Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: März 2017

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

„Wenn Du sprichst, sollten Deine Worte besser sein, als Dein Schweigen gewesen wäre“, lehrt uns ein Sprichwort. In Offenbach würde man das vermutlich weniger diplomatisch ausdrücken. Sondern etwa so: „Wenn Du nichts zu sagen hast, halte besser die Fresse!“

Gleich, ob poetisch oder brachial umschrieben – jahrzehntelang habe ich nach dieser Maxime gelebt. Für einen etwas längeren Abschnitt in meinem Leben konnte ich diesem Problem geschickt ausweichen, indem ich mittlere Mengen Apfelwein oder Bier trank und mein Sendungsbewusstsein mit der eingenommenen Menge anstieg. Daß dann allerdings die Worte immer besser waren als mein Schweigen gewesen wäre, vermute ich eher nicht. Auch ist nicht überliefert, ob die Leute das überhaupt hören wollten oder nicht. Oder ob sie mich überhaupt noch verstehen konnten.

Im Grundsatz unterschreibe ich auch heute noch, daß nach außen kund getane Informationen eine gewisse Relevanz für den Empfänger der Botschaft besitzen sollten. So wie es mir wahrscheinlich als Kleinkind beigebracht wurde. Zweitrangig, ob beabsichtigt oder nicht. Aber mit zunehmendem Alter übe ich mir gegenüber diesbezüglich mehr Nachsicht. Sprich: ich passe mich der Mehrheit an, für die Klappern schon seit ehedem zum Handwerk gehört und sich demgemäß auch verzeiht, wenn der Gehalt des Dargebotenen nicht gleich preisverdächtig ist.

Zur Bescheidenheit als alleiniger ethischer Grundausrichtung gesellt sich jetzt Strategie. Nicht mehr: Wer es sehen will, was ich kann, bemerkt das schon. Das ist natürlich ein aller Ehren werter Leitsatz, verkennt aber die Vielzahl derer, die es eben doch übersehen. Zwar weiß ich nicht, wie es mir dort gefiele, wo ich heute stünde, wäre ich schon früher nur ein bißchen offensiver und marktschreierischer aufgetreten. Dafür ahne ich heute, wie unbegründet meine Angst vor diesem Wo und dem dazugehörigen Was die ganze Zeit war.

Theoretisch. Abstrakt. Nachdenkenswert.

Da ich in jenen jüngeren Jahren genügend Freunde, Weggefährten, Mentoren hatte, die mir mehr zugetraut haben als ich mir selbst, hätte ich es früher wissen können, ja müssen. Vielleicht habe ich mehr Chancen liegen lassen als Du-Ri Cha während seiner gesamten Zeit bei Eintracht Frankfurt. Doch soll dieser Text nicht geschrieben werden, verpassten Chancen nachzutrauern, sondern Mut zu machen, Versäumtes nachzuholen.

Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass man dich fragt!

Ein Abend im Sommer 2009. Wir sitzen im Außenbereich einer Schankwirtschaft in relativer Nähe der Adresse, in der sich vor einem halben Jahr noch unser Hauptquartier befand. Mein ehemaliger Chef orakelt gerade etwas von Projekten. Was ja nichts anderes bedeutet als: nichts, womit sich kontinuierlich Geld verdienen lässt. Viele der in dieser Runde Anwesenden haben ihre Projekte. Andere sind nach der Insolvenz des Unternehmens, das uns zusammengebracht hat, bereits wieder in Lohn und Brot. So auch ich.

Mich hat aber den ganzen Abend lang nur ein einziger der Ex-Kollegen gefragt. Während die anderen denen gelauscht haben, die von ihren Projekten berichteten. Immerhin war es zu jener Zeit auch schon nicht selbstverständlich, daß, sagen wir zum Beispiel, die Familie meiner Gattin sich nach meinem Job erkundigt. Man kann also nicht behaupten, ich sei gekränkt gewesen deswegen. Schließlich war ich es gewohnt. Und doch ging mir ein Licht auf. Die Leute schenken Dir Beachtung, weil Du laberst. Nicht weil Du da bist oder weil Du zufällig Teil der gleichen Gemeinschaft bist. In kleinen Betrieben gern ebenfalls als Familie bezeichnet. Was ja oftmals nicht ganz unzutreffend ist. Das nebenbei. Hätte ich es nicht spätestens seit damals an jenem Abend im Sommer wissen können, ja müssen?

