Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky Seite 11 von 19

Kein Mann für alle Fälle

Wenn man von einer geschätzten Bekannten gesagt bekommt, Männer wie ich hätten unter Umständen vergessen, wie man offen auf Menschen jeglichen Geschlechts oder Alters zugeht, reagieren Männer wie ich üblicherweise, indem sie eine Woche darüber grübeln. Es könnte ja etwas Wahres dran sein. Nicht unbedingt entsteht daraus gleich ein Text, schon gar nicht zwangsläufig ein guter. Aber man kann erwarten, dass ein Ergebnis dabei herauskommt, wenn man sich eine Woche lang damit beschäftigt. Ein Fazit, das in diesem Fall etwa wie folgt lautet: Das ist nicht ganz richtig. Ich bin gar nicht so geworden.
Ich war schon immer so.

Selbstredend kommt dazu, dass ich im Laufe der Jahre einer Reihe von Menschen jeglichen Alters und Geschlechts begegnet bin, bei denen ich in der Tat in keinster Weise das Bedürfnis hatte, offen auf sie zuzugehen. Und dass sich, weil solche Menschen die beeindruckende Mehrheit stellen, das auf meine diesbezüglichen skills mutmaßlich nicht gerade fördernd ausgewirkt hat. So weit, so wenig diskussionswürdig.

Auf Menschen eines bestimmten Geschlechts bezogen kommt mir dabei auch nicht direkt entgegen, dass Männer wie ich, also optisch eher durchschnittlich oder knapp darunter ausgestattet, mit jedwedem Gesprächsangebot eher abwehrende Reaktionen bei eben jenem Geschlecht hervorrufen. Es gibt aber Männer, die sind nicht wie ich. Die modellieren keine Luftballons, sondern schrauben an ihren Motorrädern und ihren Helicoptern. Und nach dem Schrauben fahren und fliegen sie damit herum, um allen zu zeigen, woran sie gebastelt haben. Oder sie machen sie einen möglichst trendigen Sport, derweil ich während Spaziergängen und Hunderunden gedanklich an meinen Texten arbeite. Und obwohl oder weil die anderen Männer so cool sind, sehen sie auf Fotos stets aus, als hätte man sie gegen ihren Willen fotografiert. Und das fehlende Lächeln auf den Fotos oder von Angesicht zu Angesicht oder die Motorräder oder die Schrauberei daran oder irgendwas sonst scheint unwahrscheinlich männlich anziehend zu sein. Denn jedenfalls bricht bei denen ein „Na“ oder „Hi“ durchaus das Eis selbst bei Frauen, die gern für sich reklamieren, doch bitte auf keinen Fall auf irgendwie plumpe Art und Weise kontaktiert zu werden. Wer also will es mir verdenken, wenn ich nicht offen auf Menschen zugehe? Mit Logik jedenfalls ist dieser Problematik nicht beizukommen; wie in vielen anderen Bereichen gesellschaftlichen Zusammenlebens geht es eher um Emotionen denn um Stringenz. Auch wenn – natürlich – nicht alle so sind, sondern nur eine überwältigende Mehrheit, schränkt das die Auswahl dummerweise stark ein.

Dabei schneidet das Single-Dasein im direkten Vergleich mit einer Zweierbeziehung gar nicht ´mal so schlecht ab. Wäre da nicht diese eine Sache, die zu zweit definitiv mehr Spaß macht, eigentlich auch nur zu zweit wirklich Sinn macht – man müsste sich wirklich gut überlegen, ob man überhaupt wieder eine Partnerschaft eingeht. Aber zum Heiraten gehören schon zwei, finde nicht nur ich. Und genau das habe ich vor.
Weil nämlich nur wenig andere Anlässe so viele Freunde zusammenbringen. Und sei es nur, weil sie sehen wollen, ob man es wirklich macht. Bei einer Beerdigung kommen auch viele Freunde zusammen, höre ich da einige einwenden, und da geht es eher weniger darum, zu sehen, ob man es wirklich tut. Aber a) hat man selbst meistens nicht mehr so viel von dieser netten Zusammenkunft und b) hat sich, wenn man das Ereignis zu lange hinauszögert, der Freundeskreis bis dahin schon arg dezimiert, weil andere einem schlicht zuvorgekommen sind.
Jetzt ist eine ausartende Party natürlich kein Motiv, das in der Liste der möglichen Beweggründe, sich das Ja-Wort zu geben, besonders weit oben steht. Um wie viel romantischer ist da natürlich das Bekenntnis jedes sechsten Deutschen zu den steuerlichen Vorteilen als Grund für den Bund fürs Leben? Weswegen ich gern noch einen weiteren Grund nachschiebe:

Sportlicher Ehrgeiz

Wenn man so will, hat meine Exgattin mit ihrer in diesem Jahr stattgefundenen Hochzeit den Spielstand auf 2:1 erhöht. Zwar gelte ich als guter Verlierer, aber damit kann nicht gemeint sein, nicht wenigstens zu versuchen, auf den Ausgleich zu drängen.

Ich kann mir vorstellen, dass nach allem, was hier heute geschrieben steht (und der Text geht ja noch weiter), potentielle Partnerinnen erst recht nicht mehr Schlange stehen, aber um alle Beteiligten zu beruhigen: Dafür ist auch noch etwas Zeit. Da ich im Jahr 2022 meinen 50. Geburtstag feiern werde, sofern das Schicksal keine anderen Pläne mit mir hat, wäre es ein sympathischer Gedanke, im selben Jahr einen weiteren Meilenstein zu setzen.
Jetzt werden sich einige fragen: 2022 ist noch so lange hin, warum sucht der denn jetzt schon? Berechtigte Frage. Ich dachte mir, man könnte die Zeit bis dahin eventuell nutzen, um zu sehen, ob man tatsächlich zueinander passt. Gegebenenfalls könnte man noch umschwenken.
Zweiter Grund: Da ich mit den Planungen dafür alsbald beginnen möchte, sollte der zweiten Hauptperson bei diesem Ereignis eine gewisse Chance eingeräumt werden, mitzubestimmen, was an diesem Tag geschehen wird. In jedem Fall aber kann man bei solchen Angelegenheiten gar nicht früh genug mit den Planungen beginnen.

Gut, ich habe vor etwa fünfzehn Jahren auch ´mal vorsorglich angefangen, die Meisterfeier für den Fußballverein meines Herzens im Jahre 2009 zu planen, weil ich der festen Überzeugung gewesen bin, alle 50 Jahre einmal Deutscher Meister zu werden, wäre bestimmt nicht zu viel von ihm verlangt. Also losgelegt. Die Feier wurde standesgemäß als Mischung aus Heiliger Messe und Chaostagen konzipiert. Das kann man wirklich nicht früh genug anfangen zu planen.
Jetzt muss man dazu wissen, dass die Eintracht zu dieser Zeit eher Bestandteil der zweiten Liga gewesen ist als dass sie ernsthaft an einen Meistertitel in der ersten denken konnte. Ferner sollte man wissen, dass das Schicksal bislang noch selten individuelle Wünsche berücksichtigte. Die Eintracht belegte in den vier Spielzeiten bis einschließlich der Fast-Meisterschafts-Saison Plätze zwischen Rang 9 und 14. „Wenn Du es Dir vorstellen kannst, kannst Du es auch machen.“ Nicht alles, was für Walt Disney gilt, kann ´mal eben so auf Frankfurter Verhältnisse übertragen werden. Entsprechend habe ich irgendwann auch nicht weiter planen müssen. Manchmal kann man wohl doch zu früh anfangen zu planen. Aber immerhin weiß ich seitdem: Groß denken kann ich schon manchmal. Dass es hinterher eher wie das Hornberger Schießen ausgeht, ändert daran erst einmal nichts Grundsätzliches. Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, dass ich nur mit einem verschwindend geringen Teil meiner großartigen Ideen überhaupt an die Öffentlichkeit gehe, möchte man sich als Außenstehender manchmal besser nicht vorstellen, welche Ideen in diesem Kopf sonst noch herumschwirren.

Nichtsdestotrotz möchte ich an meinem Ziel für 2022 vorläufig noch festhalten. Die Braut müsste dann halt neben manchen meiner anderen Macken zusätzlich noch damit klar kommen, dass ich hin und wieder seltsam anmutende Ideen habe und bei den richtig guten unter ihnen auch nicht lange zögere, sie in die Tat umzusetzen.

Männer wie ich sind nun ´mal so.

Demnächst in diesem Theater

Fragen, die niemand gestellt hat und Antworten, die niemand lesen will – dieses erfolgreiche Konzept wird heute fortgesetzt, und zwar anlässlich meines bevorstehenden ersten Kinobesuches seit Jahren mit dem Thema „Wenn Dein Leben ein Filmtitel wäre – wie würde er heißen?“

Recht schnell offenbart sich, dass das Leben zu bunt und vielfältig ist, um mit nur einem Slogan hinreichend charakterisiert zu werden. Man spielt darin ja auch unterschiedliche Rollen. Selten habe ich mich eine Grundidee so schnell über den Haufen werfen sehen. Stattdessen werden hier gleich eine ganze Reihe mehr oder weniger zutreffender Titel vorgestellt. Darum musste als nächstes meine Neigung, ins Beliebige abzudriften, kanalisiert werden, weshalb hier ausschließlich existierende Filmtitel genannt werden. Die Cineasten unter meinen Lesern mögen mir verzeihen, dass teilweise sehr holprige Übersetzungen darunter sind.

