Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Januar 2019

Ein sehr kurzer Text über Wasser

Man hat ja von Zeit zu Zeit Phasen, in denen man dankbar ist, dass niemand in die Zukunft blicken kann. Wenn die Gegenwart abscheulich genug ist, will man lieber gar nicht erst wissen, was uns noch erwartet. Vor manchen besonders unanständigen Auswüchsen der Aufmerksamkeitsökonomie beispielsweise hat man doch schon längst kapituliert.

Dass ich dieser Tage den Glauben an die Zurechnungsfähigkeit weiter Kreise dieser Gesellschaft wieder einmal verloren habe, liegt an einem Click-Köder, dem ich auf den Leim gegangen bin: „Mann kauft bei Aldi Wasserflasche – doch mit diesem Inhalt hat er bestimmt nicht gerechnet“

Als halbwegs urteilsfähiger Konsument weiß man ja, dass die letztendliche Information „oftmals weit weniger spektakulär (ist), als die Überschrift verspricht“, wie uns Wikipedia aufklärt. Auf solche Weise hat man als interessierter Leser auch schon, geködert von der Überschrift „Jetzt spricht er dazu“, erfahren, was Angelo Kelly zum Streit mit einem Teil seiner Geschwister Wissenswertes beizutragen hat: „Was dieses Thema angeht – darüber rede ich nicht.“ So genau hatte man es im Grunde gar nicht wissen wollen.

Aus Erfahrung offensichtlich nicht klug geworden, wurde ich bei besagter Wasserflasche neugierig und dachte bereits an etwas ausgesprochen Unappetitliches oder wenigstens an einen Flaschengeist.

Nachdem ich wenige Zeilen später lesen durfte, dass es sich dabei lediglich um eine leere Flasche inmitten ansonsten ordentlich abgefüllter Flaschen eines Sechser-Gebindes handelte, war meine erste Reaktion ungläubiges Scrollen, ob ich nicht irgendwo die Pointe einfach übersehen habe.

Habe ich natürlich nicht. Das ist tatsächlich die ganze Geschichte, und es kommt nichts mehr. Der Nachrichtenwert dieser Meldung ist genauso gering wie die Flasche, um die es sich darin dreht. Dagegen sind die täglichen Wasserstandsmeldungen aus dem Dschungelcamp fast schon Meilensteine des Investigativ-Journalismus. Da eine Multiplikation mit dem Faktor Null leider auch Null ergibt, kann ich nicht einmal behaupten, meine Texte wären um ein Vielfaches relevanter. Dass dieser Beitrag bei mehreren unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurde, hat ihn nicht gehaltvoller, dafür aber meinen Glauben an die Integrität mancher Medienhäuser erschütterlicher gemacht. Die Welt wäre um einiges besser, wenn nach dem Klicken solcher Nicht-Nachrichten ein Zonk erschiene. Ein Zonk war in einer Spielshow, die vor gut 20 Jahren lief, die Niete. Die Spielshow selbst wiederum kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass früher bei weitem nicht alles besser war. So oder so wäre eine Art digitaler Zonk als unmissverständlicher Hinweis darauf, dass nach einem Klick nicht mehr allzuviel zu erwarten ist, mehr als wünschenswert.

Und als ob es nichts Wichtigeres gäbe, wurde ich bei google news drei Tage lang mit dieser sagenhaften Nachricht konfrontiert! Ich fühle mich betrogen. Serviert mir stattdessen lieber Nachrichten wie die von dem Menschen, der sich sein eigenes Sperma in den Arm spritzte in der Annahme, es handele sich um ein wirksames Mittel gegen seine Rückenschmerzen. Das ist Unterhaltung, bei der ich freiwillig gern klicke. Und den Mehrwert, dass ich nur einen Klick weit entfernt erfahren kann, was tatsächlich gegen Rückenschmerzen hilft, ebenso gern mitnehme.

Es liegt auf der Hand, dass mein Glauben an die Zurechnungsfähigkeit weiter Kreise dieser Gesellschaft durch solche Meldungen nicht unbedingt wiederhergestellt wird. Es bleibt dabei: Manchmal möchte man lieber nicht wissen, was uns noch alles erwartet.

