Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: November 2019

Meine Fresse

Wenn man an einem Sonntagmorgen gegen 7.30 Uhr noch während der Hunderunde feststellt, dass man nach dem anschließenden Fütterungsritual erst einmal gepflegt, aber dennoch relativ dringend für zwei bis drei Minuten ungestört die Toilette aufsuchen sollte, ist das Geständnis der Partnerin, sie habe die Toilette verstopft, von vielen denkbaren ungünstigen Zeitpunkten mutmaßlich einer der unwillkommensten.

Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, und möchte es mir auch nicht unbedingt vorstellen. Aber nachdem sie mir erst einen Tag vorher erzählt hatte, dass sie auf der Fahrt zu mir mit der Zugtoilette bereits das Gleiche angestellt hat, sehe ich mich in meiner Praxis bestätigt, nicht mehr an Zufälle zu glauben. Zwar weit entfernt, deshalb irgendwelche Verschwörungstheorien zu entwickeln, meine ich doch aber zumindest eine gewisse Methode dahinter zu erkennen.

Wenigstens gerät man in dieser Situation schnell an einen Punkt, an dem man die durch dieses Malheur ausgelöste Verschiebung des Frühstücks nicht mehr bedauert, weil der Appetit durch das Herumstochern in der Keramik in geradezu beeindruckender Weise gezügelt wird. Nun ja – schaden kann dies uns beiden nicht.

Ich sollte zur Ehrenrettung noch erwähnen, dass die Dame auch andere Kompetenzen hat. Aber mich in gerade einmal zweieinhalb Monaten Beziehung bereits das zweite Mal textlich in Sachen Fäkalthemen zu inspirieren, muss einem erst einmal gelingen.

Gelingen sollte mir im weiteren Verlauf dann auch die Wiedereröffnung der Toilette. Alles andere als gelungen war dagegen das kurze Zeit darauf dann natürlich doch stattgefundene Frühstück.

Wenn man es genau nimmt, war das Frühstück natürlich ein Frühstück wie jedes andere. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem mir rund die Hälfte eines Backenzahnes weggebrochen ist. Einen gelungenen Sonntag stelle ich mir anders vor.

Dass mir meine zahnhygienischen Jugendsünden an der betroffenen Stelle sehr bald eine Krone bescheren würden, wusste ich zwar bereits seit meinem letzten Zahnarztbesuch, der erst wenige Wochen her ist. Dieses Wissen löst allerdings nicht das Problem, dass mir für diese Behandlung exakt drei Dinge fehlen: Erstens Lust, zweitens Zeit, drittens Geld.

Als ob ich in den zehn Tagen davor mit zusammengerechnet rund 200 Euro Behandlungskosten für den Hund nicht bereits ausreichend Geld auf mein Karma-Konto umzubuchen gezwungen war..!

Andererseits: Wenn man bei einem fast fünfzehnjährigen Hund angesichts der weitgehenden Verweigerung der Nahrungsaufnahme schon sein baldiges Ende herannahen sah, freut man sich natürlich über einen weiteren Aufschub seines Abschiedes, bevor man an das Geld denkt. Es heißt ja allenthalben, ein Hund sei wie ein Familienmitglied. Dieser Sichtweise muss ich hier und heute widersprechen: Im Falle einer dauerhaften Trennung von Ehefrau und Kind sind die großzügigerweise überlassenen Haustiere nicht einfach nur Mitglied, sondern die Familie selbst. Der Unterschied ist höchstens, dass man von Hund und Katze seltener in Frage gestellt wird. Also – von Hund seltener als von Katze, aber das wäre ein anderes Thema.

Alles ist relativ

Um zwischendurch auch ´mal einen der positiven Aspekte meines Daseins zu würdigen, erlaubte ich mir, angesichts meines 19. Trockengeburtstages fünf Packungen Windbeutel auf die Arbeit mitzubringen. Dass mich eine Kollegin mit ihrer Anmerkung, die letzten von mir spendierten Windbeutel wären nach meiner Scheidung gewesen, just in dem Moment, als ich alles Ungemach wenigstens für einen kurzen Moment lang ausblenden wollte, daran erinnerte, dass nicht nur mein Gebiss ein Trümmerhaufen ist, sondern genau genommen mein komplettes Leben, war so natürlich nicht beabsichtigt, hat aber seine Wirkung nicht verfehlt.

Seit mit zunehmendem Alter des Hundes auch die Gassirunden kürzer geworden sind und mich morgens regelmäßig am Haupteingang eines Seniorenheims vorbeiführen, rufen mir die dort gelegentlich stehenden Fahrzeuge von Bestattungsunternehmen in schonungsloser Direktheit ins Gedächtnis, dass verstopfte Klos und kaputte Zähne im Vergleich zu anderen Szenarien durchaus lösbare Aufgaben sind.

