Der Einstieg ist so oder so beschwerlich, doch er würde um einiges leichter von der Hand gehen, gäbe es nicht dieses Konkurrieren um Aufmerksamkeit, wofür die ersten paar Zeilen entscheidend sind und mich dazu verführen, möglichst früh bereits den ersten Kracher unterbringen zu wollen. Denn allein weil ich ein lieber Kerl bin, lesen die wenigsten diesen Blog. Und wenn selbst manches lieblos fotografierte Steak in einem sozialen Netzwerk nach Wahl mehr Reaktionen generiert als meine geteilten Texte, weiß ich, daß ich in diesem Wettbewerb die Nase nicht unbedingt vorne habe. Automatisch schon gleich gar nicht. Also besser von Beginn an in die Vollen!

Wie nur unschwer zu erkennen, ist die zündende Idee diesmal ausgeblieben, doch dafür hat es das Ende wieder wirklich in sich. In diesem Sinne herzlich willkommen zum kleinsten Jubiläum, das man sich für ein Projekt wie dieses hier vorstellen kann: Zehn Wochen – zehn Beiträge.

Das erste Ziel: Kontinuität reinbringen ist demnach bis hierhin erreicht. Dieselbe zu wahren, wenn es erst wieder losgeht mit der Hochsaison für Ballonmodellage und diversem Anderen, ist ein Versprechen, das ich lieber nicht abgebe. Ein paar Texte auf Vorrat schreiben, ist auch nicht so einfach wie es geschrieben steht. Weil eben nicht nur der Einstieg, sondern die Texterstellung generell ein eher mühsames Werk ist. Darum und weil ich dieses Mini-Jubiläum für einen ehrbaren Anlass halte und weil tatsächlich schon gemutmaßt wurde, ich würde mir Nächte um die Ohren schlagen, soll es diesmal Einblicke geben, wie so ein Blogeintrag eigentlich entsteht.

Zuallererst: Alle Klischees über das Dasein eines Schriftstellers können schon deshalb getrost beiseite gelegt werden, weil ich ja nicht bereits durch das Betreiben eines Blogs zum Autor geworden bin. Momentan habe ich einfach Spaß daran, mich auszudrücken und nach Jahren der schreiberischen Abstinenz mit dem Meilensteinbildhauer endlich etwas gefunden zu haben, wo ich das ein bißchen ausleben kann.

Also keine rotweingetränkten Nächte, in denen nur eine Schreibmaschine und ich zählen. So romantisch dieses Stereotyp auch wäre, um es hier zu pflegen – leider nein. Denn selbst für einen ansonsten gern hoffnungslos altmodischen Menschen wie mich wäre es kein adäquates Mittel, ausgerechnet einen Blog an der Schreibmaschine zu verfassen. Zumindest aber wäre damit nebenbei geklärt, daß der gewisse Hang zum Unmodernen, der Schreiberlingen oft nachgesagt wird, in meinem Fall nicht ohne weiteres wegzudiskutieren ist.

Weiter im Text: Pfeife nein, Brille ja. Einzelgänger, oft ohne feste Beziehung – sollte mir zu denken geben. Einen leichten Schatten – das sollen und können die Ärzte besser beurteilen, die mir diese Pillen vermutlich nicht ohne Grund verabreichen. Zu Risiken und Nebenwirkungen befrage ich gern die Stimmen, die ich gelegentlich höre.

Nachdem das also und vor allem der letzte Punkt mehr oder weniger ohne falsche Rücksichtnahme auf die Faktenlage geklärt ist, gehen wir über zur

Themenfindung

Weil ich ja, wie oben festgestellt, Einzelgänger und somit nur noch sehr selten unterwegs bin, liegt die Schlussfolgerung nahe, daß mir auf lange Sicht die Inspirationen ausgehen werden. Jedoch muss man nicht zwangsläufig ins Fußballstadion, auf Weltreise oder ein Punkkonzert gehen, wenn der Wahnsinn einem schon unmittelbar vor der Haustür auflauert. „Ich hatte schon befürchtet, es wäre was mit dem Hund, weil ich Euch so lange nicht gesehen habe“, ist so eine Begrüßung made in Offenbach. So viel Fürsorge habe ich gar nicht verdient. Tatsächlich hatten wir über des Tieres Krankheiten gefachsimpelt. Daß jedoch die größere Dramatik darin bestünde, daß etwas mit dem Hund wäre als daß mit mir etwas wäre, darauf muss man erst einmal kommen, solange man sie noch alle der Reihe nach hat.

