Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky Seite 9 von 19

Ein sehr kurzer Text über Wasser

Man hat ja von Zeit zu Zeit Phasen, in denen man dankbar ist, dass niemand in die Zukunft blicken kann. Wenn die Gegenwart abscheulich genug ist, will man lieber gar nicht erst wissen, was uns noch erwartet. Vor manchen besonders unanständigen Auswüchsen der Aufmerksamkeitsökonomie beispielsweise hat man doch schon längst kapituliert.

Dass ich dieser Tage den Glauben an die Zurechnungsfähigkeit weiter Kreise dieser Gesellschaft wieder einmal verloren habe, liegt an einem Click-Köder, dem ich auf den Leim gegangen bin: „Mann kauft bei Aldi Wasserflasche – doch mit diesem Inhalt hat er bestimmt nicht gerechnet“

Als halbwegs urteilsfähiger Konsument weiß man ja, dass die letztendliche Information „oftmals weit weniger spektakulär (ist), als die Überschrift verspricht“, wie uns Wikipedia aufklärt. Auf solche Weise hat man als interessierter Leser auch schon, geködert von der Überschrift „Jetzt spricht er dazu“, erfahren, was Angelo Kelly zum Streit mit einem Teil seiner Geschwister Wissenswertes beizutragen hat: „Was dieses Thema angeht – darüber rede ich nicht.“ So genau hatte man es im Grunde gar nicht wissen wollen.

Aus Erfahrung offensichtlich nicht klug geworden, wurde ich bei besagter Wasserflasche neugierig und dachte bereits an etwas ausgesprochen Unappetitliches oder wenigstens an einen Flaschengeist.

Nachdem ich wenige Zeilen später lesen durfte, dass es sich dabei lediglich um eine leere Flasche inmitten ansonsten ordentlich abgefüllter Flaschen eines Sechser-Gebindes handelte, war meine erste Reaktion ungläubiges Scrollen, ob ich nicht irgendwo die Pointe einfach übersehen habe.

Habe ich natürlich nicht. Das ist tatsächlich die ganze Geschichte, und es kommt nichts mehr. Der Nachrichtenwert dieser Meldung ist genauso gering wie die Flasche, um die es sich darin dreht. Dagegen sind die täglichen Wasserstandsmeldungen aus dem Dschungelcamp fast schon Meilensteine des Investigativ-Journalismus. Da eine Multiplikation mit dem Faktor Null leider auch Null ergibt, kann ich nicht einmal behaupten, meine Texte wären um ein Vielfaches relevanter. Dass dieser Beitrag bei mehreren unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurde, hat ihn nicht gehaltvoller, dafür aber meinen Glauben an die Integrität mancher Medienhäuser erschütterlicher gemacht. Die Welt wäre um einiges besser, wenn nach dem Klicken solcher Nicht-Nachrichten ein Zonk erschiene. Ein Zonk war in einer Spielshow, die vor gut 20 Jahren lief, die Niete. Die Spielshow selbst wiederum kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass früher bei weitem nicht alles besser war. So oder so wäre eine Art digitaler Zonk als unmissverständlicher Hinweis darauf, dass nach einem Klick nicht mehr allzuviel zu erwarten ist, mehr als wünschenswert.

Und als ob es nichts Wichtigeres gäbe, wurde ich bei google news drei Tage lang mit dieser sagenhaften Nachricht konfrontiert! Ich fühle mich betrogen. Serviert mir stattdessen lieber Nachrichten wie die von dem Menschen, der sich sein eigenes Sperma in den Arm spritzte in der Annahme, es handele sich um ein wirksames Mittel gegen seine Rückenschmerzen. Das ist Unterhaltung, bei der ich freiwillig gern klicke. Und den Mehrwert, dass ich nur einen Klick weit entfernt erfahren kann, was tatsächlich gegen Rückenschmerzen hilft, ebenso gern mitnehme.

Es liegt auf der Hand, dass mein Glauben an die Zurechnungsfähigkeit weiter Kreise dieser Gesellschaft durch solche Meldungen nicht unbedingt wiederhergestellt wird. Es bleibt dabei: Manchmal möchte man lieber nicht wissen, was uns noch alles erwartet.

Der Torwart und sein Waschbär

Rüdiger Vollborn. Ein anderer Name hätte garantiert größeren Sinn ergeben. In der Bundesliga hatte es zu jener Zeit an guten Torhütern nicht gemangelt, allen voran natürlich der legendäre Harald Schumacher. Vollborn, immerhin Jugend- und Junioren-Nationalspieler gewesen, hatte sich bei den Herren gegenüber der Konkurrenz nicht durchsetzen können. Das macht ihn nicht gleich zu einem schlechteren Menschen, erklärt aber die Reaktion meines Bruders, der als Antwort auf die Frage nach meinem Vorbild ziemlich sicher mit einer anderen Person gerechnet hatte. Vielleicht sei es gar nicht dumm, meinte er, sich als Leitfigur nicht die Besten auszuwählen, sondern etwas Realistischeres. Ob er damit Recht hatte oder nicht, bleibt zu klären. Als gesichert gelten darf dagegen, dass er einen für seine damaligen Verhältnisse guten Tag hatte. Man weiß nicht, ob es Absicht war oder nicht oder ob die für ihn überraschende Antwort sämtliche Sinne vernebelt hatte. Jedenfalls hatte niemand vorher meinen Bruder jemals sich derart diplomatisch äußern hören. An anderen Tagen waren nämlich von ihm eher Sprüche zu erwarten wie: „Dass Du Dir überhaupt einen Sportler zum Vorbild nimmst, ist der eigentliche Hammer!“ Und ich hätte ihm Recht geben müssen.

In einem Kurzbeitrag, den ich über Vollborn im Fernsehen gesehen hatte, war es ein Zusammenschnitt von mehreren Paraden, der mich fasziniert und letzten Endes so beeindruckt hat, dass er nach Winnetou und Bud Spencer zur ersten Person erklärt wurde, der ich bewusst nachzueifern gedachte. Obwohl ich mit meiner damaligen Figur froh sein durfte, wenn ich beim Versuch, einen Ball aus dem Winkel zu fischen, überhaupt vom Boden abhob und mich nicht einfach seitlich fallen ließ und dabei die Arme ausstreckte. Eigentlich sah ich bei meinen „Paraden“ wahrscheinlich eher aus wie ein von einem Schuss getroffener zusammensackender Akteur aus einem Winnetou-Film. Der Kreis schloss sich. Als Kinder nahmen wir ja auch an, hervorragende Schauspieler werden zu können, weil wir doch so täuschend echt umfallende Schussopfer spielen konnten. Anders ausgedrückt: Von zwei äußerst unrealistischen Karrierezielen war Schauspieler einen Hauch weniger absurd als Fußballtorwart.

Aus irgendeinem Grund sahen das meine Eltern genau anders herum und meldeten mich für einen Probetrainingstag im Fußballverein an, wo mir unmissverständlich klargemacht wurde, dass man auch dann konditionell topfit zu sein hat, wenn man doch nur die meiste Zeit des Spiels darauf wartete, dass Spieler mit Ball, wahlweise auch ein Ball ohne Spieler, aufs Tor zukamen. Von dem Torwartwunsch war ich fortan geheilt, behielt aber die Praxis bei, mich nicht mit den Besten vergleichen zu wollen. Ich kann meinen Bruder nicht als Alleinverantwortlichen für diese Misere benennen, aber seinen Beitrag hat wohl auch er dazu geleistet, dass ich am Ende so wurde, wie ich bin.

Jenseits dieses langfristigen Effektes war mein Bruder freilich selbst oft genug Vorbild für mich. Zumindest bis die Phase begann, an dem ein drei Jahre jüngerer Bruder wirklich lästig werden kann und er deswegen gezielt zu unterbinden lernte, dass ich mich weiter an ihm orientiere. Letzten Endes erfolgreich. Eine Win-win-Situation für beide Parteien, denn wie wir heute wissen, waren zu jener Zeit seine wirklich nachahmenswerten Eigenschaften und Taten so zahlreich dann eher nicht gewesen.

Ich bin mein eigenes Idol

Vorbilder kamen und gingen. Zudem lernte man im weiteren Verlauf, zwischen Vorbildern und Idolen zu differenzieren. So wie man gelernt hatte, dass man niemals ein so guter Tormann wie Rüdiger Vollborn wird, wusste man später einfach, dass man auch niemals so gut singen oder Gitarre spielen können würde wie die Stars, deren Poster im Jugendzimmer hingen. Und da Popularität seinerzeit mehr als heutzutage daran gekoppelt war, dass man irgendetwas relativ gut kann, dieses Können jedoch meist nicht so einfach zu erwerben ist, beschränkte man sich irgendwann darauf, Äußerlichkeiten seiner Stars zu kopieren: Brillenform, Kleidung, Frisur. Ich kann mich daran erinnern, wie mein Friseur die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als ich ihm eine Schallplatte von Howard Jones gezeigt und ihm den Wunsch übermittelt habe, mit genau dieser Frisur ausgestattet werden zu wollen.