Ich denke mir beim Vorbeilaufen manchmal: Wenn mein Leben heute zu Ende wäre und ich vorher noch die Gelegenheit hätte, darüber nachzudenken, wie es denn unterm Strich so war, wäre mein Urteil zwar nicht direkt vernichtend, umgekehrt aber eben auch nicht übertrieben begeistert.

Auch wenn es vielleicht gerade so klingt – das soll kein Plädoyer dafür sein, sich ein möglichst abruptes Ableben zu wünschen, das einem jede Möglichkeit nimmt, noch einmal in aller Ruhe das Geschehene zu resümieren. Ich möchte nicht so plötzlich aus dem Leben scheiden wollen, dass zwischen „Hoppla, wie geschieht mir gerade?“ und dem völligen Nichts, das ich für diesen Fall leider erwarte, kein Gedanke mehr passt, also auch nicht die üblichen Besänftigungsformeln wie „Ein Beinbruch wäre schlimmer“ oder „Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus“.

Sollte ich dereinst vorher noch die Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, würde ich aber vermutlich anerkennen, dass solche Dinge wie Hund, Katze oder Partnerin, obwohl allesamt in der Haltung nicht ganz billig, auch dazu beigetragen haben werden, das alles extrem lebenswerter gemacht zu haben.

Schade nur, dass „Ich werde es überleben“ als Standardkommentar zu kleinen und mittleren Alltagskatastrophen ab einem gewissen Alter in Zweckoptimismus übergeht.

Ordnung muss sein

Es ist völlig zutreffend, dass nicht sämtliche Probleme dieser Welt umgehend vom Tisch wären, wenn die Leute nur ihren Müll ordentlich trennen würden. Insofern darf die Frage zumindest gestattet sein, inwieweit es lohnt, sich über einen Margarinebecher im Restmüll überhaupt aufzuregen. Aber tief in mir drin würde ich andererseits gern verstehen wollen, was genau daran eigentlich so schwierig zu begreifen ist. Wer sich die Mühe macht, Zeitungen und Zeitschriften von anderem Mist zu trennen und in das richtige Behältnis zu entsorgen, sollte an und für sich imstande sein zu erkennen, dass es dem ursprünglichen Zweck dieses Abfallmanagements zuwiderläuft, wenn gleichzeitig die Plastiktüte, in der das Papier dankenswerterweise gesammelt wurde, ebenfalls in die Papiertonne geworfen wird. Intelligentes Leben sieht anders aus.

Wie gesagt, geht dadurch die Welt nicht unter. Seine Brisanz erhält dieses Problem durch Weiterspinnen folgenden Gedankengangs: Wie sollen Lösungen für wirklich komplexe Angelegenheiten eigentlich beschaffen sein, wenn es ein guter Teil der Leute nicht einmal geschissen bekommt, solche vergleichsweise einfachen Dinge fehlerfrei durchzuführen?! Daher ist mir auch komplett rätselhaft, woher manche Menschen ihren völlig unangebrachten Optimismus nehmen, es könnte mit diesem Planeten doch noch ein versöhnliches Ende geben.

Ähnlich unergründlich folgender Sachverhalt: Wenn die Papiertonne regelmäßig nicht aufnehmen kann, was die Hausgemeinschaft in dieser Hinsicht zusammenträgt, wird man dieses Problem kaum lösen, indem Einzelne weiterhin mittlere bis große Kartons darin platzieren, ohne sie vorher zusammengefaltet zu haben. Aber woher soll man so etwas auch wissen? Volle Tonnen jedenfalls führen in der Regel dazu, dass alles, was nicht mehr hineinpasst, einfach in eine andere verfügbare Tonne geworfen wird, die das Pech hat, erstens in unmittelbarer Nähe zu stehen und zweitens noch Platz zu bieten. Zumindest wird das in Offenbach so praktiziert. Man kann die Chose schließlich nicht einfach unter den Tisch kehren. Was nicht passt, wird passend gemacht, und die Fehlwurfquote interessiert in diesen Fällen einen feuchten Kehricht. Unterschiedliche Untersuchungen gehen davon aus, dass zwischen 10 und 60 Prozent der Abfälle im verkehrten Behältnis landen. Kein Wert, auf den man sich etwas einbilden könnte. Und das in Deutschland, das im Rest der Welt als Inbegriff penibler Mülltrennung gilt.

