Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky

Das Smalltalk-Experiment

Das Wetter war schon ´mal ansprechender. Vielleicht nicht die letzten sechs bis acht Wochen, aber im allgemeinen eben. Ob und wie sich die klirrende Kälte auf mein Vorhaben auswirkt, wird sich weisen. Oka ist wie so oft mit dabei. Viele hier in der Gegend kennen mich nur mit Hund. Was gar nicht unbedingt daran liegt, daß ich ihn immer dabei hätte, sondern eher daran, daß mich die Leute schlicht nicht erkennen, wenn ich ohne ihn unterwegs bin. Ein kalter Wind beißt mich ins nackte Gesicht. An der Bushaltestelle steht sie: die schönste Frau des Viertels. Jetzt oder nie! Zielsicher steuere ich an ihr vorbei.

Wenigstens habe ich mich nicht blamiert, könnte man ein positives Fazit aus dieser Begegnung ziehen. Allerdings entspricht das nur bedingt meinem Konzept, mehr Gespräche mit Unbekannten zu suchen, weil die Freunde und Bekannten sowie deren Freunde und Bekannte mich bereits seit letztem Winter meinem Ziel nicht näher gebracht haben, den nächsten, das heißt diesen Winter nicht mehr alleine frieren zu wollen. Bauer sucht immer noch Frau.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Das nächste Übungsobjekt steht schon parat: Der Typ, der ein bißchen wie ein Vagabund wirkt mit seinem mit Plastiktüten überladenen Rollator, seinem Vollbart und seiner vielen Zeit, die er frühmorgens an der Bushaltestelle verbringt.

Sein Bart ist einer der Sorte, bei der man sich auf sein Gehör verlassen können muss. Wer ihm ins Gesicht schaut, kann lediglich erahnen, daß sich der Kiefer bewegt, weil sich um den Mund herum Haare bewegen. Da jedoch kein Öffnen des Mundes sichtbar ist, kommt man ins Rätseln, ob gerade etwas gesagt wurde oder ob der Mensch einfach nur am Wiederkäuen ist und er nicht weiter beachtet werden muss.

Ja. Wenn man einen Hund hat, muß man bei jedem Wetter ´raus“, ruft er mir entgegen. Wenn man irgendwas anderes zu tun hat, muss man das auch, will ich beinahe entgegnen. Doch halt! Das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Meine Smalltalk-Eignung kann ich ebenso gut an ihm testen.

Da die Gesprächseröffnung von ihm ausgeht, hat er mir zumindest das voraus. Doch beherrscht er sogar weitere Regeln des Smalltalks. Erstens: Finde etwas an Deinem Gegenüber, das ihn aktuell beschäftigt und spreche das gezielt an (Hund, Wetter, ´Rausgehen). Zweitens: Hobbys (Hund) locken noch den zurückhaltendsten Menschen (Ich) aus der Reserve. Drittens: Wetter geht immer. Jeder kann mitreden.

Ich ergänze viertens: es bestätigt sich immer wieder, daß man offenbar noch vom Kaputtesten etwas dazulernen kann. Fünftens: sollte man letzteres dem Gegenüber niemals sagen, selbst wenn die spontane Begeisterung darüber spontan noch so sehr dazu einlädt.

Ich bin natürlich bestens vorbereitet. Schließlich hat er bis jetzt noch jedes Gespräch mit mir mit diesem Satz begonnen. Üblicherweise nicke ich dann im Vorbeilaufen und murmele etwas, das sich nach „So sieht´s aus“ anhört. Heute aber ist alles anders. Denn übers Wetter kann jeder, kann also auch ich mitreden. Ich sage: „Die Gravitationskraft des Mondes hält die Erdneigung stabil, die für die Entstehung der Jahreszeiten ursächlich ist.“

Nichts kommt zurück, aber ich erkenne die Fragezeichen in seinem von Haaren vermummten Gesicht. Da bin ich wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen. Aber ich gestatte ihm und mir einen weiteren Versuch: „Die Temperatur ist ein Maß für die kinetische Energie der Teilchen eines Systems.“

Wenn ich auch einerseits froh bin, daß mein Gerede nicht als Kreuzworträtselwissen ohne wirkliches Fundament entlarvt wird, möchte ich aus dieser Situation doch irgendwie wieder herauskommen. Ein Kompliment wirkt immer, erinnere ich mich. Ich beginne mich darüber zu ärgern, daß ich nicht die Frau angesprochen habe. Da hätte ich mit Sicherheit einen Aufhänger gefunden. Aber dieser alte Mann mit seinen Plastiktüten bietet so gar nichts an.

Ein Witz. Zwar wird im allgemeinen davon abgeraten, aber vielleicht hebt sich die Negativwirkung eines Witzes mit der Positivausstrahlung des Themas auf und wird in smalltalk-technischer Hinsicht zu einem Zwitter, wenn ich jetzt einen Witz übers Wetter mache. Doch wäre das ein unzulässiger Eingriff ins Untersuchungsdesign, innerhalb eines Experiments ein weiteres Experiment zu starten. Also bleibt mir nur noch die Flucht nach vorn und der Abbruch des Versuchs. Warum überhaupt Smalltalk? Wird absolut überbewertet.

Auf und davon

Zumindest eines beherrsche ich exzellent, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin: den Ausstieg aus einem Gespräch. Sei es ein tatsächliches oder ein gar nicht erst angefangenes wie das eben. Dem Hund sei zu kalt oder „Du siehst ja: der Hund drängelt“, geht immer. Selbst wenn er sich gerade gemütlich auf den Boden gelegt haben sollte. „Übersprungshandlung“ erkläre ich, falls mich einmal jemand darauf aufmerksam macht, daß er eher tiefenentspannt wirkt.

Also nach Hause. Auf dem Weg dorthin nachdenken. Das Experiment mit der vorzeitigen einseitigen Beendigung für gescheitert erklären. Beschließen, daß ich meine skills in Sachen Smalltalk eventuell noch verfeinern muss, bevor ich damit auf Frauen losgehe. Kurz überlegen, woher ich meine Inspirationen für diesen Blog nehme, wenn es den Hund nicht mehr gibt. Überlegen, ob Kosten für den Hund Betriebsausgaben wären, wenn ich mit der Schreiberei über ihn Geld verdiente.

Daheim den Hund von den Eiszapfen befreien, die sich entlang der Haare seines Bauches gebildet haben, weil ich ihn getreu der Anweisungen der Hundetrainerin unmittelbar vor dem Gassigang mit einer vollen Ladung Wasser aus der bereitstehenden Flasche bespritzt habe. Bevor wieder jemand schreit: Natürlich hat die Trainerin nicht gesagt, daß ich ihm jedes Mal unmittelbar bevor wir das Haus verlassen eine Dusche verpassen soll. Aber wenn es mit dem zu bestrafenden Verhalten zeitlich zusammenfällt ist es eben so. Für alle, die es immer ganz genau wissen müssen: In vorliegendem Fall war es so, daß der Kater in den Flur vomiert hat, was für den Hund – und ich bitte vorab, dieses naheliegende Wortspiel zu entschuldigen – ein gefundenes Fressen darstellte.

Ich merke, daß ich allmählich auf den Punkt zusteuere, an dem es wieder jenseits der Salonfähigkeit ausartet. Andere würden behaupten: ab dem es interessant wird. Ich allerdings halte mich wenigstens dieses Mal an den Rat, daß Vulgäres und Obszönes für einen gepflegten Smalltalk gänzlich ungeeignet seien, und empfehle ich mich an dieser Stelle.

Übung macht den Meister

Manchmal erkenne ich mich selbst nicht wieder. Noch letzte Woche gehörte ich zu denen, die an vorderster Front die Kollegin ob ihres Muskelkaters aufzogen. Vielleicht war ich auch der einzige, der das tat. Manchmal muss man eben polarisieren. Die Frau spielt Fußball. In dieser Eigenschaft wusste sie schon früher hin und wieder von Trainingsmethoden zu berichten, die für Nichteingeweihte mehr nach Folterkammer als nach gesunder Leibesertüchtigung klingen. Da nun bekanntlich wer den Schaden hat für den Spott nicht zu sorgen braucht, habe ich wie meistens in solchen Fällen für klare Verhältnisse gesorgt. Bedeutet: Kein Mitleid. Sie hat das freiwillig gemacht. Noch dazu zahlt sie regelmäßig Geld dafür, sich quälen zu lassen.

Eine Woche später. Ich habe Muskelkater. So weit, so belanglos. Aber dieser Muskelkater ist anders. Nicht entstanden, weil ich ungewohnt hart gearbeitet hätte, nicht weil wieder einmal Billardtische, Grabsteine oder Klaviere durch die Gegend bewegt werden mussten und zu viele potentielle andere Helfer meines oder angrenzender Jahrgänge inzwischen wegen Rückenbeschwerden ausfallen. Sondern weil ich ohne Not und freiwillig mit Übungen begonnen habe. Ein 10-Wochen-Programm, an dessen Ende 10 korrekt ausgeführte Liegestütze stehen sollen. Verspricht der Trainer. Einer von vielen Trainern, die man sich auf YouTube aussuchen kann. Aber dieser scheint seriös.

