Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: August 2020

Was Sie schon immer über Sex wissen wollten

Es wäre nicht das erste Mal, dass in meinem Leben etwas gehörig schiefgeht, aber wenn alles ansatzweise nach Plan läuft, werde ich in einer Woche genau seit einem Jahr wieder in einer festen Beziehung sein. Und so sehr ich verstehen kann, dass sich Einige jetzt für mich und mit mir freuen – ich erwarte dafür keinen Applaus. Eher Mitleid. Schließlich kann ich seitdem hier nicht mehr über fahrlässig oder vorsätzlich versemmelte Dates schreiben, wenn mir ansonsten kein vernünftiges Thema einfallen mag. Über derlei Konsequenzen macht man sich ja üblicherweise keine Gedanken, bevor man eine Partnerschaft beginnt. Und ehe man sich versieht, schreibt man dann wieder über kuriose Beobachtungen aus der Tierwelt.

Wenn beispielsweise Pinguine ein Date haben, ist das Männchen gut beraten, einen Kieselstein mitzubringen. Dekoration hat auf Frauen eine magische Wirkung. Da unterscheiden sich Mensch und Tier praktisch überhaupt nicht, und das erklärt nebenbei auch den Erfolg von Männern, die mit Hundewelpen posieren. Bei Flusspferden dagegen kann Mann mit beidem nicht punkten. Dort geht die Beziehungsanbahnung deutlich rustikaler vonstatten: Zwar halte ich es nach wie vor für unangemessen, im Zusammenhang mit einem bis zu vier Tonnen schweren Koloss einen Diminutiv zu gebrauchen, aber jedenfalls markiert das „Männchen“ sein Revier durch möglichst weiträumiges Verteilen seiner Exkremente. Dies geschieht, indem der Schwanz während der Entleerung des Darms propellerartig rotiert und die einzelnen Brocken tendenziell unkoordiniert durch die Gegend schleudert. Als ob Leben am Fluss nicht schon seit jeher seinen ganz eigenen Charme hätte, benötigt man für maximalen Eindruck bei der Flusspferd-Dame von Welt zusätzlich solchen fäkalen Klimbim. Angesichts solcher eindrucksvollen Performances muss es einem als Mensch eigentlich fast schon peinlich sein, dass bei uns inzwischen der erste Schritt zum Paarungsglück eine ordinäre Wischbewegung auf dem Smartphone ist.

Doch wenn man möchte, kann man andernorts auch wieder Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier erkennen. Denn scheinbar geht auch bei manchen Tierarten Liebe durch den Magen. So bringen zum Beispiel männliche Listspinnen zum Date Beute zum Fressen mit. Dass man bei solchen Gastgeschenken kaum noch glaubwürdig von einem tierfreien Nichtraucherhaushalt sprechen kann, wenn man als Spinnenpaar irgendwann einmal in ein gemeinsames Netz zieht und überflüssige Einrichtung verscherbeln will, ist dabei nicht einmal das größte Problem. Eher schon dass die Dame des Herzens während des Aktes an dem Mitbringsel knabbert und dass ohne den mitgebrachten Snack womöglich der Verehrer selbst auf dem Speiseplan landen würde. Kurzum: Das Interesse an dem Verehrer ist nicht so gewaltig, dass man schon die Hochzeitsglocken klingen hören könnte. Bevor jedoch das Mitgefühl mit dem Männchen allzu groß wird, sei darauf hingewiesen, dass mitunter der Rest des unromantischen Abendessens vom Männchen ganz pragmatisch wieder eingepackt und zur nächsten Verabredung mit einer anderen Dame mitgenommen wird.

