Normalerweise fallen rund um diesen Anlass Sprüche wie „Daran merkt man, wie alt man ist“. Sieht man darüber hinweg, dass jeder halbwegs normal veranlagte Mensch an ganz anderen Vorgängen merken sollte, wie alt er ist, gäbe es natürlich zuvorderst anzumerken, dass Teilzeitpapas wie ich die Entwicklung ihrer Kinder sowieso im Zeitraffer verfolgen. „Mein Kleiner“ erscheint mir schon seit längerem eine unpassende Anrede, mein Großer. Deine diese Woche erfolgte Einschulung ist ein weiterer Abschnitt, nicht aber der Beginn dieser Entwicklung. Um festzustellen, „wie schnell doch die Zeit vergeht“, brauche ich dieses Datum nicht zwingend.

Aber natürlich ist es ein bedeutsames Ereignis für Dich. Ich will Dir hier ausdrücklich nicht vom Ernst des Lebens erzählen, denn schließlich weiß man mit ein paar Jährchen Vorsprung, dass der Ernst des Lebens erst sehr viel später richtig beginnt. Aber es ist eine Zäsur. Ein Meilenstein, wenn man so will. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass ab dieser Woche die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens beginnt. Es wird sich etwas ändern. Du wirst mehr als bisher spüren, dass Dein Beitrag für eine Gemeinschaft nicht daran gemessen wird, dass Du einfach nur da bist, sondern daran, was Du kannst und was Du weißt. Mit Sicherheit wirst Du bei solchen Beurteilungen das ein oder andere Mal ein diffuses Gefühl bekommen, dass bei diesen Einschätzungen nicht immer alles objektiv ist und gerecht zugeht. Allerdings: Solange Du selbst an Dich glaubst, kann gar nicht so viel passieren!

Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass ein einzelner Absatz dieses Blogeintrags bald mehr Pathos versprüht als ein durchschnittlicher Songtext der Broilers. Ich muss das jetzt trotzdem durchziehen. Weil angefangene Dinge zu einem halbwegs ordentlichen Ende gebracht werden müssen. Was, wenn wir über das Thema Schule sprechen, eine der erste Lektionen ist, die zu lernen wäre.

Denn um Lernen dreht sich das Ganze schließlich. Und hier laueren ja auch schon die ersten Gefahren: Nicht alle Lerninhalte werden Dir gleich gut liegen. Du wirst nicht alles gleich spannend finden. Nicht immer liegt das am Thema an sich, sondern an der Art der Vermittlung. Wenn Du Hilfe dabei brauchst, den Unterschied herauszufinden, werde ich Dir selbstverständlich immer so gut ich kann zur Seite stehen.

Nicht bei allem wird sich Dir der Nutzen des zu Lernenden für Dich selbst oder wenigstens für die Gesellschaft als Ganzes sofort erschließen. Und ja – bei manchem wirst Du Dich Zeit Deines Lebens fragen, warum man Dich in der Schule damit belästigt hat. Das einzige, das ich mir in diesem Zusammenhang wirklich von Dir wünsche, ist eine gewisse Unvoreingenommenheit. Dazu gehört natürlich auch, dass ich es nicht gern höre, wenn Du Deinen älteren Freund zitierst, der Dir vorher schon einredet, Schule sei langweilig. Wenn Du diese Einstellung übernimmst, machst Du Dir selbst das Leben wahrscheinlich schwerer als Dir lieb ist. Vor allem ignoriert diese Einstellung komplett, dass Ihr als Kinder die wichtigste Eigenschaft fürs Lernen immer noch in Euch tragt: Die Neugier nämlich. Glaub´ mir: Auch die wird im weiteren Verlauf Deines Lebens schon noch früh genug nachlassen. Was sowieso schade ist. Umso trauriger fände ich es aber, wenn Du Dich ohne Not jetzt schon frühzeitig ihrer entledigen würdest.

