Meilensteinbildhauer

Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Koprolalie für Anfänger

Als aufmerksamer Beobachter des Treibens in Deutschlands Straßen und Gassen kann man sich des Eindrucks schlecht erwehren, dass sich die Beleidigungskultur in einem beklagenswertem Zustand befindet.

Klar ist: Eine Beleidigung muss keine besonders hohe literarische Qualität haben. Aber immer nur „Hurensohn“ ist halt auch alles andere als originell. Ansonsten sind nur wenige gebräuchliche Standards zu vernehmen.

Ich nehme mich da selbst nicht aus. Mein aktiver Schimpfwortschatz beschränkt sich auf Körperregionen wie „Arschloch“, sexuelle Praktiken wie „Wichser“ oder gering ausgeprägte intellektuelle Fähigkeiten („Honk“ oder die hessische Variante „Simbel“). „Penner“ würde ich noch dazu zählen, aber dann ist Schluss. Mit diesem Repertoire sind aber zumindest auch 97,8 Prozent aller Alltagssituationen abgedeckt, in denen eine amtliche Schmähung angebracht ist. Mit männlichem Gegenüber. Bei Frauen ist nach „Drecksau“ der Vorrat an brauchbaren Kraftausdrücken bereits aufgebraucht.

Wie so oft war früher alles besser: In der Kindheit benutzten wir so ziemlich alle Ausdrücke, die wir von anderen aufgeschnappt hatten, von denen wir teilweise allerdings gar nicht wussten, was sie bedeuten. Gut, bei „Pimmel“ war die Sachlage klar, bei „Bumser“ schon weniger. Sonst wären wir vielleicht von selbst darauf gekommen, dass das bei weitem nicht so beleidigend ist wie es klingt. Aus dieser Unwissenheit heraus entstanden dann auch Konstrukte wie „Arschwichser“.

Zu dieser Zeit wusste ich aber auch schon zu unterscheiden: „Fette Qualle“, „fette Sau“, „Panzer“ oder „Tonne“ konnte ich nicht einfach kontern, indem ich die Komplimente geradewegs zurückgab. Einem Strich in der Landschaft diese Ausdrücke an den Kopf zu werfen machte in etwa so viel Sinn wie den urdeutschen blonden Thorsten mit „Kanake“ zu begrüßen. Also wurden im Gegenzug „Idiot“ und weitere Ausdrücke verwendet, die auf eine unterdurchschnittlich ausgeprägte Intelligenz verweisen. Wenn einer weder dick noch dumm war, konnte man das trotzdem erstmal in den Raum werfen. Oder man sagte gleich „Arschwichser“.

Die Frage, die sich dabei stellt und die auch regelmäßig Gerichte beschäftigt: Wo fängt eine Beleidigung eigentlich an?

So kam es vor, dass eine Richterin vor der Frage in die Knie gegangen ist, ob „Rucksack“ eigentlich das Gewicht hat, beleidigend zu wirken. Wie wahrscheinlich die meisten Menschen kannte sie den Begriff in diesem Kontext nicht und wollte in Erfahrung bringen, ob das eine in der Taxifahrerszene gängige Beleidigung ist.

Um das Ende vorwegzunehmen: Nein, ist es nicht. Aber es ist immerhin schön zu sehen, dass ich nicht der einzige in diesem Land bin, der Taxifahrern einiges zutraut.

„Busfahrer“ hingegen stand in unserer Jugend durchaus hoch im Kurs, wenn auch eher als Frotzelei in etwa der gleichen Güteklasse wie „Eule“ oder „Kapp“. Der ohnehin schon recht niedrige beleidigende Gehalt dieser Bezeichnung wurde dann auch eines Abends schlagartig weiter abgewertet: Ein flüchtiger Bekannter erkundigte sich bei einem Mitglied unserer damaligen Clique interessiert, weshalb wir ihn „Busfahrer“ nennen.

Was willst Du da antworten?! Wir hatten es ja ursprünglich nicht darauf angelegt, dass er es überhaupt mitbekommt. „Es hat sich so entwickelt“ war jedenfalls kein guter erster Schritt hin zu einer befriedigenden Erklärung. Aber so peinlich wie der unerwartete Beginn dieser Unterhaltung wurde es am Ende gar nicht, weil er – wie sich herausstellte – eigentlich sogar stolz darauf war, von uns so genannt zu werden. Warum, hatte ich zwar nicht verstanden, aber wer hakt da schon großartig nach, wenn man gerade beim Lästern ertappt wurde?! Jedenfalls gab uns diese Lektion zu denken: Was, wenn der Geschmähte sich so gar nicht angegriffen fühlt und sich hartnäckig weigert, eine Beleidigung als solche aufzufassen? Wäre eigentlich eine geile Strategie: „Ey, Du Hurensohn!“ – „Yeah! Das bin ich. Cool, oder?!“

In den meisten Fällen geht es aber weniger um Fälle, in denen jemand beleidigt wird, derjenige sich aber nicht beleidigt fühlt. Viel häufiger geht es nämlich dem entgegengesetzt um die Klärung, ob jemand tatsächlich Grund hat, sich von einer Äußerung beleidigt zu fühlen. So wurde beispielsweise die Klage einer älteren Frau gegen den Deutschen Wetterdienst abgewiesen, weil das Gericht die beleidigende Wirkung des Wortes „Altweibersommer“ so nicht sehen wollte.

Ein anderes Gericht hatte zu beurteilen, ob „Fisch“, hervorgebracht gegenüber einem Polizeibeamten, geeignet sei, den Tatbestand der Beleidigung zu erfüllen. Obwohl die Richterin anerkannte, dass der Angeklagte den Ordnungshüter mit dieser Bezeichnung nicht loben wollte, befand sie: Die Güteklasse von „Fisch“ sei eine andere als „Esel“, „Bulle“ oder „Schwein“, eben „nicht wirklich schlimm“. Zur Nachahmung empfehlen würde ich es angesichts einer Geldstrafe von immerhin noch 300 Euro trotzdem nicht.

Zu guter Letzt kann auch ein Name mit wenig schmeichelhaften Zuschreibungen von bestimmten Eigenschaften verbunden sein. Vor rund 30 Jahren war der „Günther“ das, was vorher der „Kasper“ gewesen ist und später zwischenzeitlich der „Horst“ werden sollte, bevor dieser wiederum vom „Otto“ abgelöst wurde. Da einer der cooleren meiner Onkel ebenfalls Günther hieß, konnte ich mich nur bedingt damit anfreunden, mich diesem Brauch allerdings auch nicht völlig entziehen. Spätestens als es in der Schule auf Abschlussfahrt ging und unser grenzdebiler Busfahrer für diese Zeit sich als Günther vorstellte, gab es in dieser Frage auch bloß noch Schwarz und Weiß und nichts mehr dazwischen. Unvergessen bleibt auch das Wochenendseminar, das wir zu viert besuchten und bei dem uns am Anreiseabend freitags schon ein Mensch aufgefallen war, über den wir dann noch den ganzen Rest des Abends (und damalige Freitagabende waren sehr lang) prognostizierten: Der heißt bestimmt Günther. Weil: Der kann eigentlich nur Günther heißen.