Vergleichsweise unoriginell könnte mit …denn sie wissen nicht, was sie tun ein erster Versuch der Zusammenfassung gestartet werden. Vielleicht im heutigen Abschnitt meines Daseins nicht mehr so naheliegend wie in der Jugend. Denn wer weiß zu dieser Zeit schon so genau, was er tut?! Abgesehen natürlich von den Leuten, die immer schon genau wussten, wohin ihre Reise einmal gehen soll. Weswegen sie sich mit jugendlichen Flausen auch gar nicht erst aufgehalten haben, sondern zielgerichtet von der Schule über die Ausbildung in den Job durchmarschierten und nun mit beiden Beinen erfolgreich im Leben stehend vielleicht tatsächlich bis zum Ende des Lebens nicht die „Was wäre wenn“-Frage stellen.

Ich gebe zu, dass mein tragikomisch anmutendes Reich wirst Du nie als Gegenentwurf keine besonders hohe Attraktivität ausstrahlt. Das war vielleicht eher Die große Illusion gewesen. Ist eben typisch Ich – einfach unverbesserlich. Immerhin habe ich bei meinem Streben nach Glück bis jetzt stets Abzweigungen genommen, die mir eine nur bedingt erstrebenswerte Karriere als Hauptrolle in einem modernen Psycho erspart haben.

Ich weiß gerade selbst nicht, wie ich nach dem letztgenannten Titel auf das Thema Arbeit komme, will mich auf der anderen Seite aber auch nicht allzu sehr beschweren, wenn mir eine solch hervorragende Überleitung dahergeflogen kommt. Reden wir also über Apocalypse Now, eine bei uns durchaus gebräuchliche Zustandsbeschreibung, wenn das Arbeitsaufkommen derart hoch ist, dass der Ausruf „Hölle!“ die Situation nur noch unzureichend zu beschreiben vermag. Ein Mann sieht rot kann es an solchen Tagen durchaus heißen. Der große Diktator bin ich ja unabhängig vom Arbeitsvolumen für manche der Kollegen ohnehin schon.

„Möchte jemand Eis?“

Der Dummschwätzer ist der Fahrer, der bis vor kurzem abends im Auftrag des Paketdienstleisters unsere Sendungen abholte und dabei noch jedes Mal irgendeinen Mist zu erzählen wusste. Meistens war es das Immergleiche (Und täglich grüßt das Murmeltier), zum Beispiel wenn er einen der Kollegen als „Sabotateur“ (sic!) ansprach und dabei wahrscheinlich nicht im Ansatz ahnte, dass er damit dichter an der Wahrheit dran war als mir lieb sein kann. Aber meine Mitstreiter haben noch mehr drauf als Saboteure zu sein. Auch hier drängt sich natürlich zunächst …denn sie wissen nicht, was sie tun auf. Vielleicht gibt es zwischen ihnen und mir doch mehr Verbindendes als Trennendes. Ansonsten noch: Ein Käfig voller Narren oder natürlich Dumm und Dümmer. Eigentlich erstaunlich, wie viele Filmtitel offensichtlich meinem Arbeitsalltag entlehnt sind. Das macht es noch schwieriger als sowieso schon, an Zufälle zu glauben.

Doch besteht das Leben bekanntlich nicht nur aus Arbeit, und so benötige ich noch ein bis zwei Filmtitel für die passende Umschreibung der Zustände daheim. Natürlich kamen mir da auch Die glorreichen Sieben in den Sinn. Das war allerdings bevor ich nachgezählt und dadurch festgestellt habe, dass ich allein dafür exakt sechs Menschen zu wenig bin. Was bleibt mir also anderes übrig als wieder einmal mein ausschweifendes Sexualleben heranzuziehen?! Auch wenn es einem Teil der Leser an der nächsten Stelle sehr wahrscheinlich zu viel der Information ist – Der Wixxer trifft es schon einigermaßen gut.

Okay, es reicht auch wieder mit dem Mitleid! Ich habe ja – hoffentlich – noch ein bisschen Zeit, an meinem Drehbuch zu arbeiten. Schön wäre zum Beispiel folgende Vorstellung: Mit Blick auf den Main als Der alte Mann und das Meer am Ende vor allem Nichts bereuen. Und wie jeder weiß: Das Beste kommt zum Schluss.
Unabhängig davon, wie der Film am Ende heißen wird – sollten tatsächlich unmittelbar vor dem Schluss Ausschnitte aus dem Leben wie im Filmtrailer an einem vorbeirauschen, ist davon auszugehen, dass auch ein paar brauchbare Szenen dabei sind.

Selbstverständlich in 3D.

Alles paletti

Wie es geht, will er von mir wissen. „Solange wir nicht über Fußball reden, geht’s gut“, erkläre ich wahrheitsgetreu. Ich erkenne, dass ich am Feintuning meiner Formulierungen noch zu arbeiten habe, als wir ab dem nächsten Satz wie selbstverständlich über Fußball reden. Ich gehe ja kaum noch ins Stadion, würde aber im Falle eines Falles als in etwa angemessene Gegenleistung für das entrichtete Eintrittsgeld erwarten wollen, dass ein Sieg meiner Mannschaft wenigstens nicht ganz im Bereich des Utopischen ist. Momentan freilich wären solche Erwartungen definitiv zu hoch angesetzt, weil die Verantwortlichen in einer für Eintracht Frankfurt typischen pathologischen Mischung aus Größenwahn und Inkompetenz ein neues Konzept erschufen:

1. Eine beunruhigend hohe Menge an „Perspektivspielern“ und Versprechen für die Zukunft in den Kader implementieren. 2. Hernach überraschend feststellen, dass man eine gewisse Anzahl Spieler zu viel in den Reihen zählt. 3. Vorhandene Spieler aussortieren, von denen man von einem Teil definitiv weiß, dass sie dem Team aktuell eher weiterhelfen könnten als die Neuzugänge. 4. Dementieren, dass es die für die Aussortierten eingerichtete Trainingsgruppe II überhaupt gibt.

Immerhin hat man für hiesige Verhältnisse früh auf die diese Saison anstehende Mehrfachbelastung reagiert und als Sofortmaßnahme die Anzahl der Pflichtspiele durch den Erstrunden-Knockout im DFB-Pokal wenigstens ein bisschen reduziert. Nicht das, was der gemeine Fan sich wünscht, aber effektiv.

Ich spüre, wie mein Blutdruck ungekannte Höhen erklimmt, während ich mich in Rage rede, und bin daher dankbar, dass unser Gespräch durch Eintreffen seines Busses beendet wird. Beim Einsteigen lässt mir mein Kumpan noch den Rat zurück, mich nicht aufzuregen. Wenige Minuten später hinterlässt diese Unterhaltung bei mir überraschenderweise in der Tat ein eher angenehmes Gefühl. Und ich glaube auch zu wissen, warum.

Es war nämlich eine gepflegte Konversation der Sorte, in der nicht alles „nice“ ist und entsprechend „hart gefeiert“ wird. Ohne Vokabular wie „random“, wenn man „zufällig“ meint, „als ob“, wenn der Wahrheitsgehalt einer Aussage angezweifelt wird, oder „wayne“, wenn einem etwas egal ist. Auch weiß ich zu schätzen, wenn nicht jeder zweite Satz entweder mit „Ja, Mann“, „Dicker“ oder „Alter“ eingeleitet wird.

Jetzt kann man als halbwegs informierter Mensch natürlich durchaus wissen, dass nicht gleich der Untergang der abendländischen Kultur ins Haus steht, nur weil ein paar Halbstarke anders kommunizieren als ich es gewohnt bin. Vor allem benutze ich manches davon ja selbst auch: „Alter“, das ist schon so lange gebräuchlich – ich war selbst noch jung, als das aufkam. Davor meinte man mit „Alter“, nun ja, das Lebensalter. Auch für den Vater war „Alter“ seinerzeit ein sich allmählich etablierender jugendsprachlicher Ausdruck, der heute ebenso selbstverständlich im Duden steht wie die Verwendung als Anrede. Mein Missmut richtet sich hauptsächlich gegen den inflationären Gebrauch des Begriffs. Zumal „Alter“ zusätzlich ja auch jeder zweiten Aussage nachgestellt wird, es also absolut keine Seltenheit darstellt, wenn „Alter“ in einem Satz am Anfang UND am Ende vorkommt. Vor allem benutze ich „Alter“ nicht gegenüber einer Frau. Und als allererstes nicht zu meiner Mutter!

Trainingsgruppe II rockt

„Bruder“ hat eine andere Bedeutung, wird aber ähnlich überstrapaziert. Mein „Bruder“ war früher noch ein weiterer männlicher Nachkomme meiner Eltern. Im Zweifelsfall auch noch ein Insasse eines Klosters und in sehr seltenen Fällen tatsächlich auch ´mal ein dicker Freund. Die Freundschaft musste aber dann schon auch eine von der Qualität Winnetou und Old Shatterhand sein. Aber heute wird jeder Dahergelaufene, mit dem man drei- oder viermal gesoffen hat, zum „Bruder“ erklärt.

