Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Juli 2019

Sirenengesänge

Von allen denkbaren Kränkungen, die das Leben im allgemeinen bereithält, ist die schlimmste Demütigung, wenn Du auf der Arbeit ohne Vorwarnung von jüngeren Kollegen einen Stuhl angeboten bekommst.

Man muss dazu wissen, dass ich die in jenem Moment ausgeführte Tätigkeit entgegen der von manchen Kollegen gepflegten Praxis aus Gründen der Effizienz üblicherweise im Stehen verrichte. So gern ich aus dramaturgischen Gründen an dieser Stelle behaupten würde, ich wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich diesen Vorschlag hörte – es wäre aus gleich mehreren Gründen kein realistisches Szenario.

Als ob ich auf der Arbeit keine anderen Sorgen hätte, stand ich nun vor dem Problem, auf diese gut gemeinte Geste eine Reaktion abzuliefern, die nicht mindestens einen jüngeren Kollegen ob einer gewissen zur Schau gestellten Trägheit desavouiert.

Es ist für das weitere Verständnis dieses Textes zwar bedeutungslos, aber es ist mir nicht gelungen.

Wer meine Veröffentlichungen regelmäßig liest, wird bereits mehr als einmal mitbekommen haben, wie mein Selbstverständnis als für mein Alter optisch, geistig und mit Abstrichen auch körperlich relativ gut erhaltener Mensch regelmäßig erschüttert wird, wenn es mit Gegebenheiten wie der beschriebenen konfrontiert wird.

Was auch immer man unter „in Würde altern“ versteht – diese Situation beschreibt es nicht! Andererseits ist die Schwäche dieser Formulierung ohnehin folgende Implikation: dass es nämlich offenbar für niemanden ein ernsthaftes Problem darstellt, wenn man würdelos vor sich hin vegetiert, solange man dieses bestimmte, leider jedoch nirgends verbindlich definierte Alter eben noch nicht erreicht hat.

Man ist ja immer nur so alt wie man sich fühlt, ist der Einwand, der mir bei diesem Thema üblicherweise entgegenschlägt. Berechtigterweise. Die individuelle Einstellung zum Alter und zum Leben allgemein will ich auch überhaupt nicht vernachlässigt wissen. Und dennoch ist es nur die halbe Wahrheit. Es ist am Ende nämlich doch etwas mehr als eine bloße Zahl, und das mit der Einstellung hat definitiv Grenzen. Denn wann genau hat man denn das letzte Mal einen der folgenden oder vergleichbare Sätze gehört:

„Seit ich 50 geworden bin, fällt meinem Knie die Halbmarathondistanz wesentlich leichter.“

„Was war das früher als Jugendlicher für ein Krampf jedes Mal: Freitag feiern, und dann bis Sonntagabend zu nichts zu gebrauchen.“

„Mit 25 hatte ich noch so richtig schlechte Augen, inzwischen geht’s.“

Wenn man die richtigen Leute kennt, spricht nichts gegen den Versuch, durch gezielte Gespräche wenigstens die intellektuelle Entwicklung nachhaltig einzufrieren. Wenn man nicht die richtigen Leute kennt, erreicht man durch den Konsum geeigneter Fernsehsender einen sehr ähnlichen Effekt. Wenn man die richtigen Leute kennt und zusätzlich dafür geeignete Fernsehsender konsumiert – Glückwunsch zum Jackpot! Mit ein bisschen Übung sollte es sogar gelingen, die Geisteskraft auf ein früheres Niveau herabzusenken. Doch nicht alles, was gut klingt, hält auch einer kritischen Überprüfung stand: Die Degeneration des Körpers schreitet nämlich weitgehend unbeeindruckt von Geistes Bad im Jungbrunnen weiter voran.

Da ich im Normalfall nicht zum Arzt gehe, bevor ich mein Leben akut bedroht wähne, kann ich das gesamte Ausmaß der Zerstörung meines einst kraftvollen Körpers momentan bestenfalls erahnen. Ich denke mir aber, dass bei dank Hund und Arbeit durchschnittlich 22.000 Schritten am Tag durchaus gerechtfertigt ist, dass ich am Abend nicht noch mehrere Kilometer jogge, sondern mir meine Kräfte unter anderem auch für das Verfassen großartiger Blogeinträge aufspare.

