Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky Seite 18 von 19

Meine Tasche und ich

Gibt man in der Suchmaschine seines Vertrauens Begriffe ein, die in etwa dem Sinn von „Ideen“ und „Text“ entsprechen, bekommt man – nicht ganz unerwartet – etliche Treffer, deren Gebrauchswert ich jetzt nicht prinzipiell in Abrede stellen möchte, die aber mitunter ein doch recht hohes Maß an kreativer Begabung voraussetzen, sollte daraus am Ende in der Tat ein guter Text entstehen. Echte Perlen findet man wie meistens im Leben zufällig.

„Schreibe über den Inhalt Deiner Tasche!“

Ich gebe zu, daß ich diesen Tipp zunächst zu den ganzen anderen in die Kategorie „Schrott“ einordnen wollte. Auf den zweiten Blick offenbarte sich jedoch ein gewisses Potential, also nicht lange gezögert, ich präsentiere: das Innere meiner Tasche:

Drei Jonglierbälle. Letztes Jahr im Sommer hatte ich nach etlichen Jahren wieder angefangen, Bälle zu werfen. Seitdem sind die Bälle immer dabei. Und wie ich gerade darüber nachdenke, bemerke ich, daß das letzte Mal Üben ebenfalls letztes Jahr gewesen ist, nur eben ein bißchen später im Sommer. Ich könnte die Bälle also wieder ´rausnehmen, ohne daß es mir wehtäte.

Alternativ könnte ich die Bälle natürlich auch einfach gelegentlich benutzen. Aber das gehört jetzt nicht hierher.

Das Buch „Vrouwen in de tijd van de Bijbel“. Für den Fall, daß ich in der Arbeitspause ´mal nicht das Bedürfnis habe, die Abläufe nach der Pause gedanklich durchzugehen, sondern auch ´mal etwas für mich zu tun. Das Niederländisch-Lernen-Wollen gehört zu den running gags meines Lebens. Und in aller Regel läuft das ja wie folgt ab: Man befindet sich gerade in der Pause oder man sitzt im Auto. Plötzlich ist das Verlangen da, genau jetzt in diesem Moment endlich weiterzumachen mit dem Lernen. Aber außer der Tasche im Spind respektive auf dem Rücksitz hat man einfach nichts dabei, um sofort loslegen zu können. Und da später zuhause der Impuls dann bereits wieder verflogen ist, weil man nicht asap loslegen konnte, bleibt dieses Buch neben den Bällen in meiner Umhängetasche und begleitet mich jeden Tag zur Arbeit und von dort zurück. Für den Fall der Fälle.

Eine weitere Lektüre befindet sich seit dem Tag des Kaufes auf dem Bücherflohmarkt in der Tasche: Ein Werk über Emotionale Intelligenz. Schließlich will ich nicht in jeder Pause jonglieren oder Niederländisch lernen. Und da der Begriff auch im Dating-Kontext momentan en vogue ist, könnte es eher von Vorteil sein, hierüber Bescheid zu wissen als einigermaßen gut Niederländisch zu können. Zumindest solange ich in der näheren Umgebung und nicht im lässigsten Nachbarland von allen meine Herzdame zu finden gedenke.

Und weil man ja von Zeit zu Zeit erfahren möchte, wo genau man steht, habe ich vor etwa einem halben Jahr sogar einen Test gemacht. Dessen Ergebnisse besonders aufschlussreich zu nennen, wäre vielleicht etwas zu viel der Euphorie. Doch abgesehen davon, daß runde 10 Prozent komplett daneben und weitere ca. 25 Prozent zwar sehr wohl zutreffend sind, mir aber nicht gefallen können, kann man die Auswertung immerhin als amüsant bezeichnen. Ungefähr so als ob ein relativ guter Freund mir etwas über mich erzählt, der viel, aber zum Glück nicht alles von mir weiß.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Zusammengefasst habe ich einen durchschnittlich hohen Emotionalen Quotienten mit einigen Dingen, die verbesserungswürdig sind. Zwar kann man sich sicher sein, daß das so ähnlich auch dort geheißen hätte, wenn ich jede einzelne der 100 Fragen anders beantwortet hätte, aber wenigstens ein bißchen beruhigend klingt dieser Befund schon. Denn man kennt sich ja und hat daher eine gewisse Vorahnung, daß das nicht alles sein wird, sondern da noch etwas Unangenehmes folgt.

Und so wirklich lange lässt der erste Hammer auch nicht auf sich warten: „Allerdings kommt es schon öfter einmal vor, daß Sie die Fassung verlieren. Und das seltsamerweise gerade bei Kleinigkeiten“, heißt es da vielsagend. Da kommt dann letzten Endes wohl doch der gute Einfluss meines älteren Bruders zum Tragen. So mancher gegnerische Verkehrsteilnehmer und ebenso der eine oder andere Paketbote hat hiervon schon eine Kostprobe genießen dürfen. Ob das dann Kleinigkeiten sind oder nicht – wer vermag das schon seriös zu beurteilen..?!

Sie haben allzu oft schlechte Laune“

Das mag sein, aber das beginnt nicht unmittelbar nach dem Aufwachen, da bin ich im Normalfall noch positiv gestimmt, weil jeder Tag zunächst ganz unvoreingenommen mein bester Tag sein wird. Die singenden Vögel meines Lichtweckers noch zehn weitere Minuten ruhig gestellt, schnurrt mich der Kater allmählich wach. Der Hund ist noch zu müde, um ans Randalieren überhaupt zu denken. Wenn schlechte Laune, dann gewiss nicht aus Prinzip. Im Grunde beginnt sich die Stimmung erst mit den ersten Aufeinandertreffen mit anderen Menschen nach und nach zu verschlechtern. Wie passend, daß das nur wenige Absätze später in der Testauswertung auch entsprechend gewürdigt wird, wenn es heißt: „Tatsächlich sind Sie eine absolute Stimmungskanone. Diese permanent gute Laune ist wirklich ansteckend.“

Ich überlege, welche Antworten ich überhaupt gegeben habe, um ein derart widersprüchliches Bild von mir abzugeben. Doch bevor ich mir die Antwort geben kann, stolpere ich über den nächsten denkwürdigen Satz: „Die Gesellschaft anderer Menschen empfinden Sie manchmal als unangenehm.“ Ich weiß nicht, was ich davon nun wieder halten soll und frage mich, was verstörender ist: Der Gebrauch des Wortes „manchmal“ in diesem Zusammenhang oder daß ich wiederum nur wenige Zeilen weiter hiermit konfrontiert werde: „Auch eine größere Menschenmenge schreckt Sie nicht. Damit hätten Sie eigentlich das Zeug dazu, ein echter Entertainer zu werden.“

Geahnt hatte ich das schon länger.

Wechseln wir das Thema einmal ohne angestrengtes Bemühen um eine gelungene Überleitung. „Besonders schätzen Kollegen an Ihnen allerdings die Fähigkeit, Routinearbeiten sehr gründlich, exakt, rasch und auch noch fehlerfrei zu erledigen“, ist eine Bewertung, die für mich bei weitem nicht so negativ klingt, wie es der Subtext eigentlich suggerieren möchte. Schließlich ist es doch lediglich das, was man von einem nur halbwegs normal tickenden Individuum erwarten können sollte. Kaum auszudenken, auf welchem Niveau sich unsere Gesellschaft befände, wenn jeder einzelne wenigstens das hinbekäme und nicht an exakt solchen Routineangelegenheiten bereits regelmäßig scheiterte.

Da jede Schreibwerkstatt als Tipp im Standardrepertoire bereithält, gerne ´mal mit Erwartungen zu brechen, folgt hierauf gerade nicht die obligatorische Kollegenschelte. Es bedarf eines solchen Rekurses auf frühere Blogeinträge auch gar nicht, denn mangelnde Fitness in Routineangelegenheiten ist allerorten zu beobachten. Da ist etwa eine Hausverwaltung nicht in der Lage, Betriebskostenabrechnungen erstens korrekt und zweitens fristgerecht zu erstellen, ohne dabei – drittens – ein Jahr zu unterschlagen. Da verschwinden in der Finanzbehörde, bei denen ich gesteigerte Sorgfalt einfach ebenso voraussetze wie es dort umgekehrt auch von mir und allen anderen erwartet wird, zwei von drei eigenhändig eingeworfenen Dokumenten auf dem Weg zwischen Briefkasten und zuständigem Sachbearbeiter. Wer mag, ergänzt diese Aufzählung jetzt durch eigene Beispiele. Das Wochenende ist definitiv zu kurz, um sich vorsätzlich in Rage zu schreiben, nur weil irgendwelche als Paketfahrer nur mäßig getarnte Einzeller… lassen wir das!

Und weil Wochenende ist, benötige ich noch etwas Aufbauendes. Zwei „sehr positive Eigenschaften“ hätten sich bei mir verfestigt. „Nämlich eine gehörige Portion Selbstvertrauen und dazu noch eine Prise allerfeinster Humor.“ Nun, damit kann ich arbeiten. „Sie sollten sie deshalb ganz besonders pflegen und nach Möglichkeiten suchen, diese Talente weiter zu vervollkommnen.“

Sehr viel besser hätte ich es selbst nicht formulieren können. Aber das nenne ich ´mal eine Arbeitsanweisung. Fürs Wochenende und fürs Leben. Fürs Schreiben wie fürs Brautwerben.

Ob es aber allein für diese Erkenntnis vonnöten gewesen ist, einen 100 Fragen umfassenden Test zu machen oder ob das ähnlich ineffizient war wie die Suche nach Anregungen für Texte über Google und Co, lasse ich an dieser Stelle unkommentiert.

Festes Schuhwerk wird empfohlen

Es war damit zu rechnen, daß mir am Tag Eins nach dieser Schmach niemand aus dem Kollegenkreis bei der Begrüßung in die Augen sieht. Verständlich, schließlich habe ich selbst vor Verlassen der Wohnung nicht nur wie üblich gedanklich geprüft, ob ich Geld, Dokumente und alle Schlüssel dabei habe, sondern mit einem kurzen Blick nach unten zusätzlich gecheckt, ob ich diesmal zwei miteinander korrespondierende Schuhe an meinen Füßen trage. Also muss ich damit leben, daß alle, die tags zuvor miterleben durften, wie ich mit einem braunen Halbschuh links und einem schwarzen knöchelhohen Stiefel rechts erschienen war, den Blick ebenfalls als erstes Richtung Boden senken.

In der Liste der Dinge, die ich in diesem Leben kein zweites Mal erleben möchte, steht dieses Erlebnis zwar nicht so weit oben wie nachts komplett nackt ins Treppenhaus ausgesperrt, wenigstens aber doch auf einer Stufe mit dem Vorfall, als mich die Kassiererin im Norma auf Vogelscheiße in meinem Haar aufmerksam machte, die ich nicht bemerkt hatte.

Nachdem mein Lapsus passenderweise just zum Zeitpunkt einer Unterhaltung über Zeitumstellung, Aufstehzeiten und Morgenroutinen entdeckt wurde, dauerte es bis zu den ersten zugegeben gelungenen Sprüchen nicht sehr lange. „Finde den Fehler“ als Aufforderung zu einem umgehend angefertigten Foto dieses buchstäblichen Fehltrittes. „Willkommen in Mickys Welt“ hat mir auch sehr gut gefallen. Oder auch „mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden“.

