Sollte es jemals mehr als ein Gerücht gewesen sein, daß man Frauen mittels Humor beeindrucken könne – mein Aktionsradius, im großen und ganzen also das Stadtgebiet von Offenbach, wäre eine Sondererscheinung. Eine Insel, die Ausnahme von der Regel, wo diesbezüglich alles nicht gilt, was für den Rest der Welt normal ist.

Natürlich habe ich lustige Pärchen im Freundes- und Bekanntenkreis, das ist es nicht. Es ist diesmal auch nicht die sonst gern beleidigte Leberwurst, weil ich nicht schon längst wieder zu zweit bin, obwohl ich mich selbst doch als einen äußerst humorvollen Menschen kenne und schätze. Gut, die letzten paar Jahre gelang es mir ganz gut, meine witzige Seite nicht allzu sehr in den Vordergrund zu spielen, aber das soll hier jetzt nicht ablenken.

Die Vielzahl an erkennbar humorlosen Männern jedenfalls, die mir im Laufe einer ganz normalen Woche zufällig begegnen, lassen nur den einen Schluss zu: dass nämlich die Behauptung, Humor sei sexy, eine offensichtliche Lüge ist in der Propagandaschlacht zwischen Männern und Frauen um die geringere Oberflächlichkeit. Andernfalls dürften von denen nicht so viele in Beziehungen leben.

Wer seinen Wocheneinkauf ebenfalls samstags erledigt und einmal die Paare beobachtet hat, weiß was ich meine. Sicher beschreibe ich mit dem Einkaufen mit der Partnerin eine Extremsituation, aber dem Thema seriös angenähert, sind es wohl eher die Frauen, die Humor benötigen, und zwar sogar jede Menge davon, um das Zusammenleben mit solchen Männern auf Dauer auszuhalten. Umgekehrt laufen natürlich auch jede Menge Frauen frei herum, deren Stimmung wiederum kaum auszuhalten ist. Denen schon ins Gesicht geschrieben steht, daß man ihr bloß nicht mit einem locker-lustigen Spruch kommen darf.

Ich bekenne: ich habe mir das ein oder andere Video mit Flirt-Tipps angesehen. Ich gebe zu: auf Youtube, wo die Experten Lösungen anbieten, die erstens garantiert und zweitens sofort wirken. Die uninformierte Masse möchte hochkomplexe Themen offenbar auf einen Beitrag unter fünf Minuten Länge reduziert konsumieren. Ich weiß: das alles ist gemacht für Leute, die knapp 30 Jahre jünger sind als ich. Trotzdem. Und: Weil ja alles mit allem zusammenhängt, habe ich darüber hinaus jede Menge über Persönlichkeitsentwicklung und Wirkungskompetenz geschaut. Ich gestehe: sogar hin und wieder ein Buch zu Teilaspekten dieser Themen gelesen zu haben.

Genau genommen lese ich seit zwei Jahren kaum anderes mehr.

In einem dieser Bücher hieß es zum Beispiel: Langsam ist sexy. Ich hatte es kürzlich in der Arbeitspause vor mir liegen und einer Kollegin vorgelesen, welche meinen Verdacht auch umgehend bestätigte: noch so ein Gerücht. Um die Theorie nicht vorschnell Daumen senkend abzuurteilen, habe ich gedanklich die Anziehungskraft einiger langsamer Menschen noch einmal überprüft. Da ich mich ja auf der Arbeit befand, fiel mir die Suche nach Beispielen auch nicht außerordentlich schwer. Sicher reicht diese Beobachtung nicht aus, zu sagen: Beweisführung abgeschlossen, langsam ist nicht sexy. Als einen ersten Fingerzeig in diese Richtung möchte ich das jedoch schon gewertet wissen.

Das Selbst und das Bewusstsein

Großen Raum nimmt bei dem Prozess der Reifung einer Persönlichkeit der gesamte Komplex rund um Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl ein. Eine sorgfältige Abgrenzung all dieser Begriffe spare ich mir, um den Rahmen dieses Beitrags nicht komplett zu sprengen. Meine Texte sind auch so schon immer zu lang. Weil die meisten Youtube-Koryphäen diese Begriffe ebenfalls sorglos synonym verwenden, um ihre Zuschauer nicht zu überfordern, macht es auch nicht unbedingt etwas aus. Trotz allem ist das Thema Selbstsicherheit zentral.

Und ich muss feststellen: Obwohl ich zahlreiche dieser Youtube-Experten angesehen habe, hat mir das bis jetzt nicht zum Nachteil gereicht. Wenn man den ganzen Quark nämlich nicht als Dogma, sondern als Inspiration betrachtet und sich daraus das für sich beste heraussucht, kann man sich tatsächlich weiterentwickeln, ohne Gefahr zu laufen, irgendwann selbst wie die Mentoren zu reden: mit nur angestrengt klarer, dafür übertrieben melodiöser Stimme sowie stark rudernden Armen, was dann als natürliche Gestik bezeichnet wird.

Ich will es nicht schlechter machen, als es ist. Viele sind großartig, wissen Bescheid und können die Materie angemessen ´rüberbringen. Aber manche sind einfach schlecht.