Ich hätte mich vielleicht einfach mal nach getaner Arbeit jeden zweiten Abend ächzend und stöhnend auf die Couch fallen lassen sollen, damit zuhause bemerkt wird, daß ich nicht nur auf die Arbeit gehe und irgendwann zurückkomme und niemand weiß, was dort in der Zwischenzeit passiert ist. Weil nichts oder wenigstens nicht viel passiert ist. Seit meiner Zeit in der Firma, welche die an jenem Abend im Sommer Versammelten als Schicksalsgemeinschaft zusammenbrachte, weiß ich, daß es solche Jobs gibt. Zur Not auch geschaffen werden, wenn ´mal wieder jemandem ein Gefallen getan werden soll. Da wir mit elektronischer Musik handelten und fast die komplette Belegschaft sich aus der an Selbstdarstellern gewiss nicht armen Szene rekrutierte, war ich als Milieufremder einer von wenigen, dessen Wert für die Firma sich ausschließlich in der geleisteten Arbeit darstellte.

In dieser Eigenschaft wollte ich es mir nicht leisten, mich in ähnliche Verlegenheit zu bringen wie der Kollege, der umgeknickt ist, weil ihm der Fuß eingeschlafen war. Während er beide Füße während des Telefonierens auf dem Tisch liegen hatte. Und beim Aufstehen ist es geschehen. Ein ganz normaler Arbeitsunfall eben, wie er auf der Welt jeden Tag zigfach exakt so passiert.

Spätestens jetzt sollte ich erwähnen, daß Handlung und handelnde Personen selbstverständlich frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen rein zufällig sind.

So also auch die Kollegin, die mit ihren sinnlosen Vorschlägen nicht weniger als die Firma zu retten vorgab. Im Grunde war ihr Arsch das einzige, das diese Frau retten wollte. Und trotzdem stand sie besser da als wir Kollegen im Lager, weil wir lieber umsetzten statt herauszuposaunen. Aber das ist wenig spektakulär. Und kein Spektakel, keine Beachtung.

Da wir alle weniger zu tun hatten, hätte sie zuhause bleiben und jemand anderes ihren Job noch miterledigen können. Damit wäre der Firma wahrscheinlich mehr geholfen gewesen als mit allen anderen Vorschlägen. Am Ende aber war da so oder so nichts mehr zu retten. Der sich verändernde Markt. Beratungsresistente Geschäftsführer. Trümmer ohne Neuaufbau. Besagte Kollegin stand danach auch nicht besser da als wir alle. Doch eigentlich hätte ich es seit dieser Zeit schon wissen können, ja müssen.

Und dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bis mir die bisher größte Enttäuschung meines Lebens unter anderem unmissverständlich lehrte, daß die beschriebenen Mechanismen in privatem Zusammenhang ungefähr genauso funktionieren. Auch hier Trümmer. Aber Neubesinnung. Neuaufbau. Dazu ein Schwur: Nie wieder will ich das Urteil, das andere Leute sich über mich machen, derart unkontrolliert dem Zufall überlassen, weil ich irrigerweise annehme, daß die Taten schon für sich sprechen werden.

Ab sofort wird so gelebt, daß man mich fragt. Und wenn es dazu notwendig ist, mehr zu reden, dann mache ich das eben.

Ich habe schließlich schon Schlimmeres überstanden.

Humorvoll, selbstbewusst, erfolglos

Sollte es jemals mehr als ein Gerücht gewesen sein, daß man Frauen mittels Humor beeindrucken könne – mein Aktionsradius, im großen und ganzen also das Stadtgebiet von Offenbach, wäre eine Sondererscheinung. Eine Insel, die Ausnahme von der Regel, wo diesbezüglich alles nicht gilt, was für den Rest der Welt normal ist.

Natürlich habe ich lustige Pärchen im Freundes- und Bekanntenkreis, das ist es nicht. Es ist diesmal auch nicht die sonst gern beleidigte Leberwurst, weil ich nicht schon längst wieder zu zweit bin, obwohl ich mich selbst doch als einen äußerst humorvollen Menschen kenne und schätze. Gut, die letzten paar Jahre gelang es mir ganz gut, meine witzige Seite nicht allzu sehr in den Vordergrund zu spielen, aber das soll hier jetzt nicht ablenken.

Die Vielzahl an erkennbar humorlosen Männern jedenfalls, die mir im Laufe einer ganz normalen Woche zufällig begegnen, lassen nur den einen Schluss zu: dass nämlich die Behauptung, Humor sei sexy, eine offensichtliche Lüge ist in der Propagandaschlacht zwischen Männern und Frauen um die geringere Oberflächlichkeit. Andernfalls dürften von denen nicht so viele in Beziehungen leben.

