So prägend meine aktiven Jahre in der kirchlichen Jugendarbeit vielleicht gewesen sind – ein besonders religiöser Mensch bin ich dadurch sicher nicht geworden. Und ich denke, am Ende konnten und können damit beide Seiten ganz gut leben. Einmal wurde es brenzlig, aber Taufpate durfte ich eigenartigerweise auch ohne Konfirmation werden. Wozu es zwei Hypothesen gibt: Entweder wurde das gar nicht geprüft oder die hatten Angst, daß mein Bruder die Situation eskaliert, wenn sie mich nicht zulassen. Das Kopfkino spielt hierbei das beste Programm für diejenigen, die den Mann kennen. Allen anderen sei ans Herz gelegt, sich eine Bache bei der Verteidigung ihres Nachwuchses vorzustellen, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie das bei ihm in etwa aussehen würde. Ob das eine oder das andere der Grund war – die Wahrheit werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr erfahren. Und danach dürfte ich andere Sorgen haben.

Meiner streng ungläubigen Haltung entsprechend begann dann auch die Fastenzeit in der Vergangenheit auch ohne größeren Enthusiasmus meinerseits. Und endete irgendwann auch wieder, ohne daß ich es überhaupt großartig registriert hätte. Was weniger daran lag, daß ich keinen Anlass gehabt hätte, lohnenden Verzicht zu üben, als mehr daran, daß ich das für mich in diesem Rahmen einfach nicht als Option gesehen habe. Wenn überhaupt Religion, dann Eintracht Frankfurt. Und weil diese die Rückrunde im Frühjahr bekanntlich beinahe traditionell versiebt, habe ich über all die Jahre irgendwie ungewollt doch teilgehabt an der Fastenzeit. Wie gewohnt schießen die Riederwälder weit übers eigentliche Ziel hinaus, indem sie schon vor dem eigentlichen Beginn des Fastens gut vorlegen. Es stellt sich jetzt lediglich die Frage, wo ich bei der Sache nun bleibe.

Eigentlich habe ich inzwischen zum Weglassen gar nicht mehr so viel Auswahl. Süßes und Fruchtgummi habe ich seit einem knappen halben Jahr reduziert. Weniger geht nicht, also will ich nicht, Punkt, keine Diskussion. Rauchen hat sich vor 1,5 Jahren erledigt, an Alkohol habe ich vor 16 Jahren schon erfolgreich einen Haken gemacht. Farmerama spiele ich seit knapp zwei Jahren nicht mehr, fern sehe ich ohnehin fast nur noch als Ritual mit dem Hund.

Kann ja wohl nicht so schwierig sein, etwas zu finden das mir auch wehtut. Ich könnte ja auf Dinge verzichten, die ich bereits besitze. Also entrümpeln bis der Hase kommt. Sieben Wochen lang. Jeden Tag ein Teil. Für jemand wie mich eine ziemliche Herausforderung, da ich ja so ziemlich alles sammle, was mir in die Quere kommt: Tonträger, Bücher, Playmobil, Schlümpfe, um nur einige Beispiele zu nennen, die nicht gar zu peinlich sind. Schließlich könnte ja unter meinen Leserinnen meine potentielle nächste Herzdame sein, da sollte ich bezüglich solch sensibler Informationen der Formel „Weniger ist mehr“ folgen.

Natürlich entspräche es meinen ethischen Überzeugungen eher, durch ein wie auch immer geartetes Fasten auch meinen ökologischen Fußabdruck zu verringern, aber man soll ja klein anfangen. Wenn also die Formel Neuanschaffungen minus Ausmusterungen aufgeht, habe ich am Ende der sieben Wochen – richtig: weniger als vorher. Auch wenn alles wie eine nach dem Zufallsprinzip getroffene Entscheidung nicht nur klingt, sondern auch ist – klingt gut und machbar. Ich bin dabei!

Augen auf beim Wegwerfen

Nun bin ich ja mit Entrümpelungsaktionen nicht unerfahren und weiß daher: Nicht übertreiben mit dem Aufräumen und die dabei drohenden Gefahren nicht übersehen, sonst geht es mir noch einmal wie einst mit meiner Jacke, die wir aus dem Altkleidercontainer wieder herausfischen mussten, weil in der Tasche noch 900 Euro waren. Was uns nur unter Zuhilfenahme eines zufällig vorbeikommenden unschuldigen Kindes gelang, das von seinem ebenso unschuldigen Vater festgehalten wurde, als es halb im Container hing. Als hilfreich hat sich auch erwiesen, daß in Offenbach praktisch immer Sperrmüll ist, selbst wenn kein entsprechender Abholtermin bekannt ist, denn aus dem neben dem Container stehenden Wäschetrockenständer ließ sich ein Stück festen Drahts wunderbar als Angel zweckentfremden. Dieses Recycling auf Offenbacher Art erscheint mir auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand als die sozialverträglichere Variante, an das Geld zu gelangen. Andere hätten den Container vermutlich aufgesprengt.