Der Torwart und sein Waschbär

Rüdiger Vollborn. Ein anderer Name hätte garantiert größeren Sinn ergeben. In der Bundesliga hatte es zu jener Zeit an guten Torhütern nicht gemangelt, allen voran natürlich der legendäre Harald Schumacher. Vollborn, immerhin Jugend- und Junioren-Nationalspieler gewesen, hatte sich bei den Herren gegenüber der Konkurrenz nicht durchsetzen können. Das macht ihn nicht gleich zu einem schlechteren Menschen, erklärt aber die Reaktion meines Bruders, der als Antwort auf die Frage nach meinem Vorbild ziemlich sicher mit einer anderen Person gerechnet hatte. Vielleicht sei es gar nicht dumm, meinte er, sich als Leitfigur nicht die Besten auszuwählen, sondern etwas Realistischeres. Ob er damit Recht hatte oder nicht, bleibt zu klären. Als gesichert gelten darf dagegen, dass er einen für seine damaligen Verhältnisse guten Tag hatte. Man weiß nicht, ob es Absicht war oder nicht oder ob die für ihn überraschende Antwort sämtliche Sinne vernebelt hatte. Jedenfalls hatte niemand vorher meinen Bruder jemals sich derart diplomatisch äußern hören. An anderen Tagen waren nämlich von ihm eher Sprüche zu erwarten wie: „Dass Du Dir überhaupt einen Sportler zum Vorbild nimmst, ist der eigentliche Hammer!“ Und ich hätte ihm Recht geben müssen.

In einem Kurzbeitrag, den ich über Vollborn im Fernsehen gesehen hatte, war es ein Zusammenschnitt von mehreren Paraden, der mich fasziniert und letzten Endes so beeindruckt hat, dass er nach Winnetou und Bud Spencer zur ersten Person erklärt wurde, der ich bewusst nachzueifern gedachte. Obwohl ich mit meiner damaligen Figur froh sein durfte, wenn ich beim Versuch, einen Ball aus dem Winkel zu fischen, überhaupt vom Boden abhob und mich nicht einfach seitlich fallen ließ und dabei die Arme ausstreckte. Eigentlich sah ich bei meinen „Paraden“ wahrscheinlich eher aus wie ein von einem Schuss getroffener zusammensackender Akteur aus einem Winnetou-Film. Der Kreis schloss sich. Als Kinder nahmen wir ja auch an, hervorragende Schauspieler werden zu können, weil wir doch so täuschend echt umfallende Schussopfer spielen konnten. Anders ausgedrückt: Von zwei äußerst unrealistischen Karrierezielen war Schauspieler einen Hauch weniger absurd als Fußballtorwart.

Aus irgendeinem Grund sahen das meine Eltern genau anders herum und meldeten mich für einen Probetrainingstag im Fußballverein an, wo mir unmissverständlich klargemacht wurde, dass man auch dann konditionell topfit zu sein hat, wenn man doch nur die meiste Zeit des Spiels darauf wartete, dass Spieler mit Ball, wahlweise auch ein Ball ohne Spieler, aufs Tor zukamen. Von dem Torwartwunsch war ich fortan geheilt, behielt aber die Praxis bei, mich nicht mit den Besten vergleichen zu wollen. Ich kann meinen Bruder nicht als Alleinverantwortlichen für diese Misere benennen, aber seinen Beitrag hat wohl auch er dazu geleistet, dass ich am Ende so wurde, wie ich bin.

Jenseits dieses langfristigen Effektes war mein Bruder freilich selbst oft genug Vorbild für mich. Zumindest bis die Phase begann, an dem ein drei Jahre jüngerer Bruder wirklich lästig werden kann und er deswegen gezielt zu unterbinden lernte, dass ich mich weiter an ihm orientiere. Letzten Endes erfolgreich. Eine Win-win-Situation für beide Parteien, denn wie wir heute wissen, waren zu jener Zeit seine wirklich nachahmenswerten Eigenschaften und Taten so zahlreich dann eher nicht gewesen.