Und so wie zu meiner Zeit gute Freunde sind es heutzutage eben „Brüder“, die sich irgendwann auch wieder voneinander entfremden, nachdem sie für eine gewisse Weile gemeinsam abgehangen haben. Denn bevor man allenthalben begann, unproduktive Zusammenkünfte als „Chillen“ zu bezeichnen, war die gängige Umschreibung dafür „abhängen“. Auch 25 Jahre später finde ich „abhängen“ als Begriff noch treffender, weil er von einem Selbstverständnis zeugt, sich nicht unbedingt bemühen zu müssen, den Umstand zu beschönigen, dass es sich genau genommen um Nichtstun unter Gleichgesinnten handelte. Wir haben also nicht „gechillt“, wir haben „abgehangen“ und fanden uns „cool“ und „geil“. Da ich allerdings nicht nur in den Achtzigern jung war, sondern auch noch ein bisschen in den Neunzigern, musste ich leider miterleben, wie das Abhängen langsam vom „Feiern gehen“ abgelöst wurde. Was bedeutete, dass man sich zwar immer noch zusammen in einer Gruppe Gleichaltriger langweilte, die Umschreibung „ich war feiern“ aber suggerierte, man hätte mächtig Spaß gehabt, während man sich in Wahrheit meistens in einer ordinären Schankwirtschaft gegenseitig unter den Tisch zu saufen versucht hatte.

Obwohl das Raute-Symbol zu dieser Zeit noch Raute genannt wurde und im Prinzip auch keine besondere Funktion hatte, die ihr Erscheinen auf sämtlichen Tastaturen dieser Welt gerechtfertigt hätte, war diese Umdeutung damals vielleicht der erste Vorbote hin zu einer Entwicklung, für die später mit den bekannten sozialen Netzwerken das ultimative Werkzeug zur Verfügung gestellt wurde: Das meist zutiefst durchschnittliche Leben als höchst interessanten und abwechslungsreichen Alltag zu inszenieren.

Wirklich „gediegene“ Momente wurden in etwa ab dieser Zeit von allen, die etwas auf sich hielten, auf keinen Fall mehr als „cool“ bezeichnet, sondern als „fett“. „Edel“ ging auch noch, wenn ein Gegenstand besonderes Gefallen erregt hatte, aber „cool“ hatte, wie heute das „nice“, den Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch der Erwachsenen geschafft und war aus diesem Grund im Laufe der Zeit uncool geworden. Um nicht zu sagen mega-uncool. Niemand hatte mehr „Bock drauf“. Die Dinge nahmen ihren Lauf; die Begriffe änderten sich und mit ihnen der Zeitgeist. Eventuell auch umgekehrt. Wer weiß das schon so genau?! Jedenfalls war „null Bock“ out, „null Problemo“ dafür in. Andere Ausdrücke blieben: Hatte ein Sachverhalt einen extremen Eindruck auf uns gemacht, war er „krass“ oder „abgefahren“. Angelegenheiten, die wir eher nicht gefeiert hatten, bekamen das Prädikat „ätzend“. In heftigeren Fällen konnte man auch schon ´mal „eine Krise kriegen“. Das Stichwort Krise schließlich führt uns schneller als mir lieb sein kann wieder zum Ausgangspunkt zurück und damit zum besten Verein der Welt und damit zu den obligatorischen Fragen: Was kommt? Was bleibt?

Was kommt, vermag ich nicht seriös zu beurteilen. Warum sollte es mir da auch besser gehen als den meisten anderen?! Was bleibt, ist die Bestätigung der Erkenntnis, dass manche Ideen Zeit benötigen, um ihre Wirkung voll zu entfalten. So registriere ich, wie die Idee einer Trainingsgruppe II mir nach und nach besser gefällt, ohne dass die Idee etwas dafür kann, weil sie sich schlicht gar nicht geändert hat, sondern nur meine Wahrnehmung. Jedenfalls ist mein Urlaub vorüber und also bin ich ab nächster Woche wieder dafür verantwortlich, ein Team von Aushilfen mit der Kadergröße eines durchschnittlichen Bundesligisten anzuleiten.

Da kommt mir diese Inspiration gerade recht.

Fast würde ich mich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen: Nice!

Suche Beziehung, tausche Schreibblockade

Sind wir ´mal ehrlich: Eigentlich ist Urlaub Zeitverschwendung. Man schläft länger, hat aber aufgrund eines deutlich verlangsamten Tagesablaufs mitnichten das Gefühl, dadurch fitter durch den Tag zu kommen. Man kümmert sich um Angelegenheiten, die man im normalen Alltag zurecht vernachlässigt, so etwa das Beantragen eines neuen Personalausweises oder die Korrespondenz mit dem Beitragsservice von ARD und ZDF. Nimmt man nach dem Mittagessen ein Buch zur Hand, werden nach 15 Minuten die Augenlider schwer.

Ein Tierarztbesuch ist auch so ein Sommerhöhepunkt, auf den ich gern zugunsten eines Ausflugs oder der nächsten Lektion im Poi-Spielen verzichtet hätte. Aber immerhin befindet sich der Terrier in einem guten Gesamtzustand. „Es spricht momentan nichts gegen die Annahme, dass er zu seinem 14. Geburtstag im nächsten Februar immer noch fit und munter sein wird“, erklärt mir seine Ärztin. „Super“, freue ich mich über jede Sekunde, die mein Hund Oka an meiner Seite ist, obwohl er ja auch schon etliche Kilometer auf dem Tacho hat. Ich denke aber trotzdem auch, dass diese Aussage angesichts der Kosten, die das Tier inzwischen durch regelmäßige Besuche bei ihr verursacht, wenigstens zu einem kleinen Teil eher Drohung als Versprechen ist. Man kann ja den seinerzeitigen Move meiner Mutter, in der Tierklinik nach erfolgter Nachsorgeuntersuchung einfach ohne zu bezahlen das Gebäude zu verlassen auch nicht beliebig oft wiederholen.

Der Gipfel der Zeitverschwendung ist allerdings das vermehrte Herumtreiben auf Online-Partnerbörsen, obwohl man es ja eigentlich besser weiß. Ich habe es im Rahmen meiner freien Tage trotzdem wieder gemacht. Und diesmal hat es sich sogar gelohnt!

Nicht in dem Sinne, dass sich in der Tat endlich einmal etwas Ernsthaftes anbahnen würde. Aber wenn es eine Frau schafft, mich zu einem Text zu inspirieren, frage ich nicht mehr, ob das von ihr beabsichtigt war oder nicht, sondern tue das, was ein Mann in meiner Situation tun muss. Ich will nicht direkt behaupten, dass ein Blogthema mehr wert ist als ein eventueller freundschaftlicher Kontakt mit Aussicht auf mehr. Aber wenn man miterlebt, wie diese Internetpräsenz ihren originären Zweck, Menschen zusammenzubringen, bei mir in all der Zeit nicht erfüllt hat, möchte ich auch niemanden verurteilen, wenn er so denkt.

Zum Punkt: Grundlage jeder Aktivität auf solchen Plattformen ist ein aussagekräftiges Profil. Oft wird dabei versucht, mittels alternativer Fakten bezüglich Profilbild, sportlicher Aktivitäten, Alter oder Kinderanzahl dem Glück etwas auf die Sprünge zu helfen. Das kann man aber auch weniger ansprechend machen. Dafür ehrlich. In vorliegendem Fall war mein spontaner erster Gedanke, dass man wirklich niemals denken sollte, man habe schon alles gesehen. Die Urheberin hatte offenbar alle ihre Antworten auf verschiedene Fragen gleichzeitig ausgekotzt und danach mit unterschiedlichem Erfolg versucht, Ordnung in diese Buchstabensuppe zu bringen.

Sicher gibt es Fragen, bei denen es ausreicht, wenn sie kurz, dafür präzise mit Ja oder Nein beantwortet werden. Die Frage „Was ist das „gewisse Etwas“, das er/sie haben muss“ gehört nach meiner Auffassung nicht dazu. Mit „Nein“ ist diese Frage in meinen Augen also selbst dann nicht hinreichend beantwortet, wenn ich berücksichtige, dass es im Kontext solcher Fragen eigentlich kein Richtig oder Falsch geben sollte. Ebenfalls originell ihre Antwort auf die Frage „Wie kleiden Sie sich?“: „Einen sexy“ Man merkt, wie sich jemand Gedanken darüber gemacht hat, keine 08/15-Antworten wie alle anderen zu geben, sondern etwas wirklich Originelles. Darauf muss man auch erst einmal kommen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass hier irgendeine Information versucht wird zu unterschlagen.

Alle Karten auf den Tisch legt sie dagegen hier: „Wie gehen Sie mit einer Trennung um?“ – „Wenn es nicht passt ok“ Kurz und bündig, wie es eben ihre Art ist. Dazu ein sachlich-pragmatischer Umgang mit Problemen, bei denen bei anderen Menschen die Bereitschaft zu töten definitiv steigt.

