdem weiter zu erhöhen.

Nicht bloß, dass ich nicht einkalkuliere, dass die Dinger idealtypisch auch noch wachsen, sondern ich im Gegenteil damit rechne, dass mir einiges aus der grünen Vielfalt in der nächsten Zeit eingehen wird. So wie ich bis jetzt noch immer geschafft habe, einige der schönsten Gewächse zwar nicht vorsätzlich, so aber dennoch zielgerichtet und gründlich innerhalb kurzer Zeit zu ruinieren.

Auch dass manchmal die Beschaffung adäquaten Ersatzes mit tierärztlichen Behandlungskosten oder anderen Sonderausgaben konkurriert und mein schmales Budget nicht immer ein Sowohl-als-auch akzeptiert, gehört hierher.

Das alles ist aber noch lange nichts gegen die Mutter aller Probleme: Pflanzen und Katzen auf Kompatibilität zu überprüfen.

Wer versucht, seinen Urban Jungle katzengerecht zu gestalten, kann streng genommen nicht viel richtig machen. Eine Modellrechnung: Unter angenommenen 30.000 verschiedenen Zimmerpflanzen können 15.000 beim Shopping außer Acht gelassen werden, weil sie definitiv giftig sind. Dummerweise sind deswegen nicht alle restlichen 15.000 zweifelsfrei unbedenklich für Sammy und Muschi, sondern nur etwa zehn. Bei den anderen 14.990 herrscht Uneinigkeit. Das Ende vom Lied: Die Konsequenz, mit der man anfangs noch anrüchiges Grün meidet, weicht auf, weil man es irgendwann einfach satt hat, wenn man in drei Katzenforen und zwei Büchern gelesen hat, dass eine Pflanze unproblematisch ist und sich aber kurz nach der letztendlichen Anschaffung dann in einem vierten Forum die Behauptung findet: Ätsch! Doch gefährlich. Man erinnert sich daran, dass der Stubentiger Freigänger ist, war oder werden soll und draußen auch niemand auf das Tier aufpassen kann, konnte oder können wird und er aber trotzdem in 99,99 Prozent aller Fälle gesund nach Hause kommt, kam beziehungsweise kommen wird. Mit folgendem Resultat:

Zu den (bis auf Widerruf) unbedenklichen Pflanzen gesellen sich einige, die man sich guten Gewissens zugelegt hat, bevor irgendein Ketzer auf die Gefahren aufmerksam machte. Weil man aber auch nicht pausenlos sämtliche Freunde mit aussortierten Gewächsen zuscheißen kann und weil den Tieren bis dato auch nichts passiert ist, bleibt nach und nach auch das eigentlich ungenießbare Zeug in der Wohnung. Und damit es dort nicht so allein ist, gesellen sich bald einige wenige Pflanzen dazu, von denen man schon vorher weiß, dass sie unter Umständen schädlich sein können. Schließlich ist es mit der anderen nicht ganz astreinen Ware ja auch schon gutgegangen. Ausgesperrt bleiben also am Ende dieser Rolle rückwärts doch nur die in der Modellrechnung genannten 15.000 stigmatisierten Pflanzen. Selbstverständlich abzüglich der Exemplare, die Mütter irgendwann ´mal bei Homeshopping-Sendern für uns bestellt haben und die garantiert unproblematisch sind, weil die dort ja sicher gesagt hätten, wenn die bedenklich für die Tiere wären.

Ich glaube allerdings mittlerweile, dass es meinen Pauli nicht die Bohne interessiert, wieviel Gedanken ich mir über seine Gesundheit mache. Solange nur ausreichend Zypergras im Haus ist, rührt er sowieso nichts anderes an.

Analog dazu lassen sich sehr wahrscheinlich auch meine Zimmerpflanzen höchstens in geringem Maße davon beeindrucken, welche Pflege ich ihnen zukommen lasse. Ob ich peinlich genau auf angemessene Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Licht, Nährstoff- und Wasserzufuhr achte – die meisten machen ohnehin, was sie wollen. Nicht immer zu meinem Gefallen und manchmal ganz hart an der Grenze, ab der ich am liebsten einfach alles zusammen mit einem Plakat „Zum mitnehmen“ auf die Straße stellen will.

In solchen Momenten wünsche ich mir dann auch, es hätte diesen Trend mit den Zimmerpflanzen tatsächlich nie gegeben.