Man bemerkt spätestens hier: Man muss die Tierwelt nicht idealisieren. Sicher gibt es Beispiele von monogamen Beziehungen, die einen dunkel an folgendes erinnern: Dass auch der Mensch häufig schon ewige Treue geschworen hat, bevor er allabendlich neben dem Adressaten dieses Schwurs liegt und nicht einschlafen kann vor lauter Grübeln, ob sich nicht eventuell doch noch irgendwo dort draußen etwas besseres finden ließe. Genauso sicher ist aber auch: Wenn es der Arterhaltung dient, sind Fremdgehen oder Vergewaltigungen unter Tieren akzeptable Verhaltensweisen – zumindest bei einem der Beteiligten.

Und dann gibt es die Bonobos. Während sich zum Beispiel Schimpansen als deren enge Verwandte eher das Motto „Bloß keinen Streit vermeiden“ auf ihr Familienwappen geschrieben haben, erinnert bei den Bonobos vieles daran, wie man sich – ganz gleich ob als Klischee oder als Ideal – eine Hippie-Kommune vorstellt: Sex dient seltener zur Fortpflanzung und eher zum Vergnügen, wahlweise auch zur Konfliktvermeidung. Küsse, Zärtlichkeiten und Oralsex mit wechselnden Partnern sind an der Tagesordnung, gleichgeschlechtlicher Sex vor allem unter Frauen ist komplett normal. Einzig dass unter Bonobos die Mütter ihren Söhnen auch bei der Brautschau helfen, beispielsweise indem sie andere männliche Bonobos vertreiben, wirkt auf den menschlichen Betrachter leicht verstörend. Wenn es eine Person gibt, deren Hilfe ich in solchen Fragen gerade nicht gebrauchen könnte, dann wäre das Mama. Aber gut – andere Länder, andere Sitten.

Homo- und Bisexualität sind allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Bonobos, sondern bei – je nachdem, wen man fragt – zwischen 500 und 1500 Arten bereits beobachtete Verhaltensweisen. Bei Delfinen sollte von diesem Befund niemand sonderlich überrascht tun, aber auch Pinguine gehören zu den Beispielen, die man zu diesem Thema gern erwähnt. Bei Flamingos ist es fast schon klischeehaft unwirklich, aber wahr. Giraffen, Seepferdchen – man merkt es ja beinahe schon anhand der Art, wie sie sich bewegen. Bisons fand ich in diesem Zusammenhang etwas überraschend, aber – wo die Liebe eben hinfällt…

Der Vollständigkeit halber darf das Thema unglückliche oder unerwiderte Liebe nicht verschwiegen werden. Spätestens als im Jahr 2006 im westfälischen Münster eine schwarze Schwänin eine recht einseitige Beziehung zu einem schwanenförmigen Tretboot begann, ist man zu diesem Thema einigermaßen sensibilisiert. Weiß der Geier, was sie sich dabei gedacht hat, aber diese Liaison hielt immerhin eineinhalb Jahre.

Dokumentiert ist eine weitere Beziehung zu einem artfremden, immerhin aber echten Schwan, bevor sie schließlich verschwand und später ausgemergelt in einer Tierauffangstation abgegeben wurde. Ohne größeren Widerspruch zu ernten, könnte man demnach behaupten, dass auch im Leben dieser Schwänin einiges gehörig schiefgegangen ist. Man kann aber auch von einem Happy End sprechen, weil sie dort nicht nur wieder gesundgepflegt wurde, sondern auch auf ihren neuen Partner traf. Sie hat einen Nachkommen ausgebrütet, der zumindest eine Zeitlang – Achtung, Pointe – eine Ente als ständige Begleiterin hatte.

In diesem Sinn bleibt nur zu sagen: Es spielt keine Rolle, was Eure Partner darstellen, woher sie kommen, welche Sprache sie sprechen, ob sie dick sind oder kurz oder meinetwegen sogar OFC-Fan. Solange Ihr über den gleichen Mist lachen könnt, ist es wahrscheinlich, dass Ihr eines Tages sagen könnt: Ente gut, alles gut!

Willkommen daheim!