Nicht nur die Person wirkt integer, auch das Versprechen wirkt realistisch. Ich bin alt genug, zwar auch schon viel gesehen zu haben, andererseits aber einigermaßen einschätzen zu können, was geht und was nicht. „Sixpack in 10 Tagen“ ist dann bei allem Respekt wohl eher Dichtung als Wahrheit. In der gleichen Kategorie landen Knaller der Marke „Penisverlängerung um bis zu 40% ohne OP“ . Das ist kein zum Handwerk gehörendes Klappern mehr, das sind Glücksversprechen, die selbst die Botschaften von Teleshopping-Sendern sowie allerlei Sekten und allgemein Religionen in den Schatten stellen.

„Wie man garantiert jede Frau herumkriegt“ – was geht in jemandem vor, der glaubt, der Schlüssel zu einem erfüllten Sexualleben wäre nur diesen einen Mausklick entfernt? Aber dümmer geht immer, denn beim Thema Geld laufen unsere Spezialisten zu erneuter Höchstform auf: „97 € in 5 Minuten! ONLINE GELD VERDIENEN“

Wer einigermaßen bei Trost ist und sich die Frage stellt, für wie bekloppt die Urheber solcher Phrasen die Leute eigentlich halten, wird in den Kommentaren zu den entsprechenden Beiträgen fündig. Das Publikum, zumindest jedenfalls das dort sich verewigende, ist nämlich bei weitem nicht so medienkompetent, wie man sich das als halbwegs aufgeklärter Mensch vielleicht wünscht. Wie auch an etlichen anderen Orten im Netz inzwischen üblich, sind Gehalt, Stil und Orthographie der geäußerten Meinung unterirdisch. Starker Tobak für jemand, der eigentlich nur kurz nach Fitnessübungen ohne Geräte suchte.

Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden“

Als zweite Voraussetzung neben der Seriosität sollte das Trainingsprogramm hauptsächlich nicht zu einem Vollzeitjob mutieren, um in der versprochenen Zeit das versprochene Ergebnis zu zeigen. Daß ich dafür wieder einmal eine andere, eine schöne, eine vielleicht wichtige Aufgabe aus meinem Programm streichen muss, ist ohnehin klar.

Warum also bitteschön, wenn ich doch sowieso schon keine Zeit habe, mache ich jetzt dieses Fass auch noch auf? Objektiv betrachtet fällt es schwer, das glaubwürdig nicht in Zusammenhang mit Brautwerben zu bringen. Doch wie sich zeigen wird, habe ich für eine Beziehung ohnehin keine Zeit. Ab 40 sei jeder für sein Aussehen selbst verantwortlich, heißt es. Andere sagen das selbe nur übers Gesicht. Im Grunde ist es wohl egal, ob dieses oder jenes. Noch nebensächlicher ist, ab wann genau im Leben jedes Einzelnen dieser Sachverhalt zutrifft. Jedoch ist sicher, daß es diesen einen Zeitpunkt gibt, ab dem es sich auswirkt, wenn man sich nicht weiter um sich und sein Äußeres kümmert. Und exakt diesen Moment habe ich vor Jahren verpasst. Und jetzt wird wieder aufgeholt!

Daß ich deswegen irgendwann vor dem Spiegel posiere und mich supergeil finde, glaube ich ehrlich gesagt nicht. Zumindest nicht geiler als ich sowieso bin.

Ich gebe zu, daß ich beim Thema Fitness-Studio gewisse Vorurteile pflege. (Das Wort „Gym“ wird von mir einzig und nur einmalig dazu gebraucht, um meine Verachtung gegenüber diesem Begriff zu dokumentieren.) Diese meine Sicht der Dinge wird nicht durch besagte Kollegin noch durch etliche andere Kollegen und Bekannten geprägt, die solche Einrichtungen natürlich gern und immer wieder besuchen dürfen und sollen. Andererseits ziehen diese Etablissements regelmäßig solche Typen an, die den ganzen Tag mit einem Blick durch die Gegend laufen, als wären sie auf der Suche nach jemandem, um Blutrache zu nehmen. Was meinen Eindruck bestärkt, daß es sich bei Fitness um eine relativ spaßbefreite Angelegenheit handelt.

Darum werde ich es mir auch weiterhin nicht nehmen lassen, diejenigen mit feinem Spott zu überziehen, welche, ihre Sporttasche demonstrativ auf der Rückbank liegend, beim anschließenden Einkauf mit ihrer Karre am liebsten in den Discounter hineinfahren würden, um sich bloß keinen Meter zu viel bewegen zu müssen. Nehmt´s mir nicht übel, aber bei so etwas verwandle ich mich in einen echten Spießer und möchte darauf hinweisen, daß das da zwei Meter vom Eingang kein ordentlicher Parkplatz ist.

Das ist ein bißchen so wie mit der korrekten Mülltrennung. Nicht daß ich den Untergang einer wie auch immer gearteten abendländischen Kultur bereits um die Ecke kommen sehe, wenn diese nicht ordentlich gehandhabt wird. Aber ich frage mich schon, was daran so schwer sein kann, das voneinander zu unterscheiden. Wenn es ein Scherz sein soll, war er einmal gut und bereits bei der ersten Wiederholung nervig. Und um darin eine Art Protest gegen irgendetwas zu erkennen, fehlt mir sowohl Phantasie als auch Glaube.

Kehren wir zum wesentlichen zurück, nämlich zu mir, sprach der Meister der Überleitung.

Nicht völlig unerwartbar, daß mein neu erwachtes Engagement irgendwann wieder einschläft. Immerhin habe ich weitaus bedeutendere angefangene Dinge aus Mangel an Zeit wieder zurückgestellt, die seitdem auf bessere Zeiten warten. Was ja nichts anderes heißt als: Zeiten mit mehr freier Zeit. Oder nie.

Insofern gehört zu den guten Seiten des Alleinlebens eindeutig, daß niemand außer mir selbst mich daran misst, was und wieviel meiner angekündigten Pläne mit einer gewissen Nachhaltigkeit in die Tat umgesetzt werden. Und welche meiner Bemühungen demgegenüber eher ausgehen wie das Hornberger Schießen. Weitererzählen, welch toller Hecht ich doch bin, kann ich immer noch, wenn absehbar ist, daß meine Motivation den Moment des ersten Rückschlages überdauert.

Daß ich das gleichzeitig in diesem Blog vor einem theoretischen Millionenpublikum breittrete, steht auf einem anderen Blatt und zählt daher wenn überhaupt als künstlerische Freiheit.

Das nun folgende ist nichts, worauf ich besonders stolz sein könnte:

Gedächtnistraining, Speed Reading, Lachyoga, Gitarrespiel, Autogenes Training, Stimmtraining – was hatte ich in den letzten beiden Jahren nicht alles für Einfälle, um einen besseren Menschen aus mir zu machen. Alles ist gut, alles ist irgendwie gestartet und über das Stadium des Ausprobierens auch ganz klar hinausgekommen. Aber dann ist es in Summe einfach zu viel auf einmal.

Oder aus praktischen Erwägungen so nicht durchführbar. Wie geschehen beim Autogenen Training. Ich formuliere es ´mal so: Die Übungen werden durch die Anwesenheit von kontaktbedürftigen Haustieren nicht unbedingt begünstigt. Die haben eine Antenne dafür, wann ich so richtig bei mir bin, und platzieren sich gerade dann auf Bauch oder Schulter, wenn ich am entspanntesten liege oder sitze. Alternativ bellen sie den Flur zusammen, weil im Treppenhaus jemand etwas lauter als gesellschaftlich anerkannt flatulierte.

Griechisch nimmt eine Sonderstellung ein. Das musste ich ja anfangen zu lernen, um meine hübsche Nachbarin zu beeindrucken und mache das deshalb bis heute beinahe täglich. Aber weiter komme ich da auch nicht. Mit der Sprache nicht. Mit der Nachbarin gleich gar nicht. So verkehrt kann die Prognose nach 18 Monaten Bemühungen nicht sein.

Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, daß das Schreiben für dieses Baby hier mir wieder regelmäßig Zeit von der Uhr nimmt. In einem Umfang, den ich einerseits gern ´mal messen würde, andererseits auch lieber nicht wissen möchte. Aber da kommen wenigstens Ergebnisse.

Meine Löffelliste

Auf der Liste der Dinge, die ich getan haben will, bis meine Uhr abgelaufen ist, stehen überwiegend Einträge, was ich können möchte. Das ist ein gewisser Nachteil gegenüber denen, die darauf lediglich stehen haben, was sie einmal getan haben wollen, bis der Löffel abgegeben wird. Eine Kreuzfahrt kann nach 10 Tagen abgehakt sein, eine Ballonfahrt nach einem. Karate lernen dagegen zieht sich über Jahre. Und ich habe noch nicht einmal damit angefangen.