Bis am nächsten Morgen das Seminar offiziell mit einer Vorstellungsrunde begann, waren wir in dieser Frage schon so eingepeitscht, dass klar war: Wenn wir uns nicht schon von Beginn an unbeliebt machen wollten, dann darf dieser Typ alles, wirklich alles, aber auf keinen Fall Günther heißen.

Das Schicksal hatte es nicht gut mit uns gemeint. Wenn Du eigentlich vor Lachen schreien möchtest, das aber nicht darfst, ist das Folter. Warum gibt es auch solche Zufälle?!

Wer hat an der Uhr gedreht?

Es war vielleicht etwas ruhiger als üblich, aber dafür kann es an einem Sonntagmorgen so viele unterschiedliche Gründe geben, dass ich dem Geschehen zunächst keine Bedeutung beimaß. Erst als ich an den Kiosk gelangte, an welchem ich mir die damals für solche Arbeitstage obligatorische Flasche Apfelwein zu erstehen gedachte, dämmerte mir, dass ich etwas Entscheidendes außer Acht gelassen hatte: Sollten vergangene Nacht tatsächlich die Uhren zurückgestellt worden sein, wäre das nicht nur die Erklärung dafür, dass die Trinkhalle meines Vertrauens noch geschlossen hat, sondern darüber hinaus auch die Ankündigung für mich selbst, dass ich ziemlich genau eine Stunde zu früh zum vereinbarten Treffpunkt erscheinen würde.

Wenn man erst vier Stunden vorher ins Bett gegangen ist, weil seinerzeit der äußere Taktgeber des Schlaf-Wach-Rhythmus´ die Sperrstunde des Stammlokals war, ist eine Stunde eine sehr lange Zeit.

Es würde angesichts eines derart vorbelasteten Verhältnisses zur Zeitumstellung demnach nicht überraschen, wenn ich die gerade getroffene Entscheidung, im Jahre 2021 letztmalig die Zeit umzustellen, uneingeschränkt begrüßen würde.

Allerdings habe ich seit der Beendigung des Studiums sehr zu schätzen gelernt, dass wir das Beste aus beiden Welten vereinen: Sommers abends länger hell, winters trotzdem morgens zu einer vertretbaren Zeit endlich irgendwann auch ´mal hell. Dass uns die halbjährliche Zeitumstellung als kostenlose Zugabe ein hervorragendes Smalltalk-Thema beschert, goutiere ich genauso wie die kleinen Gehässigkeiten, die ich dann stets über die armen Unschuldigen ausstreuen darf, die wegen dieser Stunde zwei Wochen lang komplett durchdrehen.

Da ich mir letzten Endes aber kein Urteil über die Reaktionen der Körper anderer Menschen erlauben darf, habe ich mir Letzteres jedoch zumindest teilweise abgewöhnt.

Zum Abgewöhnen ist wie üblich auch die Debatte zum Thema. Schon die Penetranz, mit der eine unverbindliche Online-Befragung zum Thema zur „Abstimmung“ geadelt wird, führt fast zwangsläufig zu der Frage, wie gescheit es ist, dass diese Leute tatsächlich alle wählen gehen dürfen. Man kennt ja inzwischen den Typ Teilzeitleitartikler, der den ganzen Tag lang sämtliche Internetforen dieser Welt zumüllt. Entsprechend weiß man solche Falschbehauptungen auch einzuordnen. Der Spaß hat aber spätestens dort seine Grenzen, wo professionelle Journalisten diese Unterscheidung ebenfalls nicht mehr vorzunehmen in der Lage sind.

Damit nicht genug, fühlen sich die Gegner der Zeitumstellung durch das Abstimmungs-, das heißt also das Umfrageergebnis als Teil einer überwältigenden Mehrheit, weil sich immerhin über 80 Prozent der Teilnehmer für ein Ende der Zeitumstellung ausgesprochen haben.

Man sollte es daher noch einmal von dieser Seite aus betrachten: 99 Prozent der 510 Millionen EU-Bürger haben an der Umfrage überhaupt nicht teilgenommen. Die Legitimation für die Abschaffung der Zeitumstellung bilden 4,6 Millionen, davon rund zwei Drittel aus Deutschland. Es kann mir im Grunde genommen egal sein, doch sehe ich die Gefahr, dass sich irgendwann der Rest des Kontinents die Frage stellt, ob die Deutschen denn wirklich keine anderen Sorgen haben.

Ich maße mir nicht an, über das Privatleben aller Befragungsteilnehmer Bescheid zu wissen. Ich tippe aber, dass die in vielen Haushalten gängige Praxis, am Wochenende ´mal richtig auszuschlafen, auch von vielen Zeitumstellungsgegnern ausgeübt wird. Diese lassen somit Woche für Woche eine Verschiebung ihres Schlaf-Wach-Rhythmus´ zu. Freiwillig und völlig ohne Meckern. Manchen davon gelingt montags die Umstellung auf die Woche nicht wirklich. Das soll kein Plädoyer für die Abschaffung der Wochenenden sein, weil man sich dadurch ganz andere Probleme generieren würde. Aber ehrlich und konsequent wäre genau das, wenn man das Argument der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch die Zeitumstellung ernst nimmt.

Vielleicht bin ich bei diesem Thema inzwischen etwas arrogant geworden, aber ich lasse mich von Leuten, die sich am Tag vier bis fünf Büchsen Energydrinks ´reinballern, nur ungern über gesundheitliche Gefahren dieser einen Stunde mehr oder weniger aufklären. Ich habe mit den Widersprüchlichkeiten meiner eigenen Persönlichkeit schließlich schon hart genug zu kämpfen.

Leider ist die Diskussion mit der Entscheidung, die Zeitumstellung abzuschaffen, nicht beendet. Es muss noch die Frage beantwortet werden, ob dauerhaft „Sommer-“ oder „Winterzeit“ gelten soll. Schon werden die argumentativen Geschütze in Stellung gebracht, und wenn sich dabei erneut auf das Ergebnis dieser windigen Umfrage berufen wird, steht zu befürchten, dass es ab 2021 im Dezember und Januar morgens nicht vor 9 Uhr hell wird, weil die Masse scheinbar glaubt, dass ständige Sommerzeit ständigen Sommer bedeutet.