Man weiß nie, was einen erwartet. Klar – jeder weiß, wo im Ort die besten Fritten serviert werden. Auch dass das nächste Spiel immer das schwerste Spiel ist, gehört zu den inzwischen nicht mehr umstrittenen Gewissheiten. Von diesen und wenigen anderen Beispielen abgesehen, gibt es also nur sehr wenige Anlässe, bei denen man vorher sehr genau sagen können wird: „Das wird mit Sicherheit eine großartige Sause!“ Nehmen wir als Beispiel das eigene Ableben. Wenn man daran glaubt, dass danach noch etwas Gescheites kommt, wird man eher geneigt sein, die Erwartungen an das Leben vor dem Tod etwas herunterzuschrauben. Wenn man nicht daran glaubt, dass den Sterbenden hinterher noch etwas Relevantes erwartet, wird man zwar am Ende womöglich nicht so sehr enttäuscht. Gleichzeitig steigt allerdings der Druck, die Zeit davor so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Die Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, schlägt als Antwort auf dieses Problem üblicherweise Konsum vor.

Es mag sein, dass das alles für das Thema des Textes nicht von Belang ist, aber – richtig: Man weiß nie, was einen erwartet. Und nirgendwo ist die Kluft zwischen Realität und Erwartungen so gewaltig wie beim Thema Urlaub. (Der eine oder die andere hat eventuell schon geahnt, wohin die Reise diesmal thematisch gehen wird,)

Fast schon traditionell verbringe ich meinen Urlaub dort, wo andere wohnen. Also in einer durchaus liebenswerten Stadt, in der nicht nur Menschen aus über 150 Nationen, sondern auch ich selbst wohne. Bei einem Urlaub daheim ist zwar auch oft nicht ganz klar, was einen erwartet. Immerhin aber wird einem seltener etwas versprochen, was nicht gehalten werden kann. Man kennt sich aus. Es ist jedes Mal beinahe so, als ob man nach Hause kommt.

Wirklich repräsentativ im Sinne von „Ich bin, was ich zeige“ ist dieses Urlaubsziel selbstredend nicht. Kein Freund, keine Kollegin wird nach der Rückkehr erwartungsvoll auffordern: „Jetzt erzähl´ ´mal..!“ Wenn ich wollte, könnte ich den Urlaub zuhause als Ausdruck eines sehr konsequenten minimalistischen Lebensstils verkaufen. Das passt zwar nur in Ansätzen damit zusammen, dass ich bis jetzt jeden Tag dieses Urlaubes in Second-Hand-Läden auf der Suche nach vorzeigbaren Klamotten war, aber wird Glaubwürdigkeit in diesem Land nicht ohnehin noch extrem überbewertet?!

Dabei wäre Minimalismus ein durchaus passables Werkzeug, nicht nur den Haushalt, sondern das komplette Leben etwas übersichtlicher zu gestalten. Wenn das dann dazu führen würde, komplexere Sachverhalte auch jenseits des eigenen Mikrokosmos besser zu verstehen, wäre diese Lebensweise eine perfekte Empfehlung für die nervigen entrüsteten dauernörgelnden Besserwisser allüberall: Häuft weniger Müll an, dann kommt automatisch weniger Müll aus Euch heraus, wenn Ihr Eure Klappe aufmacht. Entrümpelt Euer Leben, dann habt Ihr auch mehr Zeit, Eure Meinung zu gesellschaftspolitischen Zusammenhängen nicht lediglich anhand von zwei bis drei Internet-Memes bilden zu müssen.

Nun ist das Aufregen über solche Menschen natürlich auch kein Konzept für einen nachhaltig erholsamen Urlaub. Also beschäftigt man sich mit Dingen, die im Alltag allzu häufig untergehen. Wenn dann noch die unangenehmen Aufgaben wie Behördengänge ausgeklammert werden, weil man ja schließlich nie weiß, was einen dort erwartet, bleiben neben Shopping aktuell das Üben auf der Gitarre sowie Gedächtnistraining übrig.