Natürlich befinden sich in meiner Aufstellung Vermerke, die vergleichsweise einfach umzusetzen sind: Einradfahren, Moonwalk lernen, Duckwalk lernen, Stadion an der Anfield Road besuchen.

Und dann ist da aber dieses große, mächtige Vorhaben: einmal vor Publikum die Leute unterhalten. Ein Publikum, das nicht nur aus Freunden und Bekannten besteht.

Dazu brauche ich natürlich einen gewissen Ausstoß an guten Texten. Inklusive des Zugeständnisses an mich selbst, daß es nicht immer nur Preisverdächtiges sein kann, sondern auch ´mal einer darunter ist, den ich nur mittelmäßig finde. Vielleicht findet genau diesen ein anderer Leser ja hervorragend.

Dazu brauche ich ferner eine wohlklingende Stimme. Zuletzt muss ich natürlich auch eine gute Figur abgeben. Alle drei Voraussetzungen keineswegs Aufgaben, die von heute auf morgen erledigt wären.

Die Prioritäten sind also gesetzt. Zu welchen Vorhaben die Zeit darüberhinaus noch reicht, wird sich zeigen.

…denn sie wissen nicht, was sie tun

Es begab sich kürzlich, daß ich mit einem Vorgesetzten Für und Wider einer Einführung der Prügelstrafe für unterlaufene Fehler erörterte. Ergebnislos. Alles bleibt zunächst wie es ist. Wirkungsvoller sind nach seinem Dafürhalten gelungene Ansprachen, wie er sie auch schon bei mir beobachtet haben will. Wahrscheinlich hatte ich an jenem Tag die Dose mit den blutdrucksenkenden Präparaten vergessen. Jetzt habe ich beantragt, eine Bütt anzuschaffen und diese bei Redeanlässen in Stellung zu bringen, damit ich schon durch das Setting mehr Gewicht und Verbindlichkeit in meine Aussagen bringen kann, wenn ich zu den versammelten werktätigen Massen spreche. Im Durchschnitt sind das fünf, sechs Leute, die im Lager ihr Unwesen treiben.

Ob und wann ich die Bütt tatsächlich bekomme, vermag ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht realistisch einzuschätzen. Meine Idee, für Botengänge einen Firmenpanzer anzuschaffen, wurde bis dato auch noch nicht umgesetzt. Es spricht aber für meine Bosse, daß sie über solche Vorschläge nachdenken und nicht sofort sagen: „Micky, sowas brauchen wir nicht.“ Weil: „Sowas haben wir bis jetzt auch nicht gebraucht.“

Also gehe ich erst einmal zurück in mein Lager und blicke so in die Runde und denke mir: die machen ihr Ding, ich mache meins. Privat natürlich erst recht. Dennoch hätte alles viel schlimmer kommen können. Hier befinden sich die Kollegen größtenteils, weil studierende Aushilfen, mittendrin in ihrer persönlichen Entwicklung. Spannend. Ich habe genügend Leute kennengelernt, bei denen merkte man: da tut sich nicht mehr viel. Nicht spannend.

Einen Höhepunkt solcher Beobachtungen am lebenden Objekt durfte ich während des runden halben Jahres genießen, in dem ich mich auf die Externenprüfung zur Fachkraft für Lagerlogistik vorbereitete und dazu einen von der Arbeitsagentur gesponserten entsprechenden Kurs besuchte. Da war diese eigenartige Form des Unbeteiligttuns wie unter einem Brennglas zu betrachten. Die ungleiche Gruppe der Lernenden bestand neben Lagermenschen aus angehenden Kaufleuten verschiedenster Couleur, den größten Anteil machten Bürokaufleute aus. Alles, was ich über diese aufschlussreiche Zeit schreibe, ist wirklich so passiert, ich muss mich da für nichts entschuldigen.

Selbstverständlich waren auch fitte Leute darunter. Korrekte Leute auch. Im Prinzip konnte man mit allen gut klar kommen. Solange wir gemeinsam in diesem Boot saßen, waren sie alle keine Fressfeinde. Gleichwohl die Neigung dazu bei manchem erkennbar war und ich froh bin, sie in diesem Kontext und nicht etwa als Kollegen kennengelernt zu haben.

Und rund die Hälfte war eben von schlichtem Gemüt. Einfach gestrickt hätte man früher vielleicht auch gesagt. Was eben so gesagt wird, wenn es diplomatisch elegant klingen soll, am Ende allerdings natürlich genauso verletzend ist wie unverblümteres Vokabular. „Naturtrüb“ wäre eine Formulierung nach meinem Geschmack, während „kognitiv suboptimiert“ zwar fein, aber fast schon wieder zu hart klingt. Dabei bin ich mir sicher, daß jeder einzelne aus dieser Runde irgendwo seine Qualitäten hat, die Prüfungsvorbereitung jedoch nicht der geeignete Rahmen war, diese einbringen zu können. Das Lernen war weitgehend individuell eigenverantwortlich organisiert mit einigen frontalen Einwürfen, darunter zwei Wochen zu Beginn. Da war dieses Traumensemble noch lange nicht komplett, aber man wusste bei den meisten schon nach diesen 14 Tagen, wo sie stehen.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen beabsichtigt

Der Totalverweigerer: Fachrechnen war scheiße, IHK war scheiße. alles war scheiße. Hat er keinen Bock drauf. Braucht er nicht. Weil: Hat er bis jetzt auch nicht gebraucht. Folgerichtig stand vom zweiten Tag an fest, daß er diesen Kurs abbrechen wird. Weil die Sachbearbeiterin der Arbeitsagentur – logisch – auch scheiße war, musste er erst Atteste abliefern, um aus dieser Scheiße relativ unbeschadet wieder herauszukommen. Seit einem Unfall fährt er auch keinen Stapler mehr. Was die Jobaussichten für einen ungelernten Lagerhelfer wie man sich sicher vorstellen kann um einiges steigen lässt. Reicht ja, wenn die Frau arbeitet. Es gehört vielleicht nicht hierher, aber: Offenbacher. Deswegen will das Schicksal auch, daß ich ihn häufiger treffe. Auf keinen der Jobs, die er seitdem hatte, hatte er eigentlich Bock. Auf Zeitarbeitsfirmen selbstredend erst recht nicht.

Auf gewisse Weise hat er Recht behalten, denn für das, was er aktuell tut, braucht er tatsächlich keinen Abschluss. Bier einkaufen, Fernsehprogramm wählen, Bier trinken – läuft bei ihm.

Unvergessen sein Urteil über einen weiteren Kollegen aus dem Kurs: „Ich glaub´ manchmal, der will gar nicht arbeiten.“

Der auf diese Weise Gescholtene war

der Dortmunder: In erster Linie war er SGE-Fan und hatte Dortmund noch als Zweit- oder Drittverein auserkoren. Er stieß spät zu unserem Haufen dazu und hatte eben das Pech, an seinem ersten Tag in diesem Trikot zu erscheinen, das mich spontan zu meiner Lieblingsäußerung „Sowas sehen wir hier gar nicht gern“ als Begrüßung veranlasst hatte. Seitdem war er der Dortmunder. Selbst wenn er das Trikot danach nie wieder in unserer Gegenwart getragen hätte, wäre er der Dortmunder geblieben.

Der Dortmunder machte sich an die Arbeit, hat sich seine eigenen Karteikarten zum Lernen erstellt, in relativ kurzer Zeit den Prüfungsstoff aufgeholt und die schriftliche Prüfung bestanden. Die mündliche musste er ein halbes Jahr später wiederholen, weil er den Termin um einen Tag verpasst hat.

Es gab einige Kandidaten, denen ich eine solche Aktion eher zugetraut hätte. Zum Beispiel

Die Lebenserfahrene: Sie hat sich einen Wissensvorsprung herausgearbeitet, weil sie das „Gedöns mit Prüfung und so“ schon zweimal durchgemacht hat. Ihre wie sie stets betonte nunmehr letzte Chance versuchte sie durch eine eigens von ihr entwickelte echte Innovation auf dem Feld der Lernstrategien zu nutzen. Ich nenne es hier stark vereinfachend exzessives Zuspätkommen. In Bezug auf Unlust war sie folglich die weibliche Entsprechung zum Totalverweigerer. Immerhin keine faulen Ausreden, sondern Klartext: „Ich pack´s halt einfach nicht, früh aufzustehen.“ Von dem gleichen Menschen bei anderer Gelegenheit „Shopping, teure Handtaschen – das gehört bei mir zur Lebensqualität einfach dazu.“ Keine weiteren Fragen. Aus dem Zuspätkommen wurde gelegentliches Kommen, woraus wiederum komplettes Nichterscheinen wurde. Ich nehme an, die Arbeitsagentur hat ihr daraufhin die Zuschüsse zu ihrer nächsten Shoppingtour leicht gekürzt.