Wie unschwer zu erkennen, bestätigte sich, daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Meinen Konter, daß ich mich letzlich so sorgfältig anziehe, wie andere arbeiten, finde ich auch mit dem zeitlichen Abstand von ein paar Tagen noch passend. So herum wird nämlich ein Schuh draus. Ich durfte mir aber sicher sein, daß nicht alle diese Entgegnung so super fanden wie ich selbst. Doch nicht nur das. Auch ist mein Image als Stilikone durch diesen Fauxpas nachhaltig beschädigt. Hätte ich ihn nicht als solchen zugegeben, sondern alles als pure Absicht verkauft, sähe es vermutlich anders aus. Aber für eine Reaktion in diese Richtung hatte ich zwei, vielleicht drei Sekunden Zeit; danach war klar, daß ich aus der Nummer so einfach nicht herauskommen würde.

Zum schwachen Trost: Immerhin einen der Kollegen beschäftigte im weiteren Tagesverlauf die Überlegung, alles könne eventuell eine Art soziales Experiment meinerseits gewesen sein. War es aber nicht. Es war Geistesabwesenheit, die ich mir Tage später immer noch nicht erklären kann. Was die Annahme nahelegt, daß ich mir das wohl auch nicht irgendwann später im Verlauf meines hoffentlich noch langen Lebens erklären werden kann. Einzige halbwegs plausible Erklärung wäre beginnender Lagerkoller. Bloß: Wenn so der Beginn aussieht, will ich die fortgeschritteneren Stadien nicht bei vollem Bewusstsein mitbekommen.

Was hat die Zeit mit und aus mir nur gemacht?

Nur ein paar Tage später hätte ich alles auf die Zeitumstellung schieben können. Da die Sommerzeit in meinem Bekanntenkreis in etwa so hoch angesehen ist wie ein Zahnarztbesuch, hätte ich nur einen Satz mit den Bestandteilen „unausgeschlafen“ und „dunkel“ murmeln müssen, und alle hätten vollstes Verständnis für mich gehabt. Als ansonsten bekennender Sommerzeit-Fan hätte ich das Angebot gern angenommen, nach Hause zu gehen und mich auszuschlafen, während die anderen meine Arbeit miterledigen. Zuhause angekommen hätte ich einen Blogeintrag verfasst, in welchem ich Menschen durch den Kakao ziehe, deren Schlaf-Wach-Rhythmus schon beim bloßen Gedanken an diese eine Stunde Pogo tanzt.

Manchmal glaube ich, ein von dieser Stunde Betroffener generiert mehr Mitleid als ein in Wechselschicht arbeitender Mensch.

Zeit für mein Coming-out: Früher war die Zeitumstellung für mich ein großes Problem. Es war die Zeit, in der ich regelmäßig größere als für meinen Körper zuträgliche Mengen Bier zu mir nahm. So kam es vor, daß ich ich des Nachts nach Hause kam, etwa zwischen zwei und drei Uhr, wer will das um diese Zeit schon so genau wissen? Ich meine mich an die Absicht erinnern zu können, in diesem Zustand „schnell“ noch alle Uhren umzustellen. Damit ich am nächsten Morgen nicht durcheinander komme. Leider wusste ich wie die meisten nicht, ob eine Stunde vor oder zurück. Es fällt schwer zu rekonstruieren, was mich in dieser Nacht umtrieb, aber offenbar habe ich mich bei den einzelnen im Haushalt vorhandenen Zeitmessgeräten ´mal für diese, ´mal für jene Richtung entschieden. Da sich mein Kurzzeitgedächtnis darüber hinaus den Scherz erlaubte, sich nicht zu merken, welche der Zeitanzeiger ich schon bearbeitet hatte, während ein anderer Teil meines Gehirns sich bereits im Dämmerschlaf befand und mir nur noch signalisierte, daß mir das zu dieser Zeit auch gleichgültig sein könne, hatte ich am nächsten Morgen auf fünf verschiedenen Uhren vier verschiedene Zeiten.

Normal. Daß ich mich eines Nachts nackt im Treppenhaus wiederfand, bei zugezogener Wohnungstür (oder zugefallener, wer will das um die Uhrzeit schon so genau wissen?), war schließlich zu jener Zeit ebenfalls durch Selbstverabreichung übermäßiger Rationen Bier verursacht.

Im Laufe der Jahre und mit zunehmender Reife habe ich mir aber einen etwas souveräneren Umgang sowohl mit den Bieren als auch mit der Zeitumstellung angeeignet.

Wenn allerdings sowohl Zeitverschiebung als auch Konsum nicht nur geringfügiger Mengen Bier als Begründung für das mit den Schuhen nicht taugen, werde ich nicht umhin kommen, eine Erklärung heranzuziehen, die mir nicht gefallen kann:

Das Alter

War die Angelegenheit mit den Schuhen möglicherweise nur der Auftakt. Was also, wenn ich plötzlich nicht mehr besser werde, sondern in der Tat nur noch älter? Was, wenn ich irgendwann wie letztens noch gewitzelt tatsächlich nur noch Sätze der Güteklasse „Hier können Sie nicht stehenbleiben“ über die Lippen bekomme? Mit den Abmessungen eines Einkaufswagens nichts mehr anfangen kann und die Dinger anderen Menschen, die das Pech haben, in der Schlange vor mir zu stehen, permanent gegen die Haxen fahre? Ähnlich dem Lagerkoller gilt: Wenn das erst der Anfang ist, will ich dann das Ende wirklich mitbekommen? Was, wenn ich eines Morgens aufstehe und mein alter Körper als Schale liegenbleibt und ich fortan auch von meiner äußeren Erscheinung her alt bin? Gut – daß ich noch immer im Körper eines 30-Jährigen lebe, ist ein Luxus, von dem ich wissen muss, daß er irgendwann ein Ende haben wird. Aber das will man ja genauso wenig wahrhaben wie die Möglichkeit eines Abstiegs des Fußballvereins des Herzens, und irgendwann ist der Zeitpunkt trotzdem gekommen.

Und wenn man sich dann zurückerinnert, findet man immer diesen einen Punkt, von dem man im Nachhinein weiß, daß dieser der eigentliche Ausgangspunkt einer unliebsamen Entwicklung war.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

„Wenn Du sprichst, sollten Deine Worte besser sein, als Dein Schweigen gewesen wäre“, lehrt uns ein Sprichwort. In Offenbach würde man das vermutlich weniger diplomatisch ausdrücken. Sondern etwa so: „Wenn Du nichts zu sagen hast, halte besser die Fresse!“

Gleich, ob poetisch oder brachial umschrieben – jahrzehntelang habe ich nach dieser Maxime gelebt. Für einen etwas längeren Abschnitt in meinem Leben konnte ich diesem Problem geschickt ausweichen, indem ich mittlere Mengen Apfelwein oder Bier trank und mein Sendungsbewusstsein mit der eingenommenen Menge anstieg. Daß dann allerdings die Worte immer besser waren als mein Schweigen gewesen wäre, vermute ich eher nicht. Auch ist nicht überliefert, ob die Leute das überhaupt hören wollten oder nicht. Oder ob sie mich überhaupt noch verstehen konnten.

Im Grundsatz unterschreibe ich auch heute noch, daß nach außen kund getane Informationen eine gewisse Relevanz für den Empfänger der Botschaft besitzen sollten. So wie es mir wahrscheinlich als Kleinkind beigebracht wurde. Zweitrangig, ob beabsichtigt oder nicht. Aber mit zunehmendem Alter übe ich mir gegenüber diesbezüglich mehr Nachsicht. Sprich: ich passe mich der Mehrheit an, für die Klappern schon seit ehedem zum Handwerk gehört und sich demgemäß auch verzeiht, wenn der Gehalt des Dargebotenen nicht gleich preisverdächtig ist.

Zur Bescheidenheit als alleiniger ethischer Grundausrichtung gesellt sich jetzt Strategie. Nicht mehr: Wer es sehen will, was ich kann, bemerkt das schon. Das ist natürlich ein aller Ehren werter Leitsatz, verkennt aber die Vielzahl derer, die es eben doch übersehen. Zwar weiß ich nicht, wie es mir dort gefiele, wo ich heute stünde, wäre ich schon früher nur ein bißchen offensiver und marktschreierischer aufgetreten. Dafür ahne ich heute, wie unbegründet meine Angst vor diesem Wo und dem dazugehörigen Was die ganze Zeit war.

Theoretisch. Abstrakt. Nachdenkenswert.

Da ich in jenen jüngeren Jahren genügend Freunde, Weggefährten, Mentoren hatte, die mir mehr zugetraut haben als ich mir selbst, hätte ich es früher wissen können, ja müssen. Vielleicht habe ich mehr Chancen liegen lassen als Du-Ri Cha während seiner gesamten Zeit bei Eintracht Frankfurt. Doch soll dieser Text nicht geschrieben werden, verpassten Chancen nachzutrauern, sondern Mut zu machen, Versäumtes nachzuholen.

Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass man dich fragt!

Ein Abend im Sommer 2009. Wir sitzen im Außenbereich einer Schankwirtschaft in relativer Nähe der Adresse, in der sich vor einem halben Jahr noch unser Hauptquartier befand. Mein ehemaliger Chef orakelt gerade etwas von Projekten. Was ja nichts anderes bedeutet als: nichts, womit sich kontinuierlich Geld verdienen lässt. Viele der in dieser Runde Anwesenden haben ihre Projekte. Andere sind nach der Insolvenz des Unternehmens, das uns zusammengebracht hat, bereits wieder in Lohn und Brot. So auch ich.

Mich hat aber den ganzen Abend lang nur ein einziger der Ex-Kollegen gefragt. Während die anderen denen gelauscht haben, die von ihren Projekten berichteten. Immerhin war es zu jener Zeit auch schon nicht selbstverständlich, daß, sagen wir zum Beispiel, die Familie meiner Gattin sich nach meinem Job erkundigt. Man kann also nicht behaupten, ich sei gekränkt gewesen deswegen. Schließlich war ich es gewohnt. Und doch ging mir ein Licht auf. Die Leute schenken Dir Beachtung, weil Du laberst. Nicht weil Du da bist oder weil Du zufällig Teil der gleichen Gemeinschaft bist. In kleinen Betrieben gern ebenfalls als Familie bezeichnet. Was ja oftmals nicht ganz unzutreffend ist. Das nebenbei. Hätte ich es nicht spätestens seit damals an jenem Abend im Sommer wissen können, ja müssen?

Ich hätte mich vielleicht einfach mal nach getaner Arbeit jeden zweiten Abend ächzend und stöhnend auf die Couch fallen lassen sollen, damit zuhause bemerkt wird, daß ich nicht nur auf die Arbeit gehe und irgendwann zurückkomme und niemand weiß, was dort in der Zwischenzeit passiert ist. Weil nichts oder wenigstens nicht viel passiert ist. Seit meiner Zeit in der Firma, welche die an jenem Abend im Sommer Versammelten als Schicksalsgemeinschaft zusammenbrachte, weiß ich, daß es solche Jobs gibt. Zur Not auch geschaffen werden, wenn ´mal wieder jemandem ein Gefallen getan werden soll. Da wir mit elektronischer Musik handelten und fast die komplette Belegschaft sich aus der an Selbstdarstellern gewiss nicht armen Szene rekrutierte, war ich als Milieufremder einer von wenigen, dessen Wert für die Firma sich ausschließlich in der geleisteten Arbeit darstellte.