Die Komik aus solchen banalen Interaktionen herauszufiltern, ist in der Ideenfindungsphase das Entscheidende. Das hernach so aufzubereiten, daß auch andere darüber zumindest schmunzeln können, erfolgt in einem späteren Schritt.

Die Frau war übrigens dieselbe, die vorher schon für folgende Unterhaltung mitverantwortlich zeichnete: „War das gestern eine Therapeutin?“ Sie hatte Oka und mich mit der neuen Trainerin beobachten können. Entsprechend entgegnete ich, daß es sich „nur“ um eine Trainerin gehandelt habe, und bereitete mich auf die Beantwortung weiterer Fragen vor: Was man da so alles macht, ob es etwas bringt oder ob ich zufrieden bin. Es gibt vieles, womit im Normalfall zu rechnen ist, aber was soll ich auf den anschließenden, irgendwo unentschlossen zwischen Frage und Feststellung schwankenden Satz „Aber für den Hund“ erwidern?

Und jetzt bitte nur kurz vorstellen, was erst herauskäme, wäre mein Aktionsradius größer als das Gassi-Revier von Oka.

Die dahinterstehende Haltung, das Leben als solches mit einer gehörigen Prise Humor zu nehmen, ist freilich als Lebensgrundeinstellung auch dann zu empfehlen, wenn das alles nicht anschließend in Texte übersetzt wird. Insbesondere bei persönlicher Betroffenheit und wenn man eigentlich schreien möchte, kann das helfen. Kann. Denn klar gibt es Situationen, da hilft alles nichts. Höchstens hinterher. Die selbsternannten Lieferexperten sind so ein Fall. Für die Kollegen ist es ein Schauspiel, wenn der Lieferwagen vorfährt und das Öffnen der Hecktüren die Sicht auf die notorisch sichtbar desorganisierte Ladung freigibt. Für mich ist es ein Schlüsselreiz, das Signal an meinen Körper, sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Stresshormone bitte jetzt abzufeuern.

Der Fahrer. Muss mit seinem Job nicht zufrieden sein. Auch nicht mit seiner Bezahlung. Natürlich steigt weder sein Grad der Zufriedenheit noch sein Einkommen wenn er freundlich zu mir, meinen Kollegen oder anderen Kunden ist. Umgekehrt verliert er aber auch nichts, wenn er einfach nur das tut, was als Gegenleistung für sein vielleicht karges Gehalt erwartet wird: Pakete in einwandfreiem Zustand beim Empfänger abliefern. Nicht vom Auto aus vor meine Füße in den Schnee fallen lassen, wenn ich schon parat stehe, sie abzunehmen. Nicht mit den Schultern zucken, wenn ich einfache Fragen habe. Zum Beispiel was die undefinierbare leicht klebrige Masse darstellen soll, die Teile der Sendung verschmiert. Ob ich mit „Ulsliga“ oder „Yshnega“ wie von ihm in sein Display getippt und mir jetzt unter die Nase gehalten unterschreiben soll, vielleicht sogar muss, oder ob ich meinen korrekten Namen benutzen darf. Warum er es für selbstverständlich hält, daß wir aufgerissene oder aufgeplatzte Pakete am besten kommentarlos annehmen. An welcher Stelle im Logistiknetzwerk Vogelscheiße aufs Paket kommt. Mein Boss hatte die Vermutung, daß es ein Missverständnis war und der Fahrer statt durch eine Drohne durch eine gemeine Brieftaube ersetzt wurde. Lust an der Innovation oder doch Konfusion – ich ahne die Antwort.

Den Rest des Entstehungsprozesses eines Textes schildere ich besser unter Verzicht weiterer allzu ausufernder Beispiele. Wir sind ja hier nicht beim freien Assoziieren. Wie gezeigt, liegen die Themen auf der Straße, auf der Ladefläche eines weiß-schwarz-roten Fahrzeugs oder überall sonst, wenn man im Alltag die Sinne entsprechend schärft. Das wird dann erst mal alles gesammelt. Alles aufbewahren, wie ein Messie. Wegwerfen kann man später immer noch. Aber bloß keine potentielle Perle voreilig entsorgen. Die Klammer, die die einzelnen Momente innerhalb des Textes zusammenhält, findet sich dann fast von selbst. Mal früher, mal später.