Du bist der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen du die meiste Zeit verbringst.“

Mein wahnsinniger Sitznachbar: ein total korrekter Kerl, aber verpeilt ohne Ende. Bei Rechenaufgaben musste man immer damit rechnen, daß bei ihm irgendwo in der Aufgabe aus dem Nichts Zahlen auftauchen, die mit nichts aus der Aufgabe oder den vorangegangenen Lösungsschritten in Verbindung stehen. Mit ihm hatte ich außerdem den spaßigsten Moment des ganzen halben Jahres, als wir auf punkname.de neue Namen für uns alle generieren ließen. So zum Beispiel „Pimmel“ für den Dozenten, „Besen“ für Petra, die Gruppenälteste und personifizierte Prüfungsangst, „Burger“ für meinen vorderen Nachbarn.

Burger: kam sehr spät dazu und wusste wohl weder wie ihm geschah noch was er dort soll. Ich habe berechtigten Grund zu der Annahme, daß das sein Sachbearbeiter der Arbeitsagentur vermutlich auch nicht wusste. Entweder war dessen Motiv Hauptsache ´raus aus der Statistik oder war es evolutionärer Zufall, der ihn überhaupt erst auf die andere Seite des Schreibtischs gespült hat. Beunruhigend ist dabei höchstens, daß ich ersteres nicht zwangsläufig für wahrscheinlicher halte. Im schlimmsten Fall war es eine Kombination aus beiden Ursachen.

Burger war der einzige im Kurs, vor dem ich Angst hatte. Nicht Angst in dem Sinn, daß ich auf die Mütze bekomme, wenn ich etwas verkehrtes sage. Sondern diese Angst, die man vor Psychopathen hat. Die immer zwar auf gewisse Weise seltsam, aber doch freundlich sind und man aber nie weiß, ob sie nicht vielleicht doch in der nächsten Sekunde ein Samuraischwert auspacken, um einem damit die Gliedmaßen abzutrennen und diese in ihr abendliches Menü zu integrieren.

Weil er sich ständig zu mir nach hinten gedreht hat, um mir Gespräche aufzuzwingen, habe ich ihm irgendwann erklärt, warum ich in diesem Kurs bin. Nachdem das vordergründig geklärt war, hat er sich nur noch umgedreht und nichts gesagt. Einfach abgewartet. Mich minutenlang angestarrt, bis ich das von ihm gewollte Gespräch endlich mit „Was ist!“ eingeleitet habe.

Ähnlich selten wie Burger hat sich nur noch einer der anderen mit den Inhalten beschäftigt, die uns alle in diesen Kurs geführt haben. Das war

Der Burnout-Vermeider: die fleischgewordene Antithese zur Behauptung, es gebe keine dummen Fragen. Ebenfalls sehr spät dazugestoßen, hat er sich offenbar gedacht: wenn schon keine Zeit, dann brauche ich diese wenige Zeit auch nicht unbedingt nutzen. Internetpräsenzen von Hotels sowie allerlei Videos waren zu 90 Prozent auf seinem Bildschirm zu sehen. Ob die restlichen 10 Prozent tatsächlich komplett Prüfungsrelevanz besaßen, weiß ich nicht. Nach der schriftlichen Prüfung und seinem Verdacht, das könnte für ihn möglicherweise nicht ganz gereicht haben, war das Verhältnis jedenfalls etwas ausgewogener.

Was bleibt? Bei der Beantwortung der Frage, ob jenes halbe Jahr bleibende Schäden bei mir hinterlassen hat, könnte es hilfreich sein, jetzt nochmal die ersten beiden Absätze dieses Blogeintrags zu lesen und danach zu entscheiden.

Zum Glück einen Plan

Ich nehme ein Glas. Ein gebrauchtes Einmachglas mit Gummiring und Bügelverschluss um genau zu sein. Das erst eben genauer definierte Behältnis, in das die gesammelten Wochenwerke meiner Glücksmomente hineinsollen, bleibt allerdings leer. Das neue Jahr wird um eine Woche verschoben. Das war so nicht unbedingt der Plan. Welcher so einfach klingt: jede Woche einen besonderen Moment auf einen Zettel notieren und ab damit in ein Behältnis nach Wahl. Und am Ende des Jahres alle Zettel durchlesen und freuen, welch famoses Jahr hinter einem liegt. Im Mutterland des Wehklagens sollte das zur Pflichtaufgabe werden.

Die Suche nach dem persönlichen Glück scheint universell, sobald das Dasein nicht mehr allein davon geprägt ist, das Überleben zu sichern. Wohlwissend, daß ich 30 unterschiedliche Antworten bekomme, wenn ich 25 Menschen danach frage, worin dieses Glück eigentlich bestehe, stehe ich in diesem einen Punkt und nur ausnahmsweise gern einmal mit der Mehrheitsgesellschaft in Einklang: Glücklich zu sein ist sexy.

Allerdings hören hier die Gemeinsamkeiten vermutlich auch schon wieder auf. Ein Beispiel reicht aus, um den mühevoll hergestellten Konsens wieder zu zerstören: Selbst wenn ich monetär entsprechend aufgestellt wäre – bevor ich eine Dreizimmerwohnung mit einem zweiten Fernsehgerät ausstatte, das einen vierstelligen Betrag kostet, würde ich ein gefülltes Bücherregal allemal bevorzugen. Ob das jetzt nämlich auch noch mehrheitsfähig ist, weiß ich nicht, mutmaße jedoch, die Antwort wird mir nicht gefallen.

Ich konnte nicht erwarten, daß es sich so schwierig gestaltet, einen gescheiten Moment pro Woche zu finden. 52 kleine Höhepunkte in einem Jahr sollten doch drin sein. Aber immerhin habe ich seit kurzem ein adäquates Behältnis für das Festhalten dieser Augenblicke.

Jetzt sitze ich hier mit meinem gebrauchten Einmachglas und starre darauf, als ob es mir meine Überlegungen auch nur ein kleines Stück weit erleichtern könnte. Der Gürtel kann ein Loch enger geschnallt werden. Aber auch wenn dieser Zustand den Moment überdauert hat, war das erste Mal, das ich ihn erreichte letzte Woche, letztes Jahr am 30. 12. Bescheißen gilt nicht.

Einen einzigen Glücksmoment. Einen, der nicht selbstverständlich ist. Oder sind es die Selbstverständlichkeiten, die wir zu selten, zu wenig zu schätzen wissen, die Glück ausmachen?

Grundsätzlich ja: an einem relativ frei selbst bestimmten Wohnort in ein warmes Bett gehen im Wissen, daß auch am nächsten Tag ausreichend Nahrung vorhanden sein wird, und ansatzweise gesund wieder aufstehen. Aber so essentiell all diese Punkte sind, daß ich sie jede Woche, jeden Tag aufschreiben und in das heute als für diesen Zweck auserkorene Behältnis werfen könnte – ich möchte nicht unbedingt damit starten. Wenn ich in einem knappen Jahr die einzelnen Beiträge aus dem Glas fische und auf diese Weise das Jahr Revue passieren lasse, ist mir das aus heutiger Sicht nicht Höhepunkt genug. Und falls das alles Ende des Jahres nicht mehr selbstverständlich sein sollte, werde ich mehrere Tausend andere Angelegenheiten eher erledigen als Zettel aus einem gebrauchten Einmachglas zu lesen.

Wo ist der Deinhard?

Welches Ereignis also ist bedeutend, welches selbstverständlich? Nehmen wir die Arbeit: Wenn eine Aushilfe fehlerfrei eine Warenlieferung auf die richtigen Plätze räumt, ist das dann eine Selbstverständlichkeit oder ein Glücksmoment?

Wenn´s mein Kind wäre, wäre es eine Sensation, gar kein Zweifel! Aber nicht bei einem jungen erwachsenen Menschen mit allgemeiner Hochschulreife, der in wenigen Jahren als Gehalt ein Vielfaches dessen zu erhalten plant als ich gegenwärtig bekomme. Da liegt die Messlatte höher, da erwarte ich mehr, das darf nicht ausreichen. Jetzt, da ich mich endlich für ein sensationell schönes Behältnis für meine Erinnerungen entschieden habe, will ich das Projekt nicht durch so etwas entwerten, bevor es richtig begonnen hat.

Es gibt Tage, da bin ich äußerst glücklich, wenn der Hund seinen Haufen gemacht hat. Aber sind das Dinge, die ich Ende des Jahres lesen möchte? Seien wir ehrlich: Am Silvesterabend Zettel durchlesen, die in einem gebrauchten Einmachglas gesammelt wurden, ist schon beschämend genug. Dann muß da wenigstens content her, der Eindruck macht. Glanzleistungen, Rekorde, Sensationen statt solcher Verzweiflungstaten.