In dieser Eigenschaft wollte ich es mir nicht leisten, mich in ähnliche Verlegenheit zu bringen wie der Kollege, der umgeknickt ist, weil ihm der Fuß eingeschlafen war. Während er beide Füße während des Telefonierens auf dem Tisch liegen hatte. Und beim Aufstehen ist es geschehen. Ein ganz normaler Arbeitsunfall eben, wie er auf der Welt jeden Tag zigfach exakt so passiert.

Spätestens jetzt sollte ich erwähnen, daß Handlung und handelnde Personen selbstverständlich frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen rein zufällig sind.

So also auch die Kollegin, die mit ihren sinnlosen Vorschlägen nicht weniger als die Firma zu retten vorgab. Im Grunde war ihr Arsch das einzige, das diese Frau retten wollte. Und trotzdem stand sie besser da als wir Kollegen im Lager, weil wir lieber umsetzten statt herauszuposaunen. Aber das ist wenig spektakulär. Und kein Spektakel, keine Beachtung.

Da wir alle weniger zu tun hatten, hätte sie zuhause bleiben und jemand anderes ihren Job noch miterledigen können. Damit wäre der Firma wahrscheinlich mehr geholfen gewesen als mit allen anderen Vorschlägen. Am Ende aber war da so oder so nichts mehr zu retten. Der sich verändernde Markt. Beratungsresistente Geschäftsführer. Trümmer ohne Neuaufbau. Besagte Kollegin stand danach auch nicht besser da als wir alle. Doch eigentlich hätte ich es seit dieser Zeit schon wissen können, ja müssen.

Und dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bis mir die bisher größte Enttäuschung meines Lebens unter anderem unmissverständlich lehrte, daß die beschriebenen Mechanismen in privatem Zusammenhang ungefähr genauso funktionieren. Auch hier Trümmer. Aber Neubesinnung. Neuaufbau. Dazu ein Schwur: Nie wieder will ich das Urteil, das andere Leute sich über mich machen, derart unkontrolliert dem Zufall überlassen, weil ich irrigerweise annehme, daß die Taten schon für sich sprechen werden.

Ab sofort wird so gelebt, daß man mich fragt. Und wenn es dazu notwendig ist, mehr zu reden, dann mache ich das eben.

Ich habe schließlich schon Schlimmeres überstanden.

Humorvoll, selbstbewusst, erfolglos

Sollte es jemals mehr als ein Gerücht gewesen sein, daß man Frauen mittels Humor beeindrucken könne – mein Aktionsradius, im großen und ganzen also das Stadtgebiet von Offenbach, wäre eine Sondererscheinung. Eine Insel, die Ausnahme von der Regel, wo diesbezüglich alles nicht gilt, was für den Rest der Welt normal ist.

Natürlich habe ich lustige Pärchen im Freundes- und Bekanntenkreis, das ist es nicht. Es ist diesmal auch nicht die sonst gern beleidigte Leberwurst, weil ich nicht schon längst wieder zu zweit bin, obwohl ich mich selbst doch als einen äußerst humorvollen Menschen kenne und schätze. Gut, die letzten paar Jahre gelang es mir ganz gut, meine witzige Seite nicht allzu sehr in den Vordergrund zu spielen, aber das soll hier jetzt nicht ablenken.

Die Vielzahl an erkennbar humorlosen Männern jedenfalls, die mir im Laufe einer ganz normalen Woche zufällig begegnen, lassen nur den einen Schluss zu: dass nämlich die Behauptung, Humor sei sexy, eine offensichtliche Lüge ist in der Propagandaschlacht zwischen Männern und Frauen um die geringere Oberflächlichkeit. Andernfalls dürften von denen nicht so viele in Beziehungen leben.

Wer seinen Wocheneinkauf ebenfalls samstags erledigt und einmal die Paare beobachtet hat, weiß was ich meine. Sicher beschreibe ich mit dem Einkaufen mit der Partnerin eine Extremsituation, aber dem Thema seriös angenähert, sind es wohl eher die Frauen, die Humor benötigen, und zwar sogar jede Menge davon, um das Zusammenleben mit solchen Männern auf Dauer auszuhalten. Umgekehrt laufen natürlich auch jede Menge Frauen frei herum, deren Stimmung wiederum kaum auszuhalten ist. Denen schon ins Gesicht geschrieben steht, daß man ihr bloß nicht mit einem locker-lustigen Spruch kommen darf.

Ich bekenne: ich habe mir das ein oder andere Video mit Flirt-Tipps angesehen. Ich gebe zu: auf Youtube, wo die Experten Lösungen anbieten, die erstens garantiert und zweitens sofort wirken. Die uninformierte Masse möchte hochkomplexe Themen offenbar auf einen Beitrag unter fünf Minuten Länge reduziert konsumieren. Ich weiß: das alles ist gemacht für Leute, die knapp 30 Jahre jünger sind als ich. Trotzdem. Und: Weil ja alles mit allem zusammenhängt, habe ich darüber hinaus jede Menge über Persönlichkeitsentwicklung und Wirkungskompetenz geschaut. Ich gestehe: sogar hin und wieder ein Buch zu Teilaspekten dieser Themen gelesen zu haben.

Genau genommen lese ich seit zwei Jahren kaum anderes mehr.

In einem dieser Bücher hieß es zum Beispiel: Langsam ist sexy. Ich hatte es kürzlich in der Arbeitspause vor mir liegen und einer Kollegin vorgelesen, welche meinen Verdacht auch umgehend bestätigte: noch so ein Gerücht. Um die Theorie nicht vorschnell Daumen senkend abzuurteilen, habe ich gedanklich die Anziehungskraft einiger langsamer Menschen noch einmal überprüft. Da ich mich ja auf der Arbeit befand, fiel mir die Suche nach Beispielen auch nicht außerordentlich schwer. Sicher reicht diese Beobachtung nicht aus, zu sagen: Beweisführung abgeschlossen, langsam ist nicht sexy. Als einen ersten Fingerzeig in diese Richtung möchte ich das jedoch schon gewertet wissen.

Das Selbst und das Bewusstsein

Großen Raum nimmt bei dem Prozess der Reifung einer Persönlichkeit der gesamte Komplex rund um Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl ein. Eine sorgfältige Abgrenzung all dieser Begriffe spare ich mir, um den Rahmen dieses Beitrags nicht komplett zu sprengen. Meine Texte sind auch so schon immer zu lang. Weil die meisten Youtube-Koryphäen diese Begriffe ebenfalls sorglos synonym verwenden, um ihre Zuschauer nicht zu überfordern, macht es auch nicht unbedingt etwas aus. Trotz allem ist das Thema Selbstsicherheit zentral.

Und ich muss feststellen: Obwohl ich zahlreiche dieser Youtube-Experten angesehen habe, hat mir das bis jetzt nicht zum Nachteil gereicht. Wenn man den ganzen Quark nämlich nicht als Dogma, sondern als Inspiration betrachtet und sich daraus das für sich beste heraussucht, kann man sich tatsächlich weiterentwickeln, ohne Gefahr zu laufen, irgendwann selbst wie die Mentoren zu reden: mit nur angestrengt klarer, dafür übertrieben melodiöser Stimme sowie stark rudernden Armen, was dann als natürliche Gestik bezeichnet wird.

Ich will es nicht schlechter machen, als es ist. Viele sind großartig, wissen Bescheid und können die Materie angemessen ´rüberbringen. Aber manche sind einfach schlecht.

In den meisten dieser Beiträge geht es nämlich um das bloße Zurschaustellen von Selbstbewusstsein, also dem ungefähren Gegenteil von echtem Selbstbewusstsein. Die Angst vor Beurteilung durch andere abzustellen, mag im Einzelfall auch mithilfe solcher Taschenspielertricks sehr hilfreich sein, kann im Extremfall jedoch dazu führen, daß ein problematisches Persönlichkeitsmerkmal durch ein anderes ersetzt wird.

Die Gefahr besteht jedenfalls, daß durch derartige Tipps das in unserer Gesellschaft ohnehin schon zu weit verbreitete Blendertum weiter zunimmt. Man muss dabei immerhin zugestehen, daß genau das auf wenigstens einen Teil der Frauenwelt ganz klar die Wirkung nicht verfehlt. Bei denen, die schlau genug sind, das Spiel zu durchschauen, und aber über ausreichend Humor verfügen, um wenigstens eine Zeitlang darüber hinwegzusehen. Und bei der anderen Gruppe, die auf solche und ähnliche Weise beschissen werden will. Die sich auch bei jedem noch so abgenutzten Kompliment einbildet, der Kerl hätte sich das in genau diesem Moment nur für sie ausgedacht.

Auf sehr ähnliche Weise kommen manche Leute zu gut dotierten Jobs. Und vergessen sobald sie ihn haben, mit den Anforderungen, die er mit sich bringt, zu wachsen. Resultat: daheim sind sie die Könige, weil sie ja besagten Job haben. Auf der Arbeit sind sie die Hanswurste, weil sie nichts auf die Kette bekommen und den Posten für fähigere Leute blockieren.

Die Dummen und die anderen

Und falls jemand auf die Idee kommt, ihnen zu sagen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt – kein Problem, auch dafür gibt es kurze und knackige Antworten. Dann heißt es: „Lass´ Dir Deine Erfolge nicht schlechtreden!“ Oder, als ob die Aussage durch Verwendung von Kraftausdrücken richtiger würde: „Gib´ einen Fick auf das, was andere sagen!“ Logisch muss man bei allem vorsichtig sein, was andere über einen urteilen. Aber ich kann das doch nicht zum Programm erheben! Ohne jegliche Fähigkeit zur Selbstkritik plus Verweigerung der entsprechenden Rückmeldungen durch andere – was für eine Sorte Mensch soll auf Dauer dabei herauskommen?! Wenn es nicht gelingt, die eigenen Aktionen einzuordnen, bleibt dabei übrig: ich baue in einer Tour Scheiße, bekomme das auch exakt so gesagt, aber weil ich dem Youtuber mehr traue als den Leuten aus meinem Umfeld, mache ich genau so weiter. Weil: ist mein Ding, das bin ich! Authentizität ist ja auch so ein Gimmick aus dem Zauberkasten der Persönlichkeitsentwicklung. Fast niemand kann es unfallfrei aussprechen, aber missverstehen können es fast alle.

Um es korrekt einzuordnen: das Phänomen ist nicht so neu und existiert mitnichten erst seit der Möglichkeit, solche Dinge im Netz nicht nur schnell zu verbreiten, sondern im Zweifel damit auch noch Geld zu verdienen. Die Dummen praktizieren das schon immer so. Während die anderen voller Zweifel sind.

Ein ähnlich lautendes Zitat des Altmeisters Charles Bukowski habe ich mir auf ein T-Shirt gedruckt. Letzten Sommer. Also nach knapp 30 Jahren des Aufregens über diesen Menschenschlag. Wurde Zeit. Allerhöchste sogar.

Mit solchen ärgerlichen Randerscheinungen ist beim Thema Persönlichkeitsentwicklung naturgemäß genauso zu leben wie mit dem Umstand, daß eine Mehrheit das nicht zum Selbstzweck betreibt, sondern wofür es erfunden wurde: die wie auch immer geartete Karriere voranzutreiben. Dennoch halte ich fest: Allein schon in aller Deutlichkeit die Möglichkeit aufgezeigt bekommen zu haben, meinem Leben eine andere Richtung zu geben, kam für mich zum genau richtigen Zeitpunkt. Auch jenseits von Karrierestreben konnte ich Anstöße finden, mich auf diesem oder jenem Gebiet verbessern zu wollen. Schlussendlich will ich ja auch nach knapp 30 Jahren der Suche endlich eine Nische finden, welche die Gesellschaft hoffentlich für mich bereitzuhalten imstande ist. Auch wenn ich mich trotz fehlender Erfolgserlebnisse in flirt-technischer Hinsicht zur Zeit wirklich nicht beschweren kann – es wäre verschwendetes Potential, wenn es an dieser Stelle zu Ende wäre.

