Es war damit zu rechnen, daß mir am Tag Eins nach dieser Schmach niemand aus dem Kollegenkreis bei der Begrüßung in die Augen sieht. Verständlich, schließlich habe ich selbst vor Verlassen der Wohnung nicht nur wie üblich gedanklich geprüft, ob ich Geld, Dokumente und alle Schlüssel dabei habe, sondern mit einem kurzen Blick nach unten zusätzlich gecheckt, ob ich diesmal zwei miteinander korrespondierende Schuhe an meinen Füßen trage. Also muss ich damit leben, daß alle, die tags zuvor miterleben durften, wie ich mit einem braunen Halbschuh links und einem schwarzen knöchelhohen Stiefel rechts erschienen war, den Blick ebenfalls als erstes Richtung Boden senken.

In der Liste der Dinge, die ich in diesem Leben kein zweites Mal erleben möchte, steht dieses Erlebnis zwar nicht so weit oben wie nachts komplett nackt ins Treppenhaus ausgesperrt, wenigstens aber doch auf einer Stufe mit dem Vorfall, als mich die Kassiererin im Norma auf Vogelscheiße in meinem Haar aufmerksam machte, die ich nicht bemerkt hatte.

Nachdem mein Lapsus passenderweise just zum Zeitpunkt einer Unterhaltung über Zeitumstellung, Aufstehzeiten und Morgenroutinen entdeckt wurde, dauerte es bis zu den ersten zugegeben gelungenen Sprüchen nicht sehr lange. „Finde den Fehler“ als Aufforderung zu einem umgehend angefertigten Foto dieses buchstäblichen Fehltrittes. „Willkommen in Mickys Welt“ hat mir auch sehr gut gefallen. Oder auch „mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden“.

Wie unschwer zu erkennen, bestätigte sich, daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Meinen Konter, daß ich mich letzlich so sorgfältig anziehe, wie andere arbeiten, finde ich auch mit dem zeitlichen Abstand von ein paar Tagen noch passend. So herum wird nämlich ein Schuh draus. Ich durfte mir aber sicher sein, daß nicht alle diese Entgegnung so super fanden wie ich selbst. Doch nicht nur das. Auch ist mein Image als Stilikone durch diesen Fauxpas nachhaltig beschädigt. Hätte ich ihn nicht als solchen zugegeben, sondern alles als pure Absicht verkauft, sähe es vermutlich anders aus. Aber für eine Reaktion in diese Richtung hatte ich zwei, vielleicht drei Sekunden Zeit; danach war klar, daß ich aus der Nummer so einfach nicht herauskommen würde.

Zum schwachen Trost: Immerhin einen der Kollegen beschäftigte im weiteren Tagesverlauf die Überlegung, alles könne eventuell eine Art soziales Experiment meinerseits gewesen sein. War es aber nicht. Es war Geistesabwesenheit, die ich mir Tage später immer noch nicht erklären kann. Was die Annahme nahelegt, daß ich mir das wohl auch nicht irgendwann später im Verlauf meines hoffentlich noch langen Lebens erklären werden kann. Einzige halbwegs plausible Erklärung wäre beginnender Lagerkoller. Bloß: Wenn so der Beginn aussieht, will ich die fortgeschritteneren Stadien nicht bei vollem Bewusstsein mitbekommen.

Was hat die Zeit mit und aus mir nur gemacht?

Nur ein paar Tage später hätte ich alles auf die Zeitumstellung schieben können. Da die Sommerzeit in meinem Bekanntenkreis in etwa so hoch angesehen ist wie ein Zahnarztbesuch, hätte ich nur einen Satz mit den Bestandteilen „unausgeschlafen“ und „dunkel“ murmeln müssen, und alle hätten vollstes Verständnis für mich gehabt. Als ansonsten bekennender Sommerzeit-Fan hätte ich das Angebot gern angenommen, nach Hause zu gehen und mich auszuschlafen, während die anderen meine Arbeit miterledigen. Zuhause angekommen hätte ich einen Blogeintrag verfasst, in welchem ich Menschen durch den Kakao ziehe, deren Schlaf-Wach-Rhythmus schon beim bloßen Gedanken an diese eine Stunde Pogo tanzt.