In den meisten dieser Beiträge geht es nämlich um das bloße Zurschaustellen von Selbstbewusstsein, also dem ungefähren Gegenteil von echtem Selbstbewusstsein. Die Angst vor Beurteilung durch andere abzustellen, mag im Einzelfall auch mithilfe solcher Taschenspielertricks sehr hilfreich sein, kann im Extremfall jedoch dazu führen, daß ein problematisches Persönlichkeitsmerkmal durch ein anderes ersetzt wird.

Die Gefahr besteht jedenfalls, daß durch derartige Tipps das in unserer Gesellschaft ohnehin schon zu weit verbreitete Blendertum weiter zunimmt. Man muss dabei immerhin zugestehen, daß genau das auf wenigstens einen Teil der Frauenwelt ganz klar die Wirkung nicht verfehlt. Bei denen, die schlau genug sind, das Spiel zu durchschauen, und aber über ausreichend Humor verfügen, um wenigstens eine Zeitlang darüber hinwegzusehen. Und bei der anderen Gruppe, die auf solche und ähnliche Weise beschissen werden will. Die sich auch bei jedem noch so abgenutzten Kompliment einbildet, der Kerl hätte sich das in genau diesem Moment nur für sie ausgedacht.

Auf sehr ähnliche Weise kommen manche Leute zu gut dotierten Jobs. Und vergessen sobald sie ihn haben, mit den Anforderungen, die er mit sich bringt, zu wachsen. Resultat: daheim sind sie die Könige, weil sie ja besagten Job haben. Auf der Arbeit sind sie die Hanswurste, weil sie nichts auf die Kette bekommen und den Posten für fähigere Leute blockieren.

Die Dummen und die anderen

Und falls jemand auf die Idee kommt, ihnen zu sagen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt – kein Problem, auch dafür gibt es kurze und knackige Antworten. Dann heißt es: „Lass´ Dir Deine Erfolge nicht schlechtreden!“ Oder, als ob die Aussage durch Verwendung von Kraftausdrücken richtiger würde: „Gib´ einen Fick auf das, was andere sagen!“ Logisch muss man bei allem vorsichtig sein, was andere über einen urteilen. Aber ich kann das doch nicht zum Programm erheben! Ohne jegliche Fähigkeit zur Selbstkritik plus Verweigerung der entsprechenden Rückmeldungen durch andere – was für eine Sorte Mensch soll auf Dauer dabei herauskommen?! Wenn es nicht gelingt, die eigenen Aktionen einzuordnen, bleibt dabei übrig: ich baue in einer Tour Scheiße, bekomme das auch exakt so gesagt, aber weil ich dem Youtuber mehr traue als den Leuten aus meinem Umfeld, mache ich genau so weiter. Weil: ist mein Ding, das bin ich! Authentizität ist ja auch so ein Gimmick aus dem Zauberkasten der Persönlichkeitsentwicklung. Fast niemand kann es unfallfrei aussprechen, aber missverstehen können es fast alle.

Um es korrekt einzuordnen: das Phänomen ist nicht so neu und existiert mitnichten erst seit der Möglichkeit, solche Dinge im Netz nicht nur schnell zu verbreiten, sondern im Zweifel damit auch noch Geld zu verdienen. Die Dummen praktizieren das schon immer so. Während die anderen voller Zweifel sind.

Ein ähnlich lautendes Zitat des Altmeisters Charles Bukowski habe ich mir auf ein T-Shirt gedruckt. Letzten Sommer. Also nach knapp 30 Jahren des Aufregens über diesen Menschenschlag. Wurde Zeit. Allerhöchste sogar.

Mit solchen ärgerlichen Randerscheinungen ist beim Thema Persönlichkeitsentwicklung naturgemäß genauso zu leben wie mit dem Umstand, daß eine Mehrheit das nicht zum Selbstzweck betreibt, sondern wofür es erfunden wurde: die wie auch immer geartete Karriere voranzutreiben. Dennoch halte ich fest: Allein schon in aller Deutlichkeit die Möglichkeit aufgezeigt bekommen zu haben, meinem Leben eine andere Richtung zu geben, kam für mich zum genau richtigen Zeitpunkt. Auch jenseits von Karrierestreben konnte ich Anstöße finden, mich auf diesem oder jenem Gebiet verbessern zu wollen. Schlussendlich will ich ja auch nach knapp 30 Jahren der Suche endlich eine Nische finden, welche die Gesellschaft hoffentlich für mich bereitzuhalten imstande ist. Auch wenn ich mich trotz fehlender Erfolgserlebnisse in flirt-technischer Hinsicht zur Zeit wirklich nicht beschweren kann – es wäre verschwendetes Potential, wenn es an dieser Stelle zu Ende wäre.

Obwohl nach einiger Zeit intensiver Beschäftigung in Theorie und Praxis auf diesen Gebieten nicht mehr allzu viel bahnbrechend Neues zu erwarten ist, werde ich mir auch in Zukunft noch das eine oder andere Video dazu ansehen. Selbstverständlich mit der gebotenen Mischung aus Faszination und Skepsis. Und mit einer Prise meines mir eigenen Humors. Selbst wenn es mich bei den Frauen nicht sofort und garantiert weiterbringt. Da gebe ich schließlich einen Fick drauf.