Die Frage bleibt: Gibt es zwischen denen, die sich ewig jung fühlen und damit bei ihren Mitmenschen im besten Fall Skepsis, im nicht ganz so idealen Fall Mitleid auslösen, und denen, die ab Mitte 40 schon hauptsächlich mit großer Leidenschaft über ihre körperlichen Gebrechen referieren, noch ein paar wenige außer mir, die halbwegs realistisch einschätzen können oder wollen, wo ungefähr sie stehen?

Wahrscheinlich meint „in Würde altern“ eine Form von Souveränität zu erlangen oder zu bewahren: Dem Sirenengesang, wonach man heute im Gegensatz zu früheren Generationen im Alter so viele Möglichkeiten hat, widerstehen zu können. Nein zu sagen zu dem Irrsinn, jeder müsste sich demzufolge auch in gesetztem Alter noch zu Höchstleistungen motivieren.

Wichtig wäre, jeden Tag zu feiern, an dem man halbwegs gesund aufwacht. Ob man dann nach dem Aufstehen für Olympia trainiert oder ob man doch lieber im Schaukelstuhl Kreuzworträtsel löst, sollte jedem selbst überlassen bleiben.

Saarschleife

Ich war noch niemals in New York

Ob ich wegfahre! Manchmal glaube ich, mein komplettes Umfeld überschätzt deutlich die Gage, die man als Fachkraft für Lagerlogistik für seine Tätigkeit erhält. Man sollte darüber hinaus berücksichtigen, dass ein chronisch kranker Hund nicht nur das an sich für die Reisekasse gedachte Ersparte regelmäßig absorbiert, sondern auf Reisen auch selbst ein gewisses Handicap darstellt. Ob ich wegfahre? Ich verstehe die Frage nicht.

Würde es beim Reisen ausschließlich darum gehen, Vorurteile abzubauen, wäre man in Offenbach ohnehin bestens aufgehoben und bräuchte nicht erst durch die Weltgeschichte reisen. Generell sind viele der gemeinhin genannten und im Laufe der Jahrhunderte überlieferten Argumente fürs Reisen mit einem Makel behaftet: Sie entstanden zu einer Zeit, als die Welt von Instagram noch nichts ahnte. Das Zweitschlimmste, das einem passieren konnte: Auf einen Menschen zu treffen, der regelmäßig Sätze mit der Bemerkung „Als ich in (…) war“ eröffnete und die letztendliche Aussage dann keine besondere Lebensweisheit, keine Anekdote oder sonst irgendetwas Relevantes beinhaltete, sondern sich reduzierte auf den Hinweis: Seht her, ich war in (…)!

Die nächst höhere Eskalationsstufe war dann der Dia-Abend. Auch dazu muss man aber fairerweise sagen: Solange zu den 850 Bildern in ausreichendem Maß alkoholhaltige Getränke gereicht wurden, gingen eigentlich auch diese Abende vorüber.

Dank sozialer Netzwerke, quasi der Weiterführung des Dia-Abends mit anderen Mitteln, liefern sich Reise- und Selbstdarstellungswahn ein interessantes Wettrennen mit noch unklarem Ausgang. Und mit Auswüchsen wie diesen hier:

  • Immer mehr niederländische Tulpenzüchter sperren ihre Felder im Frühjahr, weil auf der Suche nach instagrammablen Motiven nur wenig Rücksicht auf die Entwicklung der empfindlichen Pflanzen genommen wurde
  • Schon letztes Jahr hatten die Besitzer eines Sonnenblumenfeldes in Kanada dieses auf Anordnung der Polizei für die Öffentlichkeit zu schließen, nachdem eines Tages nach einem viral gegangenen Post über 7000 Fahrzeuge dort vorfuhren, um deren Insassen ebenfalls abzulichten
  • Die Trolltunga, ein Felsvorsprung 700 Meter über einem pittoresken Tal in Norwegen, wird von jährlich 100.000 Menschen besucht, die dort in einer langen Schlange geduldig warten, um ein Foto zu schießen, das ihren Followern eine einsame Naturlandschaft suggeriert.