Die Frisur passte weder zu meinem Gesicht noch zu meinem Typ noch zu meiner Angewohnheit, morgens exakt null Minuten Zeit für das Stylen meiner Haare aufzubringen. Der herausgekommene Kompromiss war selbst für die Achtzigerjahre, in denen sonst eigentlich alles erlaubt war, gewagt. Der Friseur hat insgeheim sehr wahrscheinlich gehofft, dass ich niemals jemandem verrate, wer für die technische Umsetzung dieser Katastrophe verantwortlich war.

Ich sah also nicht nur nicht aus wie ein Star – auch meine Gesangskarriere verlief weit weniger spektakulär als erhofft. Obwohl ich doch oft daran „arbeitete“, wenn ich gerade ´mal allein zuhause war. Keine guten Zeiten, den Glauben an den positiven Einfluss seiner Idole zu bewahren. Zu allem Überfluss versucht man sich ja irgendwann ungefähr zu dieser Zeit ohne wirkliche Not von den Eltern als den ersten und einzig wahren Vorbildern um jeden Preis zu distanzieren. Und da man ja irgendwann noch einmal später im Leben entweder alles Vorgenommene erreicht hat und mit sich selbst im Reinen ist oder eben nicht alles erreicht hat und deswegen zum Zyniker geworden ist, gehen mit dem Alter und den Zielen auch so ein bisschen die Vorbilder verloren. Heute könnte wenigstens noch der auf einem Krokodil fahrende Waschbär ein angemessenes Vorbild sein.

Damit immer noch nicht genug. Denn ab dem Moment, wo man mindestens ein Kind hat, muss man auf einmal selbst Vorbild sein. Oder will man. Idealerweise beides. Schließlich weiß man ja, dass die Kids einem eigentlich alles nachmachen, selbst wenn man sie noch so gut erzieht. Auf solche Weise werden im Prinzip ständig neue Idioten reproduziert. Kleine Arschlöcher, denen man bereits früh ansieht, dass sie später zu großen Arschlöchern werden. Exemplarisch zu beobachten, wenn schon Buben im Grundschulalter die mackerhaften Verhaltensweisen ihrer älteren Vorbilder imitieren. Noch nicht geradeaus pissen können, aber schon einen auf dicke Hose machen.

Da es schon mit dem Singen, der Schauspielerei und dem Fußballspielen nicht so geklappt hat, möchte man natürlich wenigstens das besser können. Als Teilzeitpapa sind meine Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Nachwuchs allerdings ohnehin geringer als mir lieb sein kann. Und es werden Zeiten kommen, an denen meine Haltung zu bestimmten Sachverhalten so gut wie gar nichts mehr zählt. Angesichts dieser eher trüben Aussichten hilft es ungemein, sich von Zeit zu Zeit zu vergegenwärtigen, dass man ein gutes Vorbild sein kann, auch ohne den Besten seiner Zunft anzugehören. Als Elternteil in einer Reihe zu stehen mit talentierten Torhütern, Winnetou, Bud Spencer und dem auf einem Krokodil fahrenden Waschbären ist ja schon auch kein ganz schlechtes Ergebnis. Wenn ich es am Ende meiner Tage noch in solch prominente Umgebung schaffen würde, würde mir das ja schon reichen und für manches verpasste Ziel entschädigen.

Rettet die Wale

Niemand ist perfekt: Hin und wieder taucht die Frage auf, was Blauwale verkehrt machen, da Schwimmen doch eigentlich schlank mache. Legt man den Body-Mass-Index zugrunde, ist da vermutlich auch nur wenig überhaupt zu retten. Schließlich gilt man nach menschlichen Maßstäben ab einem BMI von 25 als übergewichtig; ein Blauwal kommt auf Werte von etwa 200. So ganz genau muss man das in solchen Größenordnungen wahrscheinlich nicht mehr nehmen. Und trotzdem hört man selten andere Meeresbewohner über einen Blauwal lästern. Man weiß in diesen Kreisen offenbar zu schätzen, dass die Exkremente des Blauwals hervorragende Nährstoffe für Pflanzen und Tiere des Ozeans sind. Eine Flosse wäscht hier also offensichtlich die andere.

Niemand ist perfekt. So entferne zum Beispiel auch ich mich seit einiger Zeit im wörtlichen Sinn zunehmend von meinem Wunschgewicht. Aus diesem Grund habe ich vor ein paar Wochen beschlossen, die läppischen 15 Kilo, die mich von diesem aktuell trennen, im Laufe der nächsten Monate in Angriff zu nehmen.

Da mir diese Idee grandioserweise in der Weihnachtszeit kam, lief das Projekt anfangs etwas stockend an. Aber im Scheitern bei solchen Dingen hat man ja Erfahrung. Bereits als Kind qualifizierte mich meine Figur beim Versteck-Spielen eher zum Suchen. Man lernt dadurch früh, Dinge in Frage zu stellen. Zum Beispiel ist mir bis heute nicht klar, wieso beim Fußball alle davon ausgehen, im Tor würden die Dicken weniger Schaden anrichten als auf anderen Positionen. Selbst Jahre später, ich hatte inzwischen das erste Mal erfolgreich abgespeckt und dazu etwas an Höhe gewonnen, war ich auf die Rolle des Tormanns festgelegt. Dass in der Zwischenzeit Basketball zu unserer bevorzugten Freizeitbeschäftigung geworden war, änderte daran nur unwesentlich etwas. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls hat meine selbstverordnete Keksdiät zu Weihnachten zu keinen Ergebnissen geführt, mit denen ich heute angeben könnte. Die Idee war gut, nur die Welt wahrscheinlich noch nicht bereit dafür. Aber wenn man sich anschaut, was auf dem Markt für Abnehmwillige alles so kursiert, bräuchte man sich nicht wundern, wenn nicht irgendwo ein Spinner ernsthaft eine solche Keksdiät anbieten würde. Beim Thema Gewichtsreduktion ist der Schwachsinn eindeutiger Punktsieger gegenüber der Aufklärung.

Dünn und dünner

So gibt es beispielsweise eine Bier-Diät für die Harten, eine Wodka-Diät für die ganz Harten oder eine Wodka-Bockwurst-Diät für die Härtesten der ganz Harten. Die Sleeping-Beauty-Diät verspricht nach dem Motto „Wer schläft, sündigt nicht“ Abnehmen im Schlaf. Darauf muss man eben auch erst einmal kommen.

Es gibt eine „Power-Diät aus dem Meer“. Die Theorie dahinter: Für die schlanke Figur der meisten Fische sei nicht allein die Bewegung, die die meisten von ihnen zweifelsohne haben, verantwortlich, sondern vor allem ihre Ernährung. Die besteht – neben Blauwal-Exkrementen – aus anderen Fischen, Algen und Meeresfrüchten. Die Schlussfolgerung: Wer sich ernährt wie ein Fisch, wird auch genauso schlank. Jetzt sind die Geschmäcker natürlich unterschiedlich, und nicht wenige Menschen bevorzugen Nahrung, die sich wenigstens zeitweise an der frischen Luft aufgehalten hat. Was auf direktem Weg zum nächsten Irrsinn führt, denn es gibt tatsächlich eine „Luft-Diät“. Dabei führt man die Speise zum Mund und von dort ohne gegessen zu haben wieder zum Teller zurück. Menschenrechtsaktivisten kämpfen bereits um die Aufnahme der Luft-Diät in die UN-Antifolterkonvention.

Vom Ansatz her appetitlicher und sinnlicher, allerdings ebenfalls nicht zu Ende gedacht ist die Schokoladen-Diät: Einfach zwei Stücke dunkler Schokolade vor jeder Mahlzeit, so das einfache Rezept. Um auf eine menschlichen Bedürfnissen angemessene Menge Schokolade zu kommen, müsste man bei diesem Ansatz allerdings mindestens ein Dutzend Mahlzeiten täglich zu sich nehmen. Ich möchte einen an sich brauchbaren Ansatz nicht schlecht reden, meine aber gute Gründe zu der Annahme zu haben, dass man bei einer solchen Anzahl alles andere als abnimmt.

Ein weiteres grundsätzliches Problem dieser und anderer Schokoladen-Diäten: Sie funktionieren nur mit dunkler Schokolade. So sinnvoll das auch erscheinen mag – für mich persönlich sind solche Konzepte damit gestorben.