Auf der Gitarre scheine ich wirklich gute Fortschritte zu machen. Zumindest kann ich mir das anhand der Reaktionen meiner Haustiere einreden: Zwar siegt beim Kater der Fluchtinstinkt über die Neugier. Der Hund dagegen bleibt treu an meiner Seite liegen. Man muss dazu natürlich wissen, dass der Hund 15 Jahre alt und fast taub ist, das relativiert manches. Der hat in dem Moment wahrscheinlich einfach nur die Stille genossen. So ungefähr müssen sich alternde Bühnenkünstler fühlen, die irgendwann merken: Wenn als Publikum nur noch diejenigen bleiben, die entweder schon gar nichts mehr mitbekommen oder einfach nicht ohne fremde Hilfe flüchten können, ist die Chance, den Absprung rechtzeitig zu schaffen, wohl vorbei. Vielleicht kommen daher ab einem bestimmten Stadium des künstlerischen Schaffens Auftritte im Seniorenheim insgeheim gar nicht mehr so ungelegen: Wenn ein Großteil der Gäste nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte ist, wäre es fast schon eine Kunst für sich, einen Saal wirklich leer zu spielen.

Echte Erfolgserlebnisse dagegen machen wir beim Gedächtnistraining. Allerdings gewinnt man hin und wieder den Eindruck, dass diese Disziplin hauptsächlich Antworten auf Fragen gibt, die niemand gestellt hat. Dass wir den Namen des Künstlers Israel Kamakawiwo´ole oder die Zahlenreihe
35 17 26 47 52 60 63 29 48 33 fehlerfrei aufsagen können, wird uns – selbst wenn man nie weiß, was einen erwartet – für den Rest des Lebens sehr wahrscheinlich nur einen geringen Vorteil verschaffen.

Ungeklärt ist auch, welchen Nutzen ich davon habe, mir die Telefonnummer eines Bekannten ein Leben lang merken zu können, wenn ich diesen Bekannten schon zehn Jahre nicht mehr leiden mag und ich seine Nummer am liebsten einfach vergessen würde, dies aber nicht kann.

Das nächste Versprechen, das unser Gedächtnistrainer gibt: Nie wieder beim Einkaufen etwas vergessen. Was soll das denn jetzt?! Wenn meine Freundin und ich einkaufen gehen, kommen wir doch sowieso schon immer mit mehr Sachen ´raus als ursprünglich geplant. Für das Einkaufen bräuchten wir demnach eigentlich ein Vergessens-Training.

Kommen wir zum ursprünglich geplanten Thema. Ich gebe zu: Dass gegen Ende des Textes das Geständnis kommt, dass man eigentlich ein ganz anderes Thema habe behandeln wollen, ist vor dem Hintergrund, dass man zwei Absätze vorher gerade erst seine Erfolge beim Gedächtnistraining gefeiert hat, etwas irritierend. Allerdings kam mir über den Fragen, ob Schreiben oder Shoppen glücklicher macht und was eigentlich wäre, wenn Shoppen am Ende doch glücklich machte, zufällig diese Studie in die Quere: Auch Selbstüberschätzung macht glücklich. Das Problem besteht also nicht nur darin, dass die Größenwahnsinnigen den wirklich Großartigen auf die Eier gehen. Sondern dass es ihnen dabei auch noch gut geht. Das ist nicht gerecht. Und was noch weniger gerecht ist: Dass ich auf der Arbeit – neben etlichen fantastischen Kollegen – mindestens zweieinhalb solcher Exemplare habe. Zum Glück habe ich noch eine weitere Woche Urlaub. Darauf lässt sich aufbauen.

Auch wenn man natürlich nicht wissen kann, was einen noch erwartet.

Manchmal will man es auch besser gar nicht wissen.

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