Obwohl nach einiger Zeit intensiver Beschäftigung in Theorie und Praxis auf diesen Gebieten nicht mehr allzu viel bahnbrechend Neues zu erwarten ist, werde ich mir auch in Zukunft noch das eine oder andere Video dazu ansehen. Selbstverständlich mit der gebotenen Mischung aus Faszination und Skepsis. Und mit einer Prise meines mir eigenen Humors. Selbst wenn es mich bei den Frauen nicht sofort und garantiert weiterbringt. Da gebe ich schließlich einen Fick drauf.

Vorsicht, Musik!

Du hast doch schon so viele.“

Eine angemessene Erwiderung auf diese gängige Reaktion von Müttern und Ehegattinnen in Bezug auf einen umgesetzten oder auch erst bloß geäußerten Wunsch zur Vervollkommnung der Sammlung an Tonträgern ist mir bis heute nicht eingefallen. Man lebt diesbezüglich einfach in unterschiedlichen Welten. Dem direkten Vergleich mit einem fanatischen Sammler, bei dem schon Statiker die Wohnung auf Tragfähigkeit der ganzen Platten begutachten müssen, habe ich mich auf der anderen Seite niemals stellen wollen. Wenn von einem Künstler womöglich sechs unterschiedliche Platten mit allerdings allesamt identischen Aufnahmen besessen werden müssen, wäre die Frage, ob man denn das wirklich brauche, nämlich eher angebracht als bei meiner eher willkürlich zusammengewürfelten Anhäufung an CDs und Vinyls.

Wie so oft im Leben befinde ich mich in der Situation, von keiner der beiden Seiten wirklich ernst genommen zu werden.

Analog dazu verlieren sich die sechs Titel, die ich in Woche Zwei meines selbstauferlegten Entrümpelungsprogramms für die Entsorgung nominiert habe, im Wettstreit der Redensarten ebenfalls irgendwo zwischen „macht den Bock nicht fett“ und „Kleinvieh macht auch Mist“.

Viel mehr war auch deswegen nicht drin, weil die letzte kritische Überprüfung gerade zwei Jahre zurückliegt. Etwa den gleichen Zeitraum davor war der größere Einschnitt: als ich nämlich seinerzeit meine Teilzeit-Karriere als Schallplattenalleinunterhalter beendete, habe ich als eine der Sofortmaßnahmen den Giftkoffer aufgelöst: Schlager und Artverwandtes, das bei der Fassenacht, etlichen Hochzeiten und auch bei so mancher Stadtjugendring-Disco unentbehrlich gewesen war – weg damit! Über Geschmack lässt sich nämlich sehr wohl streiten, auch wenn die Redensart wohl gemeinhin andersherum gebraucht wird und wohl bedeuten soll, daß bei einem Streit nur kein Ergebnis zu erwarten ist. Aber nach so manchem Abend mit so mancher Diskussion und der Erfahrung, mit welcher Vehemenz manche Menschen ihren persönlichen Musikgeschmack zu einem allgemeingültigen Standard überhöhen, kann ich nicht einfach ohne zu lügen behaupten, es ließe sich nicht drüber streiten.

Geblieben ist – nebenbei – die Erkenntnis: Wenn man, so wie ich, diesen Job auch deswegen macht, um bei einer Party nicht permanent reden zu müssen, dann bekommt man diesen Zahn rasch gezogen.

Was die angesprochenen geschmacklichen Entgleisungen betrifft, war ich verständlicherweise erleichtert, als ich diese in die Tonne treten konnte in der Gewissheit, sie nie wieder zu benötigen. Wenigstens an diesem Punkt kann ich unumwunden sagen: bereut habe ich bis heute nichts davon.

Und noch weniger als das Entsorgen solcher Manifestationen des schlechten Geschmacks habe ich bereut, überhaupt mit dem Auflegen aufgehört zu haben. Nachdem nämlich so ziemlich jeder mit jedem fleißig die mit Musik-Dateien übervollen Festplatten untereinander ausgetauscht hatte, war eine der nicht nur nebensächlich zu bezeichnenden Voraussetzungen für diesen Job einfach so weggefallen: das Vorhandensein einer vorzeigbaren Sammlung an Tonträgern, die der Besitzer und Benutzer auch kennt und überschauen kann. Auf der anderen Seite war ich ja kein DJ, habe mich auch nie so bezeichnet, sondern immer gesagt: ich bin bloß derjenige, der sich kümmert, daß zu jedem Zeitpunkt der Veranstaltung die passende Musik gespielt wird und daß der jeweils nächste Titel ansatzweise zum gerade gespielten passt.

Was übrigens das Vorhandensein einer gewissen Dramaturgie ausdrücklich nicht ausschloss. Und eine Dramaturgie verstehen bedeutet, daß man nicht um 20.30 Uhr alles Pulver verschießt und den heißesten Scheiß bringt, der für halb zwölf gedacht ist. Halb zwölf heißt ja auch meistens: daß diejenigen die Bildfläche bereits verlassen haben, die ohnehin nicht getanzt hätten. Die auch um 20.30 Uhr nicht getanzt hätten, selbst wenn ich ihrem Vorschlag entsprechend um 20.30 Uhr den heißesten Scheiß gespielt hätte. Die aber an guten Ratschlägen nicht gespart haben, was als nächstes zu spielen wäre. Scheißjob! Wieso kann ich nicht wie jeder andere auch mit Ballonmodellage oder etwas Vergleichbarem nebenher mein Geld für neue Platten verdienen?!

Alles hat ein Ende

Wie auch immer: Daß ich also einerseits die Sammlung an mehr oder weniger geschmackvoll ausgesuchter Musik nicht mehr so exklusiv wie vorher hatte und andererseits das Handwerk eines echten DJs niemals beherrscht hatte, hat zwar für gelegentliche Aufträge gereicht, nicht aber meinen persönlichen Ansprüchen an eine solche Aufgabe genügt. Zudem musste ich bemerken, wie zunehmend mehr Leute ihr mitleidiges Grinsen nicht mehr verbargen, weil ich immer noch Plattenkoffer schleppte. Mir dämmerte, daß ich mich erneut wie schon so häufig in meinem Leben in der Situation befand, von beiden Seiten nicht wirklich ernst genommen zu werden. Und irgendwann war dieses Thema dann einfach durch. Und ich hätte zu meinem Ausstand gut auf solcherlei Bestätigungen verzichten können, aber irgendwie wurden an diesem einen letzten Abend beinahe sämtliche Tiefpunkte der gesammelten Erfahrungen im Zeitraffer wiederholt:

Angefangen bei extrem unkooperativen Wirtsleuten, die meine Ausrüstung schlechtredeten und von ihrer tollen Anlage schwärmten, die selbstverständlich einzig und allein von ihrem Haus-und-Hof-“DJ“ angerührt werden darf. Aha, angepisst, weil sie ihn diesmal nicht vermitteln konnten.

Als sich nach dem Essen die Feier langsam entkrampfte und also für mich der Abend begann, dauerte es keine zehn Minuten bis mich der erste anraunzte: Leiser! Man wolle sich unterhalten. Erwartungsgemäß kam dann nur wenig später der nächste, dem das alles viel zu leise war. Zwischen diesen beiden Gruppen ist erwiesenermaßen wenig Spielraum für Kompromisse. Ich überlegte kurz, mir an meinem letzten Abend den Spaß zu gönnen, je nach Aufforderung tatsächlich leiser und wieder lauter und wieder leiser zu machen. Doch am Ende galt wie immer: wer zahlt, bestimmt, also Feuer frei!

Mit Reaktionen wie „Willst Du, daß die Leute alle gehen?“ kann man ja inzwischen umgehen. Das ist keine Frage, auch kein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung meiner Performance, sondern eine Provokation, und Provokationen verdienen gar keine Antwort. Kopfhörer auf und den folgenden Rest ignorieren.

Selbst der absolute Klassiker aller Sprüche fiel an diesem Abend. Der Spruch, auf den jeder wartet, nämlich „Spiel´ ´mal etwas Tanzbares!“ Die gedachte Best-Of-Antwort: „Man kann sich drüber streiten, ob das Zappeln, das einige hier gerade praktizieren, die Beschreibung Tanz verdient, doch Fakt ist, daß sich bereits Menschen zum Rhythmus der Musik bewegen.“

Nichts wird ausgelassen, auch einer von denen, die alles besser können und wissen, kam noch auf einen Plausch vorbei und riet mir kumpelhaft: „Soul käme jetzt nicht schlecht.“ Da einige der Gäste gerade im Begriff waren, zu Klängen von AC/DC die Hütte abzureißen, wäre das so mit das schlechteste gewesen, was ich hätte tun können. Es sei denn, die Formierung eines Lynchmobs wäre das erklärte Ziel gewesen. Ich beschloss, meinen letzten Abend nicht am nächstbesten Baum aufgeknüpft enden zu wollen. Die unausgesprochene Top-Antwort in diesem Fall: „Richtig!“

Jahre später weiß ich die Ballonmodellage wirklich zu schätzen. Das findet zu familien-, in meinem Fall also hundegerechten Zeiten statt. Auch da wird der Ton gelegentlich ruppig, wenn Papa noch zwanzig andere vor sich in der Reihe sieht. Da wird vor allem wenn es gegen Ende „Bitte nicht mehr anstellen“ heißt, geflucht und gemeckert. Da gibt es auch ´mal einen Spruch wie „und da gibt es Leute, die können das richtig schnell“.

Aber: Da sind nicht so viele, die es besser können. Noch besser: Da sind nicht so viele, die sich bloß einbilden, es besser zu können. Konsequenz: Da gibt es selten jemand, der mir sagen will, wie ich meinen Job zu machen habe.

Vor allem aber auch: Einmal nicht wie sonst im Leben zwei Seiten, ich dazwischen und von keiner der beiden wirklich ernst genommen.

Weniger ist weniger

So prägend meine aktiven Jahre in der kirchlichen Jugendarbeit vielleicht gewesen sind – ein besonders religiöser Mensch bin ich dadurch sicher nicht geworden. Und ich denke, am Ende konnten und können damit beide Seiten ganz gut leben. Einmal wurde es brenzlig, aber Taufpate durfte ich eigenartigerweise auch ohne Konfirmation werden. Wozu es zwei Hypothesen gibt: Entweder wurde das gar nicht geprüft oder die hatten Angst, daß mein Bruder die Situation eskaliert, wenn sie mich nicht zulassen. Das Kopfkino spielt hierbei das beste Programm für diejenigen, die den Mann kennen. Allen anderen sei ans Herz gelegt, sich eine Bache bei der Verteidigung ihres Nachwuchses vorzustellen, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie das bei ihm in etwa aussehen würde. Ob das eine oder das andere der Grund war – die Wahrheit werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr erfahren. Und danach dürfte ich andere Sorgen haben.