Es läuft darauf hinaus, dass am Ende jedes Land die Zeit hat, die es verdient.

Opfer und Überzeugungstäter

Papiertüten sind es. Elektrofahrräder ebenfalls. Dauerwellen sollen es wieder werden. Entschleunigung ist es gefühlt ständig, die AfD dagegen erst seit kurzem. Bärte und Tattoos hingegen sind es seit Jahren angeblich schon nicht mehr, behaupten sich entgegen dieser Voraussage jedoch erstaunlich lange im Stadtbild und fungieren dadurch gewissermaßen als Antithese zu der Idee, jemand könne ´mal eben bestimmen, was im Trend ist und was nicht.

Regelmäßiger Urheber besonders bizarrer Moden ist und bleibt selbstverständlich die Textilbranche. Für diese gibt es ganz offensichtlich nichts, was unbedeutend genug wäre, um in der wohl verdienten Versenkung belassen zu werden. Die Modebranche kramt irgendwann jeden Mist aus, wie folgende drei besonders irritierende Beispiele aus der jüngeren Zeit belegen:

So galten vor zwei oder drei Jahren plötzlich gymsacks als chic. Bei näherer Betrachtung stellte sich schnell heraus, dass es sich bei gymsacks um ordinäre Turnbeutel handelt.

Ich sag´s ´mal, wie es ist beziehungsweise war: Wer früher nach der 4. Klasse noch mit einem Turnbeutel aufgefallen ist, war für seine Mitschüler alles, aber ganz bestimmt nicht hip. Wer einen Turnbeutel trug, würde später auch an der Tür des Clubs abgewiesen werden, selbst wenn damals noch niemand eine Disco als „Club“ bezeichnete. Keineswegs war ein Turnbeutel eine Eintrittskarte in die Welt der Coolen und Schönen, sondern im Gegenteil ein Ausschlusskriterium aus dieser. Ein Turnbeutelträger wurde auf Jahre dazu verdammt, entweder als Einzelgänger sein Dasein zu fristen oder – kaum besser – als Angehöriger der Freaks und Außenseiter, für die man irgendwann später die passende Bezeichnung „Opfer“ fand.

Als mir ein Schulwechsel nach der 9. Klasse die Gelegenheit gab, meine Kredibilität als Stilikone zurechtzurücken und meine sozialen Beziehungen neu zu sortieren, wurde ich allerdings prompt erneut Opfer des Modediktats: Niemand hatte mir mitgeteilt, dass die Zeiten, in denen ein Aktenkoffer das trendige Behältnis für Stifte, Zettel und Pausenbrot gewesen ist, nach den Sommerferien endgültig und unumstößlich vorbei waren. Der einzige außer mir, der das ebenfalls nicht geschnallt hatte, war der Typ drei Jahrgänge tiefer, der schon dadurch auffiel, dass er den Koffer tatsächlich am dafür vorgesehenen Griff trug statt wie alle anderen lässig unterm Arm. Und der sah auch sonst aus wie ein Mobbing-Opfer und ist folgerichtig später Stadtverordneter für die Republikaner gewesen und abends mit seinem Schäferhund Patrouille durch den Stadtteil gelaufen. Ich befand mich also in Gesellschaft eines Wahnsinnigen, für den der Aktenkoffer kein modisches Statement gewesen ist, sondern eine Überzeugungstat.

Als Überzeugungstat galt lange auch das Tragen eines Fischerhutes. Zwar mit unbestritten praktischem Nutzen ausgestattet, scheiterte der modische Durchbruch dieses Accessoires allerdings an seiner über die Jahre etablierten Funktion als Erkennungszeichen der Dauercamper-Szene. Was Leuten wie mir, die so ein praktisches Teil hin und wieder als Abwechslung zur Basecap tragen würden und das platzsparende Aufbewahren nach Sonnenuntergang zu schätzen wissen, das unbefangene Tragen nicht eben erleichtert.

Dass es den Fischerhut auch unter der Bezeichnung Sonnenhut gibt, hat sein Image genauso wenig verbessern geholfen wie der Versuch, ihn unter seiner – zugegeben nur mäßig schmeichelhaften – englischen Bezeichnung Bucket Hat als zeitgemäßes Must-have zu vermarkten. Entsprechend hatten die ansonsten sehr geschätzten jungen und hippen Aushilfskollegen die Lacher auf ihrer Seite, als ich es vergangenen Sommer gewagt hatte, mit einem khakifarbenen Exemplar dieser Kopfbedeckung auf der Arbeit zu erscheinen. Aber die haben ja auch gelästert, weil ich über all die Jahre beharrlich an Socken mit langem Schaft festgehalten habe. Und wer das tat, galt ja lange Zeit als Botschafter des schlechten Geschmacks.

Und inzwischen tragen viele von ihnen selbst lange Socken.

Tennissocken.

Um deshalb in Genugtuung zu verfallen, ist die Lage jedoch zu ernst.

Denn die Rückkehr der langen Socken ist die eine Sache. Dass sie jetzt allerdings unter hochgekrempelten Hosenbeinen zur Schau gestellt werden wie ein vergoldetes Steak, wäre auch höchst albern gewesen, wenn die Dinger nie weg gewesen wären. Das sieht teilweise peinlicher aus als es sämtliche Tennissockenträger der letzten Jahre zusammen nicht sein konnten. Sicher muss der Pfau seine Federn zeigen. Aber wenn so etwas dabei herauskommt, bin ich lieber aus Überzeugung Außenseiter statt Modeopfer.

Es wird Regen geben

Das Wetter ist klasse. Es vermag den Smalltalk elegant einzuleiten, genauso gut aber auch den Blogeintrag. Es beeinflusst nicht nur unsere Entscheidung, was wir anziehen, sondern auch, wann wir uns bei Freunden zum Grillen einladen und wann wir das Haus überhaupt nicht verlassen.

Leider ist das Wetter oft nicht so, wie man es gern hätte. Und selbst wenn das Wetter phantastisch ist, bleibt das Grundproblem, dass es so nicht ewig bleibt. Was alles kein Nachteil sein muss. Unzählige Gespräche wären beispielsweise beendet, kaum dass sie begonnen wurden: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?!“ – „So ist es.“ – „Okay, ich muss dann ´mal weiter, wir seh´n uns..!“ Weil aber einer immer Bescheid weiß, dass wir uns schon morgen oder am Wochenende oder nächste Woche warm anziehen müssen, fällt es nicht ganz so schnell auf, dass man sich im Grunde nichts zu sagen hat.