Ein früherer Kollege hatte einmal eine sehr dunkle Schokolade mitgebracht. Die war so staubig, dass keiner von uns überhaupt ein Stück ´runterschlucken konnte. Da hatte hinterher niemand auf irgendwas Appetit. Wir waren viel eher damit beschäftigt, geeignete Mittel zum Nachspülen zu finden. Aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Dass eine weiße Schokolade oder gar eine Milchschokolade den Appetit ähnlich zügeln würde wie eine dunkle, kann ich nach über 40 Jahren Selbstversuchen nicht direkt bestätigen. Und leider befinde ich mich mit dieser Beobachtung auf Augenhöhe mit dem Stand der Wissenschaft.

Niemand ist perfekt. Ich weiß immerhin, dass ich eigentlich nur auf meine kleinen Zwischenmahlzeiten verzichten muss, die, wenn ich ehrlich bin, erstens nicht klein und zweitens keine Zwischenmahlzeiten sind. Eine Handvoll Datteln wäre eine Zwischenmahlzeit, eine halbe Tafel Schokolade ist es nicht. Vor allem sollte eine Zwischenmahlzeit einmal zwischen zwei Hauptmahlzeiten eingenommen werden. Nicht dreimal. Ich bin überrascht, dass mir der Verzicht drauf momentan sehr leicht fällt, fürchte aber, das dicke Ende kommt erst noch. Sind diese Leckerlis zwischendurch doch genau das, was das Leben lebenswert macht. Kein mit Blattgold überzogenes Steak könnte mit einer Rippe schwarzen Goldes mithalten. Selbst wenn ich mir aus Fleisch noch irgendetwas machen würde.

Aber wenn alles nichts hilft, kann ich es immer noch mit Schwimmen versuchen.

Das Auge hört mit

Es mag durchaus sein, dass Musik-Streaming in Zukunft manche Paarbeziehung retten wird. Durch die Entkopplung von Musik-Bibliothek und Platzbedarf bleibt dem Musikliebhaber nämlich nicht nur unangenehme Schlepperei bei Umzügen erspart, sondern auch manche Streiterei mit dem Partner sowie daraus resultierende faule Kompromisse. Vorbei die Zeiten, in denen jeder Quadratzentimeter der gemeinsamen Wohnung zur Verhandlungsmasse wird, auf dass man sich einigen möge, ob ausgerechnet an dieser exponierten Stelle die 600 Titel umfassende Plattensammlung untergebracht werden soll oder stattdessen die Standuhr und der Beistelltisch aus der Mitgift des anderen Partners.

Keine Frage – wenn man die Debatte führt, ob die schöne neue Streaming-Welt dem physischen Tonträger überlegen ist oder umgekehrt, darf man diesen Aspekt bitte nicht unter den Tisch kehren. Dass das digitale Angebot darüber hinaus auch das Kennenlernen neuer Musik vereinfacht, wenn man es richtig anstellt, muss ebenfalls anerkannt werden. Nicht zuletzt werden wertvolle Rohstoffe gespart, weil nicht mehr jeder Schrott, den sich zu Recht niemand ein zweites Mal anhören will, in hohen Auflagen hergestellt wird.

Bis hierhin deutet also vieles auf einen eindeutigen Punktsieg des Streamens hin. Da aber nun nicht nur die Welt als Ganzes eine komplexe Angelegenheit ist, sondern auch bei dieser Thematik nicht immer alles nur Schwarz oder Weiß, ist die Diskussion an dieser Stelle nicht beendet. Man wird auf Nachteile der einen Methode stoßen und Vorteile der anderen ausfindig machen. Und rasch gelangt man an einen Punkt, der in diesem Zusammenhang noch jedes Mal zugunsten von CD oder Vinyl ins Feld geführt wird: die Covergestaltung.

Auch wenn es wieder ´mal wie ein Rückzugsgefecht desjenigen klingt, der mit technischem Wandel oft überfordert ist – das Betrachten einer Schallplattenhülle bleibt stets ein Ereignis für sich! In der Tat war früher manche Kaufentscheidung schneller gefällt, wenn ordentliche Musik auch noch in einem ansprechenden Cover geliefert wurde. Früher, das meint übrigens in diesem Zusammenhang eine Zeit vor gut 30 Jahren, in der das Herz des Verfassers dieser Zeilen für Metal schlug.

Gerade in diesem Genre gibt es traditionell viele Beispiele gelungener Covergestaltung, bei der neben der Musik ein eigenständiges kleines Kunstwerk entstanden ist.

Wie überall im Leben gibt es allerdings auch zahlreiche Beispiele, in denen weit übers eigentliche Ziel hinausgeschossen wurde. Auch wenn sich über Geschmack vortrefflich streiten lässt, wirken einige Plattenhüllen nicht erst aus heutiger Sicht nur verstörend auf den Betrachter.

Üble Cover sind selbstverständlich kein Merkmal, das Metal exklusiv hätte. Grenzwertige Produktverpackungen gibt es in jeder musikalischen Sparte zu entdecken, wenn man aufmerksam genug hinsieht. Jedoch ist der Anteil der unfreiwillig komischen Kunstwerke in der Metal-Szene nachweislich am höchsten. Da sind Fabelwesen, Schlachtfelder und Motorräder zu sehen. Es wimmelt von Schwertern, Äxten, Blut und Knochen. Da ist zumeist massivst Pathos drin. Was soll man auch anderes erwarten bei Combos, die sich Namen wie Destruction, Megadeth, Metal Church oder Overkill geben?! Letzten Endes war die Namensgebung oft nicht viel origineller als bei den Kollegen der Kastelruther Spatzen oder Zillertaler Schürzenjäger.

Wäre demnach die Welt eine bessere, wenn sich auf den Umschlägen der Tonträger lediglich ordinäre Bandfotos befunden hätten? Mitnichten! Dazu sollte man zunächst wissen, dass es im Metal keine normalen Bandfotos gibt. Anstatt sich auf die klassischen Trademarks einer Rockband wie Jeanshosen, Lederjacken und Sonnenbrillen zu beschränken, muss richtig auf die Kacke gehauen werden: Hier die androgyn geschminkten und besser als jede Fußballer-Gattin frisierten Rocker von Poison oder Mötley Crüe, dort der in seinem Outfit an einen zerrupften Vogel erinnernde Sänger von Twisted Sister. Andernorts die von Kopf bis Fuß in Nieten gewandeten Destruction, und dazwischen immer wieder Manowar, die in Sachen Outfit seit jeher in einer eigenen Liga spielen und sich alle erdenkbare Mühe geben, jegliche von ihnen selbst gesetzten geschmacklichen Tiefmarken immer wieder zu unterbieten. Bei Manowar dürfte sich keiner wundern, wenn irgendjemand glaubt, dass die zwischen ihren Auftritten im Käfig gehalten werden. Irgendwo zwischen all diesen Polen muss die Geburtsstätte des Begriffs „Fremdschämen“ liegen.

Zusammengefasst: Bei manchen Kapellen wäre es im Nachhinein besser gewesen, man hätte nie erfahren, wie sie aussehen. Dass die Texte oftmals genauso bescheuert sind wie es das gesamte Drumherum befürchten lässt, kommt am Ende ja noch dazu. Streng genommen durften die Vorbehalte meiner Eltern gegenüber dieser Musik nicht wirklich überraschen.

Nach Durchsicht meiner Plattensammlung, die ich seit der Trennung an exponierter Stelle in der ehemals gemeinsamen Wohnung untergebracht habe, stelle ich fest: Wenn eine Kanone auf dem Cover ist, kannst Du die Platte eigentlich kaufen, ohne vorher ´reingehört zu haben.

Wir lieben Lebensmittel

Bier knallt auch. Diese Erkenntnis diente lange Jahre als Begründung, an Silvester auf den Kauf pyrotechnischer Gegenstände zu verzichten. Da unser nicht eben üppiges Taschengeld wie meistens kein Sowohl-Als-Auch, sondern nur Entweder-Oder zuließ, waren Alkoholika die vielversprechendere Investition für die Nacht der Nächte. Gegenüber dem nur kurzfristigen Amüsement eines Feuerwerks war das Abschießen durch Alkohol nachhaltiger und konnte einen normal entwickelten Jugendlichen den ganzen Abend lang bei bester Laune halten. Zumindest wenn man es richtig anstellte und sein ganzes Pulver nicht bereits in den ersten eineinhalb Stunden der Party verschoss. Folgerichtig war nicht Brot, sondern Bier statt Böller das alljährliche Motto unserer Aktivitäten zum Jahresausklang.

Es ist nicht so, dass wir es nicht versucht hätten. Aber wer ebenfalls schon einmal versucht hat, aus dem Anstecken eines einfachen Brotes einen auch nur halbwegs respektablen Effekt zu generieren, weiß, dass Brot und Böller irgendwie nicht ganz dasselbe sind.

Überhaupt sind mir diese Gegenüberstellungen von Lebensmitteln hier und Feuerwerk dort eindeutig zu viel Schwarzweißmalerei. Über die Risiken der Knallerei ist jedes Kind bestens informiert, wohingegen die von Lebensmitteln ausgehenden Gefahren bis heute unterschätzt werden.