Meiner streng ungläubigen Haltung entsprechend begann dann auch die Fastenzeit in der Vergangenheit auch ohne größeren Enthusiasmus meinerseits. Und endete irgendwann auch wieder, ohne daß ich es überhaupt großartig registriert hätte. Was weniger daran lag, daß ich keinen Anlass gehabt hätte, lohnenden Verzicht zu üben, als mehr daran, daß ich das für mich in diesem Rahmen einfach nicht als Option gesehen habe. Wenn überhaupt Religion, dann Eintracht Frankfurt. Und weil diese die Rückrunde im Frühjahr bekanntlich beinahe traditionell versiebt, habe ich über all die Jahre irgendwie ungewollt doch teilgehabt an der Fastenzeit. Wie gewohnt schießen die Riederwälder weit übers eigentliche Ziel hinaus, indem sie schon vor dem eigentlichen Beginn des Fastens gut vorlegen. Es stellt sich jetzt lediglich die Frage, wo ich bei der Sache nun bleibe.

Eigentlich habe ich inzwischen zum Weglassen gar nicht mehr so viel Auswahl. Süßes und Fruchtgummi habe ich seit einem knappen halben Jahr reduziert. Weniger geht nicht, also will ich nicht, Punkt, keine Diskussion. Rauchen hat sich vor 1,5 Jahren erledigt, an Alkohol habe ich vor 16 Jahren schon erfolgreich einen Haken gemacht. Farmerama spiele ich seit knapp zwei Jahren nicht mehr, fern sehe ich ohnehin fast nur noch als Ritual mit dem Hund.

Kann ja wohl nicht so schwierig sein, etwas zu finden das mir auch wehtut. Ich könnte ja auf Dinge verzichten, die ich bereits besitze. Also entrümpeln bis der Hase kommt. Sieben Wochen lang. Jeden Tag ein Teil. Für jemand wie mich eine ziemliche Herausforderung, da ich ja so ziemlich alles sammle, was mir in die Quere kommt: Tonträger, Bücher, Playmobil, Schlümpfe, um nur einige Beispiele zu nennen, die nicht gar zu peinlich sind. Schließlich könnte ja unter meinen Leserinnen meine potentielle nächste Herzdame sein, da sollte ich bezüglich solch sensibler Informationen der Formel „Weniger ist mehr“ folgen.

Natürlich entspräche es meinen ethischen Überzeugungen eher, durch ein wie auch immer geartetes Fasten auch meinen ökologischen Fußabdruck zu verringern, aber man soll ja klein anfangen. Wenn also die Formel Neuanschaffungen minus Ausmusterungen aufgeht, habe ich am Ende der sieben Wochen – richtig: weniger als vorher. Auch wenn alles wie eine nach dem Zufallsprinzip getroffene Entscheidung nicht nur klingt, sondern auch ist – klingt gut und machbar. Ich bin dabei!

Augen auf beim Wegwerfen

Nun bin ich ja mit Entrümpelungsaktionen nicht unerfahren und weiß daher: Nicht übertreiben mit dem Aufräumen und die dabei drohenden Gefahren nicht übersehen, sonst geht es mir noch einmal wie einst mit meiner Jacke, die wir aus dem Altkleidercontainer wieder herausfischen mussten, weil in der Tasche noch 900 Euro waren. Was uns nur unter Zuhilfenahme eines zufällig vorbeikommenden unschuldigen Kindes gelang, das von seinem ebenso unschuldigen Vater festgehalten wurde, als es halb im Container hing. Als hilfreich hat sich auch erwiesen, daß in Offenbach praktisch immer Sperrmüll ist, selbst wenn kein entsprechender Abholtermin bekannt ist, denn aus dem neben dem Container stehenden Wäschetrockenständer ließ sich ein Stück festen Drahts wunderbar als Angel zweckentfremden. Dieses Recycling auf Offenbacher Art erscheint mir auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand als die sozialverträglichere Variante, an das Geld zu gelangen. Andere hätten den Container vermutlich aufgesprengt.

Also lieber klein anfangen mit dem Aufräumen und dabei nichts überstürzen.

Trotzdem habe ich aus dem Stand sechs Bücher gefunden, die ich doch nicht mehr zu lesen gewillt bin. Darunter zum Beispiel „Mentales Nichtrauchertraining“. Auch wenn es nicht nach diesem Ansatz geschehen ist, hat sich dieses Thema – siehe oben – bereits erledigt. Das kann weg, ohne daß ich es irgendwann bereue. Natürlich habe ich dennoch kurz überlegt. Könnte ja sein, daß ich wieder anfange und erneut aufhören will. Oder daß ich den Teil mit dem Mentaltraining vielleicht irgendwann nochmal lesen möchte, um es auf andere Bereiche zu übertragen. Doch waren es nicht stets exakt diese zwei Uneindeutigkeiten „eventuell“ und „irgendwann“, die mich veranlassten, dieses oder jenes überhaupt anzuschaffen? Und später den Ausschlag in Richtung Behalten gaben, wenn sich die Frage so stellte wie jetzt wieder? Was bei Eisenwaren oder Knöpfen ob des nur geringen Platzbedarfs noch in verträglichen Bahnen verläuft, kann bei größeren Gegenständen durchaus Platzprobleme verursachen.

Genauso funktionierte es mit diesem Freiberufler-Atlas. Gewiss kein schlechtes Nachschlagewerk, doch da ich Gewerbetreibender bin, schon damals eher für eventuelle Freunde oder Bekannte mitgenommen. So zumindest die dahinterstehende Idee. Weil es ja früher gang und gäbe war, daß man mich abends in der Kneipe angesprochen hat: „Micky, Du hast doch in Deiner umfangreichen Bibliothek gewiss auch etwas zum Thema Freiberufler?!“ Am Arsch ist das passiert! Genaugenommen niemand hat sich dafür interessiert. Und Jahre später, wo ich erstens nur noch drei bis vier Leute kenne und zweitens das Internet solche Infos in Sekundenbruchteilen liefert, ist das erst recht unnötig zu besitzen.

Bevor jetzt einige möglicherweise allzu stark an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln, sollte spätestens an dieser Stelle Erwähnung finden: Wäre ich kein begeisterter Flohmarkt-, ebay- und Sonstwie-Gebraucht-Schnäppchenjäger, hätten es diese Titel und etliche andere auch bei mir im Kaufentscheidungsprozess nicht bis zur Phase der Problemerkennung geschafft.

Weiter im Text: Ein Werk mit dem Untertitel „Die große Kunst des Smalltalks“. Hatte ich vor ein paar Wochen in einem anderen Beitrag ausführlichst breitgetreten. Nun kann das Buch nur bedingt etwas dafür, daß ich so grandios gescheitert bin. Doch so gut, daß ich es ein weiteres Mal lesen müsste, war es dann auch eher weniger.

Gerade bei den Büchern sollte ich mir mit meinen jetzt 45 Jahren endlich eingestehen, daß die mutmaßliche Restlebenszeit nicht ausreichen wird, alles „irgendwann“ gelesen zu haben, was sich im Bestand befindet. Selbst wenn ab jetzt nichts mehr dazukommen sollte. Aber wahrscheinlich werde ich spätestens dann wieder fündig, wenn ich die Teile ins öffentliche Bücherregal der Sparkasse trage. Wo ich mir dann im Gegenzug so etwas wie „Das große Buch der Massage“ mitnehme. Weil ich ja auch sonst nichts zu tun habe. Nicht einmal eine Partnerin, an der ich „die besten Techniken aus aller Welt“ austesten könnte, habe ich. Also wozu? Ach so, klar: irgendwann eventuell.

Zumindest ist mit diesen sechs Büchern bis heute das Soll übererfüllt. Und im Gegensatz zum echten Fasten verliert der Spaßfaktor hierbei bislang nicht an Höhe. Zwar ist nur aufgrund dessen immer noch nicht davon auszugehen, daß ich noch zu einem religiösen Menschen werde. Doch solange ich – mit oder ohne Fasten – beständig ein nach meinen Maßstäben besserer Mensch zu werden versuche, kann ich damit auch weiterhin ganz gut leben.

Mein schöner Garten

Einmal als Überlegung in den Raum gestellt: wäre meine formale familiäre Situation heute noch dieselbe wie vor drei Jahren – es gäbe diesen Blog höchstwahrscheinlich nicht. Wenn es ihn doch gäbe, handelte er von anderen Themen. So weit, so banal. Doch musste ich auf den Zufall des Erblickens der ersten blühenden Vorboten des anstehenden Frühjahrs warten, um mir dessen so recht bewusst zu werden. Denn einige Jahre lang dominierte in dieser Jahreszeit die Vorfreude aufs anstehende Gartenjahr alle anderen Themen. Hätte ich also den Garten noch und dieses Werkzeug hier, mein zumindest latentes Mitteilungsbedürfnis auszuleben, dann wäre dies hier ein Gartenblog.

Wer mich kennt, kann sich eines sicher sein: es wäre natürlich auch unter den genannten Voraussetzungen kein Blog wie jeder andere, sondern einer mit seiner ganz eigenen Note. Bilder von prächtigen Fleischtomaten, welche aufgrund ihrer Größe gern als überreife Zierkürbisse durchgehen könnten. Texte über farbenfrohe meterhohe Stauden und fein komponierte, farblich aufeinander abgestimmte Beete, in denen eines zum anderen passt und mindestens von Februar bis Oktober jeden Monat etwas anderes blüht. Das sind Beispiele, was alles einem solchen Blog eher nicht stattfände. Weil ich nämlich am besten über das schreiben kann, was ich selbst gesehen, gefühlt und erlebt habe, würde sich mein Gartenblog lesen wie ein Reisebericht durch die Kasachische Steppe.

Das nämlich hat mich dieser Garten bald gelehrt: solche Gärten wie in den dafür vorgesehenen Zeitschriften oder in den Gartenschauen gibt es nicht. Jedenfalls nicht ohne Investition von sehr viel Zeit, noch mehr Geld und viel Geduld. Weil in einem Garten die Dinge sich Zeit lassen, bis sie funktionieren. Wenn sie funktionieren. Es ist schon kein Zufall, daß sich Garten auf Warten reimt.

Wenigstens wenn die Dinge nicht funktionieren, merkt man das meist schnell. Wenn nämlich die 100%-winterharte Pflanzenrarität mit Anwachsgarantie von einer Woche auf die andere in diesem botanischen Bermuda-Dreieck einfach verschwunden ist, mag der Plan vielleicht gut gewesen sein, die Umsetzung jedoch… lassen wir das! So oder so ähnlich fühlt sich wohl der Fußballtrainer, wenn nach dem Spiel eingestanden werden muss, daß die Taktik, keinen Gegentreffer zuzulassen, nur bis zur dritten Spielminute gehalten hat.

Stellvertretend für viele: Lampionblumen. Pflegeleicht, anspruchslos. Schnelle Ausbreitung durch Rhizome. Demgemäß sind sämtliche Foren zum Thema voll mit Beiträgen von Menschen, die das Zeug nicht mehr wegbekommen. Allein: Das ist nicht das Problem, dessen Lösung ich gesucht habe. Bei uns nämlich sind etliche Versuche, diese Pflanzen erfolgreich zu etablieren, fehlgeschlagen. Das einzige, das sich etablierte, war „Einen Versuch können wir ja noch ´mal machen“ als jährlicher running gag.