Biete Schreibblockade gegen Schokolade

„Was hätten Sie in Ihrem Leben gerne anders/auf keinen Fall anders gemacht?“

Obwohl ich mich auch häufig umständlich und missverständlich ausdrücke, bilde ich mir ein, dass ich bemerkt hätte, dass die Angabe „Meine 4 jungs“ bei dieser Fragestellung in unterschiedliche Richtungen interpretierbar ist. Ich spüre, wie sich angesichts dieses Ersteindrucks inzwischen einige Schubladen zum Einsortieren geöffnet haben. Weshalb ich als Reaktion auf „Haben Sie bereits jemanden über das Internet persönlich kennengelernt“ schon selbst ergänze: Wird bei solchen Auskünften auch verdammt schwierig werden.

Mein zweiter Gedanke: Um wieviel genau bin ich mit meinen ach so schlauen, wohlüberlegten und wortgewandten Antworten weiter als sie? Ihre tatsächliche Erwiderung ist übrigens mit sechs Wörtern die von ihr am ausführlichsten beantwortete Frage überhaupt: „Nein noch nicht den richtigen gefunden“. Dritter Gedanke: Das wird schon werden. Es gibt in der Männerwelt ausreichend Exemplare, die in ihren Beziehungen keinen gesteigerten Wert darauf legen, auf halbwegs normale Fragen gescheite Antworten von ihrer Partnerin zu erhalten. Da kann man wirklich nicht behaupten, dass es an solchen Frauen keinen Bedarf gäbe. Nach allem, was ich gelesen habe, vermute ich, dass die eher als dürftig zu bezeichnende Art der Kommunikation zu der Entstehung der vier Kinder nicht nur unwesentlich beigetragen hat. Da die weiter oben geöffneten Schubladen nach wie vor weit offen stehen – der Nick „Mami“ tut wahrscheinlich sein übriges dazu, dass diese Frau Männer anzieht, die ihre Rolle als erwachsenes fünftes Kind mit Sicherheit bestens ausfüllen.

Deswegen habe ich ihr eine Nachricht geschrieben.

Habe ich natürlich nicht. Aber ich wollte.

Ich habe mich aber von ihrem schlichten „Ja“ als Antwort auf die entscheidende Frage „Wie möchten Sie in keinem Fall angesprochen/angemailt werden“ abschrecken lassen. Angesichts solcher Sprachfertigkeit, der Fähigkeit, in dieser ungekannten Leichtigkeit mit den Worten zu jonglieren, kam mir mit einem Mal alles, was ich ihr hätte schreiben wollen, so furchtbar trivial vor. Plötzlich war die Schreibblockade da. Dafür hatte ich ein Thema für meinen wöchentlichen Blogeintrag.

Im Grunde also kein schlechter Tausch.

Dass ich sie nicht angeschrieben habe, sondern stattdessen während meines obligatorischen Spaziergangs durch den in Wurfweite meiner Wohnung gelegenen Wetterpark sogar unvermittelt begann, die verschiedenen Typen von Wolken zu studieren – ich werte es ´mal als gutes Zeichen, dass ich noch ganz gut einordnen kann, was echte Zeitverschwendung wäre und was gerade noch so im Rahmen ist.

Sind wir ´mal ehrlich: Allein schon dass ich auf solche Weise zu der Erkenntnis gelangt bin, noch am Leben zu sein, hat den Urlaub gerechtfertigt.

Für Felix Klaus

Normalerweise fallen rund um diesen Anlass Sprüche wie „Daran merkt man, wie alt man ist“. Sieht man darüber hinweg, dass jeder halbwegs normal veranlagte Mensch an ganz anderen Vorgängen merken sollte, wie alt er ist, gäbe es natürlich zuvorderst anzumerken, dass Teilzeitpapas wie ich die Entwicklung ihrer Kinder sowieso im Zeitraffer verfolgen. „Mein Kleiner“ erscheint mir schon seit längerem eine unpassende Anrede, mein Großer. Deine diese Woche erfolgte Einschulung ist ein weiterer Abschnitt, nicht aber der Beginn dieser Entwicklung. Um festzustellen, „wie schnell doch die Zeit vergeht“, brauche ich dieses Datum nicht zwingend.

Aber natürlich ist es ein bedeutsames Ereignis für Dich. Ich will Dir hier ausdrücklich nicht vom Ernst des Lebens erzählen, denn schließlich weiß man mit ein paar Jährchen Vorsprung, dass der Ernst des Lebens erst sehr viel später richtig beginnt. Aber es ist eine Zäsur. Ein Meilenstein, wenn man so will. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass ab dieser Woche die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens beginnt. Es wird sich etwas ändern. Du wirst mehr als bisher spüren, dass Dein Beitrag für eine Gemeinschaft nicht daran gemessen wird, dass Du einfach nur da bist, sondern daran, was Du kannst und was Du weißt. Mit Sicherheit wirst Du bei solchen Beurteilungen das ein oder andere Mal ein diffuses Gefühl bekommen, dass bei diesen Einschätzungen nicht immer alles objektiv ist und gerecht zugeht. Allerdings: Solange Du selbst an Dich glaubst, kann gar nicht so viel passieren!

Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass ein einzelner Absatz dieses Blogeintrags bald mehr Pathos versprüht als ein durchschnittlicher Songtext der Broilers. Ich muss das jetzt trotzdem durchziehen. Weil angefangene Dinge zu einem halbwegs ordentlichen Ende gebracht werden müssen. Was, wenn wir über das Thema Schule sprechen, eine der erste Lektionen ist, die zu lernen wäre.

Denn um Lernen dreht sich das Ganze schließlich. Und hier laueren ja auch schon die ersten Gefahren: Nicht alle Lerninhalte werden Dir gleich gut liegen. Du wirst nicht alles gleich spannend finden. Nicht immer liegt das am Thema an sich, sondern an der Art der Vermittlung. Wenn Du Hilfe dabei brauchst, den Unterschied herauszufinden, werde ich Dir selbstverständlich immer so gut ich kann zur Seite stehen.

Nicht bei allem wird sich Dir der Nutzen des zu Lernenden für Dich selbst oder wenigstens für die Gesellschaft als Ganzes sofort erschließen. Und ja – bei manchem wirst Du Dich Zeit Deines Lebens fragen, warum man Dich in der Schule damit belästigt hat. Das einzige, das ich mir in diesem Zusammenhang wirklich von Dir wünsche, ist eine gewisse Unvoreingenommenheit. Dazu gehört natürlich auch, dass ich es nicht gern höre, wenn Du Deinen älteren Freund zitierst, der Dir vorher schon einredet, Schule sei langweilig. Wenn Du diese Einstellung übernimmst, machst Du Dir selbst das Leben wahrscheinlich schwerer als Dir lieb ist. Vor allem ignoriert diese Einstellung komplett, dass Ihr als Kinder die wichtigste Eigenschaft fürs Lernen immer noch in Euch tragt: Die Neugier nämlich. Glaub´ mir: Auch die wird im weiteren Verlauf Deines Lebens schon noch früh genug nachlassen. Was sowieso schade ist. Umso trauriger fände ich es aber, wenn Du Dich ohne Not jetzt schon frühzeitig ihrer entledigen würdest.

The kids are alright

In diesem Zusammenhang: Auch das ist klar – es kommt früher oder später die Zeit, in der das Urteil Deiner Freunde so oder so relevanter ist als das Deines Vaters. Was dann umgekehrt eine Lektion ist, die vor allem ich dann erst mühsam lernen muss. Da hilft zunächst auch das Wissen darum nicht viel, dass wiederum sehr viel später gelegentlich die Erkenntnis durchscheinen wird, dass nicht alles Mist ist, was Dein alter Herr Dir gesagt hat. Deswegen höre wenigstens in diesem nach wie vor frühen Stadium Deiner Entwicklung auf Deinen Papa.

Neugier und Interesse, das will ich Dir nicht verschweigen, sind aber nur die eine Seite. Mir ist klar, dass Du Dich im Leben häufiger Situationen gegenüber siehst, die es notwendig machen, andere Dinge auszublenden und Dich auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren. Sei es weil eine Prüfung dies erfordert, sei es weil Du ein eigenständiges Interesse an einem Thema entwickelt hast und diesen magischen Moment kennenlernst, wenn eine Sache Dich gepackt hat und Du aus eigenem Antrieb viel tiefer eindringen willst als sämtliche Lehrpläne dieser Welt es erfordern. Bevor Du diesen Punkt erreicht hast: Nimm´ einfach so viel wie möglich auf!