Man könnte es besser wissen. Schließlich machten Monty Python bereits vor knapp 50 Jahren auf die Gefahren eines Angriffs mit Früchten aufmerksam. Zum Spaß machten sie diesen Aufklärungs-Clip ja wohl eher nicht. Die Botschaft mag nicht jedem gefallen, ist aber eindeutig: Oftmals bleibt nur eine Handfeuerwaffe oder ein 16-Tonnen-Gewicht, um sich effektiv gegen eine Früchte-Attacke zu wehren. An der Kernproblematik hat sich allerdings bis heute nichts geändert: Selbst im Jahr 2019 und trotz Smart Home und Apps für fast jede Gelegenheit kann es durchaus geschehen, dass man im Notfall keines dieser beiden Abwehrmittel zur Hand hat.

Nun mögen einige argwöhnen, die Risiken solcher Übergriffe seien eventuell etwas weit hergeholt. Doch wer genau hinsieht, kann das gesamte Ausmaß erahnen:

  • Die Polizei Wiesbaden meldete im Oktober, dass im Verlauf eines Streits zwischen zwei LKW-Fahrern einer der beiden während der Fahrt auf der Autobahn eine Zitrone auf das Fahrzeug des anderen geworfen habe.
  • Im November wurde ein Mettbrötchen auf der A48 zur Tatwaffe im Streit zweier Wagenlenker. Ob und wie viele Zwiebeln sich darauf befanden, konnte im Nachhinein nicht mehr rekonstruiert werden.
  • Bereits 2016 kam es in Neubrandenburg zu einem Streit zwischen zwei Männern, in deren Verlauf einer der Kontrahenten dem anderen mittels einer Fleischwurst eine Delle ins Fahrzeug schlug.

Eines ist auffällig, wenn man solche Meldungen studiert: Fast ausnahmslos sind die Streithähne erstens männlich, zweitens um die 40 Jahre alt und drittens mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs beschäftigt. Eine Kombination mit offenbar reichlich Konfliktpotential. Wer mich in gewissen Situationen für aufbrausend hält – ich brülle wenigstens nur.

Es geht im übrigen auch andersherum: Nicht unter-, sondern überschätzt hat ein 81-jähriger Mann aus Baden-Württemberg im November 2017 die Sprengkraft von Lebensmitteln. Er vermutete in seinem Garten eine 5 Kilogramm schwere Bombe. Die angerückte Polizei identifizierte den Sprengkörper alsbald als eine große Zucchini.

Gurken für alle, sonst gibt’s Krawalle“

Wir lieben Lebensmittel. Nur manchmal haben wir ´mal mehr, ´mal weniger vernünftige Gründe, diese Güter einer anderen Verwendung als der eigentlich üblichen zuzuführen. Da nützt es auch wenig, dass man in der Kindheit den Satz, mit Essen spiele man nicht, eingeprügelt bekam. Bier zum Beispiel, um das es hier ja auch geht, hatte sich in unserer Sturm-und-Drang-Phase bestens bewährt, vorsätzlich oder fahrlässig im ganzen Raum verteilt zu werden. Das war immer eine schöne Sache. Einen leichten Knall hatten manche von uns eben auch wenn gerade nicht Silvester war.

„Wir haben Euch was mitgebracht: Fisch, Fisch, Fisch“ war das Motto von Fans des FC Hansa Rostock, die beim Auswärtsspiel in Jena deren Fans mit mitgebrachten Fischen bewarfen. Die Angegriffenen ihrerseits hatten früher auch schon ´mal Gäste aus Cottbus mit Gurken beworfen. Dass solche Aktionen weitaus origineller sind als das unter Fußballfans gelegentlich gebräuchliche Beschießen mit Böllern, hilft nicht darüber hinweg, dass sie laut Stadionordnung leider nicht erlaubt sind. Weshalb die Wurfgeschosse wie üblich in der Unterwäsche ins Stadion geschmuggelt werden mussten. Das macht die Fische nicht appetitlicher, aber auch nicht unwitziger. Eher im Gegenteil. Zumindest für Unbeteiligte.

In Berlin sowie in Hannover fanden über mehrere Jahre regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen befreundeten Stadtteilen statt, bei denen ausschließlich weiche Waffen wie überlagertes Obst und Gemüse verwendet werden durfte.

In einer Aufzählung regelmäßiger Zweckentfremdung von Lebensmitteln darf schließlich die Tomatina in der spanischen Kleinstadt Bunol nicht fehlen, in der jährlich im August tonnenweise überreife Tomaten auf die Straßen gekippt werden, um in einer einstündigen Schlacht durch die Straßen geworfen zu werden.

Ballistik-Experten mögen einwenden, dass es Gegenstände mit weitaus besseren Flugeigenschaften gibt als sie ein Bund Möhren jemals wird erreichen können. Die machen aber eindeutig nicht so viel Spaß. Und: Ja, wir alle wissen, dass überall auf der Welt Kinder hungern. Ich habe deswegen die Einladung zu einer gepflegten Partie Honigmelonen-Rugby trotzdem noch niemals abgelehnt. Die Dekadenz der wohlhabenden Gesellschaften lässt sich nämlich an anderen Dingen viel plastischer abbilden. Wer möchte, kann den Bogen hier durchaus wieder zum Silvesterfeuerwerk schlagen. Wer beim Thema Lebensmittel bleiben möchte, darf sich beim nächsten Frühstücksei gern daran erinnern, dass allein in Deutschland jedes Jahr zwischen 40 und 50 Millionen männliche Eintagsküken geschreddert oder vergast werden. Schwere Geschütze, die hier zum Jahresende aufgefahren werden? Es geht auch eine Spur weniger drastisch: Allein schon dass selbst von den fortschrittlicheren Menschen einige heutzutage irgendwie erwarten, dass sie natürlich noch einen Laib Brot und einen frischen Kopf Salat erhalten, wenn sie nach 21 Uhr den Supermarkt entern, ist perverser als der Umstand, dass sich einmal im Jahr ein paar hundert Menschen ein paar Kilo überproduzierter Güter gegenseitig an die Birnen wirft.

In diesem Sinne guten Appetit und auf ein gutes neues Jahr!

Seitenwechsel

So sehr mir die Notwendigkeit einleuchtet, sich als Jugendlicher mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln von Eltern und Gesellschaft abzugrenzen zu versuchen, so verborgen bleibt mir auf der anderen Seite regelmäßig folgender Sachverhalt: Wieso wir nämlich all diese Anstrengungen unternehmen, wenn die meisten von uns sowieso irgendwann und meistens ja doch eher früher als später in den Schoß der Gesellschaft zurückkehren.

Da der moderne Mensch ja darauf bedacht ist, Anstrengungen zu vermeiden, setzte ich zu Beginn dieses Prozesses auf eine Strategie der Verheimlichung. Dass es einen mindestens genauso hohen Energieeinsatz abverlangt, beispielsweise ein siebenreihiges Nietenarmband überhaupt unbemerkt von Mutti zuhause aufzubewahren und dieses dann auch noch täglich an ihr vorbei zu schmuggeln, um es eine Straße weiter dann anzuziehen, habe ich erst später gemerkt. Gesagt hatte mir das wie üblich niemand.

Es hatte mir auch niemand gesagt, dass ein Nietenarmband an einem dafür viel zu dünnen Unterarm eines Zwölfjährigen nicht hart, sondern lächerlich aussieht. Mama hätte es gesagt. Aber das hätte ich ihr ja genauso wenig geglaubt wie die Aussage, dass man sich als Mann später überzeugend sexy findet, weil man Hemden trägt.

Eine solche Strategie der Nicht-Konfrontation scheitert jedoch zwangsläufig bei einem bestimmten Thema: Beim Haupthaar muss jeder Millimeter, den es länger getragen werden soll, hart erkämpft werden. Auf diese Weise war ich zwischenzeitlich zu einer dieser mit gewissem Recht in Verruf geratenen Vokuhila-Frisuren gelangt. Wie ich es auch drehe und wende – diese Zeit ist wahrlich keine gewesen, auf die ich heute in irgendeiner Weise stolz sein könnte. Dass ich auf diese Weise garantiert keine Freundin finden würde – Mama hatte es gesagt. Oft genug, dass ich es hätte hören können.

Obwohl sich im Nachhinein viele ihrer Urteile als richtig herausstellten, bin ich bis heute skeptisch, wenn meine Mutter behauptet, irgendein bestimmtes Teil würde mir gut stehen. Das Misstrauen ist vorhanden, obwohl ich zerschlissene Jeans inzwischen freiwillig entsorge. Das – immerhin – muss mir niemand mehr sagen.

