In einer Welt mit wenig Sicher- und umso mehr Ungewissheiten wirkt es beinahe erlösend, zu einem Sachverhalt auch ´mal vermelden zu können: Das steht unumstößlich fest. Kann man Ende Juni vielleicht nicht sicher sagen, wie es mit dem Sommer weitergehen soll, kann man eines aber nämlich sehr sicher feststellen: Meine angestrebte Bikinifigur werde ich diesen Sommer wohl eher nicht realisieren.

Jetzt ist es ja nicht so, dass ich erst vor vier Wochen angefangen hätte mit dem Versuch, das umzusetzen und mich jetzt wundere, dass mir die Zeit wegläuft. Genau genommen arbeite ich seit zwei Jahren an meiner Bikinifigur. Es funktioniert nur einfach nicht. Und wie viele andere bin ich froh, in der Zwischenzeit wenigstens nicht weiter zuzunehmen. Normalerweise kenne ich Abnehmen so: Es beginnt mit dem Vorsatz, 10 Kilo abnehmen zu wollen. 10 Tage später: Nur noch 8 Kilo. Wenn das so weitergeht… Sechs Wochen später: Nur noch 12 Kilo. Frust. So viel Schokolade habe ich gar nicht vorrätig, wie ich meinem Körper zuführen möchte, um die Serotonin-Produktion nachhaltig anzukurbeln.

Angesichts eines solchen Befundes wünsche ich mir regelmäßig meine Kindheit zurück. Nicht weil ich da dünner war. Im Gegenteil war ich da richtig dick. Aber man machte mir Hoffnung, man könne abnehmen, wenn man wächst. Abnehmen ohne etwas dafür tun zu müssen – ein Traum!

Nachdem sich geklärt hatte, dass dieser Traum sich tendenziell nicht bewahrheitet, redeten gute Freunde mir stattdessen die Legende mit den schweren Knochen ein, die für mein Übergewicht verantwortlich seien und nicht etwa der Ranzen, den ich vor mir hertrug. Weniger empathische Klassenkameraden erkannten derweil das riesige Potential des Themas, mich relativ zielsicher auf die Palme zu bringen. Die Lehrer waren ebenfalls unwahrscheinlich sensibel und ignorierten das Thema komplett. Jedenfalls diejenigen unter ihnen, die nicht für Sportunterricht zuständig waren. Wie sollten sie auch ahnen, dass man Jahre später solcherlei Beleidigungen als Mobbing einstufen würde anstatt die durch sie ausgelösten körperlichen Auseinandersetzungen als Rangordnungskämpfe abzutun?

So ändern sich die Zeiten, nicht aber die Probleme. Ich war zwischenzeitlich auch ´mal dünn, aber der Zielkonflikt ist bis heute geblieben: Abnehmen oder gute Laune.

Weil sich nicht nur die Zeiten ändern, sondern auch der Erfahrungshorizont, hat man gelernt, die ganze Angelegenheit gelassener zu betrachten: Zum einen weiß man inzwischen, dass die Ursache für die Übellaunigkeit meistens nicht in einem schlechten Charakter zu suchen ist, sondern einfach nur im Hunger. Zum anderen hinterlässt auch die Erfahrung Spuren, dass einige Frauen regelmäßig alle paar Wochen die eigene Gereiztheit um ein Vielfaches übertreffen. Selbst wenn ich nach einiger Zeit begriff, dass sie dies doch nicht ohne jeglichen Anlass tun, wie ich zunächst vermutete, relativiert das viele der eigenen Unzulänglichkeiten.

Du bist nicht Du, wenn Du hungrig bist

Dass nicht einmal ich ich bin, wenn ich hungrig bin, könnte ein Grund sein, weshalb ich an manchen Tagen auf der Arbeit grundsätzlich nicht ansprechbar bin. Wenn mir nämlich ein Kollege zuerst eine Handvoll Gummibären überlässt und mich erst danach darüber unterrichtet, was nun schon wieder schiefgelaufen ist, sehe ich die Welt schon wieder in anderen Farben.

Entsprechend undankbar wirkte dann, dass ich eines Tages Schokolade und andere Nervennahrung komplett aus dem Lager verbannen musste. Obwohl meine ausufernden figürlichen Probleme nicht der Grund für diese Maßnahme gewesen sind, bin ich ganz froh, dass das Teufelszeug inzwischen außer Reichweite ist. Vor kurzem durfte ich auch erfahren, warum:

Und zwar beansprucht die Lösung kniffliger Aufgaben die gleichen Hirnareale, die üblicherweise zur Selbstbeherrschung benutzt werden. Wenn ich also unwillkürlich immer wieder meine Griffel im Regal mit unseren Naschsachen wiederfand, kann das nur bedeuten, dass meine Ressourcen permanent überfordert sind, weil ich praktisch ständig anspruchsvolle Tätigkeiten verrichte. Im Schönreden steht diese These dem erwähnten Märchen vom schweren Knochenbau in nichts nach. Trotzdem sehe ich die dünnsten und also offenbar diszipliniertesten unserer Aushilfen in einem etwas anderen Licht, seit ich davon gelesen habe.

Es soll natürlich nicht unterschlagen werden, dass es in der Tat Menschen gibt, die sich aus Keksen, Schokolade und Fruchtgummi nichts machen. Es fällt mir zwar schwer, das zu begreifen, aber in meinem tiefsten Innern habe ich sehr großen Respekt vor diesen Leuten.

Weniger bis gar keinen Respekt habe ich vor denjenigen, die lediglich im Sommer keine Schokolade essen.

Wahrscheinlich essen die auch im Winter kein Eis.

Es soll ja nicht darum gehen, sich bei 30 Grad Celsius einen heißen Kakao zu gönnen. Das fände vermutlich selbst ich unangemessen. (Heißer Apfelwein wiederum geht. Beziehungsweise ging. Aber der geht – beziehungsweise ging – ja auch bei Krankheit und in Kombination mit Antibiotika.) Und ich rede auch nicht von einem Schokoriegel, der im Sommer im Auto vergessen wurde und der deswegen komplett flüssig war und beim Verfestigen eine andere Form und dazu eine weiße Oberfläche angenommen hat. Das brauche ich auch nicht. Zumindest nicht, solange Alternativen vorhanden sind. Aber wir schreiben das Jahr 2018. Unsere Wohnungen sind smart, wir haben Kühlschränke, Ventilatoren und Klimaanlagen. Wir sind der Hitze also nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Nichts spricht demnach dagegen, auch im Sommer seinem Bedürfnis nach Schokolade nachzugeben, so es denn vorhanden sein sollte.

So wie ich das alles schreibe, geht mir allerdings allmählich ein Licht auf, wieso es bei mir mit der Bikinifigur seit Jahren nicht funktioniert.