Etwas gekauft, das mich diese Woche zu einem glücklicheren Menschen gemacht hätte, habe ich die letzten Tage auch nicht. Aber da ich ja immerhin jetzt ein Behältnis habe, könnte ich auf meinen ersten Papierfetzen schreiben: „sehr schönes Glas für mein Best Of des Jahres gefunden“.

Ich werde langsam ungehalten.

Warum fange ich nicht gleich noch kleiner an, indem ich auf meinem ersten Blatt für die Glücksbox vermerke: „vorgenommen, die Idee mit den Glücksmomenten dieses Jahr endlich einmal umzusetzen“. Wie liest sich das Ende 2017?

Zu meinem Glück gibt es ja Suchmaschinen. Auf der Suche nach Glück landet man dort spätestens auf der dritten Seite beim Thema Zweierbeziehung. Na, das hat mir zu meinem Glück jetzt gerade noch gefehlt! Ich nahm an, dies leidige Thema wenigstens einmal irgendwie umschiffen zu können, aber da sind wir wieder. Täglich grüßt das Murmeltier. Meine Stimmung schickt sich an, in einen Unterbietungswettbewerb mit den Temperaturen dieser Woche zu treten.

Beim Fotovoting der kostenlosen Singlebörse, in der ich seit einem halben Jahr erfolglos Mitglied bin, stehe ich aktuell mit 5,0 da. Das höchste wäre 10. Mehr Durchschnitt geht also nicht. Weniger übrigens auch nicht, fällt mir gerade auf. Micky Mustermann. Zwar ist dies ganze Bewertungs-Prozedere an Oberflächlichkeit nur schwierig zu überbieten, aber für jemand, dessen vorheriges Foto Werte unter 3 erzielt hatte, ein gewisser Fortschritt. Und wenn mein Marktwert steigt, steigt mein Selbstwert, wodurch meine Stimmung steigt. Für ein Foto lediglich von mir ohne meinen Hund ist das mehr als in Ordnung. Da ist mein Glücksmoment! Mit zittrigen Händen fingere ich kleines Blatt Papier aus der Schublade und kritzele so schnell es geht und bevor dieser Moment wieder vergeht etwas von „sexiest man alive“ darauf. ´Rein damit in die Box! Wusste ich doch, daß es mir ein leichtes sein wird, das Altglas mit Inhalt zu füllen. Wenn einem also gutes widerfährt, dann ist das einen Asbach Uralt wert. Wo ist der Deinhard? Darauf einen Dujardin! Was genau will der Kater jetzt an meinem Glas? Besen, Schippe, alles auf Anfang. Wenn das so weitergeht, weiß ich auch nicht mehr.

Rollenspiele

Unter den diversen Rollen, die das Leben uns nötigt zu spielen, gibt es solche und solche. Traumrollen und andere, die wir lieber abgelehnt hätten, wären wir gefragt worden. Allein auf der Arbeit vereine ich in einer Person beispielsweise Kapazität, Entertainer, Stilikone, Sklaventreiber, Sexsymbol, Papa Schlumpf. Die Reihenfolge ist zufällig gewählt. Ich verrate nicht, welche dieser Rollen mir am ehesten liegt, aber die mir am wenigsten zusagende Rolle ist die des Fossils.

Gleichzeitig gilt letztgenannter Punkt zunächst noch vorbehaltlich einer intensiven Prüfung, da bei solchen Zuschreibungen Selbst- und Fremdwahrnehmung erfahrungsgemäß stark divergieren können. Während die anderen aufgezählten Figuren unstrittig sind, besteht beim Stichwort Fossil immerhin die Möglichkeit, daß ich selbst Dinge empfinde, die die Kollegen so gar nicht bemerken.

Doch zunächst die Fakten, die ich nicht wegdiskutieren kann: Wie haben viele studierende Aushilfen. Eine einzige Teilzeitkollegin ist älter als ich, ansonsten kommt über mir niemand mehr. Vom Alter selbstredend. Und in dieser Eigenschaft bin ich für wahrscheinlich einige Kollegen „Zeugnis vergangenen Lebens“. Zwar noch nicht älter als 10.000 Jahre (was ich vermutlich in diesem Leben auch nicht mehr ganz hinbekomme), aber zumindest relativ nah dran.

Ich bin in manchen Punkten unzeitgemäß, aber ich bekenne mich.

Dazu, daß ich Musik nach wie vor gerne von Tonträgern höre. Da ist nichts verwerfliches dran. Daß ich in der ganzen Stadt der wahrscheinlich einzige bin, der noch CD- und DVD-Rohlinge benötigt. Mit einem peinlichen Gefühl, als ob ich gerade Hämorrhoidensalbe verlangen würde, ertappe ich mich bei der Überlegung, wie ein alter Mann in der Apotheke beim Bezahlen irgendwie noch verkrampft beiläufig erwähnen zu müssen, daß die Teile „für einen Freund“ sind.

Kurz: angesichts solch offen zur Schau gestellten Verweigerung, an den Errungenschaften der Technik in angemessener Weise teilhaben zu wollen, leben die jüngeren Mitarbeiter in ständiger Angst, von mir angesprochen zu werden, die simpelsten Funktionen des Smartphones erklären zu müssen.

Dabei geht es weniger darum, daß ich das nicht kann, sondern daß ich das nicht können müssen will. In etwa analog zu der Bekannten, die einst dem Literaturkanon des Deutschunterrichts den ausgestreckten Mittelfinger entgegenreckte und mit den Worten „ich muß nicht jeden Scheiß gelesen haben“ vielen aus dem Herzen sprach, die sich nicht trauten, derlei offen zuzugeben.

Die allermeisten kommen mit dieser Einstellung trotzdem ganz gut durchs Leben. Warum soll es mir dann schlechter gehen, nur weil ich nicht jeden Mist mitmache?!

Generation App

Die Anzahl an Apps ohne Gebrauchswert ist Legion. Kann mir niemand erzählen, daß der Alltag eines gesunden Menschen dadurch erleichtert oder wenigstens bereichert würde, wenn zum Beispiel das Stehenlassen des oben erwähnten Fingers von einer App virtuell besorgt wird. Nächstes Beispiel: Mir fallen spontan nicht viele Dinge ein, die die Welt weniger dringend nötig hätte als eine App zum Würfeln.

Es ist mir auch ein Rätsel, wie Milliarden von Fußballspielen geleitet werden konnten ohne die App iSchiedsrichter mit der kryptischen Beschreibung: „Schiedsrichter gibt Ihnen einen guten Schiedsrichter-Leben der Fußball.“ Immerhin: Früher musste man noch in den Import-/Export-Laden gehen und dort Konsumgüter mit ähnlich geringem Nutzen wie die beschriebene Software kaufen, um an solche Meilensteine der Übersetzungskunst zu gelangen. Heute hat man es da leichter.

Manchmal abends – Ihr ahnt es bereits – wenn das Tagwerk getan und manches auch nicht getan und ich mit dem Hund vor der Couch sitze, denke ich über mein verpfuschtes Leben nach. Muß ich an meiner Individualität-Konformität-Balance noch feilen? Ich könnte mich ausgeschlossen fühlen, aber will ich dazugehören? Wohnst Du noch oder lebst Du schon? Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?

Wilde Zeiten

Nicht zwingend, aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gebe ich nach solchen Abenden an einem der nächsten Tage auf der Arbeit eine Geschichte aus längst vergangenen Tagen zum Besten. Wie ein Opa mit Erlebnissen von der Front fühle ich mich verpflichtet, den Kollegen mit meinen ungefragt wiedergegebenen Ausführungen zweierlei zu bescheinigen:

Dem einen Teil, daß mein Alltag nicht immer so unspektakulär und belanglos wie heute gewesen ist, sondern ich auch ´mal so ungestüm und leidenschaftlich war. Wie heute gesagt würde: stabil. Oder sagt man das schon wieder nicht mehr?

Dem größeren Teil, daß man sich nicht nur über die Zukunft und die spätere Karriere, sondern gern auch ´mal über die Gegenwart und das Leben Gedanken machen kann und daß Leben nicht unbedingt mit Konsum verwechselt werden muß.

Es sind dann Geschichten wie die folgende, hier der Einfachheit halber auf die stichwortartige Wiedergabe der Eckdaten und Eskalationsstufen beschränkt:

19. Geburtstag – ein Freund und ich – und viel Whisky für ihn und Bier für mich – anschließend Konzert besucht – weitere Freunde – begonnene Schneeballschlacht – Antwort unsererseits mit Leuchtspurmunition vom Balkon – Empörung unten – Festzeltbank nach unten befördert – beschlossen, daß man gehen soll, wenn es am schönsten ist – zurück zum Ausgangspunkt und weitere Biere und Whiskys nehmen

Es geht hier nicht um enthusiastisches Abfeiern solch brachialer Aktionen. Mehr um die dazugehörige Einstellung, die sich problemlos auch ohne Hinzunahme von Alkohol generieren lässt: daß man sich nämlich hin und wieder einfach ´mal einem Abend „ausliefert“ ohne voraussagen zu können, wann und wie das alles endet. Daß trotz der gebotenen Verpflichtung gegenüber der eigenen Lebenszeit ein Fenster geöffnet bleibt für zeitweise Ausflüge ins Ungeplante. Daß ein gelegentlicher Ausbruch aus allen Rollen nicht schaden muß.