Ich bin mein eigenes Idol

Vorbilder kamen und gingen. Zudem lernte man im weiteren Verlauf, zwischen Vorbildern und Idolen zu differenzieren. So wie man gelernt hatte, dass man niemals ein so guter Tormann wie Rüdiger Vollborn wird, wusste man später einfach, dass man auch niemals so gut singen oder Gitarre spielen können würde wie die Stars, deren Poster im Jugendzimmer hingen. Und da Popularität seinerzeit mehr als heutzutage daran gekoppelt war, dass man irgendetwas relativ gut kann, dieses Können jedoch meist nicht so einfach zu erwerben ist, beschränkte man sich irgendwann darauf, Äußerlichkeiten seiner Stars zu kopieren: Brillenform, Kleidung, Frisur. Ich kann mich daran erinnern, wie mein Friseur die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als ich ihm eine Schallplatte von Howard Jones gezeigt und ihm den Wunsch übermittelt habe, mit genau dieser Frisur ausgestattet werden zu wollen.

Die Frisur passte weder zu meinem Gesicht noch zu meinem Typ noch zu meiner Angewohnheit, morgens exakt null Minuten Zeit für das Stylen meiner Haare aufzubringen. Der herausgekommene Kompromiss war selbst für die Achtzigerjahre, in denen sonst eigentlich alles erlaubt war, gewagt. Der Friseur hat insgeheim sehr wahrscheinlich gehofft, dass ich niemals jemandem verrate, wer für die technische Umsetzung dieser Katastrophe verantwortlich war.

Ich sah also nicht nur nicht aus wie ein Star – auch meine Gesangskarriere verlief weit weniger spektakulär als erhofft. Obwohl ich doch oft daran „arbeitete“, wenn ich gerade ´mal allein zuhause war. Keine guten Zeiten, den Glauben an den positiven Einfluss seiner Idole zu bewahren. Zu allem Überfluss versucht man sich ja irgendwann ungefähr zu dieser Zeit ohne wirkliche Not von den Eltern als den ersten und einzig wahren Vorbildern um jeden Preis zu distanzieren. Und da man ja irgendwann noch einmal später im Leben entweder alles Vorgenommene erreicht hat und mit sich selbst im Reinen ist oder eben nicht alles erreicht hat und deswegen zum Zyniker geworden ist, gehen mit dem Alter und den Zielen auch so ein bisschen die Vorbilder verloren. Heute könnte wenigstens noch der auf einem Krokodil fahrende Waschbär ein angemessenes Vorbild sein.

Damit immer noch nicht genug. Denn ab dem Moment, wo man mindestens ein Kind hat, muss man auf einmal selbst Vorbild sein. Oder will man. Idealerweise beides. Schließlich weiß man ja, dass die Kids einem eigentlich alles nachmachen, selbst wenn man sie noch so gut erzieht. Auf solche Weise werden im Prinzip ständig neue Idioten reproduziert. Kleine Arschlöcher, denen man bereits früh ansieht, dass sie später zu großen Arschlöchern werden. Exemplarisch zu beobachten, wenn schon Buben im Grundschulalter die mackerhaften Verhaltensweisen ihrer älteren Vorbilder imitieren. Noch nicht geradeaus pissen können, aber schon einen auf dicke Hose machen.

Da es schon mit dem Singen, der Schauspielerei und dem Fußballspielen nicht so geklappt hat, möchte man natürlich wenigstens das besser können. Als Teilzeitpapa sind meine Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Nachwuchs allerdings ohnehin geringer als mir lieb sein kann. Und es werden Zeiten kommen, an denen meine Haltung zu bestimmten Sachverhalten so gut wie gar nichts mehr zählt. Angesichts dieser eher trüben Aussichten hilft es ungemein, sich von Zeit zu Zeit zu vergegenwärtigen, dass man ein gutes Vorbild sein kann, auch ohne den Besten seiner Zunft anzugehören. Als Elternteil in einer Reihe zu stehen mit talentierten Torhütern, Winnetou, Bud Spencer und dem auf einem Krokodil fahrenden Waschbären ist ja schon auch kein ganz schlechtes Ergebnis. Wenn ich es am Ende meiner Tage noch in solch prominente Umgebung schaffen würde, würde mir das ja schon reichen und für manches verpasste Ziel entschädigen.

