„Du hast doch schon so viele.“
Eine angemessene Erwiderung auf diese gängige Reaktion von Müttern und Ehegattinnen in Bezug auf einen umgesetzten oder auch erst bloß geäußerten Wunsch zur Vervollkommnung der Sammlung an Tonträgern ist mir bis heute nicht eingefallen. Man lebt diesbezüglich einfach in unterschiedlichen Welten. Dem direkten Vergleich mit einem fanatischen Sammler, bei dem schon Statiker die Wohnung auf Tragfähigkeit der ganzen Platten begutachten müssen, habe ich mich auf der anderen Seite niemals stellen wollen. Wenn von einem Künstler womöglich sechs unterschiedliche Platten mit allerdings allesamt identischen Aufnahmen besessen werden müssen, wäre die Frage, ob man denn das wirklich brauche, nämlich eher angebracht als bei meiner eher willkürlich zusammengewürfelten Anhäufung an CDs und Vinyls.
Wie so oft im Leben befinde ich mich in der Situation, von keiner der beiden Seiten wirklich ernst genommen zu werden.
Analog dazu verlieren sich die sechs Titel, die ich in Woche Zwei meines selbstauferlegten Entrümpelungsprogramms für die Entsorgung nominiert habe, im Wettstreit der Redensarten ebenfalls irgendwo zwischen „macht den Bock nicht fett“ und „Kleinvieh macht auch Mist“.
Viel mehr war auch deswegen nicht drin, weil die letzte kritische Überprüfung gerade zwei Jahre zurückliegt. Etwa den gleichen Zeitraum davor war der größere Einschnitt: als ich nämlich seinerzeit meine Teilzeit-Karriere als Schallplattenalleinunterhalter beendete, habe ich als eine der Sofortmaßnahmen den Giftkoffer aufgelöst: Schlager und Artverwandtes, das bei der Fassenacht, etlichen Hochzeiten und auch bei so mancher Stadtjugendring-Disco unentbehrlich gewesen war – weg damit! Über Geschmack lässt sich nämlich sehr wohl streiten, auch wenn die Redensart wohl gemeinhin andersherum gebraucht wird und wohl bedeuten soll, daß bei einem Streit nur kein Ergebnis zu erwarten ist. Aber nach so manchem Abend mit so mancher Diskussion und der Erfahrung, mit welcher Vehemenz manche Menschen ihren persönlichen Musikgeschmack zu einem allgemeingültigen Standard überhöhen, kann ich nicht einfach ohne zu lügen behaupten, es ließe sich nicht drüber streiten.
Geblieben ist – nebenbei – die Erkenntnis: Wenn man, so wie ich, diesen Job auch deswegen macht, um bei einer Party nicht permanent reden zu müssen, dann bekommt man diesen Zahn rasch gezogen.
Was die angesprochenen geschmacklichen Entgleisungen betrifft, war ich verständlicherweise erleichtert, als ich diese in die Tonne treten konnte in der Gewissheit, sie nie wieder zu benötigen. Wenigstens an diesem Punkt kann ich unumwunden sagen: bereut habe ich bis heute nichts davon.
Und noch weniger als das Entsorgen solcher Manifestationen des schlechten Geschmacks habe ich bereut, überhaupt mit dem Auflegen aufgehört zu haben. Nachdem nämlich so ziemlich jeder mit jedem fleißig die mit Musik-Dateien übervollen Festplatten untereinander ausgetauscht hatte, war eine der nicht nur nebensächlich zu bezeichnenden Voraussetzungen für diesen Job einfach so weggefallen: das Vorhandensein einer vorzeigbaren Sammlung an Tonträgern, die der Besitzer und Benutzer auch kennt und überschauen kann. Auf der anderen Seite war ich ja kein DJ, habe mich auch nie so bezeichnet, sondern immer gesagt: ich bin bloß derjenige, der sich kümmert, daß zu jedem Zeitpunkt der Veranstaltung die passende Musik gespielt wird und daß der jeweils nächste Titel ansatzweise zum gerade gespielten passt.
Was übrigens das Vorhandensein einer gewissen Dramaturgie ausdrücklich nicht ausschloss. Und eine Dramaturgie verstehen bedeutet, daß man nicht um 20.30 Uhr alles Pulver verschießt und den heißesten Scheiß bringt, der für halb zwölf gedacht ist. Halb zwölf heißt ja auch meistens: daß diejenigen die Bildfläche bereits verlassen haben, die ohnehin nicht getanzt hätten. Die auch um 20.30 Uhr nicht getanzt hätten, selbst wenn ich ihrem Vorschlag entsprechend um 20.30 Uhr den heißesten Scheiß gespielt hätte. Die aber an guten Ratschlägen nicht gespart haben, was als nächstes zu spielen wäre. Scheißjob! Wieso kann ich nicht wie jeder andere auch mit Ballonmodellage oder etwas Vergleichbarem nebenher mein Geld für neue Platten verdienen?!