Wer seinen Wocheneinkauf ebenfalls samstags erledigt und einmal die Paare beobachtet hat, weiß was ich meine. Sicher beschreibe ich mit dem Einkaufen mit der Partnerin eine Extremsituation, aber dem Thema seriös angenähert, sind es wohl eher die Frauen, die Humor benötigen, und zwar sogar jede Menge davon, um das Zusammenleben mit solchen Männern auf Dauer auszuhalten. Umgekehrt laufen natürlich auch jede Menge Frauen frei herum, deren Stimmung wiederum kaum auszuhalten ist. Denen schon ins Gesicht geschrieben steht, daß man ihr bloß nicht mit einem locker-lustigen Spruch kommen darf.

Ich bekenne: ich habe mir das ein oder andere Video mit Flirt-Tipps angesehen. Ich gebe zu: auf Youtube, wo die Experten Lösungen anbieten, die erstens garantiert und zweitens sofort wirken. Die uninformierte Masse möchte hochkomplexe Themen offenbar auf einen Beitrag unter fünf Minuten Länge reduziert konsumieren. Ich weiß: das alles ist gemacht für Leute, die knapp 30 Jahre jünger sind als ich. Trotzdem. Und: Weil ja alles mit allem zusammenhängt, habe ich darüber hinaus jede Menge über Persönlichkeitsentwicklung und Wirkungskompetenz geschaut. Ich gestehe: sogar hin und wieder ein Buch zu Teilaspekten dieser Themen gelesen zu haben.

Genau genommen lese ich seit zwei Jahren kaum anderes mehr.

In einem dieser Bücher hieß es zum Beispiel: Langsam ist sexy. Ich hatte es kürzlich in der Arbeitspause vor mir liegen und einer Kollegin vorgelesen, welche meinen Verdacht auch umgehend bestätigte: noch so ein Gerücht. Um die Theorie nicht vorschnell Daumen senkend abzuurteilen, habe ich gedanklich die Anziehungskraft einiger langsamer Menschen noch einmal überprüft. Da ich mich ja auf der Arbeit befand, fiel mir die Suche nach Beispielen auch nicht außerordentlich schwer. Sicher reicht diese Beobachtung nicht aus, zu sagen: Beweisführung abgeschlossen, langsam ist nicht sexy. Als einen ersten Fingerzeig in diese Richtung möchte ich das jedoch schon gewertet wissen.

Das Selbst und das Bewusstsein

Großen Raum nimmt bei dem Prozess der Reifung einer Persönlichkeit der gesamte Komplex rund um Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl ein. Eine sorgfältige Abgrenzung all dieser Begriffe spare ich mir, um den Rahmen dieses Beitrags nicht komplett zu sprengen. Meine Texte sind auch so schon immer zu lang. Weil die meisten Youtube-Koryphäen diese Begriffe ebenfalls sorglos synonym verwenden, um ihre Zuschauer nicht zu überfordern, macht es auch nicht unbedingt etwas aus. Trotz allem ist das Thema Selbstsicherheit zentral.

Und ich muss feststellen: Obwohl ich zahlreiche dieser Youtube-Experten angesehen habe, hat mir das bis jetzt nicht zum Nachteil gereicht. Wenn man den ganzen Quark nämlich nicht als Dogma, sondern als Inspiration betrachtet und sich daraus das für sich beste heraussucht, kann man sich tatsächlich weiterentwickeln, ohne Gefahr zu laufen, irgendwann selbst wie die Mentoren zu reden: mit nur angestrengt klarer, dafür übertrieben melodiöser Stimme sowie stark rudernden Armen, was dann als natürliche Gestik bezeichnet wird.

Ich will es nicht schlechter machen, als es ist. Viele sind großartig, wissen Bescheid und können die Materie angemessen ´rüberbringen. Aber manche sind einfach schlecht.

In den meisten dieser Beiträge geht es nämlich um das bloße Zurschaustellen von Selbstbewusstsein, also dem ungefähren Gegenteil von echtem Selbstbewusstsein. Die Angst vor Beurteilung durch andere abzustellen, mag im Einzelfall auch mithilfe solcher Taschenspielertricks sehr hilfreich sein, kann im Extremfall jedoch dazu führen, daß ein problematisches Persönlichkeitsmerkmal durch ein anderes ersetzt wird.

Die Gefahr besteht jedenfalls, daß durch derartige Tipps das in unserer Gesellschaft ohnehin schon zu weit verbreitete Blendertum weiter zunimmt. Man muss dabei immerhin zugestehen, daß genau das auf wenigstens einen Teil der Frauenwelt ganz klar die Wirkung nicht verfehlt. Bei denen, die schlau genug sind, das Spiel zu durchschauen, und aber über ausreichend Humor verfügen, um wenigstens eine Zeitlang darüber hinwegzusehen. Und bei der anderen Gruppe, die auf solche und ähnliche Weise beschissen werden will. Die sich auch bei jedem noch so abgenutzten Kompliment einbildet, der Kerl hätte sich das in genau diesem Moment nur für sie ausgedacht.