Bloß beschleicht mich nach und nach der Verdacht, eigentlicher Adressat dieser Geschichten, vor allem der dahinter wartenden Moral ist weder der eine noch der andere Teil der Belegschaft, sondern bin ich selbst.

Fehler, Facebook, Fußball

Als ich neulich früh als Bestandteil meiner Morgen-Routine den Schnauzen-Schmöker aufschlug, um mir anzeigen zu lassen, wer aus meinem dortigen Bekanntenkreis mich zu welchem Spiel eingeladen hat und wem ich zum Geburtstag gratulieren könnte oder sollte, wurde mir unter der Überschrift „Deine Erinnerungen auf Facebookfolgender Vorschlag unterbreitet:

Hallo Markus, es ist schön, Erinnerungen wach zu halten. Wir könnten uns vorstellen, dass du gern an diesen Beitrag von vor 1 Jahr zurückdenkst.“ Man kennt das.

Darunter das Bild von meinem KFZ-Anhänger, der seinerzeit gerade einseitig über die komplette Länge getaggt worden war. Wer denkt da nicht gern dran zurück?! Hut ab, gelungener Vorschlag!

Eine in diesem Netzwerk etwaig vorhandene Schwarmintelligenz wollte ich damals nutzen, um das beste Mittel zu erhalten, die Verzierungen wieder herunterzubekommen. Ich hatte einfach nur an den Aufwand, die Zeit, das nicht vorhandene Geld gedacht, das nun alles aufgewendet werden muss, um bei der nächsten Ballonauslieferung für eine Hochzeit mit einem repräsentativeren Gespann als diesem vorfahren zu können. Darüberhinaus konnte mir natürlich auch die Vorstellung nicht recht sein, daß gemäß der Broken-Windows-Theorie bald das ganze Viertel den Bach ´runtergeht, kaum daß ich mich nach acht Jahren hier etwas eingelebt habe.

Ich habe den sicher gut und wohl auch ernst gemeinten Vorschlag am Ende ignoriert. Denn selbst für ein ansonsten ereignisarmes Leben wie das meinige ist dieser Vorgang mehr Randnotiz als Meilenstein. Um im Gespräch zu bleiben, habe ich andere Mittel. Immerhin habe ich über dem Grübeln, ob ich es nicht vielleicht doch spaßeshalber tun sollte, glatt vergessen, in meine in vorgenanntem Netzwerk erfolgreich als Singlegruppe getarnte Lieblings-Freakshow ´reinzulesen.

Bevor die Einleitung wieder länger als der Haupttext wird

In Zeiten wie diesen ebenso wichtiger Bestandteil meiner Morgen-Routine: der teils immer noch ungläubige Blick auf die Tabelle der Fußball-Bundesliga. Hätte nicht der Verein meines Herzens zur Winterpause einen sensationellen 4. Platz erklommen – man hätte fast denken können, dies wäre ein Jahr wie jedes andere gewesen. Die Truppe, die von den Eingeborenen des Ortes, in dem ich geboren bin und lebe, nur die „Unaussprechlichen“ genannt wird, hat einen Lauf. Jetzt bloß nicht wieder diesen einen Fehler machen, den ich immer mache! Nämlich glauben, daß es auch gut weiterläuft, wenn es denn ´mal läuft.

Wenn ich in diesem Zusammenhang immer schreibe, meine ich genau das: immer. Da gibt es nichts zwischen den Zeilen zu lesen. Zwei gewonnene Spiele hintereinander, und das internationale Geschäft ist in greifbarer Nähe. Selbst nachdem 1992 die Meisterschaft verpfiffen wurde, nahm ich noch an, das könne ja Ende der nächsten Saison nachgeholt werden. Daß ich just an jenem Tag der Chance beraubt wurde, die Eintracht in diesem Leben einmal als Deutschen Meister zu erleben, begriff ich erst viel später. Ein Fehler.

Nun kann ich mir inzwischen anders als früher durchaus auch Fehler verzeihen. Bis zur vollständigen Reife benötigt diese Einsicht möglicherweise noch ein wenig Zeit, doch im Grundsatz bin ich mit mir einig: wer allein aus seiner Komfortzone heraus agiert, der macht weniger Fehler, entwickelt sich allerdings auch nicht in dem Maße weiter als jemand, der akzeptiert, daß Fehler dazugehören.

Zu jeder Zeit meines Lebens habe ich welche gemacht und mache sie bis heute und hoffentlich noch eine ganze Weile über den heutigen Tag hinaus. Einige wirklich bescheuerte waren auch darunter.

So zum Beispiel als ich annahm, daß soziale Netzwerke wie das bereits erwähnte der Kontaktpflege und dem Austausch dienen. Bei vielen jedoch ist das einzige, das dort gepflegt wird, das Ausleben ihrer Selbstverliebtheit. Weswegen ich auch immer noch auf den „Nervt“-Button warte.

Wenn wir gerade dabei sind: Ein „Nie mehr 2. Liga“-Button für Beiträge, die den Lieblingsverein betreffen wäre mir genauso hilfreich wie der „Absteiger!“-Button zum Schmähen der fußballerischen Vorlieben Anderer. Der ultimative Höhepunkt jedoch wäre der „solange das Dein größtes Problem ist, kann es Dir nicht schlecht gehen“-Knopf.

Ich schweife ab, tue das aber gern. Angesichts selektiver Wahrnehmung entscheidet ohnehin jeder einzelne, ob der Schwerpunkt des gelesenen Beitrags nun Fehler oder Facebook ist. Jeder sieht die Welt mit seinen eigenen Augen. Und wer sich einem anderen als dem oben genannten Fußballclub zugeneigt fühlt, hat eventuell sogar viel weiter oben schon aufgehört weiterzulesen.

Dumme Menschen machen immer die gleichen und kluge Menschen immer neue Fehler“

Ich kann bis jetzt nicht unbedingt behaupten, außerordentlich gut damit umgehen können, wenn ich als dumm bezeichnet werde. Dieses Sprichwort konsequent zu Ende zu denken, kann im Ergebnis also nicht anders als mir zu missfallen. Wiewohl ich ähnliches vor Jahren schon selbst gesagt habe. Also, nicht nur gesagt, sondern auch entsprechend gehandelt. Wenn schon nicht in der Aufarbeitung von Fehlern auf der Höhe der Zeit, war ich in Fragen der Selbstkongruenz ganz weit vorne. Ist auch viel wert. Angeblich auch bei Frauen. Denen ich viele dieser frühen und späten Erkenntnisse über mich, Gott und die Welt verdanke.

Ein bißchen wenigstens. Mittelbar. Manche unmittelbar. Also etwas mehr als nur ein bißchen.

Ich möchte das anhand meines persönlichen Musterbeispiels illustrieren: Immer wieder denke ich, Dinge wie Humor oder Intellekt wären eine sehr gute Grundlage, Frauen zu beeindrucken. Um immer wieder festzustellen: Fataler Fehler! Geld, Status, Position sind sexy. Das Fass mit dem Aussehen mache ich lieber gar nicht erst auf. Fehler sind dazu da, sie zu wiederholen.

Nicht sehr viel besser setze ich das in Beziehungen um. Kostproben? Gern:

Ein Garten? – Ein Garten. Ein Hund? – Ein Hund. Ich habe das getan, was ich in dieser Beziehung immer getan habe: gesagt, daß das in Ordnung geht, solange ich so wenig wie möglich mit der damit verbundenen Arbeit zu tun habe. Und dabei den Fehler gemacht, fest daran zu glauben, daß diese meine Aussagen beim Gegenüber ernst genommen würden.

Stattdessen habe ich die innerhalb kürzester Zeit, welche dennoch gerade lang genug war, um für mich schleichend zu erscheinen, den größeren Teil der Arbeit übernommen. Das war beim Garten so und beim Hund nicht anders.

Der Garten blüht inzwischen ohne mein Mitwirken; der Hund ist längst Bestandteil meiner Morgenroutine.

Häutungen

Die vollständige Metamorphose eines Schmetterlings besteht aus den Stadien Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling. Beim Mensch sind derlei Faszinosa von der Natur zunächst nicht vorgesehen, weshalb es für die plastisch-ästhetische Chirurgie eine lukrative Einnahmequelle geworden ist, aus vermeintlichen Enten Schwäne zu machen. Oder aus Schwänen vermeintlich schönere Schwäne. Außerhalb solcher künstlichen Eingriffe kommen echte Verwandlungen selten vor, aber es gibt sie. Wer sich in letzter Zeit Tim Wiese angeschaut hat, weiß, was ich meine.