Das lässt bereits erahnen, dass auf der anderen Seite die bloße Dauer eines Gesprächs kein Indikator für seine Qualität ist. Wieder ist es das Wetter, das diesen Befund stützt, einfach weil das Wetter es nicht jedem recht machen kann. Zu warm. Zu kalt. Zu nass. Zu trocken. Nicht wie angekündigt. Besonders der letzte Vorwurf wiegt besonders schwer. Was bildet sich das Wetter ein?! Eine Garantie für leidenschaftliches Klagen hat man regelmäßig, sobald das Thermometer länger als drei Tage über 25 Grad klettert. Dass die selben Leute zuvor ein halbes Jahr lang lamentiert haben, es möge endlich Sommer werden – geschenkt! Aber was habe ich vom Smalltalk, wenn ich nur Gejammer zu hören bekomme?!

Wie immer wenn ich keine befriedigenden Antworten finde, denke ich an früher. Weil da bekanntlich alles besser war, also auch das Wetter zuverlässiger. Bei der Wettervorhersage lag die Betonung noch auf den letzten vier Buchstaben, und generiert wurde sie zu jeweils etwa einem Drittel aus einem Blick aus dem Fenster, dem Rückgriff auf Bauernregeln und dem Lesen im Kaffeesatz. In der Wetterstadt Offenbach wussten wir auch ohne Kenntnisse in Meteorologie: Wird der Regen wärmer, wird es Sommer. So einfach war die Welt. Eine aufkommende Umweltbewegung machte darauf aufmerksam, dass besagter Regen sauer ist und Waldsterben verursacht. Ansonsten aber war die Welt in Ordnung. Niemand ahnte, dass wir später einmal „Klima“ stets mitdenken würden, wenn wir übers „Wetter“ reden.

Jetzt kann man zum Klimawandel stehen wie man will – selbst für den Teil der Bevölkerung, der einen Palmenstrand am Main durchaus begrüßen würde, wäre vermutlich spätestens dann Schluss mit lustig, wenn sich tatsächlich die Bierpreise verdoppeln. Forscher prognostizieren diese Entwicklung für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass Dürresommer wie im vergangenen Jahr zur Regel werden und es dadurch zu einer Verknappung von Gerste kommt. Wenn also die Ernte bald genauso wenig sicher ist wie die Rente, dürften auch bislang hartnäckige Ignoranten spüren, dass irgendetwas faul ist im Staate Dänemark.

Heiter bis wolkig

Vorher steht allerdings zu befürchten, dass wir einen Sommer bekommen, der verregnet genug ist, dass jeder einzelne Tropfen Wasser auf die Mühlen der Leugner und Verharmloser bedeutet, die den Mahnern und Warnern Hysterie und Panikmache vorwerfen. Die über den letzten Sommer geurteilt haben, dass es solche Abweichungen von der Norm schon immer wieder ´mal gegeben hat. Die auch die winterliche Zugabe, nämlich meterdicke Schneelagen in den Alpen noch als normal betrachten: „Früher hatten wir dafür einen Fachbegriff: Winter.“ Selten so gelacht.

Sicher enthält diese Argumentation einen wahren Kern. Kein Jahr ist wie das andere; auf einen extrem heißen Sommer kann ein durchschnittlicher folgen und umgekehrt. Bloß dass in den vergangenen Jahren die Anzahl der extremen Wettererscheinungen für ein „immer wieder ´mal“ bereits eindeutig zu häufig aufgetreten sind. Die Ausnahmen werden zur Regel. Das Kind scheint längst in den Brunnen gefallen. Und das nicht nur im übertragenen Sinn, wie das Drama um einen 2-jährigen Jungen zeigt, der im Januar in ein unzureichend gesichertes Bohrloch gefallen war. Diese Löcher existieren in Spanien vieltausendfach, weil es seit Jahren zu wenig regnet.

Was also tun? Auf der Suche nach Auswegen wird beispielsweise in Bayern zur Zeit das Rülpsen von Kühen untersucht. Kein Witz! Da die Rindviecher bekanntlich vorne und hinten immense Mengen Methan ausstoßen, versucht man diejenigen Tiere herauszufiltern, die einen vergleichsweise geringen Output haben, um diese dann gezielt weiterzuzüchten. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Ich hege gewisse Zweifel, anerkenne aber zunächst fast jede Bemühung um Lösungen. So ist halt Bayern, und zielführender als Planspiele, auf menschlichen Nachwuchs weitgehend zu verzichten oder die Sonne zu verdunkeln, sind solche Untersuchungen allemal. Man könnte natürlich auch auf die Idee kommen, weniger Milch und weniger Fleisch zu konsumieren. Weniger Tiere würden in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse bringen. Wäre zumindest eine Überlegung wert. Gerade jetzt, da der Regen allmählich wärmer wird und wir uns also schon bald wieder bei Freunden zum Grillen einladen werden.

Sehnsucht

Wenn ältere Herrschaften in – sagen wir – meinem Alter bekunden, dass man nochmal 20 sein müsste, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Auch wenn nicht zwangsläufig Altherrenphantasien dahinter stecken und die individuellen Motivlagen für diesen Wunsch höchst unterschiedlich und durchaus rechtschaffen sein können – konsequent zu Ende gedacht wird er in aller Regel nicht. Denn wenn ich mal in die Verlegenheit gerate, den Gesprächen von Menschen um die 20 zuhören zu müssen, stellt sich mir meistens zwangsläufig die Frage, was genau daran jetzt bitte so erstrebenswert sein soll. Wirklich spannend klingt das in den seltensten Fällen.

Leben und leben lassen, die Kinder sind in Ordnung. Meine Gespräche in jenem Alter haben sich kaum anders angehört. Erst in der schonungslosen Rückschau offenbart sich, dass der Alltag als junger Erwachsener ohne permanente Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wahrscheinlich oft nur schwer zu ertragen gewesen wäre.

Und trotz dieser Befunde gibt es eine Sache, die mir wirklich fehlt, wenn ich ehrlich bin. Eine Sache, von der ich mich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen würde, dass sie das einzige war, das früher tatsächlich besser war: Die Unbekümmertheit. Die kindliche, später die jugendliche.

Niemand erwartete von uns, mit beiden Beinen im Leben zu stehen; genauso wenig erwarteten wir das von irgendjemand anderem. Wir waren albern, ohne uns erst die Frage zu stellen, ob es gerade angebracht ist. Außer dass wir unsere Hausaufgaben zu erledigen hatten oder später für die Uni zu lernen, kannten die meisten von uns nur wenige echte Verpflichtungen. Im Hier und Jetzt zu leben musste noch nicht erst in Achtsamkeits-Seminaren aufwändig neu erlernt werden, weil dieses Können irgendwann abhanden gekommen ist.