Wahrheit oder Pflicht

Da nur die allerwenigsten Menschen morgens regelmäßig mit dem Gedanken aufwachen, was sie sich denn an diesem Tag vornehmen könnten zu verändern, ist davon auszugehen, dass das Bedürfnis ernstzunehmen ist, wenn es dann doch einmal so weit ist und man eines Morgens die dringende Notwendigkeit dazu verspürt. Das mag im Falle der Klassiker wie Abnehmen, mehr Sport oder weniger Alkohol zu teilweise schönen Ergebnissen führen, stößt jedoch bereits dort das erste Mal an Grenzen, wo mehr Personen als man selbst von dieser Veränderungsabsicht betroffen sind. Und spätestens wenn es sich bei dem zu ändernden Zustand um eine Angelegenheit aus der Arbeitssphäre handelt, ist das alles nicht nur unangenehm, sondern auch ungemein schwierig zu handhaben. Wenn man mit einem Kollegen absolut nicht kann, gibt es im Prinzip nur zwei Alternativen. Boss zu sein könnte die Sache in unethischer Weise zuungunsten des Antagonisten beeinflussen, würde die Entscheidungsfindung aber wenigstens um ein gutes Stück abkürzen. Doch wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, sind die meisten von uns nicht in dieser Position. Jetzt darf man raten, was alle diese Gedanken mit dem Thema des heutigen Blogeintrags zu tun haben.

Die seinerzeitige Unlust, permanent unbefriedigende Auseinandersetzungen mit einer bestimmten Kollegin aus der Buchhaltung führen zu müssen, hat maßgeblich zur Gründung meines Hüpfburgen-Imperiums beigetragen. Das war 2005. Da ich meinen Geschäftssinn glücklicherweise ansatzweise realistisch einschätzen konnte und also wusste, dass ich meinem Plan mit dem Imperium nicht zu 100 Prozent vertrauen konnte, arbeitete ich trotz dieses Drachens von Kollegin weiter im Lager eines Tonträgervertriebs und kümmerte mich um den Aufbau des Imperiums nur nebenher. Die Hüpfburgen sind längst Geschichte, das dazugehörige Imperium wurde nie realisiert, aber die Episode veranschaulicht, dass ich in Sachen Berufsfindung nicht zu jeder Zeit meines Lebens die glücklichsten Hände hatte.

Der erste Beruf, den ich mir als Kind halbwegs ernsthaft für mein späteres Leben vorstellen konnte, war Briefträger. Und das obwohl mir sowohl die realen Zusteller als auch der nette Onkel Heini in der beliebten Serie „Neues aus Uhlenbusch“ vermittelt hatten, dass der Beruf des Postboten einen vergleichsweise geringen Glamour-Faktor hat. Aber es war bodenständiger als Filmschauspieler, Rockstar oder Fußballtorwart. Feuerwehrmann oder Astronaut hatten merkwürdigerweise nie eine Rolle für den kleinen Micky gespielt.

Konditor war in der achten Klasse aktuell, als die Berufsorientierung in der Gesamtschule bei vielen, die nicht planen konnten, nach der neunten noch weitere Jahre dranzuhängen, auch schon Grundsatzentscheidungen erforderte. Konditor deshalb, weil ein Test des Berufs-Informations-Zentrums bei mir dieses Ergebnis einbrachte und ich mit diesem Resultat besser leben konnte als diejenigen Klassenkameraden, denen der Test den Vorschlag einbrachte, es beispielsweise als Damenschneider zu versuchen. Zur selben Zeit hatte ich meine ersten Gehversuche in BASIC auf dem Commodore 64 gemacht und war auf dem besten Weg, selbst geschriebene Software mittels Kleinanzeigen zu vermarkten. Da ich heute weiß, dass ich mich stets nur mit Sachen an die Öffentlichkeit gewagt habe, die wirklich reif sind, können die so schlecht nicht gewesen sein, auch wenn es halt nur BASIC auf dem C64 war.