Daß die Frage Unkraut oder Nutzpflanze Ansichtssache ist, wissen wir nicht erst seit dem Comeback von Rucola, aber der Eindruck bleibt bestehen: Das Gestrüpp gedeiht schneller: die Disteln und alles andere, was man nicht möchte, weil es stinkt, sticht oder auch einfach nur scheiße aussieht. Oder weil es allen anderen Gewächsen in der Umgebung keinen Raum zum Entfalten lässt. Weil selbst die ekligsten Insekten beim Anflug darauf angewidert abdrehen.

Mit sehr viel Wissen und Erfahrung kann man manche Fehler womöglich vermeiden. Aber wer hat das schon nach gerade mal vier, fünf Jahren Beschäftigung mit dem Thema?

Manche Sachen sind auch gar nicht wegzubekommen. Die Hunds-Rose am Zaun hätte vermutlich sogar einen Atomkrieg überlebt. Unerschrocken wie Herakles stellte ich mich dem Kampf gegen diese Hydra. So tief wie die verwurzelt war, konnte ich allerdings gar nicht buddeln, ohne Gefahr zu laufen, in einem anderen Erdteil wieder herauszukommen. Zum Schluss hat es jemand besonders gut mit mir gemeint und das Wurzelwerk mit dem Bagger aus der Erde geholt. Das war in dem Sommer, der mein letzter in und mit diesem Garten sein sollte. Was ich freilich zu der Zeit noch nicht ahnte.

Die Überleitung der Woche

Die Natur macht, was sie will oder wovon sie denkt wofür sie geschaffen ist. Pflanzen suchen sich ihren Standort nach objektiv kaum zugänglichen Gesichtspunkten aus. Nicht wesentlich anders verhält es sich bekanntlich mit der Partnerwahl der Frauen

Ein Freund musste mir den Mechanismus nochmal erläutern, damit ich nicht vergesse, wie simpel die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind: „Sieht man in jeder Dokumentation des Tierreichs, Männchen machen den Affen, die Damen suchen aus.“ Als Ergänzung meinerseits dazu höchstens noch das in vielen Fällen vorweggenommene Ergebnis: Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln. Lassen wir die Frage beiseite, ob und wieviel Neid in dieser Äußerung steckt, bleibt als Essenz: Die Partnerwahl folgt nicht immer nachvollziehbaren Gründen.

Ich komme auch überhaupt erst drauf, weil ich heute den Spessartring überqueren musste. Als Fußgänger hat man dort nach Betätigen des Tasters nämlich ausreichend Zeit, sein komplettes Leben Revue passieren zu lassen, bis die Ampel irgendwann für etwa vier Sekunden grün zeigt. Einen ähnlich guten Effekt hat man ja sonst nur an der Baumarkt-Information oder bei der Hotline der Telekom beim Warten auf den nächsten freien Mitarbeiter. Da kommt einem halt so was in den Sinn. Die Taste signalisiert wohl einfach nur irgendeiner Maschine, die in irgendeinem Leitstand von irgendeinem Menschen überwacht wird: okay, da steht jetzt wieder jemand. Weitere Konsequenzen: nicht zu erwarten.

Die Launen der Natur

Um nach diesem Exkurs die Kurve wieder zu kriegen: Erwartungen beziehungsweise deren Enttäuschung ist ja das Band, das die Themen Stehen an der Ampel, Arbeit im Garten sowie Zweierbeziehungen zusammenhält. Also ein Zustand nicht sehr viel anders als vor Tausenden von Jahren schon. Die Sache mit der Ampel freilich ausgeklammert. Speziell bei der Brautwerbung gilt: Die Evolution kann mit der soziokulturellen Entwicklung eben nicht ansatzweise Schritt halten.

Und am Ende steht die Erkenntnis, daß viele Frauen den Widerspruch nicht einmal wahrnehmen, eigentlich einen wertschätzenden, interessierten und aufmerksamen Partner zu suchen, während das Unterbewusste sich schon auf der Suche nach dem nächsten Neandertaler befindet. Als ob es noch heute darauf ankäme, die Sippe regelmäßig mit bloßen Händen vor Feinden verteidigen zu müssen. Und dabei so dumm zu sein, daß es selbst für das zum Vergleich herangezogene Brot einer Beleidigung gleichkäme.

Im Gegensatz zum tierischen Balzverhalten können wir dann allerdings doch ein klein wenig mehr differenzieren. Aber alles reduziert sich im Grunde auf die Formel „nett“ oder „anziehend“.

Zur Illustration: Wenn ich aus Modellierballons den schönsten Blumenstrauß forme, zu dem meine Hände in der Lage sind, ist das nett. Wahlweise dürfen die Blumen gern durch Erdmännchen oder Eulen ersetzt werden. Aber – beachtet bitte das im Zusammenhang mit Ballonmodellage nicht anders als subtil zu bezeichnende Wortspiel – wie man es dreht und wendet, es bleibt eben nur nett. Alternativ: süß.

Früher war das Aufnehmen von Kassetten für die Umworbene eine vergleichbare verzweifelte Aktion. Nett. Aber eben nicht anziehend. Anziehend wäre ein Kontostand, der den Auftritt eines kompletten Orchesters anstelle des Anhörens einer Kassette ermöglicht. Oder eine Reise nach Südafrika, um echte Erdmännchen zu sehen statt dieser Ballonfiguren.

Meine bescheidene Lösung für die Vegetationsarmut in unserem Garten war gewesen, verstärkt auf Windspiele zu setzen. Diese setzen farbliche Akzente unabhängig von der Beschaffenheit des Bodens. Gut – solange kein Wind weht, ist auch das auch nur nett, aber sei´s drum. Für meine Anziehungskraft auf Frauen fehlt mir noch eine kreative Entsprechung dieser Maßnahme. Auch wenn böse Zungen behaupten, daß Wohnung und Seele bei mir ohne Frau erst wieder richtig aufgeblüht sind – ich warte hierzu auf Inspiration aus den wie immer massenhaften Kommentaren auf diesen Blogeintrag.

Jugend wird überbewertet

Neben „Halt´s Maul, wenn Du mit mir redest“ gibt es nicht viele weitere Sprüche, die sich im Prinzip nicht abnutzen, wenn sie im Freundeskreis alle ein bis zwei Jahre mal hervorgekramt werden. Einer, der aber auf jeden Fall in diese wertvolle Kategorie fällt, lautet: „Wir sind in den letzten zehn Jahren im Schnitt zehn Jahre älter geworden.“ Die Betonung sollte hierbei stets auf „im Schnitt“ liegen. Was immer der originäre Urheber damit sagen wollte – er hat ohne es geplant zu haben eine zeitlose Formulierung geschaffen. Eine Sentenz. Die bei etwas offensiverem Gebrauch unter Garantie sich bereits so weit verbreitet hätte, daß sie es auf einen Abreißkalender von Weltbild geschafft hätte und dort gleich einen Tag nach „Man bereut nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat“ stände.

Wie der zitierte Sinnspruch andeutet, soll es diesmal ums Älterwerden gehen. Zugegeben kein besonders origineller Einfall, wenn man gerade Geburtstag gefeiert hat. Doch waren Modern Talking jemals originell? Die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg? Hat es dem Ansehen der Genannten nachhaltig geschadet? Eben: Originalität wird überbewertet.

Mit jetzt 45 Jahren hat man so seine Problemzonen zu pflegen. Vergesst Bauch, Beine, Po! Die sind zwar nach wie vor aktuell, werden aber in ihrer Dringlichkeit von Knie, Rücken, Schulter so rasant überholt, daß sie ihren Abstieg aus der ersten Liga zunächst gar nicht mitbekommen. Also lest und empfehlt diesen Blog eifrig weiter. Bei irgendwann genügend Reichweite kann ich mich ja eventuell von Voltaren sponsern lassen. Wäre glaubwürdig.

In jungen Jahren sorgten Verletzungen für die notwendige Kredibilität. Vor allem wenn man ohne zu lügen behaupten konnte: ich weiß auch nicht wie das passiert ist, ich war zu voll, kann mich an gar nichts erinnern. Legendenbildung funktionierte in diesem früheren Leben recht häufig auf genau solche Weise. Heute: kann ich genauso wenig sagen, wie es passiert ist. Ich hätte in den vermutlich wenigsten Fällen Scham, es zu verraten, kann es aber wirklich nicht. Weil ich nicht weiß woher es kommt! Weil es über Nacht kommt. Manchmal nicht einmal das. Dann ist es einfach so da. Aus heiterem Himmel. Klingt aber halt nur mäßig spektakulär verglichen mit „Ist mir beim ´Exzessiv´-Konzert einer dagegen gesprungen. Besser: drauf gesprungen. Als es mich beim Pogo kurzfristig auf den Boden verschlagen hatte. Als ich am nächsten Morgen wach wurde und mich natürlich erst ´mal orientieren musste, wo ich mich befinde, habe ich dann schon gemerkt, daß ich meinen Arm praktisch gar nicht mehr bewegen konnte. Nachdem die betäubende Wirkung durch die geschätzt 15 halbe Bier allmählich nachgelassen hat, bin ich dann halt ´mal zum Arzt gegangen.“ Man bereut immer nur das, was man nicht getan hat. Zutreffend. Damals.

Wenn seinerzeit maximal die Zahnbürste reichte, müsste ich heute ein sperriges Überlebenspaket mit Massage-Sitzauflage und Infrarotlampe zusammenstellen und also einen gefühlten Umzug leisten, bevor ich überhaupt in Erwägung ziehen würde, auswärts zu nächtigen. Ein weiter Weg von damals nach jetzt. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?

Sortieren wir die Zäsuren chronologisch: ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken. Ich habe meine nunmehrige Ex-Gattin kennengelernt. Ich habe einen Sohn bekommen.

Die Misserfolgs-Chroniken

Punkt 1 will ich nicht rückgängig machen, weil mir der Preis dafür zu hoch ist. Der 2. Punkt wurde bereits rückgängig gemacht. Das dritte in der Reihe ist zu wichtig, um darüber Späße zu machen. Insofern wäre die Behauptung auch gelogen, es mache mir nichts aus, daß er sich zu meinem Geburtstag nicht gemeldet hat. Das ist mit seinen viereinhalb Jahren zwar nicht seine Aufgabe, und generell sind Geburtstage wohl ähnlich überbewertet wie Originalität.

Ich fürchte allerdings, daß genau solche Details schon jetzt und hier beeinflussen werden, was für ein Mensch ich in noch höherem Alter werde. Ob ich ein gütiger und weiser Mann werde, der seinem einzigen Kind lebenskluge Dinge sagt wie „Man bereut nie, was man getan hat, sondern immer, was man nicht getan hat.“ Oder ob ich ein motzender Kotzbrocken werde, ein Meckerschlumpf, der am liebsten mit sich selbst spricht, weil alle anderen sowieso keine Ahnung haben. Der wenn es denn notwendig ist, mit anderen zu interagieren, nur Sätze von sich gibt wie „Machen sie mal Platz“, „Heben sie das wieder auf“ und „Früher hätte es so etwas nicht gegeben“.

Doch kehren wir noch einmal zurück zur Frage, was in den letzten etwa 15 Jahren schief gelaufen ist, daß ich heute der bin, der ich bin.