Rettet die Wale

Niemand ist perfekt: Hin und wieder taucht die Frage auf, was Blauwale verkehrt machen, da Schwimmen doch eigentlich schlank mache. Legt man den Body-Mass-Index zugrunde, ist da vermutlich auch nur wenig überhaupt zu retten. Schließlich gilt man nach menschlichen Maßstäben ab einem BMI von 25 als übergewichtig; ein Blauwal kommt auf Werte von etwa 200. So ganz genau muss man das in solchen Größenordnungen wahrscheinlich nicht mehr nehmen. Und trotzdem hört man selten andere Meeresbewohner über einen Blauwal lästern. Man weiß in diesen Kreisen offenbar zu schätzen, dass die Exkremente des Blauwals hervorragende Nährstoffe für Pflanzen und Tiere des Ozeans sind. Eine Flosse wäscht hier also offensichtlich die andere.

Niemand ist perfekt. So entferne zum Beispiel auch ich mich seit einiger Zeit im wörtlichen Sinn zunehmend von meinem Wunschgewicht. Aus diesem Grund habe ich vor ein paar Wochen beschlossen, die läppischen 15 Kilo, die mich von diesem aktuell trennen, im Laufe der nächsten Monate in Angriff zu nehmen.

Da mir diese Idee grandioserweise in der Weihnachtszeit kam, lief das Projekt anfangs etwas stockend an. Aber im Scheitern bei solchen Dingen hat man ja Erfahrung. Bereits als Kind qualifizierte mich meine Figur beim Versteck-Spielen eher zum Suchen. Man lernt dadurch früh, Dinge in Frage zu stellen. Zum Beispiel ist mir bis heute nicht klar, wieso beim Fußball alle davon ausgehen, im Tor würden die Dicken weniger Schaden anrichten als auf anderen Positionen. Selbst Jahre später, ich hatte inzwischen das erste Mal erfolgreich abgespeckt und dazu etwas an Höhe gewonnen, war ich auf die Rolle des Tormanns festgelegt. Dass in der Zwischenzeit Basketball zu unserer bevorzugten Freizeitbeschäftigung geworden war, änderte daran nur unwesentlich etwas. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls hat meine selbstverordnete Keksdiät zu Weihnachten zu keinen Ergebnissen geführt, mit denen ich heute angeben könnte. Die Idee war gut, nur die Welt wahrscheinlich noch nicht bereit dafür. Aber wenn man sich anschaut, was auf dem Markt für Abnehmwillige alles so kursiert, bräuchte man sich nicht wundern, wenn nicht irgendwo ein Spinner ernsthaft eine solche Keksdiät anbieten würde. Beim Thema Gewichtsreduktion ist der Schwachsinn eindeutiger Punktsieger gegenüber der Aufklärung.

Dünn und dünner

So gibt es beispielsweise eine Bier-Diät für die Harten, eine Wodka-Diät für die ganz Harten oder eine Wodka-Bockwurst-Diät für die Härtesten der ganz Harten. Die Sleeping-Beauty-Diät verspricht nach dem Motto „Wer schläft, sündigt nicht“ Abnehmen im Schlaf. Darauf muss man eben auch erst einmal kommen.

Es gibt eine „Power-Diät aus dem Meer“. Die Theorie dahinter: Für die schlanke Figur der meisten Fische sei nicht allein die Bewegung, die die meisten von ihnen zweifelsohne haben, verantwortlich, sondern vor allem ihre Ernährung. Die besteht – neben Blauwal-Exkrementen – aus anderen Fischen, Algen und Meeresfrüchten. Die Schlussfolgerung: Wer sich ernährt wie ein Fisch, wird auch genauso schlank. Jetzt sind die Geschmäcker natürlich unterschiedlich, und nicht wenige Menschen bevorzugen Nahrung, die sich wenigstens zeitweise an der frischen Luft aufgehalten hat. Was auf direktem Weg zum nächsten Irrsinn führt, denn es gibt tatsächlich eine „Luft-Diät“. Dabei führt man die Speise zum Mund und von dort ohne gegessen zu haben wieder zum Teller zurück. Menschenrechtsaktivisten kämpfen bereits um die Aufnahme der Luft-Diät in die UN-Antifolterkonvention.