Da viele Ideen in der Tat unterwegs kommen, fehlt mir noch eine Lösung, wie ich meine Gedanken dann festhalten kann, bevor sie wieder weiterziehen. Denn es gibt kein schlimmeres Szenario: Die ultimative Idee fliegt einem zu, der beste Gag seit langem oder die letztendgültige Formulierung, nach der seit zwei Tagen gesucht wird. Und sobald die Möglichkeit da ist, alles niederzuschreiben, weiß man nicht mehr, was und wieso während der Fahrt nur 15 Minuten vorher so gut geklungen hat, daß man auf der Stelle anhalten wollte, um den Gedanken zu fixieren. Darum nicht nur alles festhalten, sondern das auch noch so schnell es geht. Verwerfen – siehe oben – kann man später immer noch.

Vom Fragment zum Blogeintrag

Das Schreiben selbst, das In-die-Form-Gießen der Einzelereignisse und sonstigen Textfragmente. Entscheidungen zwischen Ablage P und Wiedervorlage. „Talent“, sagen die einen. „Harte Arbeit“ die anderen. Wie so oft wird man sich irgendwo zwischendrin treffen. Denn wer möchte bestreiten, daß Talent das Verfassen eines Textes erleichtert?! Doch wäre es reines Talent,würde an dem Text definitiv nicht so viel herumgespielt, hier ein Wort weggenommen, da ein Satz gestrichen, ein anderer Satz von dort nach hier bewegt, ein komplett neuer Absatz eingefügt. Und so fort.

Auch das sorgfältige Abwägen, wo ich mich noch innerhalb einer gewissen künstlerischen Freiheit bewege und ab welchem Punkt die Schwelle zur Nutzung alternativer Fakten überschritten wäre – das alles findet an genau dieser Stelle des Gesamtprozesses statt.

Da man als Schreiber im Grunde genommen ständig auf irgendwelche Fäkalthemen zusteuert, tut es not, sich einige weniger explizite Formulierungen anzueignen. Hier lerne ich am meisten dazu, und die Suchmaschine hilft mir bei dieser interessanten Aufgabe. Und ich schätze diese ihre Unterstützung. Denn vermutlich wäre ich ohne sie mein ganzes Leben lang nicht auf eine so gleichsam bildreiche wie poetische Formulierung wie „ein Snickers faxen“ gestoßen.

Am Ende weiß ich ja auch bei solchen Themen nicht, was der Leser, und um den geht es schließlich, wirklich erwartet. Der eine würdigt den gehobeneren Stil, ein anderer findet die vornehme Umschreibung wenig delikater Vorgänge im und aus dem Körper einfach kacke. Wahlweise auch zum Kotzen. Manchem ist es auch einfach scheißegal, wie ich das ausdrücke, solange hinten etwas Gescheites herauskommt.

Zum Feintuning gehört aber auch und nicht zuletzt, bei den abschließenden Formulierungen genauestens darauf zu achten, niemand zu verletzen, der es nicht verdient hätte. Am Ende will niemand mehr irgendetwas mit mir zu tun haben aus Sorge, einige Tage später hier peinliche Details über sich lesen zu müssen.

Einer, bei dem ich überhaupt keine Scheu habe, wird jetzt mit einer Formulierung bedacht, die ich diese Woche per Zufall beim Lesen aufschnappen durfte. Sie ist nicht schön, aber angemessen. Ich kenne da nämlich einen freundlichen Paketfahrer. Der und dieser Spruch passen zusammen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Und wenn das Niederschreiben hier als Katharsis-Effekt dient, also verhindert, daß ich ihm tatsächlich irgendwann einmal meine Faust in sein Auge drücke, hat es ja sogar etwas gebracht. So, ausreichend lange auf die Folter gespannt, hier kommt der Ulslig der Woche: Der ist für den Job ungefähr so geeignet wie ein Igel fürs Arsch-Abwischen.

Eines kann also festgehalten werden: Schreiben ist vor allem ständige Arbeit am Sprachschatz.