Alles hat ein Ende
Wie auch immer: Daß ich also einerseits die Sammlung an mehr oder weniger geschmackvoll ausgesuchter Musik nicht mehr so exklusiv wie vorher hatte und andererseits das Handwerk eines echten DJs niemals beherrscht hatte, hat zwar für gelegentliche Aufträge gereicht, nicht aber meinen persönlichen Ansprüchen an eine solche Aufgabe genügt. Zudem musste ich bemerken, wie zunehmend mehr Leute ihr mitleidiges Grinsen nicht mehr verbargen, weil ich immer noch Plattenkoffer schleppte. Mir dämmerte, daß ich mich erneut wie schon so häufig in meinem Leben in der Situation befand, von beiden Seiten nicht wirklich ernst genommen zu werden. Und irgendwann war dieses Thema dann einfach durch. Und ich hätte zu meinem Ausstand gut auf solcherlei Bestätigungen verzichten können, aber irgendwie wurden an diesem einen letzten Abend beinahe sämtliche Tiefpunkte der gesammelten Erfahrungen im Zeitraffer wiederholt:
Angefangen bei extrem unkooperativen Wirtsleuten, die meine Ausrüstung schlechtredeten und von ihrer tollen Anlage schwärmten, die selbstverständlich einzig und allein von ihrem Haus-und-Hof-“DJ“ angerührt werden darf. Aha, angepisst, weil sie ihn diesmal nicht vermitteln konnten.
Als sich nach dem Essen die Feier langsam entkrampfte und also für mich der Abend begann, dauerte es keine zehn Minuten bis mich der erste anraunzte: Leiser! Man wolle sich unterhalten. Erwartungsgemäß kam dann nur wenig später der nächste, dem das alles viel zu leise war. Zwischen diesen beiden Gruppen ist erwiesenermaßen wenig Spielraum für Kompromisse. Ich überlegte kurz, mir an meinem letzten Abend den Spaß zu gönnen, je nach Aufforderung tatsächlich leiser und wieder lauter und wieder leiser zu machen. Doch am Ende galt wie immer: wer zahlt, bestimmt, also Feuer frei!
Mit Reaktionen wie „Willst Du, daß die Leute alle gehen?“ kann man ja inzwischen umgehen. Das ist keine Frage, auch kein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung meiner Performance, sondern eine Provokation, und Provokationen verdienen gar keine Antwort. Kopfhörer auf und den folgenden Rest ignorieren.
Selbst der absolute Klassiker aller Sprüche fiel an diesem Abend. Der Spruch, auf den jeder wartet, nämlich „Spiel´ ´mal etwas Tanzbares!“ Die gedachte Best-Of-Antwort: „Man kann sich drüber streiten, ob das Zappeln, das einige hier gerade praktizieren, die Beschreibung Tanz verdient, doch Fakt ist, daß sich bereits Menschen zum Rhythmus der Musik bewegen.“
Nichts wird ausgelassen, auch einer von denen, die alles besser können und wissen, kam noch auf einen Plausch vorbei und riet mir kumpelhaft: „Soul käme jetzt nicht schlecht.“ Da einige der Gäste gerade im Begriff waren, zu Klängen von AC/DC die Hütte abzureißen, wäre das so mit das schlechteste gewesen, was ich hätte tun können. Es sei denn, die Formierung eines Lynchmobs wäre das erklärte Ziel gewesen. Ich beschloss, meinen letzten Abend nicht am nächstbesten Baum aufgeknüpft enden zu wollen. Die unausgesprochene Top-Antwort in diesem Fall: „Richtig!“
Jahre später weiß ich die Ballonmodellage wirklich zu schätzen. Das findet zu familien-, in meinem Fall also hundegerechten Zeiten statt. Auch da wird der Ton gelegentlich ruppig, wenn Papa noch zwanzig andere vor sich in der Reihe sieht. Da wird vor allem wenn es gegen Ende „Bitte nicht mehr anstellen“ heißt, geflucht und gemeckert. Da gibt es auch ´mal einen Spruch wie „und da gibt es Leute, die können das richtig schnell“.
Aber: Da sind nicht so viele, die es besser können. Noch besser: Da sind nicht so viele, die sich bloß einbilden, es besser zu können. Konsequenz: Da gibt es selten jemand, der mir sagen will, wie ich meinen Job zu machen habe.
Vor allem aber auch: Einmal nicht wie sonst im Leben zwei Seiten, ich dazwischen und von keiner der beiden wirklich ernst genommen.
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