Auf sehr ähnliche Weise kommen manche Leute zu gut dotierten Jobs. Und vergessen sobald sie ihn haben, mit den Anforderungen, die er mit sich bringt, zu wachsen. Resultat: daheim sind sie die Könige, weil sie ja besagten Job haben. Auf der Arbeit sind sie die Hanswurste, weil sie nichts auf die Kette bekommen und den Posten für fähigere Leute blockieren.

Die Dummen und die anderen

Und falls jemand auf die Idee kommt, ihnen zu sagen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt – kein Problem, auch dafür gibt es kurze und knackige Antworten. Dann heißt es: „Lass´ Dir Deine Erfolge nicht schlechtreden!“ Oder, als ob die Aussage durch Verwendung von Kraftausdrücken richtiger würde: „Gib´ einen Fick auf das, was andere sagen!“ Logisch muss man bei allem vorsichtig sein, was andere über einen urteilen. Aber ich kann das doch nicht zum Programm erheben! Ohne jegliche Fähigkeit zur Selbstkritik plus Verweigerung der entsprechenden Rückmeldungen durch andere – was für eine Sorte Mensch soll auf Dauer dabei herauskommen?! Wenn es nicht gelingt, die eigenen Aktionen einzuordnen, bleibt dabei übrig: ich baue in einer Tour Scheiße, bekomme das auch exakt so gesagt, aber weil ich dem Youtuber mehr traue als den Leuten aus meinem Umfeld, mache ich genau so weiter. Weil: ist mein Ding, das bin ich! Authentizität ist ja auch so ein Gimmick aus dem Zauberkasten der Persönlichkeitsentwicklung. Fast niemand kann es unfallfrei aussprechen, aber missverstehen können es fast alle.

Um es korrekt einzuordnen: das Phänomen ist nicht so neu und existiert mitnichten erst seit der Möglichkeit, solche Dinge im Netz nicht nur schnell zu verbreiten, sondern im Zweifel damit auch noch Geld zu verdienen. Die Dummen praktizieren das schon immer so. Während die anderen voller Zweifel sind.

Ein ähnlich lautendes Zitat des Altmeisters Charles Bukowski habe ich mir auf ein T-Shirt gedruckt. Letzten Sommer. Also nach knapp 30 Jahren des Aufregens über diesen Menschenschlag. Wurde Zeit. Allerhöchste sogar.

Mit solchen ärgerlichen Randerscheinungen ist beim Thema Persönlichkeitsentwicklung naturgemäß genauso zu leben wie mit dem Umstand, daß eine Mehrheit das nicht zum Selbstzweck betreibt, sondern wofür es erfunden wurde: die wie auch immer geartete Karriere voranzutreiben. Dennoch halte ich fest: Allein schon in aller Deutlichkeit die Möglichkeit aufgezeigt bekommen zu haben, meinem Leben eine andere Richtung zu geben, kam für mich zum genau richtigen Zeitpunkt. Auch jenseits von Karrierestreben konnte ich Anstöße finden, mich auf diesem oder jenem Gebiet verbessern zu wollen. Schlussendlich will ich ja auch nach knapp 30 Jahren der Suche endlich eine Nische finden, welche die Gesellschaft hoffentlich für mich bereitzuhalten imstande ist. Auch wenn ich mich trotz fehlender Erfolgserlebnisse in flirt-technischer Hinsicht zur Zeit wirklich nicht beschweren kann – es wäre verschwendetes Potential, wenn es an dieser Stelle zu Ende wäre.

Obwohl nach einiger Zeit intensiver Beschäftigung in Theorie und Praxis auf diesen Gebieten nicht mehr allzu viel bahnbrechend Neues zu erwarten ist, werde ich mir auch in Zukunft noch das eine oder andere Video dazu ansehen. Selbstverständlich mit der gebotenen Mischung aus Faszination und Skepsis. Und mit einer Prise meines mir eigenen Humors. Selbst wenn es mich bei den Frauen nicht sofort und garantiert weiterbringt. Da gebe ich schließlich einen Fick drauf.

Vorsicht, Musik!

