Frühere und aktuelle Kollegen,Gefährten aus der kirchlichen Jugendarbeit, Genossen aus der Hochphase meiner politischen Aktivität sowie die damals beste Freundin meiner ersten festen Partnerin – wenn Freunde aus solch mannigfaltigen Phasen meiner Biographie zusammenkommen, muss man froh sein, dass nicht die eigene Beerdigung Anlass dieses Wiedersehens ist. Sondern es noch andere denkbare Anlässe gibt, die diese erlesene Mischung an Wegbegleitern aus über 25 Jahren zu mobilisieren vermag.

Erst recht da das Pflegen von Freundschaften, das Halten von Kontakten nicht gerade zu meinen Kernkompetenzen zählt, kann das alles gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich hatte kurz nach Bekanntgabe jemanden, der die Aufgabe bereitwillig übernahm, an dem Abend ein paar aussagekräftige Fotos zu schießen. Ebenso hatte ich umgehend auch einen Vertrauten gefunden, der im Vorfeld mit mir den Ablauf durchging und mir wertvolle Tipps geben konnte. In diesem Zusammenhang vielleicht auch ´mal erwähnenswert: Zur Klärung solcher Fragen beziehungsweise zur Anmeldung eines entsprechenden Bedarfs sind die oftmals als oberflächlich geschmähten sozialen Netzwerke eben auch in der Lage.

Man kann also sagen: Niemand außer mir selbst konnte mir an diesem Abend im Weg stehen.

Wie in dem Blogeintrag von letzter Woche bereits angedroht, findet mein persönlicher Jahresrückblick in zwei Teilen statt, ganz einfach weil es zwei Ereignisse gegeben hat, die angemessen gewürdigt werden dürfen, müssen oder sollen. Während ich zum DFB-Pokalsieg meines Herzensvereins, der vor einer Woche ausführlichst betrachtet wurde, realistisch betrachtet fast gar nichts selbst beigesteuert habe, wird es heute um einen Meilenstein gehen, den ich selbst geschaffen habe:

Ich stand auf einer Bühne.

Mehr nicht? Das war schon alles? Ja, wenn man dem Aspekt keine Bedeutung beimisst, dass ich auf dieser Bühne stand, um eine Auswahl guter bis sehr guter Texte vorzutragen, welche ursprünglich für diesen Blog hier verfasst wurden, war das tatsächlich schon alles.

Natürlich war ich nicht der erste, der sich auf eine Bühne stellt und eigene Texte vorträgt. Das haben Tausende andere Menschen vor mir schon gemacht, darunter nicht wenige, deren Texte schlechter sind als meine. Bis hierhin also keine besonders hervorhebenswerte Leistung. Und dennoch: Ich war auf einer Bühne. Okay: Nicht mehr. Allerdings: Auch nicht weniger. Und ich habe über 20 alte und neue Freunde davon überzeugen können, dass es nicht die schlechteste Idee für einen lauen Sonntagabend in den Sommerferien sein könnte, mir dabei zuzusehen.

Ich habe meine Komfortzone verlassen, wie man so etwas neuerdings wohl formuliert, und habe auf einer Offenen Bühne in den pittoresken Gemäuern eines altehrwürdigen Veranstaltungsortes in der Peripherie dieser Stadt mit selbst geschriebenen Texten eine halbe Stunde lang das Publikum unterhalten.

Obwohl ich vor Aufregung den ganzen Tag davor zu sonst nur sehr wenig zu gebrauchen war, habe ich mich auf dieser Bühne wacker geschlagen. Die mehrere Wochen dauernde Vorbereitung hatte sich gelohnt. Dass ich – passend zum Stichwort Vorbereitung – das Programm dank suboptimaler Kommunikation mit dem Veranstalter eine halbe Stunde vor Beginn radikal kürzen musste, hat dem Unterfangen nicht geschadet. Dass man auf einer Bühne auch eine wesentlich schlechtere Figur abgeben kann, bewiesen – bei allem Respekt – die beiden anderen Menschen, mit denen ich mir an dem Abend die Bühne geteilt hatte. Ich selbst hatte, nachdem mit Ende meines Auftritts zentnerschwere Lasten von mir gefallen waren, ein erstes Resümee draußen an der frischen Luft vorgezogen und verlasse mich dabei voll und ganz auf deren eigenes Urteil hinterher.

Luft nach oben und zum Atmen

Bei aller Euphorie darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass das alles von einem perfekten Auftritt noch weit entfernt war und noch reichlich Luft nach oben ist. Und wenn ich Luft sage, meine ich auch Luft. Denn dass beim Thema Atmung der dringendste Handlungsbedarf besteht, offenbarte sich schon nach wenigen Minuten.

Trotzdem: Selten in den vergangenen Jahren war mein Selbstbewusstsein größer als an jenem Sonntagabend im Juli. Dass die Halbwertszeit eines solchen Zustandes leider nicht unendlich lang ist, ist für einen 46-Jährigen allerdings auch keine besonders große Überraschung mehr. Das aber nur am Rande, denn der Abend war noch nicht vorbei, sondern fand einen angemessenen Ausklang zu dritt im Garten meines Blutsbruders Alex.

Es war sofort wie früher, ganz als lägen zwischen diesem und unserem letzten derartigen Beisammensein nicht über 20 Jahre, sondern maximal zwei Tage. Einzig mein Gefühl, mir nach diesem überaus gelungenen Auftritt diese Form der Nachbereitung irgendwie verdient zu haben, legte bloß, dass zwischen heute und damals doch ein gewaltiger Unterschied besteht. Sich die Option, auch ´mal etwas länger wach zu bleiben, überhaupt verdienen zu müssen, passte nämlich nicht in unser Selbstverständnis von früher. Als ob man die Woche über nicht genügend Gründe liefert, wenigstens an einem Abend ´mal fünfe gerade sein zu lassen, meine ich, mir das Recht dazu erst nach einem gelungenen Abend samt mehrwöchiger Vorbereitungszeit erworben zu haben. Bei dieser Denkweise schockiert mich vor allem folgende Überlegung: Was wäre geschehen, wenn ich mich beim Vortragen bis auf die Knochen blamiert hätte? Hätte ich damit dieses Recht verwirkt und stante pede heimgehen müssen, auch wenn ich meinen Tieren gegenüber ein eventuelles späteres Heimkommen vorher angekündigt hatte? (Was die beiden – nebenbei bemerkt – vermutlich selbst dann nicht besonders gejuckt hätte, wenn sie es verstanden hätten.)

Ganz offensichtlich habe ich in den letzten 20 Jahren verlernt, wie man ohne Reue und ohne an den nächsten Tag zu denken zusammensitzt und einfach nur den Augenblick genießt. Vielleicht sollte ich der Arbeit daran die gleiche Priorität zuweisen wie der Verbesserung meiner Texte und meines Auftretens auf den Bühnen dieser Welt.

Dann bliebe eigentlich höchstens noch zu hoffen, dass es vor der Beerdigung noch ausreichend weitere Gelegenheiten gibt, eine solch bunte Truppe an einem Ort zusammenzubekommen.