Doch auch wenn man es nicht immer ganz genau nimmt – das reine Gewissen lässt man sich deswegen nicht nehmen: Immerhin zwei Drittel gaben bei einer vor ein paar Jahren durchgeführten Umfrage an, Müll zu trennen sei ihr größter Beitrag zum Umweltschutz. Dass man – zumindest was Verpackungsmüll betrifft – europaweit auch mit einigem Abstand den meisten Müll produziert, sehen dann wie immer wieder nur die, die immer an allem etwas auszusetzen haben. Dabei wussten wir dieser Problematik bereits vor knapp 30 Jahren die passende Antwort entgegenzusetzen: den Grünen Punkt.

Seitdem füllen wir einen bestimmten Teil unseres Abfalls in Säcke, die nur minimal stabiler sind als Seifenblasen. Wenn man zudem das Pech hat, beispielsweise in Offenbach zu leben, ist man seitdem doppelt bestraft. Zum einen – logisch – weil man halt in Offenbach lebt. Zum anderen, weil hier die gelben Säcke nur alle vier Wochen abgeholt werden. Wer sich zum Beispiel den Luxus eines Haustieres gönnt, weiß, dass für eine Schale Hunde- oder Katzenfutter vier Wochen eine lange Zeit sind, in der sich der Inhalt dieser Säcke nicht immer geruchsneutral verhält. Auch um zu vermeiden, dass die Ratten beim Abtransport der Wertstoffe dem Entsorgungsunternehmen zuvorkommen, wird man also unweigerlich dazu übergehen, die Leichtverpackungen zu spülen. Dafür dass bis vor kurzem zwei Drittel der gesammelten Kunststoffe am Ende auch einfach verbrannt werden durften, vielleicht etwas zuviel des Aufwands.

Das größte zweifelhafte Verdienst der Einführung des Grünen Punktes ist allerdings die seitdem eingetretene Unübersichtlichkeit. Fragen, ob zum Beispiel die farblich getrennten Glasflaschen auf dem Fahrzeug nicht ohnehin wieder vermischt oder die Heftklammern einer Zeitschrift das Recycling des Papiers verunmöglichen würden, waren harmlos im Vergleich zu der Diskussion, was genau eigentlich in die gelben Behältnisse, sei es Tonne oder Sack, hineingehört. Hartnäckig hält sich nämlich bis heute das Gerücht, sämtliche Kunststoffe würden darin ihr Happy End finden. In Wahrheit gehört aber der Strohhalm in den Restmüll und nur die stoffgleiche Verpackung desselben in den Gelben Sack. Dass der Müll nach seiner ehemaligen Funktion und nicht nach Stoffen getrennt wird, war zur Zeit der Einführung des Grünen Punktes schon nicht zeitgemäß. Auf gut Deutsch: Das Duale System war schon immer für die Tonne. Wer etwas anderes behauptet, erzählt Müll.

Gerade einmal halb so alt wie das Duale System, hat das Zwangspfand auf Einwegflaschen innerhalb kürzerer Zeit für noch größere Verwirrung gesorgt: Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 wusste die Hälfte der Befragten den Unterschied zwischen Einweg- und Mehrwegflaschen nicht. Ich weiß zwar nicht, wen die da gefragt haben, aber dieses Ergebnis lässt hoffen. Wenn der Unterschied bekannt, die daraus eigentlich resultierenden Konsequenzen dem Endverbraucher allerdings gleichgültig wären, hätte dies bei mir offen gestanden für größere Beunruhigung gesorgt. So bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass niemand so wirklich etwas dafür kann, dass bei der Masse das Bewusstsein entstand: Da man die Flaschen nicht mehr wegwirft, sondern zurückgibt, kann das nur im Sinne des Umweltschutzes sein. Im Laufe weniger Jahre hat sich dadurch die Absicht, durch Erhebung des Zwangspfandes die Leute zum Kauf von Mehrwegprodukten zu animieren, in ihr Gegenteil verkehrt: Der Anteil an Einwegbehältnissen bei Getränken ist inzwischen mehr als doppelt so hoch wie zur Zeit der Einführung des Dosenpfands. Als Erfolg immerhin lässt sich verbuchen: 97 Prozent der verkauften Einweg-Getränkeverpackungen finden den Weg zurück zum Händler; in Büschen und auf Wiesen liegen heute deutlich weniger davon herum als das noch vor 20 Jahren der Fall gewesen ist.

Erst das Einwegpfand hat das Auflesen herrenloser Flaschen zu einer halbwegs rentablen Einnahmequelle gemacht.

Vielleicht steuern wir ja doch auf ein versöhnliches Ende hin und ich bin derjenige, der zu kurzsichtig ist, den guten Weg zu erkennen, auf dem wir uns schon befinden.

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