Manchmal glaube ich, ein von dieser Stunde Betroffener generiert mehr Mitleid als ein in Wechselschicht arbeitender Mensch.

Zeit für mein Coming-out: Früher war die Zeitumstellung für mich ein großes Problem. Es war die Zeit, in der ich regelmäßig größere als für meinen Körper zuträgliche Mengen Bier zu mir nahm. So kam es vor, daß ich ich des Nachts nach Hause kam, etwa zwischen zwei und drei Uhr, wer will das um diese Zeit schon so genau wissen? Ich meine mich an die Absicht erinnern zu können, in diesem Zustand „schnell“ noch alle Uhren umzustellen. Damit ich am nächsten Morgen nicht durcheinander komme. Leider wusste ich wie die meisten nicht, ob eine Stunde vor oder zurück. Es fällt schwer zu rekonstruieren, was mich in dieser Nacht umtrieb, aber offenbar habe ich mich bei den einzelnen im Haushalt vorhandenen Zeitmessgeräten ´mal für diese, ´mal für jene Richtung entschieden. Da sich mein Kurzzeitgedächtnis darüber hinaus den Scherz erlaubte, sich nicht zu merken, welche der Zeitanzeiger ich schon bearbeitet hatte, während ein anderer Teil meines Gehirns sich bereits im Dämmerschlaf befand und mir nur noch signalisierte, daß mir das zu dieser Zeit auch gleichgültig sein könne, hatte ich am nächsten Morgen auf fünf verschiedenen Uhren vier verschiedene Zeiten.

Normal. Daß ich mich eines Nachts nackt im Treppenhaus wiederfand, bei zugezogener Wohnungstür (oder zugefallener, wer will das um die Uhrzeit schon so genau wissen?), war schließlich zu jener Zeit ebenfalls durch Selbstverabreichung übermäßiger Rationen Bier verursacht.

Im Laufe der Jahre und mit zunehmender Reife habe ich mir aber einen etwas souveräneren Umgang sowohl mit den Bieren als auch mit der Zeitumstellung angeeignet.

Wenn allerdings sowohl Zeitverschiebung als auch Konsum nicht nur geringfügiger Mengen Bier als Begründung für das mit den Schuhen nicht taugen, werde ich nicht umhin kommen, eine Erklärung heranzuziehen, die mir nicht gefallen kann:

Das Alter

War die Angelegenheit mit den Schuhen möglicherweise nur der Auftakt. Was also, wenn ich plötzlich nicht mehr besser werde, sondern in der Tat nur noch älter? Was, wenn ich irgendwann wie letztens noch gewitzelt tatsächlich nur noch Sätze der Güteklasse „Hier können Sie nicht stehenbleiben“ über die Lippen bekomme? Mit den Abmessungen eines Einkaufswagens nichts mehr anfangen kann und die Dinger anderen Menschen, die das Pech haben, in der Schlange vor mir zu stehen, permanent gegen die Haxen fahre? Ähnlich dem Lagerkoller gilt: Wenn das erst der Anfang ist, will ich dann das Ende wirklich mitbekommen? Was, wenn ich eines Morgens aufstehe und mein alter Körper als Schale liegenbleibt und ich fortan auch von meiner äußeren Erscheinung her alt bin? Gut – daß ich noch immer im Körper eines 30-Jährigen lebe, ist ein Luxus, von dem ich wissen muss, daß er irgendwann ein Ende haben wird. Aber das will man ja genauso wenig wahrhaben wie die Möglichkeit eines Abstiegs des Fußballvereins des Herzens, und irgendwann ist der Zeitpunkt trotzdem gekommen.

Und wenn man sich dann zurückerinnert, findet man immer diesen einen Punkt, von dem man im Nachhinein weiß, daß dieser der eigentliche Ausgangspunkt einer unliebsamen Entwicklung war.