Was die Frisur anbelangt, gehe ich mit Seitenscheitel aktuell zurück in eine Zeit, als ich an modische Fragen unbefangener herangegangen bin und die ich ganz grob als „Grundschulzeit“ umreißen würde. Auch in punkto Bekleidung scheint der Trend momentan zurück dorthin zu gehen, als Mama mir meine Sachen morgens noch ´rausgelegt hat: Weg von Motiv-T-Shirts, Fußballtrikots und ähnlichem Klimbim, hin zu Hemden und Polohemden, gerne einfarbig. Sich hierbei eine gewisse Individualität zu bewahren, ist die größere Herausforderung als das Ausmustern der alten Klamotten. Ich komme allmählich in ein Alter, in dem man sich schon aufgegeben hat, wenn man weiterhin ausschließlich T-Shirts mit der Aufschrift „Legenden sterben nicht im Bett“ oder vergleichbaren Inhalten trägt.

Am Anfang war das Bandshirt

T-Shirts der Bands, die man live gesehen hat, gehörten zu den ersten Kleidungsstücken, die man sich gänzlich ohne elterliche Mitbestimmung zugelegt hat. Über die Jahre wurden sie ergänzt durch Stücke mit Polit-Motiven oder Wappen von beliebten Fußball-Vereinen, bis man irgendwann an den Punkt gelangte, an dem man von Kollegen aufgefordert wird, sich umzudrehen, weil hinten mit Sicherheit etwas besonders Geistreiches zu sehen ist, wenn auf der Vorderseite schon nicht „Hier könnte Ihre Anzeige stehen“ oder „Banausenpower Offenbach“ zu lesen ist.

Falls übrigens jemals jemand auf die Idee kam, sein Shirt durch die charakteristischen Umrisse eines Bügeleisens, das zu lange darauf gestanden hat, aufzuwerten – so richtig gut gelingt es nicht. Eine halbe Stunde hat das Scheißding auf dem T-Shirt gestanden., bis eine leichte gelblche Verfärbung zu erkennen war.

Vielleicht hatte seinerzeit sogar schon meine Ex-Gattin Recht, die gelegentlich darauf hinwies, dass ich keine 35 Baseballkappen mit Aufdrucken wie „Sprite“, „Mars“ oder „Hilti“ benötige, zumal wenn sie mir ohnehin nicht auf meinen Schwellschädel passen. Hier alsbald für eine gewisse Verkleinerung des Sortiments zu sorgen , halte ich für eine dem Alter von fast 47 Jahren angemessene Maßnahme. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass solche Werbeartikel nicht gemeint sind, wenn von „Markenkleidung“ die Rede ist.

Beim Entsorgen von in die Jahre gekommener Garderobe lauert freilich stets die Gefahr, einzelne Teile in die Kategorie „Auf der Arbeit kann man es noch anziehen“ einzuordnen. Zwar weiß ich nicht, woher ich mir diese Herangehensweise angeeignet habe. Was ich aber sicher weiß, ist folgendes:

So viel arbeiten wie ich Teile im Schrank liegen habe, die irgendwann einmal mit diesem Prädikat verliehen wurden, kann ich schon fast gar nicht mehr. Und wer es genau wissen will: Will ich eigentlich auch gar nicht.

Stattdessen sollte ich mir lieber ein Outfit erhalten, das es mir erlaubt, auch ´mal auf ein Konzert zu gehen, ohne dass ich sofort auffalle und mir jeder ansieht, dass ich dort eigentlich schon nicht mehr hingehöre. Ein Outfit, das dort im Laufe der Veranstaltung gern auch ´mal drei bis vier Bierduschen abbekommen kann, ohne dass ich mit dem Gefühl nach Hause gehe, mir jetzt irgendwas ruiniert zu haben. Ein Outfit, das wenigstens zum Teil überdeckt, dass ich durch Nicht-Trinken sowie Nicht-Bewegen zur Musik bei solchen Gelegenheiten gerade schon genug auffalle. Das wäre tausendmal gescheiter als sich Dutzende T-Shirts für die Arbeit aufzubewahren.

Schlimmer ist diese Einstufung für die Arbeit ist eigentlich lediglich die Klassifizierung „für zuhause reicht´s noch“. Falls ich einmal fluchtartig das Haus verlassen muss, möchte ich nämlich angemessen angezogen sein, wenn ich sonst schon keine gute Figur mache. Das steht natürlich in gewissem Widerspruch zu der Praxis, nackt zu schlafen, die mich ja schon einmal in die nicht unbedingt als würdevoll zu bezeichnende Situation gebracht hatte, nachts im Treppenhaus mit vor den Schambereich gehaltener Fußmatte zwei von der Nachbarin verständigte Polizeibeamte begrüßen zu dürfen. Aber immerhin weiß ich seit dieser Nacht, die mich darüber hinaus auch noch 368 DM für den Schlüsseldienst gekostet hat, was wirklich peinlich ist. Gemessen an dieser Situation ist es ein geradezu angenehmes Gefühl, wenn man sich in Fragen angemessener Bekleidung erst in dem Jahr wirklich findet, in dem man 47 Jahre alt wird.

Wo soll das alles hinführen?

Warum kann das nicht jedes Mal so vonstatten gehen, wenn zwei erwachsene Freunde sich verabreden? Zwei Nachrichten: Eine Frage, eine Antwort, fertig ist der Grundsatzbeschluss: Coole Idee, Kalender gibt grünes Licht, wir gehen da hin. Man hat sich ja daran gewöhnt, dass allerlei Verpflichtungen auf beiden Seiten solche Treffen meist schon im Ansatz unterbinden, doch das wirklich Überraschende war, endlich wieder ´mal auf ein Gegenüber zu treffen, das nicht auf Zeit spielt. Keine vielsagende Nichtreaktion, kein „Lass´ uns in zwei Wochen nochmal drüber reden“. Kein Hinhalten, kein „ich überlege es mir“, das ja am Ende doch bloß bedeutet: Falls sich drei Tage vorher für den Abend noch nichts Anderweitiges ergeben hat, dann sehr gerne.

Somit habe ich mit diesem Konzert nicht nur ein erstes Veranstaltungshighlight 2019 bereits für den Januar eingetütet, sondern noch im „alten“ Jahr die Erfahrung gemacht, dass man mit so einem Vorschlag auch einmal offene Türen einrennen kann wie sonst höchstens noch wenn ich meinem sechsjährigen Sohn die Idee unterbreite, in den Zoo zu gehen. Und nicht zuletzt kam in ihrer Antwort ein fast schon erschreckend erfrischender Enthusiasmus zum Ausdruck. Nicht dass ich diesen angesichts einer großartigen Band für unangebracht hielte, aber: Man stelle sich vor, ich hätte auf eine ähnliche Anfrage reagieren müssen. Im Kern zustimmend, aber weitgehend teilnahmslos und stets darauf bedacht, nicht gar zu emotionsgeladen zu wirken, hätte sich das in etwa wie folgt angehört: „Hmm… okay… ja, kann man sich ja ´mal angucken.“ So gesehen ist die Eingangsfrage, wohin das alles noch führen soll, durchaus berechtigt. In diesem Sinne herzlich willkommen zu meinem Ausblick auf das nächste Jahr!

Erstens Spontanität, zweitens Begeisterungsfähigkeit – wenn das ´mal keine gescheiten Vorsätze für das kommende Jahr sind! Origineller jedenfalls als mehr Sport zu treiben, was ja tendenziell jeder vorhat. Da ist es auch von nachrangiger Bedeutung, dass ich mir beides streng genommen bereits seit vier Jahren vornehme. Vielleicht sogar noch länger. Immerhin tut es gut, sich im Scheitern mit Vorsätzen in bester Gesellschaft mit all den Möchtegern-Sportlern zu befinden, die sich pünktlich zum Jahreswechsel mit Slingtrainern, Springseilen und Hantel-Sets ausrüsten, die im Discounter taktisch klug gleich in der ersten Woche eines Jahres feilgeboten werden.

Sobald es wieder etwas wärmer wird, gibt es diese Gerätschaften dann für noch kleineres Geld auf den Flohmärkten dieser Republik zu kaufen. „Kaum benutzt“, wie der Verkäufer versichert. Rasch wendet sich mein Blick weg vom Verkäufer hin zur Auslage, als ich mir der Doppeldeutigkeit meines Ausspruchs „Das sieht man“ bewusst werde. Nachdem ich für zwei bis drei Sekunden so getan habe, als würde ich überlegen, lege ich das Teil wieder auf den Tapeziertisch zurück zu den anderen Gegenständen mit überschaubarem Gebrauchswert. Kaufen wollte ich das Zeug sowieso nicht. Eher wissen, wie sich so ein Fitnessgerät anfühlt. Schließlich bin ich die meiste Zeit des Jahres genug ausgelastet damit, spontaner und begeisterungsfähiger werden zu wollen.