The kids are alright

In diesem Zusammenhang: Auch das ist klar – es kommt früher oder später die Zeit, in der das Urteil Deiner Freunde so oder so relevanter ist als das Deines Vaters. Was dann umgekehrt eine Lektion ist, die vor allem ich dann erst mühsam lernen muss. Da hilft zunächst auch das Wissen darum nicht viel, dass wiederum sehr viel später gelegentlich die Erkenntnis durchscheinen wird, dass nicht alles Mist ist, was Dein alter Herr Dir gesagt hat. Deswegen höre wenigstens in diesem nach wie vor frühen Stadium Deiner Entwicklung auf Deinen Papa.

Neugier und Interesse, das will ich Dir nicht verschweigen, sind aber nur die eine Seite. Mir ist klar, dass Du Dich im Leben häufiger Situationen gegenüber siehst, die es notwendig machen, andere Dinge auszublenden und Dich auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren. Sei es weil eine Prüfung dies erfordert, sei es weil Du ein eigenständiges Interesse an einem Thema entwickelt hast und diesen magischen Moment kennenlernst, wenn eine Sache Dich gepackt hat und Du aus eigenem Antrieb viel tiefer eindringen willst als sämtliche Lehrpläne dieser Welt es erfordern. Bevor Du diesen Punkt erreicht hast: Nimm´ einfach so viel wie möglich auf!

Ich mache mir keine Illusionen: Irgendwann kommt der Tag, an dem Du mich daran erinnerst, dass ich in Bezug auf Motivation nicht direkt jederzeit als leuchtendes Vorbild in Erscheinung getreten bin. Was mich allerdings nicht davon abhalten wird, hier und heute meine Sorge zu äußern, dass Deine Konzentration und Deine Ausdauer momentan noch eher als „ausbaufähig“ bezeichnet werden müssen. Da hege ich aber – zumindest solange ich nicht eines Besseren belehrt werde – leise Hoffnung, dass Dir die Schule durch ihren formalen Ablauf dabei hilft, Dich auch ´mal länger als fünfzehn Minuten mit einem Thema zu beschäftigen. Dass ausgebildete Pädagogen andere Mittel haben und mehr Erfahrung einbringen, um Dir diese Ausdauer beizubringen und den Stoff so aufzubereiten, dass er Euch Spaß macht. Oder dass es vielleicht sogar ohne weiteres Zutun zu größerer Aufmerksamkeit kommt. So wie der Hunger beim Essen. Oder aus Gründen einer Mischung aus vielen Faktoren. Jedenfalls träume ich von mehr Durchhaltevermögen als dem, das ich von Dir kenne, wenn Du Ballons modellieren wolltest wie ich. Wenn Du Tricks für Deine Zaubershow einstudiert hast. Wenn Du Experimente machen wolltest.

Experimente! Was habe ich nicht schon für Dinge zusammensuchen müssen, um Dir Experimente zu ermöglichen, die immer sehr ähnlich aufgebaut sind. Du kippst irgendwas zusammen, meistens ist mindestens ein Bestandteil flüssig. Ein sehr aufschlussreiches Experiment in dieser Hinsicht war: Brausepulver in Wasser auflösen. Weniger bunt: Einen Stein in Wasser legen und warten, was geschieht. Das heißt: Eigentlich hast Du nach etwa einer Minute das Warten aufgegeben und Dich wieder anderen Dingen gewidmet. Nachdem Du bei Deinem nächsten Aufenthalt bei mir zwei Wochen später ebenfalls keine Sekunde Zeit verschwendet hast, Dich für den Fortgang Deines Experiments zu interessieren, habe ich es irgendwann nach sorgfältiger Abwägung von Chancen und Risiken abgebrochen. Eigenmächtig und den Wunsch in mir tragend, Deine Kreativität möchte alsbald durch ein angemessenes Maß an Ausdauer ergänzt werden.

Auf meiner Stichwortliste stehen noch einige Punkte mehr. Aber vielleicht nicht zu viel auf einmal. Trotz des Zeitraffer-Modus´ unserer Beziehung muss nicht alles an einem Tag geklärt werden. Wenn am Ende dieses einen Tages allerdings ein Zwischenfazit gezogen werden sollte, würde es so lauten: Sei als Kind so erwachsen wie nötig. Bleib´ als Erwachsener so viel Kind wie möglich.