Verantwortung war ein Gesprächsthema. Ansonsten ein Angebot, das man punktuell freiwillig übernommen hat, aber noch nicht dieser Cocktail aus Erwerbstätigkeit, Familie und Altersvorsorge, an dem man sein ganzes Laben lang nippt, obwohl er längst abgestanden schmeckt.

Wir redeten über Träume, Ziele und Visionen. Wenn uns jemand deswegen für plemplem erklärte, wussten wir, dass nicht wir, sondern er derjenige ist, der keine Ahnung hat. Obwohl wir spätestens als junge Erwachsene genauestens über den Zustand unserer Gesellschaft Bescheid wussten, fiel unser Blick in die Zukunft überwiegend positiv aus. Hätte man uns gesagt, welch traurige Erscheinungen später aus uns werden, hätten wir vehement bestritten, dass es so kommen wird.

Wir waren jung und brauchten wenig Geld. Die geilsten Abende waren doch die, bei denen man sich mit Getränken vom Kiosk versorgte und mit den drei bis vier besten der besten Freunde im Park oder am Fluss bis zum Morgengrauen verbrachte. Ohne irgendetwas darstellen und ohne irgendwen beeindrucken zu müssen.

Vor allem hatte die Sorglosigkeit sehr viel mit der Zeit zu tun, die wir damals noch hatten. Selbst wer ein Ziel vor Augen hatte, konnte sich diesem genauso gut nach einem halben Jahr Auszeit widmen. Zeitreserven ermöglichten Versuch und Irrtum; stellten wir fest, auf dem verkehrten Weg gelandet zu sein, war das keine große Angelegenheit.

Das sind die Punkte, an denen sich die Faszination der Jugend festmacht. Nicht Eure aufgesetzte Coolness, Eure körperliche Fitness oder Euer unverbrauchtes Aussehen. Nicht Eure Partys und schon gar nicht Euer permanentes So-tun-als-wäre-man-dabeigewesen!

Zugegeben: Als Jugendlicher habe ich diese frustrierten alten Säcke, die mir die Welt erklären wollten, gehasst. Wenn ich mich heute selbst wie einer von denen anhöre, wird das zum Teil daran liegen, dass die Welt aus mir im Laufe der Jahre vor allem eines gemacht hat: einen frustrierten alten Sack. Keine Pointe. Eine Erklärung, keine Entschuldigung. Wenn sogar der damals noch nicht einmal vier Jahre alte Sohn schon riet „Entspann´ Dich ´mal“, kann man sicher sein, dass er zwar die Formulierung irgendwo aufgeschnappt hat, meine defizitäre Grundlockerheit damit trotzdem gnadenlos offengelegt hat. Kleine Kinder und Betrunkene sagen eben immer die Wahrheit. Doch nicht allein zur Wahrheitsfindung ist Alkohol ein probates Mittel. Richtig angewandt vermag er zur Entspannung verhelfen wie kaum ein zweites Instrument. Dumm gelaufen für jemand, der seit einigen Jahren schon auf dieses bewährte Hausmittel verzichtet. Aber man kann eben nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Bei Licht betrachtet können die Jüngeren mit den Alltagssorgen und -nöten der Älteren genauso wenig anfangen wie umgekehrt. Insofern: Leben und leben lassen. Wenn es nur einigermaßen normal läuft, kommen die Heranwachsenden von heute früh genug an den Punkt, an dem sie sich fragen, ob es das schon war oder noch was kommt. An dem sie versuchen zu rekonstruieren, wann sie eigentlich begannen, so zu werden. An dem sie schließlich und endlich den Wunsch entwickeln, nochmal jung zu sein.

Vom Sinn des Lebens

Sie waren nie weg. Sie hielten sich nur gut versteckt. Um dann zuzuschlagen, als ich am wenigsten mit ihnen rechnete. Arglos wollte ich einfach nur eine Banane sowie ein Dutzend Weinbeeren bereitlegen und sah mich plötzlich mit Myriaden von Fruchtfliegen und damit einer Situation konfrontiert, die sofortiges Handeln erforderte.

Mir ist natürlich bewusst, dass kein Tag ohne weitere Schlagzeilen zum Thema Insektensterben vergeht. Auf der anderen Seite ist meine Wohnung kein Zeltplatz, weshalb ich in solchen Fällen regelmäßig ohne jegliche Skrupel den Staubsauger zur Hand nehme, um die Invasion effektiv zu bekämpfen.

Ähnlich den Küchenschaben oder Stechmücken fällt es auch bei Fruchtfliegen schwer, mit ihnen irgendeinen Nutzen für ein Ökosystem in Verbindung zu bringen. Ein fehlender Nutzen freilich wird noch kein Lebewesen jemals davon abgehalten haben, trotzdem das zu tun, was es eben für richtig hält. Das könnte man so stehen lassen und gut damit leben. Da man – andererseits – auch nicht schlechter damit lebt, wenn man die Frage nach dem Sinn weiter verfolgt, wird man irgendwann unweigerlich auf das Stichwort Nahrungskette stoßen. Die Preisfrage wäre in diesem Fall, ob man die Eigenschaft eines Lebewesens, für ein anderes Lebewesen ein gefundenes Fressen zu sein, als eigenständigen Sinn gelten lassen möchte. Ich jedenfalls würde dies als meinen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer natürlichen Ordnung als ein wenig zu bescheiden empfinden. Woraufhin sich natürlich umgehend die nächste Frage anschließt: worin genau jetzt mein ungleich weniger bescheidener Beitrag besteht, das natürliche Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Vorsicht, Spoiler: Die Frage wird bis zum Ende des Textes unbeantwortet bleiben. Als erste Annäherung würde ich mein Dasein als zur Unterhaltung anderer Menschen dienend interpretieren. Womit ich im Prinzip keinen anderen Auftrag erledige als ein x-beliebiges Haustier. Selbst die besagte Fruchtfliege hat einen edleren Auftrag. Und zwar beschleunigt sie den Zersetzungsprozess von Bioabfällen.

Was sie auch gern weiterhin tun darf. Aber nicht in meiner Küche. Was bei mir herumliegt, will noch gegessen werden. Jedenfalls das meiste davon. Das Letzte also, das ich hier gebrauchen kann, sind Tiere, die zur Verringerung der Haltbarkeit von Gegenständen beitragen, die ich bezahlt habe. Wenn die Viecher Sachen zersetzen wollen, finden sie im Hof eine eigene Tonne. Wenn ihnen die nicht reicht, laufen zur Not draußen auch jede Menge älterer Leute ´rum, denen sie gern beim Zersetzen helfen können. Ist das Stadium des „Geht das auch leiser?“-Pöbelns nämlich erst einmal überwunden, ist vom Leben sowieso nicht mehr gar zu viel zu erwarten. Was einschließt, dass es bei den Betreffenden eine Zeit gegeben hat, in der etwas zu erwarten gewesen war. Das wiederum ist nicht bei jedem Vertreter der menschlichen Gattung selbstverständlich.