Es ist aber auch schwierig…

… mit der Begeisterungsfähigkeit. Dass sie im Alter zwangsläufig nachlässt, versuche ich seit Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu betonen. Was einst als Gag begann, hat sich im Laufe der Zeit allerdings scheinbar zu einer echten Charaktereigenschaft verfestigt. Inzwischen würde es bei mir vermutlich nicht einmal dann nennenswerte Gefühlsregungen verursachen, wenn Offenbach von einem Tag auf den anderen tatsächlich am Meer läge.

Wann hat mich das letzte Mal etwas besonders begeistert? Die Lavalampe, die ich mir im Frühjahr vom Flohmarkt mitgebracht habe, tut es jedenfalls nicht. Besser gesagt: nicht mehr. Nicht weil der Reiz des Neuen nach kurzer Zeit verflogen gewesen wäre, sondern weil sie schon im Herbst den Geist aufgegeben und sich damit in eine Vielzahl besonders kurzlebiger Gegenstände wie Fotoapparat oder Gefrierschrank eingereiht hat. Aber klar – bei Flohmarktkäufen weiß man am Ende selten, was damit vorher gewesen war. In punkto Vorgeschichte mit früheren Besitzern unterscheidet sich eine Lavalampe nicht substanziell von einem Auto oder einem Hund.

Vielleicht hätte ich mir doch lieber den Expander am Stand nebenan kaufen sollen.

Nicht wesentlich besser als der Begeisterungsfähigkeit ergeht es der Spontanität: Auch deren Fehlen schiebe ich gern auf Alter und Lebensumstände. Zumindest bis ich durch mehr oder weniger zufällig mitgehörte Gespräche zwischen teils wesentlich jüngeren Aushilfskollegen regelmäßig wieder daran erinnert werde, wie kompliziert das Organisieren eines Zusammentreffens auch für Unter-Dreißig-Jährige mitunter sein kann. Erst wenn ein Angebot richtig attraktiv ist, kommt Bewegung in die Sache. Manche sind nicht willens oder fähig, drei Wochen im Voraus eine Verabredung zu terminieren, weil eventuell irgendetwas wie „die Oma zum Einkaufen fahren“ dazwischenkommen könnte. Dieselben Leute können aber am übernächsten Tag ohne Probleme spontan einen zweiwöchigen Urlaub antreten. In dieser Hinsicht stehen die jungen Menschen ihren älteren Vorbildern in nichts nach.

Ich hatte vor Jahren eine äußerst skurrile Absage eines befreundeten Paares auf meine Einladung zu meiner Geburtstagsfeier: Sie hatten für den Abend einen Babysitter bekommen können. Weshalb sie sich endlich ´mal einen Abend im Kino gönnen wollen. Nun kann man sich Schöneres vorstellen als durch solch entwaffnende Ehrlichkeit auf den eigenen Stellenwert für den anderen hingewiesen zu werden. Aber irgendwann muss man eben auch wissen, wo man steht. Für eine solche Einordnung sind solche Momente dann doch irgendwie ganz hilfreich. Geht es doch zum Beispiel speziell bei (tatsächlichen oder vermeintlichen) Singlefrauen stets auch darum, herauszufinden, ob einer spontanen Nichtzusage zu einem vorgeschlagenen Treffen eher fehlendes Interesse am vorgestellten Programm oder mangelnde Attraktivität der vorschlagenden Person zugrunde liegt.

Solche Fragen realistisch zu bewerten, stellt eine der größten Herausforderungen dar, denen ich mich auch im kommenden Jahr leider stellen muss.

Nichtsdestotrotz freue ich mich auf ein abwechslungsreiches 2019, das laut ist wenn ich Konzerte besuche, aber leise wenn ich Fragen nachgehe wie der, an welchem Punkt meines Lebens Spontanität und Begeisterungsfähigkeit auf der Strecke geblieben sind. Ein Jahr, das witzig ist wenn mir der Sinn auch danach steht, dafür tiefgründig wenn es die Situation erfordert. Auf ein neues Jahr, das von alledem etwas hat, wenn ich mit guten Freunden einfach nur eine angenehme Zeit verbringen möchte.

Der Debütant

Frühere und aktuelle Kollegen,Gefährten aus der kirchlichen Jugendarbeit, Genossen aus der Hochphase meiner politischen Aktivität sowie die damals beste Freundin meiner ersten festen Partnerin – wenn Freunde aus solch mannigfaltigen Phasen meiner Biographie zusammenkommen, muss man froh sein, dass nicht die eigene Beerdigung Anlass dieses Wiedersehens ist. Sondern es noch andere denkbare Anlässe gibt, die diese erlesene Mischung an Wegbegleitern aus über 25 Jahren zu mobilisieren vermag.

Erst recht da das Pflegen von Freundschaften, das Halten von Kontakten nicht gerade zu meinen Kernkompetenzen zählt, kann das alles gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich hatte kurz nach Bekanntgabe jemanden, der die Aufgabe bereitwillig übernahm, an dem Abend ein paar aussagekräftige Fotos zu schießen. Ebenso hatte ich umgehend auch einen Vertrauten gefunden, der im Vorfeld mit mir den Ablauf durchging und mir wertvolle Tipps geben konnte. In diesem Zusammenhang vielleicht auch ´mal erwähnenswert: Zur Klärung solcher Fragen beziehungsweise zur Anmeldung eines entsprechenden Bedarfs sind die oftmals als oberflächlich geschmähten sozialen Netzwerke eben auch in der Lage.

Man kann also sagen: Niemand außer mir selbst konnte mir an diesem Abend im Weg stehen.

Wie in dem Blogeintrag von letzter Woche bereits angedroht, findet mein persönlicher Jahresrückblick in zwei Teilen statt, ganz einfach weil es zwei Ereignisse gegeben hat, die angemessen gewürdigt werden dürfen, müssen oder sollen. Während ich zum DFB-Pokalsieg meines Herzensvereins, der vor einer Woche ausführlichst betrachtet wurde, realistisch betrachtet fast gar nichts selbst beigesteuert habe, wird es heute um einen Meilenstein gehen, den ich selbst geschaffen habe:

Ich stand auf einer Bühne.

Mehr nicht? Das war schon alles? Ja, wenn man dem Aspekt keine Bedeutung beimisst, dass ich auf dieser Bühne stand, um eine Auswahl guter bis sehr guter Texte vorzutragen, welche ursprünglich für diesen Blog hier verfasst wurden, war das tatsächlich schon alles.

Natürlich war ich nicht der erste, der sich auf eine Bühne stellt und eigene Texte vorträgt. Das haben Tausende andere Menschen vor mir schon gemacht, darunter nicht wenige, deren Texte schlechter sind als meine. Bis hierhin also keine besonders hervorhebenswerte Leistung. Und dennoch: Ich war auf einer Bühne. Okay: Nicht mehr. Allerdings: Auch nicht weniger. Und ich habe über 20 alte und neue Freunde davon überzeugen können, dass es nicht die schlechteste Idee für einen lauen Sonntagabend in den Sommerferien sein könnte, mir dabei zuzusehen.

Ich habe meine Komfortzone verlassen, wie man so etwas neuerdings wohl formuliert, und habe auf einer Offenen Bühne in den pittoresken Gemäuern eines altehrwürdigen Veranstaltungsortes in der Peripherie dieser Stadt mit selbst geschriebenen Texten eine halbe Stunde lang das Publikum unterhalten.

Obwohl ich vor Aufregung den ganzen Tag davor zu sonst nur sehr wenig zu gebrauchen war, habe ich mich auf dieser Bühne wacker geschlagen. Die mehrere Wochen dauernde Vorbereitung hatte sich gelohnt. Dass ich – passend zum Stichwort Vorbereitung – das Programm dank suboptimaler Kommunikation mit dem Veranstalter eine halbe Stunde vor Beginn radikal kürzen musste, hat dem Unterfangen nicht geschadet. Dass man auf einer Bühne auch eine wesentlich schlechtere Figur abgeben kann, bewiesen – bei allem Respekt – die beiden anderen Menschen, mit denen ich mir an dem Abend die Bühne geteilt hatte. Ich selbst hatte, nachdem mit Ende meines Auftritts zentnerschwere Lasten von mir gefallen waren, ein erstes Resümee draußen an der frischen Luft vorgezogen und verlasse mich dabei voll und ganz auf deren eigenes Urteil hinterher.

Luft nach oben und zum Atmen

Bei aller Euphorie darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass das alles von einem perfekten Auftritt noch weit entfernt war und noch reichlich Luft nach oben ist. Und wenn ich Luft sage, meine ich auch Luft. Denn dass beim Thema Atmung der dringendste Handlungsbedarf besteht, offenbarte sich schon nach wenigen Minuten.

Trotzdem: Selten in den vergangenen Jahren war mein Selbstbewusstsein größer als an jenem Sonntagabend im Juli. Dass die Halbwertszeit eines solchen Zustandes leider nicht unendlich lang ist, ist für einen 46-Jährigen allerdings auch keine besonders große Überraschung mehr. Das aber nur am Rande, denn der Abend war noch nicht vorbei, sondern fand einen angemessenen Ausklang zu dritt im Garten meines Blutsbruders Alex.