Vom Ansatz her appetitlicher und sinnlicher, allerdings ebenfalls nicht zu Ende gedacht ist die Schokoladen-Diät: Einfach zwei Stücke dunkler Schokolade vor jeder Mahlzeit, so das einfache Rezept. Um auf eine menschlichen Bedürfnissen angemessene Menge Schokolade zu kommen, müsste man bei diesem Ansatz allerdings mindestens ein Dutzend Mahlzeiten täglich zu sich nehmen. Ich möchte einen an sich brauchbaren Ansatz nicht schlecht reden, meine aber gute Gründe zu der Annahme zu haben, dass man bei einer solchen Anzahl alles andere als abnimmt.

Ein weiteres grundsätzliches Problem dieser und anderer Schokoladen-Diäten: Sie funktionieren nur mit dunkler Schokolade. So sinnvoll das auch erscheinen mag – für mich persönlich sind solche Konzepte damit gestorben.

Ein früherer Kollege hatte einmal eine sehr dunkle Schokolade mitgebracht. Die war so staubig, dass keiner von uns überhaupt ein Stück ´runterschlucken konnte. Da hatte hinterher niemand auf irgendwas Appetit. Wir waren viel eher damit beschäftigt, geeignete Mittel zum Nachspülen zu finden. Aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Dass eine weiße Schokolade oder gar eine Milchschokolade den Appetit ähnlich zügeln würde wie eine dunkle, kann ich nach über 40 Jahren Selbstversuchen nicht direkt bestätigen. Und leider befinde ich mich mit dieser Beobachtung auf Augenhöhe mit dem Stand der Wissenschaft.

Niemand ist perfekt. Ich weiß immerhin, dass ich eigentlich nur auf meine kleinen Zwischenmahlzeiten verzichten muss, die, wenn ich ehrlich bin, erstens nicht klein und zweitens keine Zwischenmahlzeiten sind. Eine Handvoll Datteln wäre eine Zwischenmahlzeit, eine halbe Tafel Schokolade ist es nicht. Vor allem sollte eine Zwischenmahlzeit einmal zwischen zwei Hauptmahlzeiten eingenommen werden. Nicht dreimal. Ich bin überrascht, dass mir der Verzicht drauf momentan sehr leicht fällt, fürchte aber, das dicke Ende kommt erst noch. Sind diese Leckerlis zwischendurch doch genau das, was das Leben lebenswert macht. Kein mit Blattgold überzogenes Steak könnte mit einer Rippe schwarzen Goldes mithalten. Selbst wenn ich mir aus Fleisch noch irgendetwas machen würde.

Aber wenn alles nichts hilft, kann ich es immer noch mit Schwimmen versuchen.

Das Auge hört mit

Es mag durchaus sein, dass Musik-Streaming in Zukunft manche Paarbeziehung retten wird. Durch die Entkopplung von Musik-Bibliothek und Platzbedarf bleibt dem Musikliebhaber nämlich nicht nur unangenehme Schlepperei bei Umzügen erspart, sondern auch manche Streiterei mit dem Partner sowie daraus resultierende faule Kompromisse. Vorbei die Zeiten, in denen jeder Quadratzentimeter der gemeinsamen Wohnung zur Verhandlungsmasse wird, auf dass man sich einigen möge, ob ausgerechnet an dieser exponierten Stelle die 600 Titel umfassende Plattensammlung untergebracht werden soll oder stattdessen die Standuhr und der Beistelltisch aus der Mitgift des anderen Partners.

Keine Frage – wenn man die Debatte führt, ob die schöne neue Streaming-Welt dem physischen Tonträger überlegen ist oder umgekehrt, darf man diesen Aspekt bitte nicht unter den Tisch kehren. Dass das digitale Angebot darüber hinaus auch das Kennenlernen neuer Musik vereinfacht, wenn man es richtig anstellt, muss ebenfalls anerkannt werden. Nicht zuletzt werden wertvolle Rohstoffe gespart, weil nicht mehr jeder Schrott, den sich zu Recht niemand ein zweites Mal anhören will, in hohen Auflagen hergestellt wird.

Bis hierhin deutet also vieles auf einen eindeutigen Punktsieg des Streamens hin. Da aber nun nicht nur die Welt als Ganzes eine komplexe Angelegenheit ist, sondern auch bei dieser Thematik nicht immer alles nur Schwarz oder Weiß, ist die Diskussion an dieser Stelle nicht beendet. Man wird auf Nachteile der einen Methode stoßen und Vorteile der anderen ausfindig machen. Und rasch gelangt man an einen Punkt, der in diesem Zusammenhang noch jedes Mal zugunsten von CD oder Vinyl ins Feld geführt wird: die Covergestaltung.

