Nicht dass ich ernsthaft darüber nachdenken würde, plötzlich Reisen in andere Länder unternehmen zu wollen, aber falls ich doch irgendwann einmal auf solch abwegige Gedanken käme, würde jegliches Fernweh durch die Aussicht auf eine unvertraute Toilettenkultur recht zuverlässig wieder zerstört.

Als einerseits Zeltlager-erfahrener und andererseits Punkrock-affiner Mensch habe ich in diesem Leben eigentlich ausreichend komplett heruntergerockte Aborte gesehen und eine entsprechend hohe Toleranzgrenze. Wirkungsvoll abgeschreckt werde ich eher von hochgerüsteten High-End-Toiletten mit Sitzheizung, Massagefunktion oder automatischer Deckelöffnung.

Vielleicht wird das alles in wenigen Jahren auch außerhalb von Japan oder Korea komplett normal sein, aber wer 47 Jahre ohne solchen Schnickschnack überlebt hat, verzichtet für eine einfache Notdurft auch in Zukunft gern auf Urin-Analyse oder die Möglichkeit, die Spülung mit dem Smartphone auszulösen. Selbst wenn diese Technik tatsächlich hygienischer ist, sollte zumindest die Frage gestattet sein, ob nicht das Benutzen des Smartphones auf dem Klo an sich viel unhygienischer ist. Andererseits sollte man über manche Sachverhalte eventuell auch gar nicht so intensiv nachdenken. Zum Beispiel habe ich bis heute keine Antwort auf die zugegeben auch nicht besonders oft gestellte Frage, inwiefern es meine Beziehung zu ihnen verändern würde, wenn ich wüsste, dass meine auf Flohmärkten geschossenen oder im Tauschregal ergatterten Bücher von ihren Vorbesitzern auf dem Klo gelesen wurden. Naja – drauf geschissen! So eklig wie es im ersten Moment klingt, finde ich es eigentlich gar nicht. Zumindest solange man die sich anschließende Frage ausblendet, wie ein Stehpinkler auf der Toilette liest

Bei längeren Sitzungen ist das Lesen eines guten Buches ein durchaus angemessenes Mittel, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Fachleute warnen jedoch davor, sich permanent länger auf der Keramik aufzuhalten als unbedingt notwendig: Hämorrhoiden, Beckenboden- oder Blasensenkung wären hierfür die Stichworte. Generell sind Toiletten nicht die ungefährlichsten Orte, gleich ob die Risiken nun beim allzu starken Pressen (Stuhlgangsohnmacht, Schlaganfall) oder in der Schüssel (Schlangenbiss) lauern.

Sogar ohne selbst auf dem Thron zu sitzen, kann eine Toilette eine bedrohliche Situation generieren. Im August diesen Jahres wurde in der Nähe von Ingolstadt ein LKW-Fahrer plötzlich von einem in seine Windschutzscheibe einschlagenden Dixi-Klo überrascht. Zwar ging der Unfall für alle Beteiligten glimpflich aus, doch seit dem Lesen dieser Meldung fährt bei mir stets die Angst mit, irgendwann aus einer Bewusstlosigkeit zu erwachen und beim Versuch, das Geschehene zu rekonstruieren, festzustellen, dass das letzte, an das ich mich erinnern kann, ein mobiles Toilettenhäuschen gewesen ist.

Abgesehen von den skizzierten Gefahrenquellen leidet die Aufenthaltsqualität regelmäßig darunter, dass man bemüht ist, das Geschäft möglichst leise zu verrichten. Eine Schüssel mit derartigem Volumen stellt ja auch einen nicht zu unterschätzenden Resonanzraum dar. Angesichts der Töne, die auf dem Lokus generiert werden können, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich die Bezeichnung „Stilles Örtchen“ überhaupt glaubwürdig durchsetzen konnte.

Auf dem Campingplatz, auf dem ich die Wochenenden meiner Kindheit zu verbringen pflegte, suchte einst meine Mutter gemeinsam mit einer meiner Tanten die dortige Gemeinschaftstoilette auf. Neun Kabinen nebeneinander hielten die Beiden nicht davon ab, durch die Wände miteinander zu quasseln. Irgendwann kam dann mitten in der Unterhaltung ein respektables Dröhnen, welches meine Mutter zu der anerkennenden Bemerkung hinriss, dies sei ja „eine ordentliche Granate“ gewesen. Die trocken vorgetragene Antwort meiner Tante lautete allerdings überraschend: „Das war ich gar nicht.“ Spätestens ab diesem Moment war für eine unbekannte dritte Person die Sache gelaufen.

Nach dem Motto „Jetzt lass´ uns doch ´mal schauen, wer das war“ standen meine Mutter und ihre Schwägerin dann noch eine Weile vor dem Gebäude, um abzuwarten, wer als nächstes herauskommt. Aber seien wir ehrlich: Nach einer solchen Aktion hätte ich auch mindestens eine Stunde gewartet, bis ich das Klo verlasse. Selbst ohne Klo-Lektüre wäre die Scham, als Urheber dieses Geräusches identifiziert zu werden, größer als die Langeweile gewesen.

Nicht immer war das Verhältnis zu dringenden Bedürfnissen so unentspannt. In der Antike waren öffentliche Toiletten keine voneinander isolierten Kabinen, sondern große Gemeinschaftstoiletten mit Sichtkontakt zueinander. Es wurde sich angeregt unterhalten, Dichter rezitierten dort ihre Werke, und sogar Geschäfte wurden dort angebahnt oder abgeschlossen. Dieser Praxis verdanken wir die heutige Redewendung vom „Geschäft machen“

Heutzutage gibt es den Welttoilettentag genauso wie den Tag des Toilettenpapiers. Und in der Tat sind beides Dinge, deren Wichtigkeit man erst dann zu würdigen weiß, wenn sie gerade nicht zur Verfügung stehen.

Wenn Du unterwegs dringendst ein Klo benötigst, dann scheißt Du auf Technik wie Komfort gleichermaßen. Denn wenn es wirklich pressiert, reicht Dir auch ein handelsüblicher Busch, der Deine Verrichtung ansatzweise zu verdecken in der Lage ist.

Meistens hast Du dann halt kein Papier. Speziell wenn Du gerade aus dem Fußballstadion kommst, hast Du im Normalfall kein Papier dabei. Und gerade in solch dringenden Fällen würde man eher mehr und nicht weniger Papier benötigen als sonst im Durchschnitt. Und weil Du kein Papier dabei hast, läufst Du anschließend ´rum wie ein Idiot. Ein Gefühl vollkommener Leere hat sich jedenfalls mitnichten eingestellt. Du willst eigentlich hauptsächlich nach Hause, um die Sache zu bereinigen. Und egal wie oft Du diesen Weg schon gelaufen bist, ohne irgendjemandem zu begegnen – Du kannst sicher sein, dass Dir an exakt diesem Abend jemand Bekanntes über den Weg läuft.

Bis heute frage ich mich, ob die Angelegenheit durch den Umstand, dass dieser Jemand besagte Tante von der Campingplatz-Episode gewesen ist, noch schlimmer oder eher weniger peinlich wurde.

Fertig. Abputzen.