Es war sofort wie früher, ganz als lägen zwischen diesem und unserem letzten derartigen Beisammensein nicht über 20 Jahre, sondern maximal zwei Tage. Einzig mein Gefühl, mir nach diesem überaus gelungenen Auftritt diese Form der Nachbereitung irgendwie verdient zu haben, legte bloß, dass zwischen heute und damals doch ein gewaltiger Unterschied besteht. Sich die Option, auch ´mal etwas länger wach zu bleiben, überhaupt verdienen zu müssen, passte nämlich nicht in unser Selbstverständnis von früher. Als ob man die Woche über nicht genügend Gründe liefert, wenigstens an einem Abend ´mal fünfe gerade sein zu lassen, meine ich, mir das Recht dazu erst nach einem gelungenen Abend samt mehrwöchiger Vorbereitungszeit erworben zu haben. Bei dieser Denkweise schockiert mich vor allem folgende Überlegung: Was wäre geschehen, wenn ich mich beim Vortragen bis auf die Knochen blamiert hätte? Hätte ich damit dieses Recht verwirkt und stante pede heimgehen müssen, auch wenn ich meinen Tieren gegenüber ein eventuelles späteres Heimkommen vorher angekündigt hatte? (Was die beiden – nebenbei bemerkt – vermutlich selbst dann nicht besonders gejuckt hätte, wenn sie es verstanden hätten.)

Ganz offensichtlich habe ich in den letzten 20 Jahren verlernt, wie man ohne Reue und ohne an den nächsten Tag zu denken zusammensitzt und einfach nur den Augenblick genießt. Vielleicht sollte ich der Arbeit daran die gleiche Priorität zuweisen wie der Verbesserung meiner Texte und meines Auftretens auf den Bühnen dieser Welt.

Dann bliebe eigentlich höchstens noch zu hoffen, dass es vor der Beerdigung noch ausreichend weitere Gelegenheiten gibt, eine solch bunte Truppe an einem Ort zusammenzubekommen.

Es wird viel passier´n

Wäre das Kalenderjahr ein Fußballspiel, würden die ersten Zuschauer etwa ab Anfang Dezember ihre Plätze Richtung Ausgang verlassen, weil sie vom Rest der Spielzeit ohnehin keine entscheidenden Veränderungen mehr erwarten. In welcher Stimmung man dies tut, hängt in großem Maß von der Differenz des Spielstandes zu den Erwartungen ab. Und auch dass böse oder angenehme Überraschungen den bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Gesamteindruck wider Erwarten noch einmal ändern können, gehört zum Spiel des Lebens dazu. Nichtsdestotrotz: Sobald die ersten Glühweinmärkte eröffnen, kann man sich eigentlich sicher sein, dass der Einzelne nicht mehr allzu viel Energie investieren wird, um den Ausgang des Jahres nochmal in größerem Maß zu beeinflussen. In diesem Sinne: Willkommen zu meiner höchst subjektiven Jahresbilanz!

Dabei wird sich das erste Mal in der Geschichte des Meilensteinbildhauers ein Thema über drei Blogeinträge erstrecken. Die einzelnen Bestandteile werden sich natürlich auch sehr gut als eigenständige Texte lesen lassen, allerdings gibt es eben eine Klammer, welche die einzelnen Beiträge zusammenhält.

Vorausgesetzt, im letzten Zwölftel des Jahres passiert tatsächlich nicht mehr viel, werden vom gerade ablaufenden Jahr am Ende zwei Dinge bleiben, die man als echte Meilensteine bezeichnen kann. Für den einen kann ich nicht einmal etwas. Der ist einfach so passiert, war aber trotzdem intensiv. Von ihm wird in Halbzeit 1 die Rede sein. Der zweite persönliche Höhepunkt – Halbzeit 2 -, der nächste Woche Gegenstand der Betrachtung sein wird, war dann schon eher Ergebnis zielgerichteten Vorgehens meinerseits. Und da nach einem Rückblick irgendwie auch ein Ausblick erwartet wird, soll es in der Mixed Zone, dem dritten Text darum gehen, worauf ich oder wir uns im nächsten Jahr freuen, ärgern oder wundern dürfen oder sollen.

Halbzeit 1: Mein Tor des Jahres

Auf eine Erwähnung des Endspiels um den DFB-Pokal wird kein seriös sich bezeichnender Jahresrückblick verzichten können. Angetreten waren:

Auf der einen Seite der FC Bayern München. Das sind die, bei denen im TV immer gern der Präsident ´reingeschnitten wird, wenn es ´mal nicht so gut läuft, weil man diesem Mann seinen Missmut darüber, dass es nicht so gut läuft, immer so schön ansieht. Zuverlässige Anzeichen, dass es nicht so gut läuft beim FCB, ist regelmäßig, wenn in der Tabelle der Liga irgendein Verein oberhalb des FC Bayern steht. Dann wird Jupp Heynckes angerufen und ihm die Bitte vorgetragen, den Saustall zu übernehmen, und dann wird alles gut.

Auf der anderen Seite die SG Eintracht Frankfurt, deren größte Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten Aufstiege aus der 2. Liga sowie gerade noch so verhinderte Abstiege dorthin gewesen sind. Die aktuelle Bundesligasaison wurde eine Woche vor dem Pokalfinale auf dem 8. Platz beendet, in etwa also dort, wo man günstigstenfalls hingehört. In einer Vorschau auf das Endspiel hatte ich irgendwo die überaus realistische Einschätzung gelesen, dass meine Eintracht mit Ante Rebic lediglich einen Spieler besitzt, den man sich von der Qualität auch im Kader des Gegners vorstellen kann.

So weit also zu den ungefähren Kräfteverhältnissen in dieser ungleichen Begegnung. Der Verein meines Herzens war gegen den Abonnement-Meister aus München also nicht direkt als Favorit ins Rennen gegangen.

Besagter Ante Rebic war es dann auch, der die Eintracht zweimal in Führung schoss. Dass er hinterher zu Recht als Pokalheld im Gedächtnis bleibt, verdeckt leider ein bisschen diesen genialen Moment des dritten Tores, das Mijat Gacinovic am Ende noch zum verdienten Pokalsieg beigetragen hat:

Das Ende der Nachspielzeit. Bayerns Schlussmann war in dieser Phase bei eigenem Ballbesitz natürlich bereits mit nach vorne geeilt, um in diesen letzten Sekunden die Möglichkeit eines Ausgleichs zu erhöhen. Und plötzlich fiel bei einem dieser Angriffe des Rekordmeisters ein Spieler von denen von einem der unseren getroffen um, und alle warteten nun darauf, dass der Schiedsrichter auf den Elfmeterpunkt zeigt, dieser Strafstoß sicher verwandelt würde, die ganze Angelegenheit in die Verlängerung ging, in der das Spiel letzten Endes selbstverständlich zugunsten des FCB entschieden würde und man sich der unangenehmen Frage stellen müsste, weshalb man so dumm gewesen war, anzunehmen, gegen den großen FC Bayern könnte tatsächlich mehr gehen als über weite Strecken des Spiels gut mitgehalten zu haben.

Der Schiedsrichter ging zum Monitor am Spielfeldrand und sah sich die strittige Szene an, hatte seine Entscheidung offenbar getroffen, wandte sich ein weiteres Mal dem Bildschirm zu. Eine quälend lange Zeit, während der man sich der Naivität eben geschilderter Hoffnungen auf einen guten Ausgang bewusst werden konnte. Aber die Dynamik des Spiels hatte die Erwartungen verändert, an denen gemessen es bei einer 2:1-Führung bis in die Nachspielzeit inzwischen kein Erfolg mehr wäre, den Deutschen Meister in die Verlängerung dieses Spiels zu zwingen.

Der Unparteiische kehrte auf das Spielfeld zurück und entschied auf Eckstoß. Empörung auf der einen, Aufatmen auf der anderen Seite. Aber die Gefahr des späten Ausgleichs war nach wie vor gegeben, und zwar bis der junge Gacinovic den herausgeköpften Ball an der eigenen Strafraumgrenze erhielt und sich auf und davon machte. Jetzt aber! Das Bayern-Tor war ja leer. Allerdings auch noch runde 70 Meter entfernt. Keine Distanz, aus der man ´mal eben draufhält.

Acht Sekunden für die Ewigkeit

In japanischen Zeichentrickserien würde die Dramaturgie ab hier einen mehrere Minuten währenden Lauf auf das Tor vorsehen. Dass es in der Realität nur etwa acht Sekunden von einem Strafraumende zum anderen waren, hat an diesem 19. Mai wahrscheinlich einige Fans vor akutem Herzversagen bewahrt.