Was wäre wenn…

Auch wenn mit meiner Affinität zu Computern alle ganz gut hätten leben können, hatte mein Klassenlehrer, in seltener Übereinstimmung mit meinen Eltern übrigens, bereits andere Pläne mit mir: Etwas Kaufmännisches, am besten bei einer Bank. Das waren damals die erstrebenswerten Jobs. Und niemand, am wenigsten ich selbst, dessen Interessen sich im weiteren Verlauf der jugendlichen Selbstfindung bald erneut radikal änderten, konnte ahnen, dass ich Jahrzehnte später tatsächlich einen kaufmännischen Abschluss in der Hand halten sollte. Weil bekanntlich viele annehmen, Lageristen würden den ganzen Tag hauptsächlich uninspiriert Paletten durch die Gegend rangieren, geht in der öffentlichen Wahrnehmung nämlich gern unter, dass Fachkraft für Lagerlogistik ein kaufmännischer Abschluss ist. Nicht dass ich mir besonders viel darauf einbilde, aber unterschlagen wollen wir es dennoch nicht. Überhaupt muss man wohl festhalten, dass das Bild von einem Lageristen tendenziell geprägt davon ist, dass alle denken, das könne man selbst auch gerade noch.

Das ist auf der einen Seite wahr, weil viele Tätigkeiten aus unserem Arbeitsalltag beileibe kein Hexenwerk sind. Man muss auch klar sehen, dass ich überhaupt gar nicht als Aushilfe im Lager begonnen hätte, wenn die Leute das nicht grundsätzlich jedem zutrauen würden. Auf der anderen Seite habe ich im Laufe der Jahre genügend Menschen als lebende Beweise kennenlernen müssen, dass man wirklich nichts mehr voraussetzen kann.

Also kann man durchaus einmal die Frage stellen, was heute in meinem Lebenslauf stünde, wenn ich mich damals ebenfalls angestellt hätte wie die Henne zum Pissen. Weiter gesponnen: Was, wenn die Chefin den Anmerkungen zu meinem als problematisch zu bezeichnenden Alkoholkonsum anders als mit dem Konter „Und Ihr glaubt, dass Ihr bessere Arbeit leistet, weil Ihr nur kifft“ begegnet wäre?

Was wäre, wenn sie nicht irgendwann gegen Ende meines Studiums gesagt hätte, dass sie mich mit Kusshand in Festanstellung nehmen würde?

Was wäre, wenn ich daraufhin gezwungen gewesen wäre, mir einen Job zu suchen, der mehr mit meinem Studienabschluss zu tun hat? Was wäre, wenn ich darüber hinaus den Mut gehabt hätte, bei der Stellensuche auch Angebote in Betracht zu ziehen, die mich zu einem Umzug in eine andere Stadt genötigt hätten? Überhaupt: Was wäre eigentlich gewesen, wenn die eine Bewerbung erfolgreich gewesen wäre, die ich im Bemühen um eine Ausbildungsstelle als Buchhändler abgeschickt hatte, nachdem mir zu Beginn des Politologie-Studiums nicht ganz klar war, ob es das ist, was ich will? Oder wenn ich, als die Absage auf diese eine Bewerbung mich zum Weiterstudieren veranlasst hatte, einmal ansatzweise ernsthaft studienbegleitend meinen eigentlichen Berufswunsch Journalist verfolgt hätte? Die für diesen Beruf eigentlich erforderliche Kommunikationsbereitschaft kann man sich auch antrinken, wie ich irgendwann als freier Mitarbeiter für die Redaktion Sport der lokalen Tageszeitung schnell feststellen konnte. Und so viel schlechter als bei Briefzustellern oder Lageristen würde auch der Glamour-Faktor bei Journalisten kaum sein können.

Ich stelle diese Fragen nicht, um voller Groll verpassten Chancen nachzutrauern. Schon gar nicht um der Behauptung willen, mit anderen Entscheidungen unter Umständen heute ein glücklicherer Mensch sein zu können. Sondern einfach um aufzuzeigen, dass ich bei meinen Entscheidungen im Zweifel immer den Weg des geringsten Widerstandes gegangen bin. Ich weiß nicht, was wäre, wenn ich an irgendeiner Stelle im Lebenslauf einmal anders abgebogen wäre und die mutigere Entscheidung gewählt hätte. Auch niemand sonst kann das von sich mit Sicherheit, sondern bestenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit wissen.

Eigentlich schade angesichts des Erfahrungshintergrundes, dass Dich ein einziger Kollege Jahre Deines Lebens kosten kann und Du deswegen eines Morgens aufwachst und das dringende Bedürfnis verspürst, dass sich etwas ändern muss.

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