Im Grunde entwickeln sich solche Hot Spots dadurch zu SehensUNwürdigkeiten. Doch da ich mich diesem Getue nicht völlig entziehen kann, wäre Schulterklopfen unangebracht: Vergangenes Jahr bin ich an die Saarschleife gefahren. Es war eine beeindruckende Aussicht. Beeindruckender als live können auch Tausende Aufnahmen nicht sein. Und immerhin: Ich war dort, um mir das anzusehen. Ich war nicht ausschließlich dort, um ein Foto zu machen. Ich habe für dieses Foto nichts zerstört, und ich habe mich deswegen nicht in Gefahr begeben müssen. Aber auf der Heimfahrt meldete sich dann doch irgendwann das ökologische Gewissen und relativierte den bis dahin positiven Gesamteindruck. Der Erholungsfaktor war angesichts an diesem Tag für Hin- und Rückfahrt zurückgelegten 500 Kilometern ohnehin überschaubar. Nicht viel besser verhielt es sich mit meinem Kontakt zu Einheimischen: Dieser erschöpfte sich in der Bitte, ein Foto von der Schleife und mir zu machen. Wahrscheinlich waren es nicht einmal Einheimische, sondern ebenfalls Touristen. Wenn ich es hochrechne, habe ich in Offenbach wahrscheinlich mehr Gespräche mit hierher gezogenen Saarländern geführt als im Saarland.

Ob ich wegfahre? Es liegt vermutlich nicht an besagten 500 Kilometern, aber bei mir hat inzwischen solcherart Reisefieber etwas nachgelassen. Statt für Benzin gebe ich mein weniges Geld lieber für gebrauchte Klamotten aus. Und nach wie vor für den Hund. China wäre übrigens eine Destination, die für eine Reise mit Hund eher suboptimal ist. Vielleicht wäre ein Aufenthalt dort geeignet, diesbezügliche Vorurteile abzubauen. Vielleicht würden Gespräche mit Einheimischen, die das Fleisch dieser Tiere für gesund und potenzsteigernd halten, die Bildung von Vorurteilen auch eher begünstigen. Wer weiß das schon so genau?!

Das Leben ist eine Reise. Nur: Wo ich auf so viele bornierte Leute treffe, fahre ich doch eigentlich nicht wieder hin.

Ob ich wegfahre? Ich denke eher nicht.

Zum 20.

„Du musst eigentlich nur zählen können.“ Es wird sich leider nicht mehr zweifelsfrei klären lassen, ob er mir damit Mut zusprechen wollte, aus Verlegenheit einfach irgendetwas gesagt hat oder mir in diesem Moment der ersten Begegnung tatsächlich nicht mehr zugetraut hat. Aber im Prinzip startete mit diesen Worten meines neuen Chefs vor 20 Jahren meine „Karriere“ als Lagerist. Seinerzeit noch als Aushilfe und ohne den unbedingten Willen, diese Tätigkeit im Jahr 2019 immer noch auszuüben. Denn dafür hatte mich mein Vater gewiss nicht auf die Uni geschickt.

Es war ein bewegtes Jahr damals: Meine Alkoholabhängigkeit näherte sich ihrem Höhepunkt. Fast folgerichtig ging in dieser Zeit auch meine erste Beziehung, die diesen Namen verdient hatte, nach sieben Jahren in die Brüche. Einen vernünftigen Aushilfsjob zu finden, war leichter gesagt als getan. Ich arbeitete in jenem Jahr bei der Zentralen Kulturverwaltung, auf dem Wochenmarkt, als Wäschefahrer, als Vermessungshelfer und beim Aufstellen von Hüpfburgen. Selbst der Caterer beim OFC verzichtete auf meine Dienste. Wohl aus nicht ganz unberechtigter Sorge um seine Getränkebestände.

Aus diesen Gründen kam mir ein Job im Lager, von dem mein Boss zwischen den Zeilen zu verstehen gab, dass das jeder könne, sehr gelegen. Ich ahnte damals natürlich nicht, dass ich zwanzig Jahre später noch gegen das Vorurteil ankämpfen würde, jeder könne Lager. Allerdings konnte ich nach zwanzig Tagen bereits erahnen: Das kann nicht jeder.

Die Geringschätzung unseres Berufsstandes begünstigt wahrscheinlich den Alkoholmissbrauch. Nach und vor Feierabend. Dieses Problem immerhin haben wir mit Lehrern gemein.

Wie man sieht: Wenn wir uns nicht gerade gegen Klischees wehren, reproduzieren wir selbst welche. Zum Beispiel gegenüber Fahrern. Fahrer sind der natürliche Feind des Lageristen. Denn die Erwartung, er bräuchte bloß hupen, damit wir alles stehen und liegen lassen, um am geöffneten Tor parat zu stehen, bevor der Fahrer überhaupt bereit ist, nervt nach ein paar Jahren einfach. Am liebsten würden manche Fahrer abladen ohne zu halten, so sehr in Eile sind die. Die haben es so eilig, da bleibt natürlich kaum Zeit, außer „Unterschrift“ noch irgendetwas anderes auf Deutsch zu können. Zugegeben: Solange nichts Unvorhergesehenes geschieht, reicht das für einen Fahrer auch aus.

