Das Wetter war schon ´mal ansprechender. Vielleicht nicht die letzten sechs bis acht Wochen, aber im allgemeinen eben. Ob und wie sich die klirrende Kälte auf mein Vorhaben auswirkt, wird sich weisen. Oka ist wie so oft mit dabei. Viele hier in der Gegend kennen mich nur mit Hund. Was gar nicht unbedingt daran liegt, daß ich ihn immer dabei hätte, sondern eher daran, daß mich die Leute schlicht nicht erkennen, wenn ich ohne ihn unterwegs bin. Ein kalter Wind beißt mich ins nackte Gesicht. An der Bushaltestelle steht sie: die schönste Frau des Viertels. Jetzt oder nie! Zielsicher steuere ich an ihr vorbei.

Wenigstens habe ich mich nicht blamiert, könnte man ein positives Fazit aus dieser Begegnung ziehen. Allerdings entspricht das nur bedingt meinem Konzept, mehr Gespräche mit Unbekannten zu suchen, weil die Freunde und Bekannten sowie deren Freunde und Bekannte mich bereits seit letztem Winter meinem Ziel nicht näher gebracht haben, den nächsten, das heißt diesen Winter nicht mehr alleine frieren zu wollen. Bauer sucht immer noch Frau.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Das nächste Übungsobjekt steht schon parat: Der Typ, der ein bißchen wie ein Vagabund wirkt mit seinem mit Plastiktüten überladenen Rollator, seinem Vollbart und seiner vielen Zeit, die er frühmorgens an der Bushaltestelle verbringt.

Sein Bart ist einer der Sorte, bei der man sich auf sein Gehör verlassen können muss. Wer ihm ins Gesicht schaut, kann lediglich erahnen, daß sich der Kiefer bewegt, weil sich um den Mund herum Haare bewegen. Da jedoch kein Öffnen des Mundes sichtbar ist, kommt man ins Rätseln, ob gerade etwas gesagt wurde oder ob der Mensch einfach nur am Wiederkäuen ist und er nicht weiter beachtet werden muss.

Ja. Wenn man einen Hund hat, muß man bei jedem Wetter ´raus“, ruft er mir entgegen. Wenn man irgendwas anderes zu tun hat, muss man das auch, will ich beinahe entgegnen. Doch halt! Das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Meine Smalltalk-Eignung kann ich ebenso gut an ihm testen.

Da die Gesprächseröffnung von ihm ausgeht, hat er mir zumindest das voraus. Doch beherrscht er sogar weitere Regeln des Smalltalks. Erstens: Finde etwas an Deinem Gegenüber, das ihn aktuell beschäftigt und spreche das gezielt an (Hund, Wetter, ´Rausgehen). Zweitens: Hobbys (Hund) locken noch den zurückhaltendsten Menschen (Ich) aus der Reserve. Drittens: Wetter geht immer. Jeder kann mitreden.

Ich ergänze viertens: es bestätigt sich immer wieder, daß man offenbar noch vom Kaputtesten etwas dazulernen kann. Fünftens: sollte man letzteres dem Gegenüber niemals sagen, selbst wenn die spontane Begeisterung darüber spontan noch so sehr dazu einlädt.

Ich bin natürlich bestens vorbereitet. Schließlich hat er bis jetzt noch jedes Gespräch mit mir mit diesem Satz begonnen. Üblicherweise nicke ich dann im Vorbeilaufen und murmele etwas, das sich nach „So sieht´s aus“ anhört. Heute aber ist alles anders. Denn übers Wetter kann jeder, kann also auch ich mitreden. Ich sage: „Die Gravitationskraft des Mondes hält die Erdneigung stabil, die für die Entstehung der Jahreszeiten ursächlich ist.“

Nichts kommt zurück, aber ich erkenne die Fragezeichen in seinem von Haaren vermummten Gesicht. Da bin ich wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen. Aber ich gestatte ihm und mir einen weiteren Versuch: „Die Temperatur ist ein Maß für die kinetische Energie der Teilchen eines Systems.“

Wenn ich auch einerseits froh bin, daß mein Gerede nicht als Kreuzworträtselwissen ohne wirkliches Fundament entlarvt wird, möchte ich aus dieser Situation doch irgendwie wieder herauskommen. Ein Kompliment wirkt immer, erinnere ich mich. Ich beginne mich darüber zu ärgern, daß ich nicht die Frau angesprochen habe. Da hätte ich mit Sicherheit einen Aufhänger gefunden. Aber dieser alte Mann mit seinen Plastiktüten bietet so gar nichts an.

Ein Witz. Zwar wird im allgemeinen davon abgeraten, aber vielleicht hebt sich die Negativwirkung eines Witzes mit der Positivausstrahlung des Themas auf und wird in smalltalk-technischer Hinsicht zu einem Zwitter, wenn ich jetzt einen Witz übers Wetter mache. Doch wäre das ein unzulässiger Eingriff ins Untersuchungsdesign, innerhalb eines Experiments ein weiteres Experiment zu starten. Also bleibt mir nur noch die Flucht nach vorn und der Abbruch des Versuchs. Warum überhaupt Smalltalk? Wird absolut überbewertet.

Auf und davon

Zumindest eines beherrsche ich exzellent, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin: den Ausstieg aus einem Gespräch. Sei es ein tatsächliches oder ein gar nicht erst angefangenes wie das eben. Dem Hund sei zu kalt oder „Du siehst ja: der Hund drängelt“, geht immer. Selbst wenn er sich gerade gemütlich auf den Boden gelegt haben sollte. „Übersprungshandlung“ erkläre ich, falls mich einmal jemand darauf aufmerksam macht, daß er eher tiefenentspannt wirkt.

Also nach Hause. Auf dem Weg dorthin nachdenken. Das Experiment mit der vorzeitigen einseitigen Beendigung für gescheitert erklären. Beschließen, daß ich meine skills in Sachen Smalltalk eventuell noch verfeinern muss, bevor ich damit auf Frauen losgehe. Kurz überlegen, woher ich meine Inspirationen für diesen Blog nehme, wenn es den Hund nicht mehr gibt. Überlegen, ob Kosten für den Hund Betriebsausgaben wären, wenn ich mit der Schreiberei über ihn Geld verdiente.

Daheim den Hund von den Eiszapfen befreien, die sich entlang der Haare seines Bauches gebildet haben, weil ich ihn getreu der Anweisungen der Hundetrainerin unmittelbar vor dem Gassigang mit einer vollen Ladung Wasser aus der bereitstehenden Flasche bespritzt habe. Bevor wieder jemand schreit: Natürlich hat die Trainerin nicht gesagt, daß ich ihm jedes Mal unmittelbar bevor wir das Haus verlassen eine Dusche verpassen soll. Aber wenn es mit dem zu bestrafenden Verhalten zeitlich zusammenfällt ist es eben so. Für alle, die es immer ganz genau wissen müssen: In vorliegendem Fall war es so, daß der Kater in den Flur vomiert hat, was für den Hund – und ich bitte vorab, dieses naheliegende Wortspiel zu entschuldigen – ein gefundenes Fressen darstellte.

Ich merke, daß ich allmählich auf den Punkt zusteuere, an dem es wieder jenseits der Salonfähigkeit ausartet. Andere würden behaupten: ab dem es interessant wird. Ich allerdings halte mich wenigstens dieses Mal an den Rat, daß Vulgäres und Obszönes für einen gepflegten Smalltalk gänzlich ungeeignet seien, und empfehle ich mich an dieser Stelle.