Du hast doch schon so viele.“

Eine angemessene Erwiderung auf diese gängige Reaktion von Müttern und Ehegattinnen in Bezug auf einen umgesetzten oder auch erst bloß geäußerten Wunsch zur Vervollkommnung der Sammlung an Tonträgern ist mir bis heute nicht eingefallen. Man lebt diesbezüglich einfach in unterschiedlichen Welten. Dem direkten Vergleich mit einem fanatischen Sammler, bei dem schon Statiker die Wohnung auf Tragfähigkeit der ganzen Platten begutachten müssen, habe ich mich auf der anderen Seite niemals stellen wollen. Wenn von einem Künstler womöglich sechs unterschiedliche Platten mit allerdings allesamt identischen Aufnahmen besessen werden müssen, wäre die Frage, ob man denn das wirklich brauche, nämlich eher angebracht als bei meiner eher willkürlich zusammengewürfelten Anhäufung an CDs und Vinyls.

Wie so oft im Leben befinde ich mich in der Situation, von keiner der beiden Seiten wirklich ernst genommen zu werden.

Analog dazu verlieren sich die sechs Titel, die ich in Woche Zwei meines selbstauferlegten Entrümpelungsprogramms für die Entsorgung nominiert habe, im Wettstreit der Redensarten ebenfalls irgendwo zwischen „macht den Bock nicht fett“ und „Kleinvieh macht auch Mist“.

Viel mehr war auch deswegen nicht drin, weil die letzte kritische Überprüfung gerade zwei Jahre zurückliegt. Etwa den gleichen Zeitraum davor war der größere Einschnitt: als ich nämlich seinerzeit meine Teilzeit-Karriere als Schallplattenalleinunterhalter beendete, habe ich als eine der Sofortmaßnahmen den Giftkoffer aufgelöst: Schlager und Artverwandtes, das bei der Fassenacht, etlichen Hochzeiten und auch bei so mancher Stadtjugendring-Disco unentbehrlich gewesen war – weg damit! Über Geschmack lässt sich nämlich sehr wohl streiten, auch wenn die Redensart wohl gemeinhin andersherum gebraucht wird und wohl bedeuten soll, daß bei einem Streit nur kein Ergebnis zu erwarten ist. Aber nach so manchem Abend mit so mancher Diskussion und der Erfahrung, mit welcher Vehemenz manche Menschen ihren persönlichen Musikgeschmack zu einem allgemeingültigen Standard überhöhen, kann ich nicht einfach ohne zu lügen behaupten, es ließe sich nicht drüber streiten.

Geblieben ist – nebenbei – die Erkenntnis: Wenn man, so wie ich, diesen Job auch deswegen macht, um bei einer Party nicht permanent reden zu müssen, dann bekommt man diesen Zahn rasch gezogen.

Was die angesprochenen geschmacklichen Entgleisungen betrifft, war ich verständlicherweise erleichtert, als ich diese in die Tonne treten konnte in der Gewissheit, sie nie wieder zu benötigen. Wenigstens an diesem Punkt kann ich unumwunden sagen: bereut habe ich bis heute nichts davon.

Und noch weniger als das Entsorgen solcher Manifestationen des schlechten Geschmacks habe ich bereut, überhaupt mit dem Auflegen aufgehört zu haben. Nachdem nämlich so ziemlich jeder mit jedem fleißig die mit Musik-Dateien übervollen Festplatten untereinander ausgetauscht hatte, war eine der nicht nur nebensächlich zu bezeichnenden Voraussetzungen für diesen Job einfach so weggefallen: das Vorhandensein einer vorzeigbaren Sammlung an Tonträgern, die der Besitzer und Benutzer auch kennt und überschauen kann. Auf der anderen Seite war ich ja kein DJ, habe mich auch nie so bezeichnet, sondern immer gesagt: ich bin bloß derjenige, der sich kümmert, daß zu jedem Zeitpunkt der Veranstaltung die passende Musik gespielt wird und daß der jeweils nächste Titel ansatzweise zum gerade gespielten passt.

Was übrigens das Vorhandensein einer gewissen Dramaturgie ausdrücklich nicht ausschloss. Und eine Dramaturgie verstehen bedeutet, daß man nicht um 20.30 Uhr alles Pulver verschießt und den heißesten Scheiß bringt, der für halb zwölf gedacht ist. Halb zwölf heißt ja auch meistens: daß diejenigen die Bildfläche bereits verlassen haben, die ohnehin nicht getanzt hätten. Die auch um 20.30 Uhr nicht getanzt hätten, selbst wenn ich ihrem Vorschlag entsprechend um 20.30 Uhr den heißesten Scheiß gespielt hätte. Die aber an guten Ratschlägen nicht gespart haben, was als nächstes zu spielen wäre. Scheißjob! Wieso kann ich nicht wie jeder andere auch mit Ballonmodellage oder etwas Vergleichbarem nebenher mein Geld für neue Platten verdienen?!