Ich mache mir keine Illusionen: Irgendwann kommt der Tag, an dem Du mich daran erinnerst, dass ich in Bezug auf Motivation nicht direkt jederzeit als leuchtendes Vorbild in Erscheinung getreten bin. Was mich allerdings nicht davon abhalten wird, hier und heute meine Sorge zu äußern, dass Deine Konzentration und Deine Ausdauer momentan noch eher als „ausbaufähig“ bezeichnet werden müssen. Da hege ich aber – zumindest solange ich nicht eines Besseren belehrt werde – leise Hoffnung, dass Dir die Schule durch ihren formalen Ablauf dabei hilft, Dich auch ´mal länger als fünfzehn Minuten mit einem Thema zu beschäftigen. Dass ausgebildete Pädagogen andere Mittel haben und mehr Erfahrung einbringen, um Dir diese Ausdauer beizubringen und den Stoff so aufzubereiten, dass er Euch Spaß macht. Oder dass es vielleicht sogar ohne weiteres Zutun zu größerer Aufmerksamkeit kommt. So wie der Hunger beim Essen. Oder aus Gründen einer Mischung aus vielen Faktoren. Jedenfalls träume ich von mehr Durchhaltevermögen als dem, das ich von Dir kenne, wenn Du Ballons modellieren wolltest wie ich. Wenn Du Tricks für Deine Zaubershow einstudiert hast. Wenn Du Experimente machen wolltest.

Experimente! Was habe ich nicht schon für Dinge zusammensuchen müssen, um Dir Experimente zu ermöglichen, die immer sehr ähnlich aufgebaut sind. Du kippst irgendwas zusammen, meistens ist mindestens ein Bestandteil flüssig. Ein sehr aufschlussreiches Experiment in dieser Hinsicht war: Brausepulver in Wasser auflösen. Weniger bunt: Einen Stein in Wasser legen und warten, was geschieht. Das heißt: Eigentlich hast Du nach etwa einer Minute das Warten aufgegeben und Dich wieder anderen Dingen gewidmet. Nachdem Du bei Deinem nächsten Aufenthalt bei mir zwei Wochen später ebenfalls keine Sekunde Zeit verschwendet hast, Dich für den Fortgang Deines Experiments zu interessieren, habe ich es irgendwann nach sorgfältiger Abwägung von Chancen und Risiken abgebrochen. Eigenmächtig und den Wunsch in mir tragend, Deine Kreativität möchte alsbald durch ein angemessenes Maß an Ausdauer ergänzt werden.

Auf meiner Stichwortliste stehen noch einige Punkte mehr. Aber vielleicht nicht zu viel auf einmal. Trotz des Zeitraffer-Modus´ unserer Beziehung muss nicht alles an einem Tag geklärt werden. Wenn am Ende dieses einen Tages allerdings ein Zwischenfazit gezogen werden sollte, würde es so lauten: Sei als Kind so erwachsen wie nötig. Bleib´ als Erwachsener so viel Kind wie möglich.

Hips don´t lie

Selbst wenn in zwei bis drei Generationen unsere Art zu leben einmal komplett vom Kopf auf die Füße gestellt sein wird, werden nach meiner heutigen Einschätzung zumindest bei der Art, wie hierzulande eine Veranstaltung abzulaufen hat, nach wie vor zwei Dinge prägend sein. Zum einen wird, auch wenn ansonsten 150 Street Food Trucks ihre Gerichte feilbieten und für Abwechslung auf dem Speiseplan sorgen, in irgendeiner Ecke ein ganz profaner, aber stark frequentierter Grill zu finden sein, an dem ganz ordinäre Bratwürste zu erstehen sind, die in aufgeschnittenen Brötchen serviert und mit Senf oder Ketchup aus 10-Liter-Eimern dekoriert werden. Unter Berücksichtigung des Aspekts, dass in spätestens 20 Jahren Fleischfresser in etwa so beliebt sein werden wie heute Raucher, Diesel-Fahrer oder Sachsen beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Die zweite Konstante im Trend-Dschungel: Sobald die Musik aufspielt, muss im Prinzip jederzeit damit gerechnet werden, dass von irgendwoher ein Typ auftaucht, der es vorher geschafft hat, komplett unauffällig zu bleiben, maximal harmlos an seinem Kaltgetränk genuckelt hat, jetzt aber vom ersten Ton an die Hüften schwingt und abgeht, als gäbe es kein Morgen. Die Choreografie erlaubt auch den Versuch akrobatischer Elemante wie Purzelbaum, Spagat oder Dreifach-Toeloop. Die meisten dieser Verrenkungen sehen jedoch eher danach aus, als ob wir gerade erst noch lernen würden, aufrecht zu gehen.

Solche Figuren erinnern mich nicht nur an meinen eigenen Tanzstil, sondern auch und vor allem an das Zappeln vor der Keramik, wenn der Reißverschluss klemmt. Es darf auch niemandem böse Absicht unterstellt werden, wenn er angesichts solcher Darbietungen erst in zweiter Linie überhaupt an Tanzen denkt.

Zwangsläufig erinnern mich solche Gestalten allerdings auch daran, dass ich als Single dem Thema Tanzen etwas aufgeschlossener gegenüber sein sollte. Indessen: Sollte die Vorführung dieser eigenwilligen Moves tatsächlich auch nur bei einem Menschen signifikant zur Steigerung der Paarungsbereitschaft beitragen, braucht sich über den Zustand dieser Gesellschaft ganz offensichtlich niemand mehr wundern. Ich wiederum wundere mich gerade in Fragen menschlichen Balzverhaltens seit einigen Jahren ohnehin schon über so ziemlich gar nichts mehr. Wenn am Ende des Tages solcherlei Zappeln dann wider Erwarten doch zu Sex führen sollte, würde es mich dann andererseits doch wieder wundern. Das Leben ist wohl tatsächlich wie eine Schachtel Pralinen, wie wir alle spätestens seit Forrest Gump wissen. Man weiß nie, was man am Ende bekommt.

Von der anderen Seite aufgerollt wird es nicht unbedingt besser: Wenn zur Steigerung der Paarungsbereitschaft potentieller Kandidatinnen tatsächlich solches Gehampel notwendig sein sollte, steige ich aus dem Genpool besser freiwillig aus. Wenn der Preis für eine langfristige Beziehung oder zumindest eine schnelle Gelegenheit hinter einem Busch die Komplettaufgabe jeglicher Selbstachtung sein sollte – mir persönlich wäre der Preis zu hoch. Folgerichtig appelliere ich an meinen Kumpel, der zwar nicht ganz so fassungslos wie ich, wenigstens aber mit einem zaghaften Schmunzeln im Gesicht die Szenerie beobachtet, die sich uns eines schönen Sonntagnachmittags im Sommer diesen Jahres bietet: „Egal, was passiert – wenn ich irgendwann einmal so ´rumhopse, verpass´ mir eine Schelle, dass ich nicht mehr stehen kann.“

Seine Reaktion auf meine Bitte war voraussehbar. Solange dieser Mensch beim „Tanzen“ seinen Spaß habe, sei es erst ´mal egal, wie scheiße das aussieht.

Die Stimme der Unvernunft

Wenn den Typen nicht stört, wie Hunderte Menschen ihn auslachen, darf er auch seinen Spaß haben. Da habe ich gar nichts dagegen.“

Schnell näherten wir uns dem Punkt, an dem ich darauf hinweisen muss, dass es zwischen „gern tanzen“ und „gut tanzen“ einen Unterschied gibt. Und wenn alle Tänzer dieses Landes sich nur einmal im Leben ihr Tanzen ansehen müssten, um dabei objektiv festzustellen, dass es so geil jetzt auch wieder nicht ist, würde sich die Anzahl der Hobbytänzer schon von selbst auf ein gesundes Maß reduzieren. Übrig blieben die, die es tatsächlich können. Plus die, denen es tatsächlich nichts ausmacht, dabei von allen Seiten belächelt zu werden.

Es geht hier aber außerdem um weit mehr als solche allgemeinen Fragen. Es geht um mich. Das ist wie eine Patientenverfügung. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte erkläre ich Dir hiermit, dass ich nicht beim Tanzen in der Öffentlichkeit gesehen werden will, sollte ich irgendwann einmal in die Verlegenheit kommen, nicht mehr Herr meiner Entscheidungen zu sein. Weil es nicht nur so scheiße aussieht wie bei diesem Patienten dort, sondern noch wesentlich schlimmer, wenn ich tanze. Also schick´ mir ein Klotz, wenn es ´mal so weit kommen sollte. Je weniger ich mich danach bewegen kann, umso besser…“

Da dieses Gespräch nur ungefähr so stattgefunden hat wie hier rekonstruiert, darf man sich gern ab dieser Stelle anstelle meines Kumpels eine Bauchrednerpuppe vorzustellen, die stellvertretend das wiedergibt, was der Puppenspieler denkt, sich aber scheut, selbst auszusprechen. „Jetzt mach´ ´mal einen Punkt! Du warst sieben Jahre verheiratet, würdest es sogar wieder tun, und dann willst ausgerechnet Du mir noch ernsthaft was von ´Herr Deiner Entscheidungen´ erzählen..! Von der Selbstachtung, die Du vorhin als Stichwort in den Ring geworfen hast, will ich erst gar nicht wieder anfangen.“

Der Scharfsinn seiner Argumentation überfordert mein Bedürfnis, mich weiter in das Thema ´reinzusteigern.

Da ich nicht restlos davon überzeugt bin, mich im besten Alter für die Tanzschule zu befinden, würde ich bis auf weiteres bei der Partnerwahl trotzdem eine Nichttänzerin bevorzugen, die sich damit anfreunden kann, dass ich meiner Stimme der Unvernunft schon seit längerem keine Sprechzeiten mehr gewähre.