In diesen Zeitraum fallen begrabene Träume von einer Teilzeit-Karriere als Autor mit immerhin einigen Achtungserfolgen. In diese Zeit fällt der gescheiterte Versuch, mit der Vermietung von Hüpfburgen und sonstigem Allerlei ins Haifischbecken der Veranstaltungsbranche zu springen. Die Erkenntnis, daß ich in diesem Leben eher kein guter Geschäftsmann werde. Es mag ziemlich punkig sein, einfach ´mal loszulegen mit seinen Ideen. Definitiv unpunkig jedoch: am Ende die Wahrheit ertragen zu müssen, daß Motivation ohne Kompetenz oder Strategie nicht zwangsläufig geeignet ist, einen durch die Decke zu schießen. Geblieben – immerhin – ist die Ballonmodellage. Mehr Hobby denn Business. Felix gefällt´s. Darauf – immerhin – lässt sich aufbauen.

Ansonsten: Eher Hamsterrad statt Selbstbestimmung. Autogenes Training statt Pogo. Individuelle Glückssuche statt Internationaler Solidarität. Eckart von Hirschhausen statt Che Guevara.

Ich bin mental im Spieleabend-Reihenhaus-Spießertum angekommen, hinke materiell allerdings noch ein bißchen hinterher. Noch ein „Immerhin“: Das Feiern von Schlagermusik, bei etlichen sogar jüngeren Menschen inzwischen zum guten Ton gehörend, ist an mir vorübergegangen. Ich suche gerade ein Stück Holz, auf das zu klopfen man pflegt in diesen Momenten, wenn man auf eine möglichst lange Halbwertszeit einer gerade getätigten Aussage hofft.

My Way

Moment! Ich bin 45 geworden. Nicht 75. Kein Grund zur Aufregung. Keine Legitimation zur Verklärung all dessen, was damals war, oder zum Schlechtreden all dessen, was heute ist. Generell kein Anlass, zwischen damals und heute zu unterscheiden. Weil: alles ich. Wie sagte eine Freundin noch vor kurzem beim Wiedersehen nach langer Zeit zu mir und über mich: „Manche Dinge ändern sich nie.“ Eine mit gewisser Vorsicht zu genießende Aussage, die man so sehen kann oder so.

Ich habe mich entschieden, das so zu sehen, das heißt als bedingt positive Eigenschaft. Klar bin auch ich älter geworden. So alt, daß ich sogar noch weiter gehen als der eingangs erwähnte weise Mensch und mich zu der Behauptung hinreißen lassen würde, daß ich ich den letzten fünfzehn Jahren fünfzehn Jahre älter geworden bin. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung hat mich das aber nicht automatisch zu einem schlechteren Menschen gemacht. Höchstens zu einem älteren. Bevor das Spiel jetzt ausartet: Es kommt nicht drauf an, ob man Getanes oder Unterlassenes bereut, sondern ob man aus seinem Tun oder Unterlassen jeweils die richtigen Schlüsse zieht. Also scheiß´ auf das, was einst gewesen und vorwärts zu dem, was noch kommen mag. Und es wird noch einiges kommen. Jedenfalls habe ich noch viel vor.

Und über allem: Ich will jetzt und später sagen können: ich habe es auf meine Weise getan.

Im Wagen vor mir…

Zu den wahrscheinlich letzten unerforschten Gebieten menschlichen Verhaltens gehört das intervallweise Vorwärtsrollenlassen des eigentlich wartenden Kraftwagens. Zwei Varianten können hierbei unterschieden werden:

a) das millimeterweise Rollen in sehr kurzen Abständen. Die naheliegende Vermutung: hier könnte Ungeduld im Spiel sein. Die These konnte jedoch nicht bestätigt werden. Beobachtungen beim Anfahren haben nämlich ergeben, daß diese scheinbar hektischen Fahrer sich auf die Gesamtzahl aller Wartenden bezogen überproportional viel Zeit lassen, wenn der Verkehr wieder ins Rollen gerät.

b) das Stoppen ungefähr zwei Fahrzeuglängen vor dem Hindernis und anschließende Aufrücken in drei bis vier Schüben, bis sie dann endlich in normalem Abstand hinter beispielsweise einem anderen wartenden Automobil stehen bleiben ohne zu zappeln. Der nächste Schub wäre schließlich auch das Heck des Vorderen.

Mein Zwangsabonnement der ADAC Motorwelt hilft da nur bedingt weiter. Leider steht die Zeitschrift auf meiner Ungunst-Skala gleich unter den Briefen, bei denen schon auf dem Umschlag die frohe Botschaft steht, daß ich gewonnen habe, ohne jemals an irgendetwas mit Bezug dazu teilgenommen zu haben. Das bedeutet, sie wandert unbesehen in die Tonne. Demnach kann es durchaus sein, daß mir entscheidende Erkenntnisse entgangen sind. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß das außer mir niemand wissen will. Klar kosten solche Studien. Und man muß natürlich akzeptieren, daß in der Automobilbranche das Geld nicht in dem Maße vorhanden ist wie vielleicht anderswo. So daß nur Nützliches erforscht und entwickelt wird. Hoffnung macht, daß Fahrerassistenzsysteme solche Unsitten vielleicht in nicht mehr allzu ferner Zukunft unterbinden könnten.

Womöglich muss auf der Suche nach dem Warum aber auch in medizinischen oder psychologischen Publikationen gesucht werden.

Ich will solches Verhalten nicht verurteilen, ich will es nur erklärt haben. Rational zu deuten ist es nämlich nicht. Sollte sich dabei herausstellen, daß diese Handlungen Ursachen haben, die nicht krankhafter Natur sind, sondern vom Fahrer zu beeinflussen sind, kann ich immer noch drüber lästern.

So wie über beispielsweise folgende Gebräuche und meine jeweiligen Erklärungsversuche dazu:

Zu schnelles Fahren zum Beispiel lässt sich in geschätzt vier von fünf Fällen in letzter Konsequenz auf zu spätes Losfahren zurückführen. Der Rest fährt einfach deshalb zu schnell, weil er es kann. Weitere Aufreger: Das Verlassen eines Kreisels ohne den Einfahrbereiten Blinkzeichen zu geben dürfte in aufsteigender Häufigkeit folgende Ursachen haben: 1. Fahrtrichtungsanzeiger defekt , 2. Fahrtrichtungsanzeiger vergessen, 3. Überforderung durch gleichzeitiges Lenken und Blinken, 4. es ist dem Fahrer schlicht egal, solange es für ihn selbst flüssig weitergeht.

Während der Fahrt zwei Spuren benutzen müssen, aber trotzdem nicht vom Gas gehen: Überschätzung des eigenen Könnens. Vor dem Abbiegen ausscheren, als ob sich der Fiesta zehn Meter vor der Kurve schnell nochmal in einen Omnibus verwandelt hätte: Überschätzung der Abmessungen des eigenen Gefährts. Ich will jetzt nicht direkt behaupten, daß es ein reines Männerphänomen wäre, aber gewisse Analogien drängen sich auf, ob man will oder nicht.

Alternativtitel: „Was ich schon immer einmal loswerden wollte oder: ich glaube, ich schreibe mich gerade in Rage“

Ein wichtiges Element beim Thema Problemfahrer wurde bis hierhin noch nicht einmal erwähnt. Wie gezeigt, haben etliche Fahrzeuglenker mit Momenten der Überforderungen bereits dann zu kämpfen, wenn sie dabei nicht telefonieren. Warum zum Teufel glaubt alle Welt, der Fahrstil würde sich substanziell bessern, wenn das Handy ans Ohr gehalten wird, sobald man den Zündschlüssel gedreht hat?

Pathologische Phänomene bietet aber auch bereits der ruhende Verkehr. Aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist beispielsweise das hier im Blog schon einmal thematisierte Parken bis maximal drei Meter vom Ziel entfernt ohne besondere Nachsicht gegenüber allem, was an dieser Stelle anderes sein könnte außer einem Parkplatz. Hier ist eindeutig die evolutionäre Entwicklung hin zum sitzenden Wesen ursächlich. Die Stichworte zur Kausalkette lauten hierbei: zuviel sitzen – durch die Haltung bedingte schlechtere Atmung – Sauerstoffunterversorgung des Hirns – Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit. Und am Ende kann man schon mal übersehen, daß fünfzehn Schritte weiter ein regulärer Parkplatz frei wäre. Nachdem ich lange Zeit den Verdacht hegte, es handele sich dabei um pure Bequemlichkeit oder reinen Egoismus oder um beides gleichzeitig, ein trotz allem irgendwie beruhigender Befund.

Wenn über gutes und schlechtes Autofahren geredet wird, darf über das besondere Verhältnis von Fahrern aus OF und Fahrern aus F nicht geschwiegen werden.

Meine natürlich selektiv wahrgenommenen Beobachtungen mindestens der letzten 25 Jahre lassen sich in nur einem Absatz zusammenfassen: wenn ein Fahrzeugführer mit F-Kennzeichen in OF unterwegs ist und sich nicht auskennt (was vorkommen darf) – er wird mindestens genauso oft sein Tempo verringern wie jemand aus OF mit nur rudimentären Ortskenntnissen in der größeren der beiden Städte. Denn er weiß ja nicht genau wohin. Er wird eventuell abrupt anhalten, die Spur riskant in letzter Sekunde wechseln, weil er annimmt, nun wisse er wohin. Sprich: er wird exakt alles das tun, wofür er einem Offenbacher in Frankfurt schon tausend Vögel, Finger oder andere Gesten der Missbilligung gezeigt hätte. Der entscheidende Unterschied ist nun der, daß die schönere der beiden Städte ein gutes Stück überschaubarer ist. Weshalb an vielen Orten der Verkehr weniger dicht, die Chance, einen Parkplatz zu finden, größer ist und infolgedessen die Anlässe für unüberlegte Fahrmanöver weniger sind. Wenn es also Grund zum Generalverdacht gibt, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe könne sich mit dem Lenken eines Automobils leicht schwerer tun als andere, dann wohl doch eher diejenigen, die in vergleichsweise übersichtlichen Verkehrslagen schon teilweise so überfordert sind, daß sie einem beinahe leid tun könnten.

Weiß der F-Fahrer allerdings wieder, wo es langgeht, ändert sich das Bild. Dann wird gedrängelt, geschimpft, gehupt und vor allem gerast. Umso schneller sind sie wieder draußen aus der lässigeren der beiden Städte. Was im Grunde einen Gewinn für beide Seiten darstellt.

Das alles ändert natürlich nichts an der Tatsache, daß drüben der gediegenere Fußballverein zuhause ist.

Hinter den Kulissen

Der Einstieg ist so oder so beschwerlich, doch er würde um einiges leichter von der Hand gehen, gäbe es nicht dieses Konkurrieren um Aufmerksamkeit, wofür die ersten paar Zeilen entscheidend sind und mich dazu verführen, möglichst früh bereits den ersten Kracher unterbringen zu wollen. Denn allein weil ich ein lieber Kerl bin, lesen die wenigsten diesen Blog. Und wenn selbst manches lieblos fotografierte Steak in einem sozialen Netzwerk nach Wahl mehr Reaktionen generiert als meine geteilten Texte, weiß ich, daß ich in diesem Wettbewerb die Nase nicht unbedingt vorne habe. Automatisch schon gleich gar nicht. Also besser von Beginn an in die Vollen!

Wie nur unschwer zu erkennen, ist die zündende Idee diesmal ausgeblieben, doch dafür hat es das Ende wieder wirklich in sich. In diesem Sinne herzlich willkommen zum kleinsten Jubiläum, das man sich für ein Projekt wie dieses hier vorstellen kann: Zehn Wochen – zehn Beiträge.