Auch wenn es wieder ´mal wie ein Rückzugsgefecht desjenigen klingt, der mit technischem Wandel oft überfordert ist – das Betrachten einer Schallplattenhülle bleibt stets ein Ereignis für sich! In der Tat war früher manche Kaufentscheidung schneller gefällt, wenn ordentliche Musik auch noch in einem ansprechenden Cover geliefert wurde. Früher, das meint übrigens in diesem Zusammenhang eine Zeit vor gut 30 Jahren, in der das Herz des Verfassers dieser Zeilen für Metal schlug.

Gerade in diesem Genre gibt es traditionell viele Beispiele gelungener Covergestaltung, bei der neben der Musik ein eigenständiges kleines Kunstwerk entstanden ist.

Wie überall im Leben gibt es allerdings auch zahlreiche Beispiele, in denen weit übers eigentliche Ziel hinausgeschossen wurde. Auch wenn sich über Geschmack vortrefflich streiten lässt, wirken einige Plattenhüllen nicht erst aus heutiger Sicht nur verstörend auf den Betrachter.

Üble Cover sind selbstverständlich kein Merkmal, das Metal exklusiv hätte. Grenzwertige Produktverpackungen gibt es in jeder musikalischen Sparte zu entdecken, wenn man aufmerksam genug hinsieht. Jedoch ist der Anteil der unfreiwillig komischen Kunstwerke in der Metal-Szene nachweislich am höchsten. Da sind Fabelwesen, Schlachtfelder und Motorräder zu sehen. Es wimmelt von Schwertern, Äxten, Blut und Knochen. Da ist zumeist massivst Pathos drin. Was soll man auch anderes erwarten bei Combos, die sich Namen wie Destruction, Megadeth, Metal Church oder Overkill geben?! Letzten Endes war die Namensgebung oft nicht viel origineller als bei den Kollegen der Kastelruther Spatzen oder Zillertaler Schürzenjäger.

Wäre demnach die Welt eine bessere, wenn sich auf den Umschlägen der Tonträger lediglich ordinäre Bandfotos befunden hätten? Mitnichten! Dazu sollte man zunächst wissen, dass es im Metal keine normalen Bandfotos gibt. Anstatt sich auf die klassischen Trademarks einer Rockband wie Jeanshosen, Lederjacken und Sonnenbrillen zu beschränken, muss richtig auf die Kacke gehauen werden: Hier die androgyn geschminkten und besser als jede Fußballer-Gattin frisierten Rocker von Poison oder Mötley Crüe, dort der in seinem Outfit an einen zerrupften Vogel erinnernde Sänger von Twisted Sister. Andernorts die von Kopf bis Fuß in Nieten gewandeten Destruction, und dazwischen immer wieder Manowar, die in Sachen Outfit seit jeher in einer eigenen Liga spielen und sich alle erdenkbare Mühe geben, jegliche von ihnen selbst gesetzten geschmacklichen Tiefmarken immer wieder zu unterbieten. Bei Manowar dürfte sich keiner wundern, wenn irgendjemand glaubt, dass die zwischen ihren Auftritten im Käfig gehalten werden. Irgendwo zwischen all diesen Polen muss die Geburtsstätte des Begriffs „Fremdschämen“ liegen.

Zusammengefasst: Bei manchen Kapellen wäre es im Nachhinein besser gewesen, man hätte nie erfahren, wie sie aussehen. Dass die Texte oftmals genauso bescheuert sind wie es das gesamte Drumherum befürchten lässt, kommt am Ende ja noch dazu. Streng genommen durften die Vorbehalte meiner Eltern gegenüber dieser Musik nicht wirklich überraschen.

Nach Durchsicht meiner Plattensammlung, die ich seit der Trennung an exponierter Stelle in der ehemals gemeinsamen Wohnung untergebracht habe, stelle ich fest: Wenn eine Kanone auf dem Cover ist, kannst Du die Platte eigentlich kaufen, ohne vorher ´reingehört zu haben.

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