Auf der Heimfahrt von einem mäßig attraktiven Fest am Ufer der Lahn, bei dem die Live-Musik eindeutig den Ausreißer nach oben darstellte und folgerichtig meinerseits durch ekstatisches Mitwippen begleitet wurde: „Ich hab´s mir überlegt. Du brauchst mich von nichts abhalten, wenn es irgendwann doch einmal so weit sein sollte. Lass´ mich einfach hüpfen“, erkläre ich generös.

Ich kann schließlich nicht zulassen, dass Du anschließend wie der Assi dastehst, der einen anderen ausknockt, bloß weil er bescheuert tanzt.“

Sag´ nochmal jemand, man könne in diesem Land durch Argumente nichts bewegen.

Ob man für diese Erkenntnis bis nach Gießen fahren musste, steht auf einem anderen Blatt.

Eine wahre Geschichte

Es gibt Momente im Leben, in denen es nicht lange dauert, bis sich die Einsicht durchsetzt, gerade eine große Dummheit begangen zu haben. Es fing an wie so oft: Auf dem Nachhauseweg sehr schnell festgestellt, dass ich besser dort, von wo ich vor zwei Minuten losgegangen bin, nochmal aufs Klo gegangen wäre, anstatt nun rund 45 Minuten Heimweg überstehen zu müssen, weil unterwegs auch keine Gelegenheit mehr kommt, sich zu entleeren. Ich rede von Angelegenheiten, die sich ohne Familienpackung Taschentücher eben nicht zur Not auch schnell hinter einem Busch erledigen lassen. Ein amtliches Rumpeln im Mastdarm also.

Es ist natürlich seltsam, dass man sich für eine Dreiviertelstunde Qual entscheidet, obwohl die Option, einfach noch einmal zurückzugehen und das Thema damit vorläufig durch zu haben, so peinlich jetzt auch wieder nicht ist. Aber gut – es wird noch unappetitlich genug, also muss ich die Vorgeschichte des Ganzen nicht noch unnötig aufblähen.

Jedenfalls bin ich irgendwann nach diesen längsten 45 Minuten meines Lebens schweißgebadet, aber ansonsten unbeschadet zuhause angekommen. Jetzt kennt man ja aus Erfahrung, dass man in solchen Fällen in der Tat sehr lange sich zurückzuhalten in der Lage ist. Doch ausgerechnet die Aussicht, dass es ab der Wohnungstür im Prinzip bloß noch eine Sache von Sekunden ist, verschärft die Situation dramatisch. Der Körper folgt dem Geist, heißt es. Nur dass der Körper keine Zeit kennt und also nicht einordnen kann, dass „jetzt gleich“ eben nicht „jetzt sofort“ ist.

Ich weiß nicht, ob es anderen Leuten genauso geht. Vielleicht ist es aber auch ein beruhigendes Zeichen für den Gesamtzustand unserer Gesellschaft, dass über solcherlei Probleme vergleichsweise wenig bekannt ist. Fakt ist allerdings: Für solche Gedanken fehlte mir zwischen Wohnungstür und Schüssel definitiv die Muße. Fakt ist ebenso: Auch ohne Foto-Finish war nur unschwer zu erkennen, dass der Körper dem Geist diesmal eine Nasenlänge voraus war. Ab sofort würde mir niemand mehr vorwerfen können, nur heiße Luft zu produzieren.

Ich erspare mir und Euch an dieser Stelle weitere Details, hatte am Ende die Situation aber wenigstens insoweit bereinigt, dass ich lediglich noch meine nach diesem Malheur nicht mehr blütenweiße Unterhose zu entsorgen hatte. Dann wären auch keine peinlichen Fragen meiner Eltern, mit denen ich zu dieser Zeit noch in dieser Wohnung lebte, zu erwarten.

Wenn ich also die Hose mit nur ein wenig Schwung aus dem Fenster beförderte, würde sie ziemlich sicher im Hof gegenüber landen, das war mir auch ohne tieferes Studium der Ballistik klar. Also: Fenster auf, Hose ´raus, Fenster wieder zu, und die Sache war für mich erledigt.

Zunächst.

Als nämlich am nächsten Morgen das erste, was ich von meiner Mutter hörte, die Frage war, ob ich „eine vollgeschissene Unterhose in den Baum geschmissen“ habe, wurde mir schlagartig klar, dass ich bei meinem Plan ein wie man sieht nicht ganz unbedeutendes Detail offensichtlich nicht angemessen berücksichtigt hatte.

Glücklicherweise ist die Vorstellung, eine Unterhose an einem Baum hängen zu sehen, unabhängig von ihrem Zustand schon skurril genug, zumal wenn sie nicht schon immer dort gehangen hat. Weshalb es nicht besonders verdächtig war, dass ich, obwohl gerade erst aufgewacht, laut loslachte, während ich ganz scheinheilig sagte, das müsse ich mir jetzt sofort ansehen. Siehe da: Tatsächlich hing dort an einem Ast nur unwesentlich niedriger als unsere Fenster im vierten Stock eine Unterhose, die man sich mit ein wenig Phantasie aus der Distanz auch gern als vollgeschissen vorstellen kann.

Nee, Mama, das war ich nicht“, log ich, immer noch am Lachen.

Meine Mutter war Kummer gewohnt zu dieser Zeit, aber das wäre vielleicht doch eine Spur zu hart gewesen. Und ich weiß bis heute noch nicht, worüber ich mich mehr amüsierte:

a) Dass meine Aktion dermaßen in die Hose gegangen war. Von einer „unauffälligen“ Entsorgung konnte jetzt beim besten Willen nicht mehr die Rede sein.

b) dass meine Mutter den Hof, in dem es an und für sich nichts mehr zu entdecken gibt, wenn man erstmal ein paar Jahre dort wohnt, anscheinend doch regelmäßig nach Neuem abscannt.

c) dass sie mich angesichts der erdrückenden Beweislast – alle anderen Erklärungsansätze, wie die Unterhose dort hin gelangt sein könnte, sind ja noch absurder – überhaupt fragt, ob ich das gewesen bin.

Machen wir uns nichts vor: Der Baum war zu dieser Zeit so hoch gewachsen, dass, sofern wir nicht unterstellen, niemand anderes habe versucht, die Hose von unten nach oben in den Baum zu werfen, überhaupt nur wenig andere Personen übrig blieben, als Urheber dieser Angelegenheit verantwortlich zu sein.

Unsere damalige Nachbarin mit ihren 70 Jahren jedenfalls war diesbezüglich auch über jeden Verdacht erhaben. Dass meine Mutter also überhaupt in Erwägung zog, ich könne es NICHT gewesen sein, zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Kinder, wie ihn wohl auch nur Mütter pflegen.

Wie auch immer – über ein Jahr lang wuchs die am Ast hängende Hose mit dem Baum noch weiter in die Höhe und sorgte noch gelegentliche Male für Schmunzeln, wenn ich ´mal wieder zufällig in den Hof schaute, bevor sie dann irgendwann nicht mehr dort hing.

Nochmals etwas später musste dann auch der Baum selbst zugunsten von vier PKW-Stellplätzen weichen. Und sicher hätte mir ein poetisches Ende à la „irgendwann war Gras über die Sache gewachsen“ auch besser gefallen, aber das Leben war damals schon kein Wunschkonzert. Ein – wenn auch schwacher – Trost ist der Gedanke, dass sich in diesem Haus offenbar niemand noch über irgendetwas wunderte.

Das war dann die wörtliche Umsetzung meines damaligen Lebensmottos: Nicht alles, was ich mache, ist scheiße. Aber vieles.

Zum Sommeranfang

In einer Welt mit wenig Sicher- und umso mehr Ungewissheiten wirkt es beinahe erlösend, zu einem Sachverhalt auch ´mal vermelden zu können: Das steht unumstößlich fest. Kann man Ende Juni vielleicht nicht sicher sagen, wie es mit dem Sommer weitergehen soll, kann man eines aber nämlich sehr sicher feststellen: Meine angestrebte Bikinifigur werde ich diesen Sommer wohl eher nicht realisieren.

Jetzt ist es ja nicht so, dass ich erst vor vier Wochen angefangen hätte mit dem Versuch, das umzusetzen und mich jetzt wundere, dass mir die Zeit wegläuft. Genau genommen arbeite ich seit zwei Jahren an meiner Bikinifigur. Es funktioniert nur einfach nicht. Und wie viele andere bin ich froh, in der Zwischenzeit wenigstens nicht weiter zuzunehmen. Normalerweise kenne ich Abnehmen so: Es beginnt mit dem Vorsatz, 10 Kilo abnehmen zu wollen. 10 Tage später: Nur noch 8 Kilo. Wenn das so weitergeht… Sechs Wochen später: Nur noch 12 Kilo. Frust. So viel Schokolade habe ich gar nicht vorrätig, wie ich meinem Körper zuführen möchte, um die Serotonin-Produktion nachhaltig anzukurbeln.

Angesichts eines solchen Befundes wünsche ich mir regelmäßig meine Kindheit zurück. Nicht weil ich da dünner war. Im Gegenteil war ich da richtig dick. Aber man machte mir Hoffnung, man könne abnehmen, wenn man wächst. Abnehmen ohne etwas dafür tun zu müssen – ein Traum!