Das erste Ziel: Kontinuität reinbringen ist demnach bis hierhin erreicht. Dieselbe zu wahren, wenn es erst wieder losgeht mit der Hochsaison für Ballonmodellage und diversem Anderen, ist ein Versprechen, das ich lieber nicht abgebe. Ein paar Texte auf Vorrat schreiben, ist auch nicht so einfach wie es geschrieben steht. Weil eben nicht nur der Einstieg, sondern die Texterstellung generell ein eher mühsames Werk ist. Darum und weil ich dieses Mini-Jubiläum für einen ehrbaren Anlass halte und weil tatsächlich schon gemutmaßt wurde, ich würde mir Nächte um die Ohren schlagen, soll es diesmal Einblicke geben, wie so ein Blogeintrag eigentlich entsteht.

Zuallererst: Alle Klischees über das Dasein eines Schriftstellers können schon deshalb getrost beiseite gelegt werden, weil ich ja nicht bereits durch das Betreiben eines Blogs zum Autor geworden bin. Momentan habe ich einfach Spaß daran, mich auszudrücken und nach Jahren der schreiberischen Abstinenz mit dem Meilensteinbildhauer endlich etwas gefunden zu haben, wo ich das ein bißchen ausleben kann.

Also keine rotweingetränkten Nächte, in denen nur eine Schreibmaschine und ich zählen. So romantisch dieses Stereotyp auch wäre, um es hier zu pflegen – leider nein. Denn selbst für einen ansonsten gern hoffnungslos altmodischen Menschen wie mich wäre es kein adäquates Mittel, ausgerechnet einen Blog an der Schreibmaschine zu verfassen. Zumindest aber wäre damit nebenbei geklärt, daß der gewisse Hang zum Unmodernen, der Schreiberlingen oft nachgesagt wird, in meinem Fall nicht ohne weiteres wegzudiskutieren ist.

Weiter im Text: Pfeife nein, Brille ja. Einzelgänger, oft ohne feste Beziehung – sollte mir zu denken geben. Einen leichten Schatten – das sollen und können die Ärzte besser beurteilen, die mir diese Pillen vermutlich nicht ohne Grund verabreichen. Zu Risiken und Nebenwirkungen befrage ich gern die Stimmen, die ich gelegentlich höre.

Nachdem das also und vor allem der letzte Punkt mehr oder weniger ohne falsche Rücksichtnahme auf die Faktenlage geklärt ist, gehen wir über zur

Themenfindung

Weil ich ja, wie oben festgestellt, Einzelgänger und somit nur noch sehr selten unterwegs bin, liegt die Schlussfolgerung nahe, daß mir auf lange Sicht die Inspirationen ausgehen werden. Jedoch muss man nicht zwangsläufig ins Fußballstadion, auf Weltreise oder ein Punkkonzert gehen, wenn der Wahnsinn einem schon unmittelbar vor der Haustür auflauert. „Ich hatte schon befürchtet, es wäre was mit dem Hund, weil ich Euch so lange nicht gesehen habe“, ist so eine Begrüßung made in Offenbach. So viel Fürsorge habe ich gar nicht verdient. Tatsächlich hatten wir über des Tieres Krankheiten gefachsimpelt. Daß jedoch die größere Dramatik darin bestünde, daß etwas mit dem Hund wäre als daß mit mir etwas wäre, darauf muss man erst einmal kommen, solange man sie noch alle der Reihe nach hat.

Die Komik aus solchen banalen Interaktionen herauszufiltern, ist in der Ideenfindungsphase das Entscheidende. Das hernach so aufzubereiten, daß auch andere darüber zumindest schmunzeln können, erfolgt in einem späteren Schritt.

Die Frau war übrigens dieselbe, die vorher schon für folgende Unterhaltung mitverantwortlich zeichnete: „War das gestern eine Therapeutin?“ Sie hatte Oka und mich mit der neuen Trainerin beobachten können. Entsprechend entgegnete ich, daß es sich „nur“ um eine Trainerin gehandelt habe, und bereitete mich auf die Beantwortung weiterer Fragen vor: Was man da so alles macht, ob es etwas bringt oder ob ich zufrieden bin. Es gibt vieles, womit im Normalfall zu rechnen ist, aber was soll ich auf den anschließenden, irgendwo unentschlossen zwischen Frage und Feststellung schwankenden Satz „Aber für den Hund“ erwidern?

Und jetzt bitte nur kurz vorstellen, was erst herauskäme, wäre mein Aktionsradius größer als das Gassi-Revier von Oka.

Die dahinterstehende Haltung, das Leben als solches mit einer gehörigen Prise Humor zu nehmen, ist freilich als Lebensgrundeinstellung auch dann zu empfehlen, wenn das alles nicht anschließend in Texte übersetzt wird. Insbesondere bei persönlicher Betroffenheit und wenn man eigentlich schreien möchte, kann das helfen. Kann. Denn klar gibt es Situationen, da hilft alles nichts. Höchstens hinterher. Die selbsternannten Lieferexperten sind so ein Fall. Für die Kollegen ist es ein Schauspiel, wenn der Lieferwagen vorfährt und das Öffnen der Hecktüren die Sicht auf die notorisch sichtbar desorganisierte Ladung freigibt. Für mich ist es ein Schlüsselreiz, das Signal an meinen Körper, sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Stresshormone bitte jetzt abzufeuern.

Der Fahrer. Muss mit seinem Job nicht zufrieden sein. Auch nicht mit seiner Bezahlung. Natürlich steigt weder sein Grad der Zufriedenheit noch sein Einkommen wenn er freundlich zu mir, meinen Kollegen oder anderen Kunden ist. Umgekehrt verliert er aber auch nichts, wenn er einfach nur das tut, was als Gegenleistung für sein vielleicht karges Gehalt erwartet wird: Pakete in einwandfreiem Zustand beim Empfänger abliefern. Nicht vom Auto aus vor meine Füße in den Schnee fallen lassen, wenn ich schon parat stehe, sie abzunehmen. Nicht mit den Schultern zucken, wenn ich einfache Fragen habe. Zum Beispiel was die undefinierbare leicht klebrige Masse darstellen soll, die Teile der Sendung verschmiert. Ob ich mit „Ulsliga“ oder „Yshnega“ wie von ihm in sein Display getippt und mir jetzt unter die Nase gehalten unterschreiben soll, vielleicht sogar muss, oder ob ich meinen korrekten Namen benutzen darf. Warum er es für selbstverständlich hält, daß wir aufgerissene oder aufgeplatzte Pakete am besten kommentarlos annehmen. An welcher Stelle im Logistiknetzwerk Vogelscheiße aufs Paket kommt. Mein Boss hatte die Vermutung, daß es ein Missverständnis war und der Fahrer statt durch eine Drohne durch eine gemeine Brieftaube ersetzt wurde. Lust an der Innovation oder doch Konfusion – ich ahne die Antwort.

Den Rest des Entstehungsprozesses eines Textes schildere ich besser unter Verzicht weiterer allzu ausufernder Beispiele. Wir sind ja hier nicht beim freien Assoziieren. Wie gezeigt, liegen die Themen auf der Straße, auf der Ladefläche eines weiß-schwarz-roten Fahrzeugs oder überall sonst, wenn man im Alltag die Sinne entsprechend schärft. Das wird dann erst mal alles gesammelt. Alles aufbewahren, wie ein Messie. Wegwerfen kann man später immer noch. Aber bloß keine potentielle Perle voreilig entsorgen. Die Klammer, die die einzelnen Momente innerhalb des Textes zusammenhält, findet sich dann fast von selbst. Mal früher, mal später.

Da viele Ideen in der Tat unterwegs kommen, fehlt mir noch eine Lösung, wie ich meine Gedanken dann festhalten kann, bevor sie wieder weiterziehen. Denn es gibt kein schlimmeres Szenario: Die ultimative Idee fliegt einem zu, der beste Gag seit langem oder die letztendgültige Formulierung, nach der seit zwei Tagen gesucht wird. Und sobald die Möglichkeit da ist, alles niederzuschreiben, weiß man nicht mehr, was und wieso während der Fahrt nur 15 Minuten vorher so gut geklungen hat, daß man auf der Stelle anhalten wollte, um den Gedanken zu fixieren. Darum nicht nur alles festhalten, sondern das auch noch so schnell es geht. Verwerfen – siehe oben – kann man später immer noch.

Vom Fragment zum Blogeintrag

Das Schreiben selbst, das In-die-Form-Gießen der Einzelereignisse und sonstigen Textfragmente. Entscheidungen zwischen Ablage P und Wiedervorlage. „Talent“, sagen die einen. „Harte Arbeit“ die anderen. Wie so oft wird man sich irgendwo zwischendrin treffen. Denn wer möchte bestreiten, daß Talent das Verfassen eines Textes erleichtert?! Doch wäre es reines Talent,würde an dem Text definitiv nicht so viel herumgespielt, hier ein Wort weggenommen, da ein Satz gestrichen, ein anderer Satz von dort nach hier bewegt, ein komplett neuer Absatz eingefügt. Und so fort.

Auch das sorgfältige Abwägen, wo ich mich noch innerhalb einer gewissen künstlerischen Freiheit bewege und ab welchem Punkt die Schwelle zur Nutzung alternativer Fakten überschritten wäre – das alles findet an genau dieser Stelle des Gesamtprozesses statt.

Da man als Schreiber im Grunde genommen ständig auf irgendwelche Fäkalthemen zusteuert, tut es not, sich einige weniger explizite Formulierungen anzueignen. Hier lerne ich am meisten dazu, und die Suchmaschine hilft mir bei dieser interessanten Aufgabe. Und ich schätze diese ihre Unterstützung. Denn vermutlich wäre ich ohne sie mein ganzes Leben lang nicht auf eine so gleichsam bildreiche wie poetische Formulierung wie „ein Snickers faxen“ gestoßen.

Am Ende weiß ich ja auch bei solchen Themen nicht, was der Leser, und um den geht es schließlich, wirklich erwartet. Der eine würdigt den gehobeneren Stil, ein anderer findet die vornehme Umschreibung wenig delikater Vorgänge im und aus dem Körper einfach kacke. Wahlweise auch zum Kotzen. Manchem ist es auch einfach scheißegal, wie ich das ausdrücke, solange hinten etwas Gescheites herauskommt.

Zum Feintuning gehört aber auch und nicht zuletzt, bei den abschließenden Formulierungen genauestens darauf zu achten, niemand zu verletzen, der es nicht verdient hätte. Am Ende will niemand mehr irgendetwas mit mir zu tun haben aus Sorge, einige Tage später hier peinliche Details über sich lesen zu müssen.

Einer, bei dem ich überhaupt keine Scheu habe, wird jetzt mit einer Formulierung bedacht, die ich diese Woche per Zufall beim Lesen aufschnappen durfte. Sie ist nicht schön, aber angemessen. Ich kenne da nämlich einen freundlichen Paketfahrer. Der und dieser Spruch passen zusammen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Und wenn das Niederschreiben hier als Katharsis-Effekt dient, also verhindert, daß ich ihm tatsächlich irgendwann einmal meine Faust in sein Auge drücke, hat es ja sogar etwas gebracht. So, ausreichend lange auf die Folter gespannt, hier kommt der Ulslig der Woche: Der ist für den Job ungefähr so geeignet wie ein Igel fürs Arsch-Abwischen.

Eines kann also festgehalten werden: Schreiben ist vor allem ständige Arbeit am Sprachschatz.

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