Also lieber klein anfangen mit dem Aufräumen und dabei nichts überstürzen.

Trotzdem habe ich aus dem Stand sechs Bücher gefunden, die ich doch nicht mehr zu lesen gewillt bin. Darunter zum Beispiel „Mentales Nichtrauchertraining“. Auch wenn es nicht nach diesem Ansatz geschehen ist, hat sich dieses Thema – siehe oben – bereits erledigt. Das kann weg, ohne daß ich es irgendwann bereue. Natürlich habe ich dennoch kurz überlegt. Könnte ja sein, daß ich wieder anfange und erneut aufhören will. Oder daß ich den Teil mit dem Mentaltraining vielleicht irgendwann nochmal lesen möchte, um es auf andere Bereiche zu übertragen. Doch waren es nicht stets exakt diese zwei Uneindeutigkeiten „eventuell“ und „irgendwann“, die mich veranlassten, dieses oder jenes überhaupt anzuschaffen? Und später den Ausschlag in Richtung Behalten gaben, wenn sich die Frage so stellte wie jetzt wieder? Was bei Eisenwaren oder Knöpfen ob des nur geringen Platzbedarfs noch in verträglichen Bahnen verläuft, kann bei größeren Gegenständen durchaus Platzprobleme verursachen.

Genauso funktionierte es mit diesem Freiberufler-Atlas. Gewiss kein schlechtes Nachschlagewerk, doch da ich Gewerbetreibender bin, schon damals eher für eventuelle Freunde oder Bekannte mitgenommen. So zumindest die dahinterstehende Idee. Weil es ja früher gang und gäbe war, daß man mich abends in der Kneipe angesprochen hat: „Micky, Du hast doch in Deiner umfangreichen Bibliothek gewiss auch etwas zum Thema Freiberufler?!“ Am Arsch ist das passiert! Genaugenommen niemand hat sich dafür interessiert. Und Jahre später, wo ich erstens nur noch drei bis vier Leute kenne und zweitens das Internet solche Infos in Sekundenbruchteilen liefert, ist das erst recht unnötig zu besitzen.

Bevor jetzt einige möglicherweise allzu stark an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln, sollte spätestens an dieser Stelle Erwähnung finden: Wäre ich kein begeisterter Flohmarkt-, ebay- und Sonstwie-Gebraucht-Schnäppchenjäger, hätten es diese Titel und etliche andere auch bei mir im Kaufentscheidungsprozess nicht bis zur Phase der Problemerkennung geschafft.

Weiter im Text: Ein Werk mit dem Untertitel „Die große Kunst des Smalltalks“. Hatte ich vor ein paar Wochen in einem anderen Beitrag ausführlichst breitgetreten. Nun kann das Buch nur bedingt etwas dafür, daß ich so grandios gescheitert bin. Doch so gut, daß ich es ein weiteres Mal lesen müsste, war es dann auch eher weniger.

Gerade bei den Büchern sollte ich mir mit meinen jetzt 45 Jahren endlich eingestehen, daß die mutmaßliche Restlebenszeit nicht ausreichen wird, alles „irgendwann“ gelesen zu haben, was sich im Bestand befindet. Selbst wenn ab jetzt nichts mehr dazukommen sollte. Aber wahrscheinlich werde ich spätestens dann wieder fündig, wenn ich die Teile ins öffentliche Bücherregal der Sparkasse trage. Wo ich mir dann im Gegenzug so etwas wie „Das große Buch der Massage“ mitnehme. Weil ich ja auch sonst nichts zu tun habe. Nicht einmal eine Partnerin, an der ich „die besten Techniken aus aller Welt“ austesten könnte, habe ich. Also wozu? Ach so, klar: irgendwann eventuell.

Zumindest ist mit diesen sechs Büchern bis heute das Soll übererfüllt. Und im Gegensatz zum echten Fasten verliert der Spaßfaktor hierbei bislang nicht an Höhe. Zwar ist nur aufgrund dessen immer noch nicht davon auszugehen, daß ich noch zu einem religiösen Menschen werde. Doch solange ich – mit oder ohne Fasten – beständig ein nach meinen Maßstäben besserer Mensch zu werden versuche, kann ich damit auch weiterhin ganz gut leben.