Nachdem sich geklärt hatte, dass dieser Traum sich tendenziell nicht bewahrheitet, redeten gute Freunde mir stattdessen die Legende mit den schweren Knochen ein, die für mein Übergewicht verantwortlich seien und nicht etwa der Ranzen, den ich vor mir hertrug. Weniger empathische Klassenkameraden erkannten derweil das riesige Potential des Themas, mich relativ zielsicher auf die Palme zu bringen. Die Lehrer waren ebenfalls unwahrscheinlich sensibel und ignorierten das Thema komplett. Jedenfalls diejenigen unter ihnen, die nicht für Sportunterricht zuständig waren. Wie sollten sie auch ahnen, dass man Jahre später solcherlei Beleidigungen als Mobbing einstufen würde anstatt die durch sie ausgelösten körperlichen Auseinandersetzungen als Rangordnungskämpfe abzutun?

So ändern sich die Zeiten, nicht aber die Probleme. Ich war zwischenzeitlich auch ´mal dünn, aber der Zielkonflikt ist bis heute geblieben: Abnehmen oder gute Laune.

Weil sich nicht nur die Zeiten ändern, sondern auch der Erfahrungshorizont, hat man gelernt, die ganze Angelegenheit gelassener zu betrachten: Zum einen weiß man inzwischen, dass die Ursache für die Übellaunigkeit meistens nicht in einem schlechten Charakter zu suchen ist, sondern einfach nur im Hunger. Zum anderen hinterlässt auch die Erfahrung Spuren, dass einige Frauen regelmäßig alle paar Wochen die eigene Gereiztheit um ein Vielfaches übertreffen. Selbst wenn ich nach einiger Zeit begriff, dass sie dies doch nicht ohne jeglichen Anlass tun, wie ich zunächst vermutete, relativiert das viele der eigenen Unzulänglichkeiten.

Du bist nicht Du, wenn Du hungrig bist

Dass nicht einmal ich ich bin, wenn ich hungrig bin, könnte ein Grund sein, weshalb ich an manchen Tagen auf der Arbeit grundsätzlich nicht ansprechbar bin. Wenn mir nämlich ein Kollege zuerst eine Handvoll Gummibären überlässt und mich erst danach darüber unterrichtet, was nun schon wieder schiefgelaufen ist, sehe ich die Welt schon wieder in anderen Farben.

Entsprechend undankbar wirkte dann, dass ich eines Tages Schokolade und andere Nervennahrung komplett aus dem Lager verbannen musste. Obwohl meine ausufernden figürlichen Probleme nicht der Grund für diese Maßnahme gewesen sind, bin ich ganz froh, dass das Teufelszeug inzwischen außer Reichweite ist. Vor kurzem durfte ich auch erfahren, warum:

Und zwar beansprucht die Lösung kniffliger Aufgaben die gleichen Hirnareale, die üblicherweise zur Selbstbeherrschung benutzt werden. Wenn ich also unwillkürlich immer wieder meine Griffel im Regal mit unseren Naschsachen wiederfand, kann das nur bedeuten, dass meine Ressourcen permanent überfordert sind, weil ich praktisch ständig anspruchsvolle Tätigkeiten verrichte. Im Schönreden steht diese These dem erwähnten Märchen vom schweren Knochenbau in nichts nach. Trotzdem sehe ich die dünnsten und also offenbar diszipliniertesten unserer Aushilfen in einem etwas anderen Licht, seit ich davon gelesen habe.

Es soll natürlich nicht unterschlagen werden, dass es in der Tat Menschen gibt, die sich aus Keksen, Schokolade und Fruchtgummi nichts machen. Es fällt mir zwar schwer, das zu begreifen, aber in meinem tiefsten Innern habe ich sehr großen Respekt vor diesen Leuten.

Weniger bis gar keinen Respekt habe ich vor denjenigen, die lediglich im Sommer keine Schokolade essen.

Wahrscheinlich essen die auch im Winter kein Eis.

Es soll ja nicht darum gehen, sich bei 30 Grad Celsius einen heißen Kakao zu gönnen. Das fände vermutlich selbst ich unangemessen. (Heißer Apfelwein wiederum geht. Beziehungsweise ging. Aber der geht – beziehungsweise ging – ja auch bei Krankheit und in Kombination mit Antibiotika.) Und ich rede auch nicht von einem Schokoriegel, der im Sommer im Auto vergessen wurde und der deswegen komplett flüssig war und beim Verfestigen eine andere Form und dazu eine weiße Oberfläche angenommen hat. Das brauche ich auch nicht. Zumindest nicht, solange Alternativen vorhanden sind. Aber wir schreiben das Jahr 2018. Unsere Wohnungen sind smart, wir haben Kühlschränke, Ventilatoren und Klimaanlagen. Wir sind der Hitze also nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Nichts spricht demnach dagegen, auch im Sommer seinem Bedürfnis nach Schokolade nachzugeben, so es denn vorhanden sein sollte.

So wie ich das alles schreibe, geht mir allerdings allmählich ein Licht auf, wieso es bei mir mit der Bikinifigur seit Jahren nicht funktioniert.

Späte Einsichten

Es kommt nicht über Nacht, aber irgendwann ertappt man sich selbst bei dem Gedanken, beim letzten Rock-Konzert „für den Sitzplatz eigentlich ganz dankbar“ gewesen zu sein. Und hatte man nicht überdies beim selben Ereignis die saubere Toilette zu schätzen gewusst?

Es ist ja nicht so, dass es überhaupt keine Warnhinweise gegeben hätte. Angefangen beim ganz normalen Menschenverstand, dass nicht immer alles so bleiben kann wie es gerade ist. Fortgesetzt bei den Abenden, an denen eine Verabredung fürs Kino bedeutete: Wir gehen ins Kino und anschließend heim und nicht mehr wie früher anschließend in die Kneipe, um bis bis zum Zapfenstreich über den Film, über Gott und über die Welt zu sinnieren. Nicht zuletzt durch das Vorbild älterer Mitmenschen. Nichts, aber auch gar nichts gab berechtigten Anlass zu der Annahme, dass unsere Entwicklung völlig anders verläuft.

Halten wir fest: Wir brauchen inzwischen vier ganze Tage zum Regenerieren von einer Party, obwohl wir dort weder gesoffen haben noch von dort zu Zeiten nach Hause gekommen sind, zu denen bereits die Vögel gezwitschert hätten. Wenn wir Zelten gehen, nächtigen wir entweder nicht mehr in Zelten, sondern Wohnwägen, oder wir haben zwei Wochen Schmerzen in Körperregionen, die wir vorher nicht einmal kannten. Und wir sind uns nicht zu blöd, zu behaupten, wir seien „im besten Alter“. Die Evolution mag uns keine ewig jungen Körper bereitgestellt haben, aber wenn der Ersatz dafür diese spezielle Form von Humor ist, kann ich damit ganz gut leben.

Doch wann ist das überhaupt, dieses „beste Alter“? Meistens ist es doch so: Eigentlich weiß man, dass man älter als der Durchschnitt ist. Wenn man diese Tatsache verleugnet, wird man durch seinen Körper unsanft darauf aufmerksam gemacht. Oder durch Freunde. Sobald man sich nämlich gegenseitig versichert, dass man jung aussehe, darf man sich sicher sein, dass man alt ist oder zumindest alt wird. Um sich das dann immer noch nicht eingestehen zu müssen, redet man sich das mit dem besten Alter ein. Weil alt eben auch immer diesen Touch von unbrauchbar hat. Dabei hat man doch gerade erst die Betriebstemperatur erreicht. Und nach wie vor vermag kaum jemand ernsthaft zu sagen, in welchem Alter das beste Alter ist. Es scheint sinnvoll, zu differenzieren und zunächst einmal eine Gegenfrage zu formulieren, die nur lauten kann: Im besten Alter wofür?

Wie weiter oben bereits dargelegt, ist für Feiern, Konzerte oder Zelten das Verfallsdatum mit Mitte 40 bereits überschritten. Was – wie bei Lebensmitteln auch – ja nicht heißt, dass es ab sofort ungenießbar geworden wäre. Man braucht sich umgekehrt aber nicht wundern, wenn es ´mal unangenehme Nebenwirkungen verursacht.

Da man problemlos weitere Bereiche finden kann, wofür mit 40 oder mehr Jahren die beste Zeit schon vorbei ist, man denke nur an körperliche Betätigungen wie Sport, Sex oder Arbeit, muss also das beste Alter früher sein.

Es ist zwar leicht deprimierend, aber offenbar ist mein bestes Alter irgendwie an mir vorbeigerauscht, ohne dass ich es überhaupt bemerkt hätte. Denn wenn man auf der Suche danach überhaupt von irgendjemandem eine natürliche Zahl genannt bekommt, dann sind das Werte knapp unter 40.

War´s das dann etwa schon?

Man kann eigentlich nur mutmaßen, womit das zusammenhängt. Es wird mit Sicherheit etwas damit zu tun haben, dass in diesem Alter bei der überwältigenden Mehrheit elementare Weichenstellungen für das weitere Leben erfolgt sind. Man hat sich eingerichtet. Wörtlich und übertragen. Vielleicht gibt es tatsächlich ein Alter, ab dem es peinlich wird, wenn man immer noch von „Projekten“ fabuliert, die nicht Familie oder Karriere sind. Das Positive daran wäre immerhin die Erkenntnis, dass die Phase Jugend am Ende womöglich doch nicht ungestraft bis ins Unendliche ausgedehnt werden darf. Das war es dann aber auch schon wieder. Das Ärgerliche daran ist doch nicht nur, dass in diesem vermeintlich besten Alter täglich die Komfortzone schon am Morgen grüßt. Theoretisch ist noch so viel möglich, aber praktisch: Warum, wenn es doch gerade beginnt, schön zu werden? Das Hauptärgernis allerdings: Ausgerechnet dann, wenn man sich im besten Alter wähnt, also alle diese Geschichten mit Job, Familie, Eigenheim etc. ansatzweise gut gemanagt hat, setzt das Gespür dafür ein, dass ein ganzes Lebensgefühl unwiederbringlich abhanden gekommen ist. Schlimmer ist im Prinzip nur, dass besagtes Lebensgefühl auch wegbleibt, wenn man wie ich diese Dinge eher suboptimal umgesetzt hat. Das schließt nicht aus, dass man sich gelegentlich trotzig widersetzt und sich und anderen beweisen will, dass man immer noch so richtig Unvernünftiges tun kann. Zu Risiken und Nebenwirkungen lest aber noch einmal die ersten drei Absätze dieses Textes.

Eigentlich nicht zu fassen, dass tatsächlich jemand bei vollem Bewusstsein begreift, was geschieht, und sich trotzdem im besten Alter verortet. Und: Es wird nicht plausibler, je häufiger man drüber nachdenkt. Eher verfestigt sich im Gegenteil die Ahnung, dass die beste Zeit vorher sein muss. Am Ende läuft es womöglich doch wieder auf die Jugend hinaus. Man hätte es – wie meistens – ahnen können. Man hat es gesagt bekommen von älteren Bekannten. „Genieße die Zeit! So viele Gelegenheiten wirst Du später im Leben nicht mehr bekommen.“ Hätten diese älteren Herrschaften nicht sonst überwiegend Stuss von sich gegeben – man hätte es wahrscheinlich besser einordnen können.

Ich kann nicht behaupten, dass mich diese Erkenntnisse beruhigen.

Weil mir umgekehrt aber auch niemand gesagt hat, dass später alles so richtig scheiße wird, besteht vielleicht noch Hoffnung. Keine große, sondern gerade so viel, dass dieser Text seine Leser nicht komplett deprimiert hinterlässt. Unter Umständen hat ja jeder Mensch sein persönliches bestes Alter. Da niemand genau sagen kann, was kommt, kann mir auch keiner widersprechen, wenn ich behaupte, meine beste Zeit kommt erst noch.

„Lebe nicht 75mal das selbe Jahr und nenne es dann Leben“

Dieser schöne Spruch hat es irgendwann einmal geschafft, mich so zu beeindrucken, dass ich ihn in meine Ideen-Datei aufgenommen habe, um ihn zu gegebener Zeit in einem möglichst geistreichen Blogeintrag unterzubringen. Ob der folgende Text jetzt besonders gehaltvoll ist, mag ein jeder für sich entscheiden, aber zumindest die Einleitung steht schon einmal. Und klingt auch nicht ganz schlecht.

Genau damit fangen die Probleme dann allerdings an. Sollte ein Sinnspruch wie dieser wirklich allein an seinem Klang gemessen werden? Oder nicht doch eher daran, wie die Umsetzung im Alltag gelingt? Dieser Herausforderung freilich muss sich dieser Spruch keineswegs allein stellen. Hunderte andere Weisheiten stehen vor ähnlichen Dilemmata. So zum Beispiel auch der folgende, den ich mir seit etwa zwei Jahren zum Leitspruch gemacht habe:

Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag“

Wenn auch der Erfolg des Ganzen bis jetzt nur so mittelmäßig ist, wie ich zugeben muss, bleibt immerhin positiv zu vermerken, dass ich überhaupt das erste Mal im Leben über solche Dinge nachgedacht habe. Bestimmt habe ich auch zu früheren Zeiten schon ein Leitmotiv gehabt. Wahrscheinlich sogar mehrere gleichzeitig. Bewusst gemacht und mit schön ausformulierten Zitaten in Stein gemeißelt hatte ich sie mir jedoch nicht. Was ja auch nicht schlimm ist. Ich habe ja trotzdem überlebt. Bis heute fehlte es allerdings an einer Aufarbeitung, was in welchem Alter mein Lebensmotto gewesen sein könnte. Überschneidungen mit den Mottos anderer Menschen im gleichen Alter sind nicht beabsichtigt, werden aber gern in Kauf genommen.

Hauptsache, es ist Zucker drin“

Genau so wie man sich ein Kind vorstellt, das nach dieser Maxime verfährt, habe ich dann auch ausgesehen. Da ich nicht weiß, wie weit die Phantasie der Leser reicht, habe ich eventuell auch noch schlimmer ausgesehen. Damit wäre die Kindheit aber auch schon erzählt. Später ergänzte ich meine ernährungstechnischen Leitsätze noch um „Hauptsache Maggi dran“ oder – bis heute übrigens – „Hauptsache Pommes dabei“.

Dank des sinnlosesten aller Lebensabschnitte wurde mein Repertoire an lebensphilosophischen Grundeinstellungen bald ergänzt um den weisen Ausspruch „Einen Scheiß muss ich!“ Weshalb man sich in der Pubertät trotzdem so ungeheuer reif fühlt, hat auch noch niemand gescheit beantworten können. Trotz allem eine spannende Zeit mit den mutmaßlich häufigsten Wechseln meiner Lebensmottos.

Anders als vorgesehen und von meinen Eltern erhofft, wurde es nach den Flegeljahren nicht besser. Am treffendsten beschreibt die darauf folgende Phase wahrscheinlich der Spruch

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt´s sich völlig ungeniert“

Dieser sowie weitere Sprüche, nach denen wir als angehende Erwachsene lebten, gab es nirgends als Wandtattoo zu kaufen. Brauchten wir auch nicht, wir haben das in Türkis und Hellblau an Wände gesprüht. Nicht nur an die eigenen übrigens. Aber das wäre ein anderer Blogeintrag.

Irgendwann in dieser Pöbel- und Provozier-Phase liefen dann etliche mit T-Shirts herum, auf denen „Träume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum“ stand. Weil man über den Tellerrand der eigenen Szene nur höchst selten blickte, ahnte niemand, dass dieses Motto so was von Konsens war, dass ein Karrierist ihn mit der gleichen Berechtigung verwenden würde wie wir. Die Esoteriker sowieso. Haben halt andere Träume. Individuell geht auf jeden Fall anders. Oder ging es darum schon gar nicht mehr?

Ganz grundsätzlich sollte natürlich jedes Leitmotiv mit Leben gefüllt werden. Vom Sprüche-Aufsagen allein ist noch niemand eine bessere Version seiner selbst geworden. Wenn sie im Praxistest versagen, können diese Sätze noch so toll klingen und Wände und Kalender zieren. Zwischen YOLO und Gar-nichts-auf-die-Kette-bekommen ist nur ein relativ schmaler Grat.

Zumal die Sprüche heutzutage ja inflationär gebraucht werden, es auf der anderen Seite aber nur etwa 25 wirklich gute Zitate gibt, besteht zumindest die Gefahr, dass die Dinger auf solche Weise etwas werden, das sie in ihrer ursprünglichen Absicht nie werden sollten: Oberflächlich.

Zurück zum Wesentlichen – also zu mir. In der Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich irgendwann tatsächlich auf ein Leitmotiv gestoßen, das mein Leben nicht nur eine kurze Phase lang geprägt hat. Kurz war allenfalls der Abschnitt meines Lebens, in dem ich diesen Leitgedanken durch übertriebenen Konsum alkoholhaltiger Erfrischungsgetränke vorsätzlich außer Kraft gesetzt habe. Man müsste es nur in ein wohlklingendes Zitat übersetzen, weil

Erst denken, dann reden“

jetzt gerade nicht so geil klingt, dass es sich irgendjemand auf den Unterarm tätowieren würde. Falls sich doch irgendwo auf dieser Erdkugel jemand mit exakt diesem schnörkellosen Spruch unter der Haut befindet, so würde ich ihn gerne einfach nur kennenlernen. Und beglückwünschen zu dieser Entscheidung. Das ist wenigstens ´mal eine Aussage. Als Tattoo potentiell lebenslang. Obwohl das Leben lang ist und sich, wie hier gesehen, ein Lebensmotto auch schon nochmal ändern darf.

Je älter man wird, umso stärker reduziert sich jegliche Lebensphilosophie sowieso auf „Hauptsache gesund“. Dafür, dass wir irgendwann einmal mit „Hauptsache, Zucker drin“ gestartet sind, hat sich also im Laufe der Jahre am Ende doch mehr geändert als eigentlich erwartet.

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