Es gibt Momente im Leben, in denen es nicht lange dauert, bis sich die Einsicht durchsetzt, gerade eine große Dummheit begangen zu haben. Es fing an wie so oft: Auf dem Nachhauseweg sehr schnell festgestellt, dass ich besser dort, von wo ich vor zwei Minuten losgegangen bin, nochmal aufs Klo gegangen wäre, anstatt nun rund 45 Minuten Heimweg überstehen zu müssen, weil unterwegs auch keine Gelegenheit mehr kommt, sich zu entleeren. Ich rede von Angelegenheiten, die sich ohne Familienpackung Taschentücher eben nicht zur Not auch schnell hinter einem Busch erledigen lassen. Ein amtliches Rumpeln im Mastdarm also.
Es ist natürlich seltsam, dass man sich für eine Dreiviertelstunde Qual entscheidet, obwohl die Option, einfach noch einmal zurückzugehen und das Thema damit vorläufig durch zu haben, so peinlich jetzt auch wieder nicht ist. Aber gut – es wird noch unappetitlich genug, also muss ich die Vorgeschichte des Ganzen nicht noch unnötig aufblähen.
Jedenfalls bin ich irgendwann nach diesen längsten 45 Minuten meines Lebens schweißgebadet, aber ansonsten unbeschadet zuhause angekommen. Jetzt kennt man ja aus Erfahrung, dass man in solchen Fällen in der Tat sehr lange sich zurückzuhalten in der Lage ist. Doch ausgerechnet die Aussicht, dass es ab der Wohnungstür im Prinzip bloß noch eine Sache von Sekunden ist, verschärft die Situation dramatisch. Der Körper folgt dem Geist, heißt es. Nur dass der Körper keine Zeit kennt und also nicht einordnen kann, dass „jetzt gleich“ eben nicht „jetzt sofort“ ist.
Ich weiß nicht, ob es anderen Leuten genauso geht. Vielleicht ist es aber auch ein beruhigendes Zeichen für den Gesamtzustand unserer Gesellschaft, dass über solcherlei Probleme vergleichsweise wenig bekannt ist. Fakt ist allerdings: Für solche Gedanken fehlte mir zwischen Wohnungstür und Schüssel definitiv die Muße. Fakt ist ebenso: Auch ohne Foto-Finish war nur unschwer zu erkennen, dass der Körper dem Geist diesmal eine Nasenlänge voraus war. Ab sofort würde mir niemand mehr vorwerfen können, nur heiße Luft zu produzieren.
Ich erspare mir und Euch an dieser Stelle weitere Details, hatte am Ende die Situation aber wenigstens insoweit bereinigt, dass ich lediglich noch meine nach diesem Malheur nicht mehr blütenweiße Unterhose zu entsorgen hatte. Dann wären auch keine peinlichen Fragen meiner Eltern, mit denen ich zu dieser Zeit noch in dieser Wohnung lebte, zu erwarten.
Wenn ich also die Hose mit nur ein wenig Schwung aus dem Fenster beförderte, würde sie ziemlich sicher im Hof gegenüber landen, das war mir auch ohne tieferes Studium der Ballistik klar. Also: Fenster auf, Hose ´raus, Fenster wieder zu, und die Sache war für mich erledigt.
Zunächst.
Als nämlich am nächsten Morgen das erste, was ich von meiner Mutter hörte, die Frage war, ob ich „eine vollgeschissene Unterhose in den Baum geschmissen“ habe, wurde mir schlagartig klar, dass ich bei meinem Plan ein wie man sieht nicht ganz unbedeutendes Detail offensichtlich nicht angemessen berücksichtigt hatte.
Glücklicherweise ist die Vorstellung, eine Unterhose an einem Baum hängen zu sehen, unabhängig von ihrem Zustand schon skurril genug, zumal wenn sie nicht schon immer dort gehangen hat. Weshalb es nicht besonders verdächtig war, dass ich, obwohl gerade erst aufgewacht, laut loslachte, während ich ganz scheinheilig sagte, das müsse ich mir jetzt sofort ansehen. Siehe da: Tatsächlich hing dort an einem Ast nur unwesentlich niedriger als unsere Fenster im vierten Stock eine Unterhose, die man sich mit ein wenig Phantasie aus der Distanz auch gern als vollgeschissen vorstellen kann.
„Nee, Mama, das war ich nicht“, log ich, immer noch am Lachen.
Meine Mutter war Kummer gewohnt zu dieser Zeit, aber das wäre vielleicht doch eine Spur zu hart gewesen. Und ich weiß bis heute noch nicht, worüber ich mich mehr amüsierte:
a) Dass meine Aktion dermaßen in die Hose gegangen war. Von einer „unauffälligen“ Entsorgung konnte jetzt beim besten Willen nicht mehr die Rede sein.
b) dass meine Mutter den Hof, in dem es an und für sich nichts mehr zu entdecken gibt, wenn man erstmal ein paar Jahre dort wohnt, anscheinend doch regelmäßig nach Neuem abscannt.
c) dass sie mich angesichts der erdrückenden Beweislast – alle anderen Erklärungsansätze, wie die Unterhose dort hin gelangt sein könnte, sind ja noch absurder – überhaupt fragt, ob ich das gewesen bin.
Machen wir uns nichts vor: Der Baum war zu dieser Zeit so hoch gewachsen, dass, sofern wir nicht unterstellen, niemand anderes habe versucht, die Hose von unten nach oben in den Baum zu werfen, überhaupt nur wenig andere Personen übrig blieben, als Urheber dieser Angelegenheit verantwortlich zu sein.
Unsere damalige Nachbarin mit ihren 70 Jahren jedenfalls war diesbezüglich auch über jeden Verdacht erhaben. Dass meine Mutter also überhaupt in Erwägung zog, ich könne es NICHT gewesen sein, zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Kinder, wie ihn wohl auch nur Mütter pflegen.
Wie auch immer – über ein Jahr lang wuchs die am Ast hängende Hose mit dem Baum noch weiter in die Höhe und sorgte noch gelegentliche Male für Schmunzeln, wenn ich ´mal wieder zufällig in den Hof schaute, bevor sie dann irgendwann nicht mehr dort hing.
Nochmals etwas später musste dann auch der Baum selbst zugunsten von vier PKW-Stellplätzen weichen. Und sicher hätte mir ein poetisches Ende à la „irgendwann war Gras über die Sache gewachsen“ auch besser gefallen, aber das Leben war damals schon kein Wunschkonzert. Ein – wenn auch schwacher – Trost ist der Gedanke, dass sich in diesem Haus offenbar niemand noch über irgendetwas wunderte.
Das war dann die wörtliche Umsetzung meines damaligen Lebensmottos: Nicht alles, was ich mache, ist scheiße. Aber vieles.
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