Auf dem schmalen Grat zwischen Galgenhumor und Zynismus sollte das Standbein zu jeder Zeit so ausgerichtet werden, dass man im Falle eines Falles zuverlässig auf der Seite der Komik landet. Das ist die nur auf den ersten Blick simple Formel, die ich dieser Tage – sicher nicht völlig ohne Anlass – entwickelt habe. Doch prompt mischt sich Skepsis in das erhabene Gefühl, nicht weniger als die Überlebensformel für mich und weitere Gestrafte gefunden zu haben: Sich eine Strategie zurechtzulegen, ist die eine Seite. Sie anschließend im Alltag auch konkret umzusetzen, ist die ungemein schwierigere Aufgabe. Das Leben hält stets eine Fülle an Situationen bereit, anhand derer dieses Konzept auf seine Praxistauglichkeit überprüft werden kann. Und nicht in jeder dieser Situationen habe ich diesen einen Kollegen neben mir, der lässig, doch zuverlässig verhindert, dass meine Stimmung in die unerwünschte Richtung kippt.
Man könnte an dieser Stelle mit einer gewissen Berechtigung beanstanden, dass ich hier im Blog schon zu originelleren Erkenntnissen gelangt bin. Das man mit Humor besser durchs Leben kommt, haben die meisten wahrscheinlich schon irgendwie, und sei es aus eigener Erfahrung, mitbekommen.
Was schon weniger wissen: Nicht immer ist Humor auf ausgelassene Stimmung zurückzuführen.„Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer“, wusste zum Beispiel schon Mark Twain. Joachim Ringelnatz ergänzte dazu: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt.“
Auf der anderen Seite hat ein gelebter Zynismus nicht nur Schattenseiten. Die mit seiner Hilfe errichtete Mauer zwischen Gesellschaft und von ihr geplagtem Individuum schützt zunächst hauptsächlich Letztgenannten, idealtypisch aber beide Seiten vor schlimmerer Unbill.
Außerdem berührt die Idee, alle Menschen gleich schlecht zu beurteilen, mein Gerechtigkeitsempfinden mehr als andere Geisteshaltungen es zu tun vermögen. Wahrscheinlich aus diesem Grund ist es nicht komplett aus der Luft gegriffen, dass mir bereits von verschiedener Seite vorgeworfen wurde, meine Blogeinträge seien teilweise sehr zynisch.
Doch Ernst beiseite – kommen wir zur Klärung der Frage, wieso den Alternativen Galgenhumor und Zynismus kein dritter, optimistischerer Weg zur Seite gestellt wurde. Die einfache Antwort: Weil ich Optimismus in Bezug auf die Entwicklung unserer Gesellschaft inzwischen als völlig unangebrachte, weil unrealistische Variante halte.
Denn wenn uns die durch ein neuartiges Virus herbeigeführte aktuelle Krise bis jetzt eines gelehrt hat, dann ja wohl als erstes, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung relativ bis sehr dumm ist. Zweitens darf sich bestätigt fühlen, wer schon seit längerem geahnt hat, dass man in einer Welt voller Egoisten lebt. Man muss sich also, drittens, schon sehr anstrengen, um angesichts dieser Zustände nicht zum Zyniker zu werden.
Erinnern wir uns: Bereits zu einer Zeit, in der noch niemand seriös voraussagen konnte, ob die ersten eingeleiteten Maßnahmen überhaupt die erhoffte Wirkung zeigen würden, forderten die ersten, dass das jetzt aber bitte langsam ´mal ein Ende haben müsse. Ganz als ob eine Epidemie sich auf Anordnung beenden ließe, wurden die politischen Entscheidungsträger als erste Sündenböcke präsentiert. Man möchte sich als klar denkender Mensch nicht ausmalen, was die Leute hier erst veranstalten würden, wenn einmal eine Lage eintritt, die uns mehr abnötigt als eine gewisse Zeit ein paar Leute weniger zu treffen.
Ich möchte nicht behaupten, das alles wäre der am wenigsten anstrengende Lockdown in der Geschichte dieser Republik gewesen, aber man muss den Tatsachen ins von der Alltagsmaske verdeckte Gesicht sehen: Manche Leute bekommen es nicht einmal auf die Kette, einen Mund-Nasen-Schutz korrekt über ihren Rüssel zu ziehen und das Teil genau so wenigstens für die 15 Minuten ihres Einkaufs an dieser Stelle zu behalten. Anderen dämmert derweil: Da wir mit genau denselben Leuten demnächst aber auch kaum weniger dringende Aufgaben wie Aufhalten des Klimawandels managen müssen, muss man mit Humor schon besonders reichhaltig ausgestattet sein.
Das Problem ist im Prinzip auch schnell identifiziert: Würden die Masken nicht andere Menschen, sondern ihre Träger selbst besser vor Ansteckung schützen, wären die Dinger vermutlich selbstverständlich über allen Gesichtern und würden kaum infrage gestellt. Dummerweise bewahrt die Alltagsmaske aber nur andere Menschen davor, sich mit einer wenigstens potentiell tödlichen Krankheit zu infizieren. Und wegen einer Handvoll Toten mehr oder weniger muss man sich argumentativ auch nicht weiter bemühen.
„Das Maskentragen nervt allmählich“, gibt ein Maskenmuffel allen Ernstes zur Auskunft! Man kennt das ja: Bisherige Erfahrungen mit Krankheitserregern zeigen regelmäßig, dass diese sich von Stimmungen in der Bevölkerung schwer beeindrucken lassen. Die Geschichtsbücher sind reich an Beispielen von Epidemien, die nur deshalb eingedämmt wurden, weil die Menschen keinen Bock mehr auf sie hatten. Vielleicht nochmal in aller Klarheit: „Kein Bock“ oder „uncool“ sind keine Argumente, sondern Verhalten auf Kleinkind-Niveau. Dass, wie von vielen kritisch angemerkt, die Kanzlerin in ihren ersten Ansprachen zum Thema zur Bevölkerung wie zu kleinen Kindern geredet habe, wird seine Gründe genau darin gehabt haben: dass nämlich geschätzt die Hälfte es anders gar nicht verstanden hätte. Dass in anderen Ländern der Staatschef selbst sich wie ein kleines Kind verhält, macht die Angelegenheit übrigens nicht einfacher.
Es kann ja sein, dass nicht jeder die Zeit hat, irgendwas mit Zeitung oder so zu lesen, wenn man ganz offensichtlich den kompletten Tag im Fitness-Studio verbringen muss. Von Ladeninhabern erwarte ich aber, dass sie darüber informiert sind, was erlaubt ist und was nicht. Ihre Interessenvertretungen haben lange genug dafür gekämpft, dass sie unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen dürfen. Wie kann es also sein, dass beispielsweise bei einem Friseur in der Offenbacher Waldstraße, an dem ich einmal die Woche vorbei komme, regelmäßig keiner der Mitarbeiter und keiner der Kunden auch nur irgendein Stück Stoff vor der Nase hat?!
„Ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur Erfahrung – und das ist so ziemlich dasselbe“, verrät Oscar Wilde. Ja, zwischen Galgenhumor und Zynismus ist es bloß ein schmaler Grat. Wenn ich den vorliegenden Text so als Ganzes betrachte, hat wohl mein Spielbein dem Standbein ein Bein gestellt.