Hunde können so trainiert werden, dass sie Dinge tun, die von ihnen in einer bestimmten Situation verlangt werden. Die Intelligenz von Papageien soll in etwa der eines vierjährigen Kindes entsprechen. An einem Bonobo wollen Forscher einen aktiven Wortschatz von 500 Wörtern erkannt haben. Mir sind schon erwachsene Menschen begegnet, die selbst nüchtern das zu unterbieten imstande waren.

Vielleicht sollten gerade wir Menschen ´mal ganz ruhig sein, wenn nach einem sinnvollen Beitrag für eine funktionierende gesellschaftliche Formation gefragt wird. Manche Menschen verbrauchen den ganzen Tag über hauptsächlich Sauerstoff und andere Ressourcen, und vor dem Scheiß, den sie währenddessen absondern, schützen weder Gesetz noch Naturgewalten. Generell ist der Mensch ja eine der größten Belastungen für die Erde. Nehmen wir an, eine Tierart würde seine Umgebung so lange ausbeuten, bis eventuell irgendwann nicht mehr genug zum Überleben für alle vorhanden ist. In der Regel reagieren die Tiere auf eine Veränderung der Lebensgrundlagen, indem weniger Nachkommen gezeugt werden. Trotzdem könnte es geschehen, dass der angestammte Lebensraum erweitert oder verlassen werden muss. Gegebenenfalls stirbt eine weitere Art aus. Wirklichen Einfluss auf die Geschehnisse hatten und haben die Tiere in den seltensten Fällen.

Der Mensch dagegen ist in der Lage, halbwegs realistisch einzuschätzen, welche Konsequenzen dieses oder jenes Handeln oder Unterlassen haben wird. Doch obwohl man weiß, was einen erwartet, wird achselzuckend so getan als wüsste man von nichts. Intelligent geht anders.

Es ist absurd: Wir entwickeln erfolgreich Mittel, um durchschnittlich immer länger leben zu können, und arbeiten zur gleichen Zeit daran, die Welt zu einem Ort zu machen, an dem man sich nicht länger als unbedingt notwendig aufhalten möchte.

Das Schöne an alledem ist ja, dass sich nach einem Einkauf bei einem Discounter an einem Samstagvormittag und der dort zwangsläufigen Begegnung mit allerhand Verrückten die Vorstellung eines Planeten ohne Menschen fast zu einer wünschenswerten Option entwickelt.

Deine Mutter

Eigentlich bräuchte ich mich über nichts wundern.

Dieser Satz beschreibt mein gestörtes Verhältnis zum Rest der Gesellschaft nahezu perfekt und stellt in dieser Eigenschaft sozusagen ein Bonmot für jede Lebenslage dar, so universell anwendbar, dass er beinahe jeden meiner Blogeinträge mehrfach schmücken könnte.

Das aber nur am Rande. Ursprünglich sollte die Einleitung anders lauten: Eigentlich nämlich bräuchte ich mich nicht darüber wundern, dass ich als jemand, der in vielerlei Hinsicht als Spätzünder bezeichnet werden kann, erst mit Ende 20 begriffen habe, dass ein Satz, der mit den Worten „Man müsste ´mal“ eingeleitet wird, niemals eine verbindliche Absichtserklärung ist. Eher schon eine Art Gebet, dass sich bitte jemand anderes um das Angesprochene kümmern möge.

Dass ich diese Erkenntnis zeitlich relativ exakt einordnen kann, liegt an meinem Kumpel, mit dem ich seinerzeit das Vergnügen hatte, eine Wohnung zu teilen. In Bezug auf diesen rhetorischen Evergreen war er der oft kopierte, aber nie erreichte Experte. Je länger unser gemeinsames Zusammenleben andauerte, umso klarer wurde mir, dass ich einen von ihm auf diese Weise begonnenen Satz nur als Handlungsaufforderung an mich selbst interpretieren durfte, weil er sich mit Sicherheit nicht darum kümmern würde.

Es kam der Tag, an dem weder ich noch die Anrufung höherer Instanzen wie Götter, Feen oder Flaschengeister helfen konnten: Wollte er nicht riskieren, dass seiner neuen Freundin beim Anblick seines Zimmers plötzlich einfällt, dass sie noch etwas dringendes zu erledigen habe, woraufhin sie sich nie wieder melden würde, musste er es wohl oder übel selbstständig aufräumen.

Um es kurz zu machen: Ich habe unseren Flur, der an sich schon kein Hort der Ordnung gewesen ist, nie so vollgemüllt gesehen wie an diesem Nachmittag. Einfach alles, wofür er in seinem Zimmer auf die Schnelle keinen festen Platz gefunden hat, wurde uninspiriert in die Landschaft zwischen den einzelnen Räumen befördert.

Wie sich irgendwann herausstellte, hat er seiner Freundin erzählt, dass das alles meine Sachen wären. Wie eingangs erwähnt: Eigentlich bräuchte ich mich über nichts wundern. Ich weiß nicht, wem er diese Story sonst noch alles aufgetischt hat. Ebenso wenig weiß ich, wer von denen ihm das geglaubt hat. Was ich aber weiß: Dass er es seiner Mutter erzählt hat und die es ihm natürlich abgekauft hat, weil Mütter eben so sind. Selbst bis an diesen Punkt hatte ich mich noch darüber amüsieren können. Gekippt ist die Stimmung allerdings in dem Moment, als sie mich ansprach, wie ich ihrem Sohn zumuten könne, in so einem Saustall zu leben, und darauf ernsthaft eine Antwort von mir erwartete.

Später an diesem Tag hatten mein Mitbewohner und ich daraufhin Gesprächsbedarf. Ob dieser Abend letzten Endes der erste Schritt in Richtung Auseinanderleben war, ist schwierig zu rekonstruieren. Fakt jedoch ist: Die gemeinsame Zeit, darunter natürlich auch etliche schöne Momente, ist lange Geschichte. Geblieben ist auf meiner Seite

  • die seitdem nie wieder wirklich in die andere Richtung gekippte Stimmung,
  • eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber anderen Mitgliedern dieser Gesellschaft, sofern es sich bei ihnen nicht um meine eigene Mutter handelt,
  • die Skepsis gegenüber einem Satzanfang, der ja nicht aus der Welt geschafft ist, bloß weil ich mit meinem damaligen Mitbewohner nichts mehr zu tun haben will.