Alles hat ein Ende

Wie auch immer: Daß ich also einerseits die Sammlung an mehr oder weniger geschmackvoll ausgesuchter Musik nicht mehr so exklusiv wie vorher hatte und andererseits das Handwerk eines echten DJs niemals beherrscht hatte, hat zwar für gelegentliche Aufträge gereicht, nicht aber meinen persönlichen Ansprüchen an eine solche Aufgabe genügt. Zudem musste ich bemerken, wie zunehmend mehr Leute ihr mitleidiges Grinsen nicht mehr verbargen, weil ich immer noch Plattenkoffer schleppte. Mir dämmerte, daß ich mich erneut wie schon so häufig in meinem Leben in der Situation befand, von beiden Seiten nicht wirklich ernst genommen zu werden. Und irgendwann war dieses Thema dann einfach durch. Und ich hätte zu meinem Ausstand gut auf solcherlei Bestätigungen verzichten können, aber irgendwie wurden an diesem einen letzten Abend beinahe sämtliche Tiefpunkte der gesammelten Erfahrungen im Zeitraffer wiederholt:

Angefangen bei extrem unkooperativen Wirtsleuten, die meine Ausrüstung schlechtredeten und von ihrer tollen Anlage schwärmten, die selbstverständlich einzig und allein von ihrem Haus-und-Hof-“DJ“ angerührt werden darf. Aha, angepisst, weil sie ihn diesmal nicht vermitteln konnten.

Als sich nach dem Essen die Feier langsam entkrampfte und also für mich der Abend begann, dauerte es keine zehn Minuten bis mich der erste anraunzte: Leiser! Man wolle sich unterhalten. Erwartungsgemäß kam dann nur wenig später der nächste, dem das alles viel zu leise war. Zwischen diesen beiden Gruppen ist erwiesenermaßen wenig Spielraum für Kompromisse. Ich überlegte kurz, mir an meinem letzten Abend den Spaß zu gönnen, je nach Aufforderung tatsächlich leiser und wieder lauter und wieder leiser zu machen. Doch am Ende galt wie immer: wer zahlt, bestimmt, also Feuer frei!

Mit Reaktionen wie „Willst Du, daß die Leute alle gehen?“ kann man ja inzwischen umgehen. Das ist keine Frage, auch kein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung meiner Performance, sondern eine Provokation, und Provokationen verdienen gar keine Antwort. Kopfhörer auf und den folgenden Rest ignorieren.

Selbst der absolute Klassiker aller Sprüche fiel an diesem Abend. Der Spruch, auf den jeder wartet, nämlich „Spiel´ ´mal etwas Tanzbares!“ Die gedachte Best-Of-Antwort: „Man kann sich drüber streiten, ob das Zappeln, das einige hier gerade praktizieren, die Beschreibung Tanz verdient, doch Fakt ist, daß sich bereits Menschen zum Rhythmus der Musik bewegen.“

Nichts wird ausgelassen, auch einer von denen, die alles besser können und wissen, kam noch auf einen Plausch vorbei und riet mir kumpelhaft: „Soul käme jetzt nicht schlecht.“ Da einige der Gäste gerade im Begriff waren, zu Klängen von AC/DC die Hütte abzureißen, wäre das so mit das schlechteste gewesen, was ich hätte tun können. Es sei denn, die Formierung eines Lynchmobs wäre das erklärte Ziel gewesen. Ich beschloss, meinen letzten Abend nicht am nächstbesten Baum aufgeknüpft enden zu wollen. Die unausgesprochene Top-Antwort in diesem Fall: „Richtig!“

Jahre später weiß ich die Ballonmodellage wirklich zu schätzen. Das findet zu familien-, in meinem Fall also hundegerechten Zeiten statt. Auch da wird der Ton gelegentlich ruppig, wenn Papa noch zwanzig andere vor sich in der Reihe sieht. Da wird vor allem wenn es gegen Ende „Bitte nicht mehr anstellen“ heißt, geflucht und gemeckert. Da gibt es auch ´mal einen Spruch wie „und da gibt es Leute, die können das richtig schnell“.

Aber: Da sind nicht so viele, die es besser können. Noch besser: Da sind nicht so viele, die sich bloß einbilden, es besser zu können. Konsequenz: Da gibt es selten jemand, der mir sagen will, wie ich meinen Job zu machen habe.

Vor allem aber auch: Einmal nicht wie sonst im Leben zwei Seiten, ich dazwischen und von keiner der beiden wirklich ernst genommen.