Nicht erst seit jeder US-Polizist in jeder beliebigen Serie zu jeder Tages- und Nachtzeit beim Verzehr von Donuts zu sehen ist, weiß man: Viele Stereotypen über bestimmte Berufsgruppen sind keine Vorurteile, sondern harte Fakten. Hat zum Beispiel schon einmal irgendjemand eine Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes gesehen, die nicht raucht?! Das ist in der Branche doch schon fast Einstellungsbedingung. Hat schon einmal jemand einen Koch gesehen, der einen freundlichen Umgangston gegenüber seinen Kollegen pflegt?!

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen: Die bereits erwähnten Lehrer werden den Verdacht, dass der freie Nachmittag mitnichten der Unterrichtsvorbereitung dient, nicht ausräumen können, solange sie 25 Jahre lang den gleichen Kram erzählen. Ein Taxifahrer wird nicht automatisch zum besseren Autofahrer, bloß weil er viel fährt. Und, ja, auch in der Lagerlogistik gibt es ausreichend Jobs, die den Kollegen außer Zählen nicht gar zu viel abverlangen. Manch einer schubst ausschließlich Paletten durch die Gegend, ein anderer braucht zum Entladen Kraft und Ausdauer, aber kein Hirn Kein Wunder, dass viele von ihnen ihre Zukunft bereits hinter sich haben.

Auch wenn Prestige sowie Gage in meinem Beruf eher nicht der Rede wert sind, habe ich ihn im Laufe der Zeit schätzen und lieben gelernt. Auch wenn ich in manchen Situationen wünsche, ich hätte tatsächlich immer nur gezählt und sonst nicht viel gemacht, was mir manch graues Haar erspart hätte, ist mir bewusst, dass manch anderes graue Haar von selbst kommt. Auch wenn ich für manche Kollegen eine pädagogische, für andere eine psychologische Ausbildung dringender benötigt hätte als mein Diplom als Politologe, freue ich mich auf die nächsten 20 Jahre..!

Äpfel mit Birnen

Als ich noch ein kleiner Junge war, hörte ich meinen Bruder und dessen Kumpel gelegentlich leidenschaftlich über die Frage streiten, ob die Eintracht oder die Kickers den lauteren Fanblock haben. In diesen Momenten lernte ich: Offensichtlich gibt es Fragen, bei denen sich mindestens einer der Kontrahenten dem Brauch, für die Beantwortung objektive Kriterien heranzuziehen, erfolgreich entzieht.

Was ich damals nicht ahnte: Dass diese Beobachtung keine Ausnahme darstellt, sondern vielmehr bereits den späteren Standard jedweder Kommunikation, Argumente durch Glaubenssätze zu ersetzen, aufzeigte. Zu studieren bei politischen Debatten, nach wie vor bei Fragen den Fußball betreffend, und nicht zuletzt bei der Diskussion, ob Hunde oder Katzen die intelligenteren Wesen sind.

Irritierend ist dabei schon folgende Überlegung: Welchen vorstellbaren Nutzen könnte die Beantwortung dieser Frage überhaupt für irgendjemanden haben? Als ob sich auch nur ein einziger Mensch bei der Frage Hund oder Katze umentscheiden würde, wenn objektiv geklärt wäre, dass eines der beiden Geschöpfe tatsächlich klüger ist als das andere. Vor allem: Es mag arrogant klingen, aber wer in solchen Diskussionen Sätze wie „Ich denke Erinnerungsvermögen hat nichts mit intiligents zu tuhen“ absondert, hat sich nur in seiner eigenen Welt als Experte qualifiziert, über die Intelligenz anderer Lebewesen zu urteilen.

Die meisten sind in diesem Punkt ohnehin befangen. Kaum jemand, der sich zuhause eine Katze oder wahlweise einen Hund hält, wird zuzugeben bereit sein, dass das eigene Tier dümmer ist als ein anderes. Die Gruppe der Verfechter der These, Katzen seien intelligenter, ist nicht zufällig beinahe deckungsgleich mit den Haltern von Katzen.

Dabei ist es im Prinzip so einfach: Wer einmal eine Katze bei dem Versuch beobachtet hat, den leuchtenden Punkt eines Laserpointers zu fangen, ahnt, dass das mit Intelligenz nicht ganz so viel zu tun hat.