Auch wenn ich bei manchen Zeitgenossen an und für sich sehr froh bin, dass sie ihrem „Man müsste ´mal“ keine Taten folgen lassen, bleibt es eine Phrase mit konstant hohem Nerv-Faktor. Was kann ich denn schon noch von einer Ankündigung erwarten, in der die möglichen Subjekte des Handelns durch ein unspezifisches „man“ substituiert wurde?! Viel schneller kann man sich von einem Vorhaben im Grunde nicht distanzieren.

Weil man sich – siehe oben – ohnehin über nichts wundern darf, sollte man auch nicht allzu überrascht sein, wenn die Welt nicht so schwarz/weiß ist, wie man sie gern gezeichnet hätte: Viele erfolgreiche Ideen waren ursprünglich auch nicht viel mehr als ein „Man müsste ´mal“ zwischen zwei kräftigen Schlucken Bier. Umgekehrt sind viele mit wehenden Fahnen und der Erkenntnis untergegangen, dass „einfach ´mal machen“ allein noch kein Garant für ein erfolgreiches Projekt ist. Als jemand, der im Leben tatsächlich schon einige Male gescheitert ist, weiß ich, wovon ich rede.

Um dem Pessimisten in mir aber nicht das letzte Wort zu überlassen, habe ich zum Abschluss noch einige Man-müsste-Mals, die immer gehen: Wieder lachen. Wieder Kind sein. Von einer besseren Zukunft nicht nur träumen.

Wobei Träumen für viele ja wenigstens ´mal ein Anfang wäre.

Alt, aber desillusioniert

Eines steht ab der ersten Zeile fest: Wenn man gerade Geburtstag hatte und dann einen Text über das Älterwerden verfasst, wird man keine Preise für besondere Originalität erwarten dürfen.

Was ich allerdings gern erwarten dürfen würde: Dass manch jüngerer Kollege sich wenigstens die paar Sekunden lang, in denen er mir zwecks Gratulierens seine Aufmerksamkeit zukommen lässt, seinen jeweiligen eigenen Beitrag zur Beschleunigung meines Alterungsprozesses bewusst macht.

Würde man beschließen können, ab einem bestimmten Alter einfach über den Dingen zu stehen, könnte ich irgendwann auch ohne einleitende Kollegenschelte befriedigende Texte schreiben. Doch gelangt man, so man sich mit dem Älterwerden befasst, schnell an den Punkt, den ich wie folgt umschreiben würde: Die Welt ist eben, wie sie ist. Leider ist man noch nicht alt genug, dass einem alles komplett egal sein kann. Aber eben doch alt genug, um sich keinen überflüssigen Illusionen mehr hinzugeben. Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt ist für ältere Menschen genauso vom Tisch wie die Vorstellung, Eintracht Frankfurt noch einmal als Deutschen Meister erleben zu können.

Genug lamentiert. Schließlich stecken dahinter auch etliche Chancen. Man könnte das Wissen um die Unveränderbarkeit beispielsweise dafür nutzen, sich weniger aufzuregen, wenn es ja sowieso nichts bringt. Keine Erwartungen – keine Enttäuschungen. So geht Altwerden heute! Wurde Zeit, dass man sich auch einmal der Vorteile des Alterns bewusst wird!

Nun ist die Welt mit dieser Sichtweise zwar leichter zu ertragen, wird aber von einem entscheidenden Nachteil getrübt, der sich auf folgende Formel bringen lässt: Man hat keine Visionen, Erwartungen und Hoffnungen mehr.

Genau genommen kann man auf ähnliche Weise fast jeden Vorteil, den man als älterer Mensch hat, relativieren. Weiteres Beispiel: Älteren Personen wird eher nachgesehen, wenn sie ´mal etwas vergessen. Demgegenüber steht als Nachteil zu verbuchen, dass man im Alter vergesslicher wird.

Alles eine Frage der Perspektive also? Zumindest eine Sache kann als Gewinn verbucht werden, ohne dass sich durch die Hintertür ein Nachteil hereinschleicht: Man kann in Bus und Bahn sitzenbleiben, wenn es darum geht, noch älteren Menschen einen Sitzplatz anzubieten. Generell kann man immer öfter sagen: Das sollen jetzt ´mal die Jungen machen. Dieser Satz ist die Zauberformel, mit dem Senioren und solche, die es bald werden wollen, jede noch so harmlose Aufgabe abschmettern können. Vor allem impliziert sie, dass die Betreffenden früher selbstverständlich am lautesten „Hier!“ gerufen haben, wenn Freiwillige für Überstunden und Doppelschichten oder das Wenden von Grillgut auf dem Sommerfest des Sportvereins gesucht wurden, selbst wenn sie sich vor all diesen Dingen regelmäßig erfolgreich gedrückt haben.

Überprüfen kann es eh keiner mehr: Die Jüngeren waren nicht dabei, die Älteren können sich bereits nicht mehr richtig erinnern. Genau jetzt ist die Zeit, in der Helden gemacht werden.

Man kann als alter Mensch mit beeinträchtigtem Sehvermögen ohne Verlust der Glaubwürdigkeit behaupten, man habe jemanden gar nicht gesehen, obwohl man einfach nur überhaupt keinen Bock auf ausgerechnet diese Person und deshalb einfach in eine andere Richtung geschaut hatte, als sie zwei Meter vor einem aufgetaucht war. Auch diese Medaille hat eine Kehrseite: Man sieht nämlich oftmals tatsächlich schlechter. Und selbst für den Fall, dass das Manöver gelingt, weil der andere genauso schlecht sieht oder einfach nur genauso wenig Lust auf genau diese Begegnung hatte, kann man davon ausgehen, dass man sich wenig später ohnehin wieder trifft, weil man nämlich das selbe Ziel hat.

Also hat man anschließend in der Warteschlange der Apotheke, des Augenoptikers oder im Wartezimmer der Arztpraxis ausreichend Zeit, sich ausführlichst auszutauschen. Denn dort begegnet man sich im fortgeschrittenen Alter. Fast so wie man sich früher auf Konzerten oder in Kneipen traf. Nach wie vor hat man zumindest ähnliche, bloß eben wesentlich uncoolere Anliegen. Allein das sollte Ansporn genug für einen gesunden Lebensstil sein, um das Aufsuchen solcher Örtlichkeiten so gut und so lange es geht zu vermeiden.

Dabei sind sich Arztpraxen und Schankwirtschaften ähnlicher als auf den ersten Blick ersichtlich: Beides sind Orte der Begegnung. In dieser Funktion trifft man dort wie beschrieben zwangsläufig auch ´mal auf Menschen, die man streng genommen eher nicht gebraucht hat. Und es gibt einen Tresen. Im direkten Vergleich riecht die Arztpraxis meist etwas seltsamer, aber eigentlich würde es keinen Unterschied machen, wenn beispielsweise beim Proktologen Bier ausgeschenkt würde. Für viele Patienten wären damit mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Angst vor einem unangenehmen Termin wäre gelindert; wichtige Vorsorgeuntersuchungen würden regelmäßig wahrgenommen, womöglich sogar häufiger als empfohlen.