Daß gewichtiger Wandel in unterschiedliche bis gegensätzliche Richtungen geschehen kann, konnte seinerzeit bei Joseph Fischer begutachtet werden: noch zu Oppositionszeiten mutierte er zunächst zur Personifizierung des Spruchs „Krieg macht dick“ und fand anschließend in einem langen Lauf zu sich selbst. Jahre später soll den Minister a.D. der Jojo-Effekt eingeholt haben. Punkt. Zuviel Aufmerksamkeit hat der Mann jetzt auch nicht unbedingt verdient. Seine geistige Metamorphose lassen wir gleich komplett außer acht, halten aber fest: Extreme Veränderungen der Schale werden eher wahrgenommen als solche des Kerns. Was nur allzu verständlich ist, da wir die Hülle sehen, bevor wir zum Inneren überhaupt stoßen. Oder aber auch entscheiden, dorthin nicht stoßen zu wollen. Abgesehen von dieser Zwangsläufigkeit scheinen Äußerlichkeiten aber generell mehr Beachtung geschenkt zu werden. Oder wann habt Ihr das letzte Mal jemanden sagen hören: „Du bist aber gescheit geworden, Respekt“?

Zum Schluss kann es natürlich aber auch ganz einfach sein, daß äußerliche Veränderung deshalb häufiger registriert wird, weil sie schlicht häufiger auftritt. Outfit, Frisur, der inzwischen in gewissen Kreisen obligatorische Vollbart, das alles sind schnell erledigte Sachen. Doch selbst der große Wurf, die Königsdisziplin, nämlich die Gewichtsreduktion, wird auf eine leichtere Schulter genommen als beispielsweise den Intellekt zu schärfen. Machen wir wieder den Vergleich und fragen, wie oft wir – bei vorausgesetzter Freiwilligkeit – „ich habe mir vorgenommen, mehr Sport zu machen“ hören im Gegensatz zu „ich will mehr lernen“.

Nun ist das Thema Abnehmen ist für mich ja keine akademische Frage. Seit ich vor zweieinhalb Jahren bei einem Onlinehändler für fair gehandelte Textilien anheuerte, habe ich um die Weihnachtszeit ein Luxusproblem: Wofür löse ich den von der Firma regelmäßig als Weihnachtsgeschenk zur Verfügung gestellten Gutschein zum Shopping im eigenen Haus ein? Ich meine jetzt ohne daß seitens meiner Mutter noch einmal der Satz fällt, den jeder hören möchte, wenn er gerade ein neues Stück trägt, das halt gerade so noch gepasst hat, aber in noch größer eben nicht verfügbar ist: „Aber das nächste Mal holst Du Dir davon etwas, das Dir passt!“

Ein Text über das Dicksein, der eigentlich ein Text übers Abnehmen werden wollte

Da hätte sie auch gleich fragen können, was ich mit meiner Sammlung an Fitness-, Bewegungs- und Tanzspielen für Wii und X-Box Kinect anzufangen gedenke. Welche ich mir wegen der vielen positiven Rezensionen gekauft habe. Mehr schreibe ich dazu nicht. In tänzerischer Hinsicht sollte ich mich weniger an John Travolta und mehr an Bud Spencer orientieren. So gut kenne ich mich nach bald 45 Jahren immerhin. Was mich trotzdem nicht davon abgehalten hat, diese Tanzspiele bei heruntergelassen Rolläden auszutesten.

Ich hatte in diesen bald 45 Jahren mit Sicherheit auch die eine oder andere bessere Idee gehabt. Und ich hätte es besser wissen können. Müssen.

Rückblende: „Deutsche Panzer rollen wieder“ zählte fast noch zu den harmloseren Komplimenten, denen ich mich als Schulkind konfrontiert sah. Wirklich witzig fand ich allerdings auch diesen Spruch nicht einmal beim ersten Hören, sondern erst Jahre später mit einem gewissen emotionalen Abstand.

Als Sternstunden im Leben eines fetten Kindes dürfen auch Bundesjugendspiele gelten: dort habe ich das olympische Motto des Dabeiseins verkörpert wie vermutlich nur wenige andere meines Jahrgangs. Und nicht mal die Siegerurkunde mit nach Hause gebracht, die sonst praktisch jeder erhalten hat. Ich habe sie trotzdem immer wieder angepeilt. Wenn ich nur weit genug werfe. Aber eher wäre wohl tatsächlich die Hölle zugefroren.

Wenn freilich eine Siegerurkunde schon bedeutet, daß man eigentlich unterlegen ist, weil es für die Ehrenurkunde nicht reicht, was heißt es dann, mit komplett leeren Händen dazustehen, denn Teilnahmeurkunden gab es zu meiner Zeit noch nicht. Was mich für Leibesübungen ungefähr genauso motiviert hat wie der vorhersehbare Sport-Dreier im Zeugnis. In einem Fach, in dem alle anderen wenigstens eine Zwei bekamen, kommt das ja in etwa einem „stets bemüht“ gleich.

„Da schwabbelt das Fett nur so.“ Bestimmt hat der Lehrer diese seine Äußerung bei meinem Anlauf zum Weitsprung gegenüber meinen Mitschülern bereut, als er wenige Tage später dafür gemaßregelt wurde. Von meinem älteren Bruder. Auch wenn dieser selbst nur selten Gelegenheiten ausgelassen hat, mich ob meiner Figur aufzuziehen, war er seinerzeit bei derartigen Vorfällen die einzige Instanz, der ich vertrauen konnte.

Seit meiner ersten geglückten Diät so mit 16 schaukelt mein Gewicht nun munter hin und her. Momentan ´mal wieder in die erwünschte Richtung. Das Hemd, das ursächlich für den Spruch meiner Mutter gewesen ist, passt aktuell besser denn je. Die durch den Verzicht auf Tabakwaren ausgelöste Zuspitzung des Problems ist umgekehrt.

Vorerst.

Hunde, Frauen und weitere Unwägbarkeiten des Lebens

Wenn ich abends nach getaner, zuweilen auch nicht getaner Arbeit meinen Hund Oka auf die Couch rufe, dieser sich nicht lange bitten lässt und ich ihn dann so ansehe, kommt mir gelegentlich der Ausspruch „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ in den Sinn. Ich kann diese Gedanken nicht steuern, sie sind einfach da. Wenn ich dieses Tier sehe. Und mich frage, woher der Urheber dieses Bonmots eigentlich meinen Hund kennt.

Der West Highland Terrier hat an sich nur wenige Körperteile, die sich nicht durch besondere Anfälligkeit für allerlei Krankheiten auszeichnen. Hautprobleme, Allergien, trockenes Auge, Kniescheibenluxation sind die häufigst genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in diesem Zusammenhang. Fast logisch, daß ausgerechnet mein Tier alles von diesen potentiell möglichen Gebrechen auch für sich beansprucht. Damit nicht genug, hat er sich zusätzlich noch eine anderen Hunden typische Trendkrankheit angeeignet, nämlich eine durch ein hängendes Ohr verursachte dortige Anfälligkeit für Infektionen.

Aktuell und sehr wahrscheinlich bis ans Ende seiner Tage bekommt er täglich Medikamente zur Verbesserung der Schilddrüsenfunktion, zur Behandlung einer Herzinsuffizienz sowie „zur Verbesserung der Durchblutung im peripheren und zerebralen Bereich“. Letztere, weil er nämlich schwer hört.

Sparen wir uns sämtliche jetzt spontan sich aufdrängenden schlechten und guten Witze darüber, daß es ein erzieherisches und kein organisches Problem ist, wenn ein Hund schlecht hört. Halten wir stattdessen fest: Das Tier entwickelt sich sukzessiv zur Lebensversicherung seiner Tierärztin. Konsequent wäre, sie beim nächsten Besuch auf eine Flatrate anzusprechen. Man könnte einen Teil meines Gehaltes zusammen mit den Sozialversicherungsbeiträgen einbehalten und ohne Umwege auf das Tierarztkonto leiten. Vielleicht sollte ich meine Ex-Gemahlin bald tatsächlich einmal mit meiner Idee konfrontieren, sie möge mir Unterhalt für den Hund zahlen.

Vielleicht, so kommt mir gelegentlich abends nach getaner, mitunter auch nicht getaner Arbeit auf meiner Couch in den Sinn, hätte ich generell ihr gegenüber, auch anderen gegenüber, mir selbst gegenüber meine Interessen stärker vertreten sollen. Vielleicht stünde ich heute ganz woanders. Vielleicht.

Theorie versus Empirie

Als gesichert hingegen darf die Erkenntnis gelten, daß ein Hund mitnichten ein probates Mittel zur Eroberung von Frauenherzen im Sturm ist. Gleich, welche Flöhe Literatur oder Film uns allen in unsere Ohren setzen wollen: Frau verliebt sich erst in den Hund und dann in den Mann, wahlweise erst in den Mann und dann in den Hund – Sagen, Märchen, Science Fiction, Propaganda! Die Realität ist um einiges unromantischer.