Katzen fliegen vom Balkon, weil sie eine Fliege fangen wollen. Zweifel an der Intelligenz habe ich inzwischen aber auch bei ihren Besitzern, die es trotz der Verfügbarkeit von entsprechenden Netzen zulassen, dass so etwas auch ein zweites Mal passiert. Ein solches Nicht-Verhalten torpediert ganz nebenbei Studien, die ernsthaft behaupten, Katzenbesitzer sind intelligenter als Hundebesitzer.

Katzen haben nur drei Gesichtsausdrücke. Daran, dass das wenig Auswahl ist, ändert auch nicht, dass es Menschen gibt, die mit der gleichen oder einer geringeren Anzahl durchs Leben gehen.

Katzen lassen sich nichts sagen. So wird aus einer Charakterfrage plötzlich eine der Intelligenz, und selbst die hält nicht stand, wenn ich mir die nicht allzu große Mühe mache, die Argumentation einmal auf den Menschen zu übertragen. Kollegen, die sich nichts sagen lassen, habe ich ja einige. Daher kann ich zweifelsfrei belegen, dass solcherlei Renitenz mitnichten ein grundsätzlicher Ausdruck von Intelligenz ist.

Unterm Strich bleiben also nicht allzu viele gute Argumente, einer Katze eine hohe Intelligenz zu attestieren.

Ein Hund ist natürlich komplett anders. Als ich einmal die Wohnungstür etwa zwei Sekunden nach meinem Verabschieden wieder aufschloss, weil ich etwas vergessen hatte, begrüßte mich der Hund als wäre ich zwei Wochen weg gewesen.

Auch würde ich meinen Hund nicht unbedingt mit einem 50-Euro-Schein ausstatten, um diesen am Bahnhof bei den Hütchenspielern zu vermehren. So präzise Hunde sonst beim Beobachten anderer Menschen sind – hierbei versagen sie regelmäßig.

Am Ende des Tages gelangt man zwangsläufig zu dem Urteil: Beide doof. Und zwar jeder auf seine Weise.

Doch was spielt das überhaupt für eine Rolle?! Mein Kater stellt sich in sein Klo und plaziert sich so, dass der Haufen außerhalb landet. Und wenn er aus Protest in die Badewanne kackt, scharrt er an der Emaille, als ob da irgendwas Geeignetes wäre, seine Spuren abzudecken. Intelligent geht anders. Aber er bleibt trotzdem eine der coolsten Säue unter der Sonne.

Mein Hund hat wie viele andere seiner Artgenossen die Angewohnheit, sich so geschickt in den Weg zu legen, dass er dauernd wieder aufstehen muss, um aus dem Weg zu gehen. Aber wenn jemand glauben sollte, dass er sich beim nächsten Mal eine Ecke sucht, in der er liegenbleiben kann, hat dieser Jemand die Intelligenz dieser Tiere schwerstens überschätzt. Intelligent geht auch in diesem Fall anders. Aber er bleibt natürlich trotzdem der beste Hund aller Zeiten.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich reagieren werde, wenn meine beiden tierischen Mitbewohner einmal nicht mehr sind, vermute aber, dass ich nicht unbedingt die scharfsinnige Gesellschaftsanalyse des Katers oder die philosophischen Ausführungen des Hundes vermissen werde. Eher schon das penetrante Wecken durch erstgenanntes Tier oder die stürmische Begrüßung durch den Hund nachdem er mich vier Wochen – pardon: zwei Stunden – nicht gesehen hat.

Es beginnt doch schon bei der Anschaffung. Wer bitteschön hat sich anstelle „ist der süüüß“ jemals gedacht, „der ist bestimmt blitzgescheit“, als er einen Wurf Welpen zur Auswahl beobachtet hat?!

Apropos Anschaffung: Wir brauchen nicht noch mehr Tiere in Zwingern, weil ihre ursprünglichen Halter bei deren Erwerb so intelligent gewesen sind, nicht einmal bis zum nächsten Urlaub gedacht zu haben. Wenn Ihr Euch ernsthaft ein Tier zulegen wollt – geht in die Tierheime! Dort gibt es super Tiere, die zuvor lediglich das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Sie sind deswegen keine schlechteren Tiere.

Wenn Ihr Platz habt, legt Euch Alpakas oder Erdmännchen zu. Meinetwegen einen Hottentotten-Graumull. Gebt den Tieren die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Aber hört auf, jeden Purzelbaum, den der Vierbeiner schlägt, als Ausdruck besonderer Intelligenz zu betrachten.

Das hat schließlich schon bei Euren Kleinkindern nicht funktioniert.

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