Weniger ist weniger

So prägend meine aktiven Jahre in der kirchlichen Jugendarbeit vielleicht gewesen sind – ein besonders religiöser Mensch bin ich dadurch sicher nicht geworden. Und ich denke, am Ende konnten und können damit beide Seiten ganz gut leben. Einmal wurde es brenzlig, aber Taufpate durfte ich eigenartigerweise auch ohne Konfirmation werden. Wozu es zwei Hypothesen gibt: Entweder wurde das gar nicht geprüft oder die hatten Angst, daß mein Bruder die Situation eskaliert, wenn sie mich nicht zulassen. Das Kopfkino spielt hierbei das beste Programm für diejenigen, die den Mann kennen. Allen anderen sei ans Herz gelegt, sich eine Bache bei der Verteidigung ihres Nachwuchses vorzustellen, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie das bei ihm in etwa aussehen würde. Ob das eine oder das andere der Grund war – die Wahrheit werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr erfahren. Und danach dürfte ich andere Sorgen haben.

Meiner streng ungläubigen Haltung entsprechend begann dann auch die Fastenzeit in der Vergangenheit auch ohne größeren Enthusiasmus meinerseits. Und endete irgendwann auch wieder, ohne daß ich es überhaupt großartig registriert hätte. Was weniger daran lag, daß ich keinen Anlass gehabt hätte, lohnenden Verzicht zu üben, als mehr daran, daß ich das für mich in diesem Rahmen einfach nicht als Option gesehen habe. Wenn überhaupt Religion, dann Eintracht Frankfurt. Und weil diese die Rückrunde im Frühjahr bekanntlich beinahe traditionell versiebt, habe ich über all die Jahre irgendwie ungewollt doch teilgehabt an der Fastenzeit. Wie gewohnt schießen die Riederwälder weit übers eigentliche Ziel hinaus, indem sie schon vor dem eigentlichen Beginn des Fastens gut vorlegen. Es stellt sich jetzt lediglich die Frage, wo ich bei der Sache nun bleibe.

Eigentlich habe ich inzwischen zum Weglassen gar nicht mehr so viel Auswahl. Süßes und Fruchtgummi habe ich seit einem knappen halben Jahr reduziert. Weniger geht nicht, also will ich nicht, Punkt, keine Diskussion. Rauchen hat sich vor 1,5 Jahren erledigt, an Alkohol habe ich vor 16 Jahren schon erfolgreich einen Haken gemacht. Farmerama spiele ich seit knapp zwei Jahren nicht mehr, fern sehe ich ohnehin fast nur noch als Ritual mit dem Hund.

Kann ja wohl nicht so schwierig sein, etwas zu finden das mir auch wehtut. Ich könnte ja auf Dinge verzichten, die ich bereits besitze. Also entrümpeln bis der Hase kommt. Sieben Wochen lang. Jeden Tag ein Teil. Für jemand wie mich eine ziemliche Herausforderung, da ich ja so ziemlich alles sammle, was mir in die Quere kommt: Tonträger, Bücher, Playmobil, Schlümpfe, um nur einige Beispiele zu nennen, die nicht gar zu peinlich sind. Schließlich könnte ja unter meinen Leserinnen meine potentielle nächste Herzdame sein, da sollte ich bezüglich solch sensibler Informationen der Formel „Weniger ist mehr“ folgen.

Natürlich entspräche es meinen ethischen Überzeugungen eher, durch ein wie auch immer geartetes Fasten auch meinen ökologischen Fußabdruck zu verringern, aber man soll ja klein anfangen. Wenn also die Formel Neuanschaffungen minus Ausmusterungen aufgeht, habe ich am Ende der sieben Wochen – richtig: weniger als vorher. Auch wenn alles wie eine nach dem Zufallsprinzip getroffene Entscheidung nicht nur klingt, sondern auch ist – klingt gut und machbar. Ich bin dabei!

Augen auf beim Wegwerfen

Nun bin ich ja mit Entrümpelungsaktionen nicht unerfahren und weiß daher: Nicht übertreiben mit dem Aufräumen und die dabei drohenden Gefahren nicht übersehen, sonst geht es mir noch einmal wie einst mit meiner Jacke, die wir aus dem Altkleidercontainer wieder herausfischen mussten, weil in der Tasche noch 900 Euro waren. Was uns nur unter Zuhilfenahme eines zufällig vorbeikommenden unschuldigen Kindes gelang, das von seinem ebenso unschuldigen Vater festgehalten wurde, als es halb im Container hing. Als hilfreich hat sich auch erwiesen, daß in Offenbach praktisch immer Sperrmüll ist, selbst wenn kein entsprechender Abholtermin bekannt ist, denn aus dem neben dem Container stehenden Wäschetrockenständer ließ sich ein Stück festen Drahts wunderbar als Angel zweckentfremden. Dieses Recycling auf Offenbacher Art erscheint mir auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand als die sozialverträglichere Variante, an das Geld zu gelangen. Andere hätten den Container vermutlich aufgesprengt.

Also lieber klein anfangen mit dem Aufräumen und dabei nichts überstürzen.

Trotzdem habe ich aus dem Stand sechs Bücher gefunden, die ich doch nicht mehr zu lesen gewillt bin. Darunter zum Beispiel „Mentales Nichtrauchertraining“. Auch wenn es nicht nach diesem Ansatz geschehen ist, hat sich dieses Thema – siehe oben – bereits erledigt. Das kann weg, ohne daß ich es irgendwann bereue. Natürlich habe ich dennoch kurz überlegt. Könnte ja sein, daß ich wieder anfange und erneut aufhören will. Oder daß ich den Teil mit dem Mentaltraining vielleicht irgendwann nochmal lesen möchte, um es auf andere Bereiche zu übertragen. Doch waren es nicht stets exakt diese zwei Uneindeutigkeiten „eventuell“ und „irgendwann“, die mich veranlassten, dieses oder jenes überhaupt anzuschaffen? Und später den Ausschlag in Richtung Behalten gaben, wenn sich die Frage so stellte wie jetzt wieder? Was bei Eisenwaren oder Knöpfen ob des nur geringen Platzbedarfs noch in verträglichen Bahnen verläuft, kann bei größeren Gegenständen durchaus Platzprobleme verursachen.

Genauso funktionierte es mit diesem Freiberufler-Atlas. Gewiss kein schlechtes Nachschlagewerk, doch da ich Gewerbetreibender bin, schon damals eher für eventuelle Freunde oder Bekannte mitgenommen. So zumindest die dahinterstehende Idee. Weil es ja früher gang und gäbe war, daß man mich abends in der Kneipe angesprochen hat: „Micky, Du hast doch in Deiner umfangreichen Bibliothek gewiss auch etwas zum Thema Freiberufler?!“ Am Arsch ist das passiert! Genaugenommen niemand hat sich dafür interessiert. Und Jahre später, wo ich erstens nur noch drei bis vier Leute kenne und zweitens das Internet solche Infos in Sekundenbruchteilen liefert, ist das erst recht unnötig zu besitzen.

Bevor jetzt einige möglicherweise allzu stark an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln, sollte spätestens an dieser Stelle Erwähnung finden: Wäre ich kein begeisterter Flohmarkt-, ebay- und Sonstwie-Gebraucht-Schnäppchenjäger, hätten es diese Titel und etliche andere auch bei mir im Kaufentscheidungsprozess nicht bis zur Phase der Problemerkennung geschafft.

Weiter im Text: Ein Werk mit dem Untertitel „Die große Kunst des Smalltalks“. Hatte ich vor ein paar Wochen in einem anderen Beitrag ausführlichst breitgetreten. Nun kann das Buch nur bedingt etwas dafür, daß ich so grandios gescheitert bin. Doch so gut, daß ich es ein weiteres Mal lesen müsste, war es dann auch eher weniger.

Gerade bei den Büchern sollte ich mir mit meinen jetzt 45 Jahren endlich eingestehen, daß die mutmaßliche Restlebenszeit nicht ausreichen wird, alles „irgendwann“ gelesen zu haben, was sich im Bestand befindet. Selbst wenn ab jetzt nichts mehr dazukommen sollte. Aber wahrscheinlich werde ich spätestens dann wieder fündig, wenn ich die Teile ins öffentliche Bücherregal der Sparkasse trage. Wo ich mir dann im Gegenzug so etwas wie „Das große Buch der Massage“ mitnehme. Weil ich ja auch sonst nichts zu tun habe. Nicht einmal eine Partnerin, an der ich „die besten Techniken aus aller Welt“ austesten könnte, habe ich. Also wozu? Ach so, klar: irgendwann eventuell.

Zumindest ist mit diesen sechs Büchern bis heute das Soll übererfüllt. Und im Gegensatz zum echten Fasten verliert der Spaßfaktor hierbei bislang nicht an Höhe. Zwar ist nur aufgrund dessen immer noch nicht davon auszugehen, daß ich noch zu einem religiösen Menschen werde. Doch solange ich – mit oder ohne Fasten – beständig ein nach meinen Maßstäben besserer Mensch zu werden versuche, kann ich damit auch weiterhin ganz gut leben.

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