Zugegeben: ins Gespräch kommt man mit diesem gewissen Etwas an der Leine relativ leicht. Allerdings sind die wirklich zutraulichen Frauen überwiegend bereits im Rentenalter. Und – nein, ich gehe nicht nur rings um den Friedhof mit Oka. Da man in Gesprächen mit älteren Menschen selten darum herum kommt, ungefragt die komplette Krankenakte des Gegenübers mitgeteilt zu bekommen, sind das die wenigen Momente, in denen mir Okas Anamnese zum Vorteil gereicht: So bin ich nicht zum bloßen Zuhören und Kopfnicken verdammt, sondern kann im Wettbewerb darum, wen das Schicksal härter gebeutelt hat, durchaus mithalten. In hartnäckigen Einzelfällen spare ich mir dann auch schon ´mal den Hinweis, daß ich nicht über mich, sondern über meinen Hund spreche. Das alles ändert aber nichts daran, daß das nicht meine bevorzugte Zielgruppe ist.

Ich nehme das alles mit Humor, weil der Topf ja schließlich auch andere Wege beschreiten kann, um zu seinem Deckel zu gelangen. Also etwas anfertigen und hochladen, was ich für ein angemessenes Profilbild halte. Natürlich mit Hund. Zu verbergen habe ich schließlich nichts. Gut, das Doppelkinn muss nicht auf den ersten Blick zu sehen sein, also nochmal. Aber der Hund gehört dazu.

Tatsächlich scheint das Bild seine Wirkung nicht komplett zu verfehlen. „Der ist ja süß“ mit mindestens fünf Üs und ebenso vülen Ausrüfezeichen und nochmal so vielen Emojis!!!!! Ich nehme mit Hümor :-), daß nicht ich der Auslöser solch überschwänglicher Reaktionen bin, sondern der Hund „aus der Cesar-Werbung“. Denn aus Erfahrung weiß ich bereits, daß es mit der Niedlichkeit bald vorbei ist, sobald durchsickert, daß ein Hund auch Arbeit und Verantwortung bedeutet. Dann werden die Nachrichten einsilbiger und der Zeitoptimierung wegen bald ganz weggelassen. Dann fällt mir auch wieder ein, daß ein Hund eine in etwa ähnliche Attraktivität signalisiert wie ein Garten oder eine andere Behinderung. Alles irgendwie ganz drollig, solange man sich nicht mit einem Mindestmaß an Verbindlichkeit selbst darum kümmern muss.

Um es noch einmal zu betonen: ich schreibe hier nicht von Mädchen, sondern von ausgewachsenen Frauen, bei denen aufgrund ihres Alters vollumfängliche geistige Reife und Zurechnungsfähigkeit unterstellt werden darf.

Tiere und Partnerinnen, das ist ein bißchen wie Ehrenamt und Arbeitgeber: irgendwie ganz nett, wenn man eines hat, aber so wirklich damit zu tun haben will man dann am Ende doch nicht.

Dabei spielen solcherlei Hobbys im späteren Stadium einer Beziehung wiederum eine geradezu herausragende Rolle: damit man sich nämlich nicht den ganzen Tag gegenseitig auf die Nüsse geht, ist dann viel häufiger zu vernehmen: „Braucht der Hund nicht noch etwas Bewegung“ oder auch „Hast Du nicht noch was im Garten zu erledigen“. Und wer einen solchen Imperativ mit einer Frage verwechselt, hat ein Problem weitaus größeren Ausmaßes als meine Sorgen, über die ich mir abends auf meiner Couch Gedanken mache. Wenn der Hund neben mir liegt. Mit ein wenig Glück der Kater zu meiner anderen Seite liegend. Mit ein bißchen weniger Glück der Kater auf meiner Brust oder auf meinen Schultern liegend.

Keiner von beiden unterscheidet in diesem Moment zwischen getaner und nicht getaner Arbeit. Beneidenswert. Unbezahlbar.

Von kleinen und großen Veränderungen

Sämtliche Frühwarnsysteme, die unsere heutige Gesellschaft für diesen Fall eingerichtet hat, haben versagt: Kein Blick in den Kalender konnte den Blick dafür erhellen, und als Lebkuchen, Zimtsterne und Spekulatius in die Regale der Supermärkte einzogen, durften diese an sich schwer zu ignorierenden Vorboten dennoch als die übliche Panikmache abgetan werden. Schließlich stand gefühlt das Getreide noch auf den Feldern, hatten die Freibäder noch längst nicht geschlossen und wurden diese bei Temperaturen bis 25 Grad auch noch rege besucht.

Wie über Nacht wurden dann Fenster, Balkone, Häuser, Vorgärten, Stadtteile illuminiert. Pilzen gleich eröffneten die Glühweinmärkte bei „für die Jahreszeit zu warmen“ Temperaturen. Und spätestens jetzt wird nach Begegnungen mit Freunden und Verwandten bei der Verabschiedung die Floskel „…und falls wir uns nicht mehr sehen…“ unausweichlich und ein guter Rutsch oder dergleichen mehr gewünscht. Allerspätestens jetzt muss man den Tatsachen ins Auge blicken. Jegliches Erkenntnisinteresse wird zugunsten der drei ab sofort alles beherrschenden quälenden Fragen ins zweite Glied gestellt:

  • Schon alle Geschenke gekauft?
  • Was machst Du an Silvester?
  • War das fast abgelaufene Jahr jetzt eigentlich für irgendetwas gut?

Hunde brauchen keine VorsätzeFast bekomme ich meiner Umwelt gegenüber ein leicht schlechtes Gewissen bei der Feststellung, daß ich an eineinhalb dieser Standards schon Haken setzen kann: In der privilegierten Situation, lediglich meine Mutter und meinen Sohn beschenken zu müssen, fehlt mir an Geschenken nur noch die Hälfte. Ach – was sage ich? – die Hälfte habe ich bereits, das klingt so viel besser, dynamischer und zudem nach richtig viel investierter Zeit, auch wenn der Kleine mit seinen viereinhalb Jahren noch ansatzweise einfach zufriedenzustellen ist.

Derselbe Kleine ist auch der Grund, weshalb sich die Frage nach Aktivitäten zu Silvester in diesem Jahr gar nicht stellt. Die Dramaturgie des Zufalls hat die Nacht der Nächte nämlich auf mein Papa-Wochenende gelegt. Demnach habe ich ab sofort den Kopf frei, um Bilanzen zu ziehen und neue Pläne zu schmieden.

Für den ersten Teil dieser Aufgabe ist ein Jahreswechsel vermutlich die richtige Grundlage: ein überschaubarer Zeitraum weder zu kurz noch zu lang lädt ein, diesen Abschnitt vorangegangenen gegenüberzustellen und anschließend den Daumen zu heben oder zu senken. Ob dabei die Beurteilung nach der Formel “Glück ist die Abwesenheit von Unglück” oder “Glück gleich Realität minus Erwartungen” oder nach irgendeinem anderen Maßstab vorgenommen wird, bleibt gleich. Objektivität gibt es hierbei ohnehin nicht.

Der vornehmere Teil der Aufgabe, nämlich aus der Bilanz die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist Jahr für Jahr erneut Thema ungezählter Beiträge in Wort, Bild und Schrift. Trotzdem haben Vorsätze fürs neue Jahr nur höchst selten eine Halbwertszeit von mehr als bloß ein paar Tagen.

Da ich bis heute nichts von Vorsätzen mit Stichtagsregelung halte, habe ich stattdessen seit einiger Zeit eine Zielcollage in die Küche gehängt. Was endgültig umgesetzt ist, wird durch ein neues Vorhaben ersetzt. Während bei manch anderem also ab Mitte Januar ob nicht umgesetzter Pläne das ganze Jahr über Missmut herrscht, habe ich das ganze Jahr über reichlich Stimuli. Manches wartet länger auf Umsetzung, ist aber durch die Collage automatisch permanent auf Wiedervorlage gelegt. Und hin und wieder geschieht es, daß ich nach einer gelungenen Umsetzung von einem Meilenstein spreche.

Mit dem Begriff des Meilensteins freilich gilt es sorgfältig umzugehen: er sollte weder zu sparsam noch zu inflationär verwendet werden. Bescheiden wie ich nun aber schon immer gewesen bin, attestiere ich mir selbst, hierbei bislang noch das rechte Maß behalten zu haben. Im Laufe der Zeit habe ich mich auf diese Weise zu etwas entwickelt, wofür mir vor ein paar Wochen als passende Beschreibung die Konstruktion Meilensteinbildhauer ganz gut gefallen hat. Ich sorge dafür, übers Jahr verteilt in ausreichendem Maß Meilensteine zu schaffen. Der Start dieses Blogs ist einer davon.

Gegenstand der hier zu versammelnden Texte werden Alltagsbegebenheiten sein. Teils ernsthaft, teils heiter kommentiert, aber hoffentlich stets mit einem gewissen Grad an Tiefgang. Gute Unterhaltung.

Seite 19 von 19

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén