Es kommt nicht über Nacht, aber irgendwann ertappt man sich selbst bei dem Gedanken, beim letzten Rock-Konzert „für den Sitzplatz eigentlich ganz dankbar“ gewesen zu sein. Und hatte man nicht überdies beim selben Ereignis die saubere Toilette zu schätzen gewusst?

Es ist ja nicht so, dass es überhaupt keine Warnhinweise gegeben hätte. Angefangen beim ganz normalen Menschenverstand, dass nicht immer alles so bleiben kann wie es gerade ist. Fortgesetzt bei den Abenden, an denen eine Verabredung fürs Kino bedeutete: Wir gehen ins Kino und anschließend heim und nicht mehr wie früher anschließend in die Kneipe, um bis bis zum Zapfenstreich über den Film, über Gott und über die Welt zu sinnieren. Nicht zuletzt durch das Vorbild älterer Mitmenschen. Nichts, aber auch gar nichts gab berechtigten Anlass zu der Annahme, dass unsere Entwicklung völlig anders verläuft.

Halten wir fest: Wir brauchen inzwischen vier ganze Tage zum Regenerieren von einer Party, obwohl wir dort weder gesoffen haben noch von dort zu Zeiten nach Hause gekommen sind, zu denen bereits die Vögel gezwitschert hätten. Wenn wir Zelten gehen, nächtigen wir entweder nicht mehr in Zelten, sondern Wohnwägen, oder wir haben zwei Wochen Schmerzen in Körperregionen, die wir vorher nicht einmal kannten. Und wir sind uns nicht zu blöd, zu behaupten, wir seien „im besten Alter“. Die Evolution mag uns keine ewig jungen Körper bereitgestellt haben, aber wenn der Ersatz dafür diese spezielle Form von Humor ist, kann ich damit ganz gut leben.

Doch wann ist das überhaupt, dieses „beste Alter“? Meistens ist es doch so: Eigentlich weiß man, dass man älter als der Durchschnitt ist. Wenn man diese Tatsache verleugnet, wird man durch seinen Körper unsanft darauf aufmerksam gemacht. Oder durch Freunde. Sobald man sich nämlich gegenseitig versichert, dass man jung aussehe, darf man sich sicher sein, dass man alt ist oder zumindest alt wird. Um sich das dann immer noch nicht eingestehen zu müssen, redet man sich das mit dem besten Alter ein. Weil alt eben auch immer diesen Touch von unbrauchbar hat. Dabei hat man doch gerade erst die Betriebstemperatur erreicht. Und nach wie vor vermag kaum jemand ernsthaft zu sagen, in welchem Alter das beste Alter ist. Es scheint sinnvoll, zu differenzieren und zunächst einmal eine Gegenfrage zu formulieren, die nur lauten kann: Im besten Alter wofür?

Wie weiter oben bereits dargelegt, ist für Feiern, Konzerte oder Zelten das Verfallsdatum mit Mitte 40 bereits überschritten. Was – wie bei Lebensmitteln auch – ja nicht heißt, dass es ab sofort ungenießbar geworden wäre. Man braucht sich umgekehrt aber nicht wundern, wenn es ´mal unangenehme Nebenwirkungen verursacht.

Da man problemlos weitere Bereiche finden kann, wofür mit 40 oder mehr Jahren die beste Zeit schon vorbei ist, man denke nur an körperliche Betätigungen wie Sport, Sex oder Arbeit, muss also das beste Alter früher sein.

Es ist zwar leicht deprimierend, aber offenbar ist mein bestes Alter irgendwie an mir vorbeigerauscht, ohne dass ich es überhaupt bemerkt hätte. Denn wenn man auf der Suche danach überhaupt von irgendjemandem eine natürliche Zahl genannt bekommt, dann sind das Werte knapp unter 40.

War´s das dann etwa schon?

Man kann eigentlich nur mutmaßen, womit das zusammenhängt. Es wird mit Sicherheit etwas damit zu tun haben, dass in diesem Alter bei der überwältigenden Mehrheit elementare Weichenstellungen für das weitere Leben erfolgt sind. Man hat sich eingerichtet. Wörtlich und übertragen. Vielleicht gibt es tatsächlich ein Alter, ab dem es peinlich wird, wenn man immer noch von „Projekten“ fabuliert, die nicht Familie oder Karriere sind. Das Positive daran wäre immerhin die Erkenntnis, dass die Phase Jugend am Ende womöglich doch nicht ungestraft bis ins Unendliche ausgedehnt werden darf. Das war es dann aber auch schon wieder. Das Ärgerliche daran ist doch nicht nur, dass in diesem vermeintlich besten Alter täglich die Komfortzone schon am Morgen grüßt. Theoretisch ist noch so viel möglich, aber praktisch: Warum, wenn es doch gerade beginnt, schön zu werden? Das Hauptärgernis allerdings: Ausgerechnet dann, wenn man sich im besten Alter wähnt, also alle diese Geschichten mit Job, Familie, Eigenheim etc. ansatzweise gut gemanagt hat, setzt das Gespür dafür ein, dass ein ganzes Lebensgefühl unwiederbringlich abhanden gekommen ist. Schlimmer ist im Prinzip nur, dass besagtes Lebensgefühl auch wegbleibt, wenn man wie ich diese Dinge eher suboptimal umgesetzt hat. Das schließt nicht aus, dass man sich gelegentlich trotzig widersetzt und sich und anderen beweisen will, dass man immer noch so richtig Unvernünftiges tun kann. Zu Risiken und Nebenwirkungen lest aber noch einmal die ersten drei Absätze dieses Textes.

Eigentlich nicht zu fassen, dass tatsächlich jemand bei vollem Bewusstsein begreift, was geschieht, und sich trotzdem im besten Alter verortet. Und: Es wird nicht plausibler, je häufiger man drüber nachdenkt. Eher verfestigt sich im Gegenteil die Ahnung, dass die beste Zeit vorher sein muss. Am Ende läuft es womöglich doch wieder auf die Jugend hinaus. Man hätte es – wie meistens – ahnen können. Man hat es gesagt bekommen von älteren Bekannten. „Genieße die Zeit! So viele Gelegenheiten wirst Du später im Leben nicht mehr bekommen.“ Hätten diese älteren Herrschaften nicht sonst überwiegend Stuss von sich gegeben – man hätte es wahrscheinlich besser einordnen können.

Ich kann nicht behaupten, dass mich diese Erkenntnisse beruhigen.

Weil mir umgekehrt aber auch niemand gesagt hat, dass später alles so richtig scheiße wird, besteht vielleicht noch Hoffnung. Keine große, sondern gerade so viel, dass dieser Text seine Leser nicht komplett deprimiert hinterlässt. Unter Umständen hat ja jeder Mensch sein persönliches bestes Alter. Da niemand genau sagen kann, was kommt, kann mir auch keiner widersprechen, wenn ich behaupte, meine beste Zeit kommt erst noch.