Man mag hinterher besser wissen, dass ein 2:1 genauso zum ersten Pokaltriumph seit exakt 30 Jahren gereicht hätte. Aber in diesen acht Sekunden denkst Du als Fan – ob vor Ort im Stadion oder vor der Glotze – doch nur an ein Stolpern, ein ordinäres Tackling, einen Pfostenschuss, der dem Gegner doch nochmal eine diesmal allerletzte Möglichkeit des Angriffs ermöglichen würde. Dann würde es hinterher wieder heißen, die Eintracht sei dem späteren Pokalsieger durchaus auf Augenhöhe begegnet. Und dieses Urteil mag schmeicheln, aber wieder einmal mit leeren Händen dazustehen und allein das Erreichen dieses Endspiels schon als Erfolg zu feiern, wäre verdammt ungeil. Wie viele Mal geiler wäre es, endlich wieder ´mal einen Titel zu haben? Und deswegen wurde mit jedem zurückgelegten Meter auf das verwaiste Tor der Puls abartig schneller.

Acht Sekunden. Die komplette Ersatzbank läuft an der Seitenlinie mit ihm, weil es sie genauso wenig auf ihren Sitzen hält wie irgendeinen Eintracht-Anhänger vor dem Fernsehgerät. Und irgendwann ist das Ding drin und das Spiel entschieden. Acht Sekunden für die Ewigkeit.

Ein Pokalsieg der Eintracht wäre natürlich nicht weniger wert gewesen, wenn sie eine ordinäre 3:0-Führung ab der 70. Minute verwaltet hätten. Aber dann wäre die Freude darüber in anderen Bahnen verlaufen. So aber hatte sie acht Sekunden Zeit, sich aufzubauen, um sich schließlich ungeordnet zu entladen, als sicher war, dass der Ball im Kasten des Gegners versenkt ist. Das sind Momente, für die Fußball so geliebt wird.

Die Sache hatte natürlich auch irgendwo einen Haken. Denn die Spieler des FCB waren maximal angepisst. Die Differenz des Ergebnisses zu ihren Erwartungen hatte zu einem negativen Wert geführt. Die waren so angepisst, dass die meisten von ihnen sogar vergessen haben, ihre Medaillen für den 2. Platz zu entsorgen. Ein einziger hat seinen Orden noch rechtzeitig vor der Flucht in die Kabine ins Publikum geschmissen. Was soll´s – bis zur neuen Saison würden die schon wieder zur gewohnten Form finden…

Was kann man daraus lernen?

Da das Kalenderjahr kein Fußballspiel ist, bleibt einem regelmäßig wenigstens die Verlängerung erspart. Andererseits hat man durch diese fehlende Option auch keine Möglichkeit, ein durchwachsenes Jahr noch zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen, wenn man das in der regulären Spielzeit eines Jahres unterlässt.

Also legt Euch ins Zeug! Vier Wochen habt Ihr noch, um eine Ergebniskorrektur vorzunehmen..!

Ich bin gegen alles

Wenn ich manche Sprüche schon lese, möchte ich regelmäßig in den Bildschirm beißen. „Alles, was Du über mich hörst, kann genauso falsch sein wie die Person, die es Dir erzählt hat.“ Einfach ´mal schamlos im Textbaukasten für Deutschrock-Songs bedient, und fertig ist der Facebook-Post. Mögen solche Zeilen von einem Freund oder Bekannten vorgetragen, das heißt von einem der wenigen unter meinen Bekannten, von denen Sätze dieser Güteklasse zu erwarten sind, werde ich wenigstens drüber nachdenken, was ihn zu diesem Statement veranlasst haben mag. Wirft dagegen jemand Wildfremdes mit einem solchen Bekenntnis um sich, beispielsweise nämlich in einer der Singlegruppen, in denen mich im gleichen Netzwerk mehr oder weniger freiwillig herumtreibe, ist mit nicht besonders viel Verständnis meinerseits zu rechnen.

Es stellt sich objektiv so dar, als ob da tatsächlich jemand der Ansicht ist, dass Beiträge dieser Qualität ein probates Mittel sind, um im Sinne der Partnerfindung Werbung in eigener Sache zu betreiben. Jemand kommentiert den Beitrag mit „Wie war“ (sic!); dazu gesellen sich zwei weitere tendenziell zustimmende Wortmeldungen anderer Gruppenmitglieder. Ich stelle fest, dass ich mit meinen seltenen, stets jedoch wohl durchdachten Versuchen, auf meine Person aufmerksam zu machen, durchschnittlich weniger Reaktionen generiere und stelle mir die Frage, wer von uns hier eigentlich verkehrt ist.

Bei einer Blitzrecherche auf den jeweiligen Profilen fördere ich zutage, dass Urheber wie Befürworter solcher Postings auffallend häufig die „Schule des Lebens“ besucht haben oder aktuell noch besuchen. Das kann man so schreiben, wenn man tatsächlich der Ansicht ist, im Vergleich zu anderen Menschen vom Schicksal besonders hart gebeutelt worden zu sein. Bei mir war das das letzte Mal mit etwa 16 Jahren der Fall gewesen. Man kann durchaus zu unterschiedlichen Beurteilungen der Frage kommen, inwieweit ein solcher Eintrag im Einzelfall passend ist oder nicht. Doch wie auch immer die Antwort ausfallen mag, sollte man sich über eines im Klaren sein: Die Idee ist inzwischen alles andere als originell, ein Alleinstellungsmerkmal ist der Aufenthalt auf der Schule des Lebens mitnichten. Auf den Kontext einer Singlegruppe übertragen würde ich daher nicht davon sprechen, dass jemand durch seinen Besuch dieser Einrichtung interessanter geworden wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dann doch lieber Frankfurter Schule.

Nicht wesentlich besser, obwohl in der Stoßrichtung eigentlich sympathischer, sind Bekenntnisse wie „Es ist nicht Dein Gesicht oder Dein Körper, der Dich perfekt macht, sondern Dein Herz.“ Das klingt toll, wird aber der Komplexität gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht gerecht. Das wäre ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt, aber solange ich mich auf dem Markt der Singles behaupten muss, kann ich nicht nach solchen Sprüchen leben, sondern muss auf Äußerlichkeiten achten, sofern meine in dieser Hinsicht bescheidenen Möglichkeiten dies zulassen. Die Realität ist da gnadenlos. Unter Singles wird nicht honoriert, dass Du eine coole Sau bist, wenn Du das Pech hast, scheiße auszusehen. Da hilft auch nicht der beste Tipp von allen, der online wie offline herumgeistert. Das Schlüssel-, Reiz- und Unwort in einem heißt

Authentizität

Gute Freundinnen geben einem gern diesen Rat. Da es unwahrscheinlich anstrengend ist, permanent eine Rolle zu spielen, kommen wir dem gern nach und bleiben authentisch. Mit dem Effekt, dass die nächsten Bekanntschaften eben wieder nur zu guten Freundinnen werden. Und dann kennt da jeder mindestens einen Typen, dessen Form von Authentizität zufällig dem Beuteschema der meisten Frauen entspricht. Und weil der sich natürlich kein bisschen anstrengen muss, um authentisch zu sein, gibt er einem natürlich auch den selben Tipp: authentisch sein. Dabei ist doch die Kernfrage noch nicht einmal gestellt, nämlich wie authentisch es eigentlich sein soll, an mehreren Tagen in der Woche seinen Körper zu formen, wenn es nicht darum geht, hinterher schneller oder stärker, sondern lediglich darum, beeindruckender zu sein.
Das letzte Mal, das ich mir vornahm, mehr für meinen Körper zu tun, ging es im Prinzip um nichts anderes: Das Ziel war, nach zehn Wochen befähigt zu sein, zehn Liegestütze zu machen. Die Frage, ob ich überhaupt jemals in die Verlegenheit geraten sollte, ohne diese Fähigkeit im Leben nicht mehr weiterzukommen, stellte ich mir nicht. Zum Glück verriet mir mein Trainer alsbald, dass sich Muskeln nicht beim Training selbst, sondern stattdessen in den Pausen entwickeln.
Das hätte man mir nicht sagen dürfen.
Die Pause dauert inzwischen etwa 21 Monate, und in dieser Zeit habe ich gelernt, dass auch Dicke sehr effizient zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beitragen können. Zwar habe ich mich gefragt, wie jemand überhaupt darauf kommt, diesen Zusammenhang erforschen zu wollen. Aber die gewonnenen Erkenntnisse ließen solch skeptische Überlegungen schnell in Vergessenheit geraten. Und zwar weiß man seitdem, dass Gäste eines Restaurants mehr Alkohol und darüberhinaus viermal so häufig einen Nachtisch ordern, wenn sie von einer Bedienung mit hohem BMI versorgt werden.
In der Schule des Lebens hätte ich das vermutlich nicht gelernt.

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