Da niedergelassene Ärzte allenthalben darüber klagen, dass man durch eine eigene Praxis schon seit langem nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, könnte man den kargen Erlös aus einem solchen Unternehmen zusätzlich steigern, indem man dort Geldspielautomaten aufhängt und den Patienten damit einen sinnvollen Zeitvertreib während ihrer Wartezeit ermöglicht.

Es würde sich endlich wieder lohnen, Arzt zu werden. Und wenn es genug Ärzte gibt, ist letzten Endes auch uns allen geholfen. Wir brauchen Menschen, die die Haltbarkeit anderer Menschen verlängern. Es gibt schon genug Dinge, die nach nur kurzer Zeit der Nutzung wieder entsorgt werden.

Irgendwie beruhigend, dass die Fähigkeit, mit analytischem Sachverstand gesamtgesellschaftliche Probleme zu erfassen und dafür Lösungen zu entwickeln, von denen alle Beteiligten etwas haben, im Alter nicht zwangsläufig nachlässt. Auch wenn diese Lösungen niemand hören will.

Entspannt ausrasten

Früher war nicht alles besser. Technischen Schnickschnack mit fragwürdigem Nutzen beispielsweise gab es auch schon lange bevor unsere Wohnungen smart wurden. Klassisches Beispiel hierfür ist die Schlummertaste des Weckers.

Man tritt der Schlummertaste garantiert nicht zu nahe, wenn man sie mit einem langjährigen Partner vergleicht, den man auch nur noch aus Gewohnheit benutzt, weil er nun halt ´mal da ist, aber nicht mehr, weil man ihn richtig geil findet. Ich jedenfalls gebe mich nicht mehr der Illusion hin, dass diese Funktion den Start in den Tag, der ja nun so oder so stattzufinden hat, in irgendeiner Weise erleichtert. Man ist doch so kurz nach dem Aufwachen gar nicht in der Lage, eine kluge Entscheidung zu treffen: Ob man die dem Tagesablauf entliehenen zehn Minuten jetzt nutzen soll, um tatsächlich nochmal fest einzuschlafen, oder ob man sich lieber freut, einfach noch halbwach eine kurze Runde liegenbleiben zu können, um sich während dieser Zeit mental auf das am Ende ja doch unausweichliche Aufstehen vorzubereiten. Hat man das Glück, in Offenbach aufwachen zu dürfen, kann man sich diesen Zustand je nach Uhrzeit sogar schon von ab- und anfliegenden Flugzeugen untermalen lassen. Das ist eben der Vorteil, wenn man dort wohnt, wo andere in den Urlaub starten.

Auch ohne solche Begleitmusik endet die Frage in einem Kompromiss, der seiner Eigenschaft als Kompromiss auch absolut gerecht wird, indem er beide Bedürfnisse nicht wirklich befriedigt: Man grübelt rund acht Minuten lang, und schon ist man wieder eingeschlafen. Und weil´s so schön war, kann man sich zwei weitere Minuten später auf eine Wiederholung dieses Trauerspiels einstellen. Geübte Menschen können diese Performance locker sechs-/siebenmal wiederholen. Die Grenzen nach oben sind ohnehin offen. Zumindest wenn man das Glück hat, sich die Wohnung nicht mit einem festen Partner teilen zu müssen. Denn einer verliert bei diesem Spiel immer.

Nachdem also mit Aufstehen oder Liegenbleiben die ersten Entscheidungen des Tages mehr oder weniger intuitiv getroffen wurden, geht es früher oder später – zumindest bei den meisten Menschen – um komplexere Gedankengänge. Diese Woche ist mir bei der morgendlichen Hunderunde sogar eingefallen, was mich daran hindert, ein glücklicherer Mensch zu werden. Andere Menschen nämlich. Vorzugsweise in Gestalt von besorgten Bürgern, dogmatischen Fußballfans oder einfach nur schlechten Autofahrern.

Weil dank der segensreichen Erfindung der Schlummertaste etliche Zeitgenossen verspätet in den Tag gestartet sind, muss die verlorene Zeit ja irgendwie wieder ´reingeholt werden. Schnellstmöglich ist hier Programm. Riskante Überholmanöver, die notwendig werden, weil einem Teil der Autofahrer die innerorts geltenden 50 km/h verbindliche Höchstgeschwindigkeit sind, einem anderen Teil aber lediglich als grobe Empfehlung dienen. Ich mache das nicht an Fahrzeugtypen fest. Eher schon daran, dass das amtliche Kennzeichen mit FB beginnt. Und das Feindbild Opa mit Hut tausche ich gern ein gegen junge Männer, die zu cool für diese Welt sind.

Letzte Woche hatte ich wieder so ein Exemplar zunächst hinter, dann vor mir. Der Beifahrer – zumindest hoffe ich, dass es der Beifahrer war und nicht der Pilot selbst – hängte auch noch seinen Schädel zum Fenster ´raus und bildete sich wahrscheinlich auch noch ein, ich könnte oder wollte irgendetwas von dem verstehen, was er da von sich gibt. Wahrscheinlich aber sollte mir dieser Move ebenso wie die vorherige Lichthupe signalisieren, dass sie mit meiner Fahrweise nicht einverstanden sind. An und für sich wirklich nicht mein Problem, wenn die beide an dem Tag die Medikamentenausgabe geschwänzt haben. Ich sehe aber auch ein, dass ich nicht alle diese Leute einfach so erschießen kann, bloß weil niemand so gut Auto fahren kann wie ich.

Zur Versachlichung der Debatte mit mir selbst schlage ich vor, jeden Führerscheinanwärter obligatorisch zum Wesenstest zu schicken. Man müsste nicht jeden, der dort nicht besteht, umgehend einschläfern. Aber die Straßen wären frei, es gäbe überall Parkplätze, und selbst die Umwelt hätte etwas davon, wenn nur noch die Hälfte der Autofahrer unterwegs sein dürfte.

Wenn wir gerade dabei sind: Das alles wirft zumindest die Frage wieder auf, weshalb in einer Welt, in der so vieles bis ins Detail reglementiert ist, nach wie vor keine verbindlichen Eignungsvoraussetzungen existieren, um im world wide web nicht nur Blödsinn abzusondern. Aus meiner Sicht besteht hier akuter Handlungsbedarf. Die nochmalige Lektüre der letzten beiden Absätze dieses Textes unterstreicht die Dringlichkeit dieses Ansinnens.

An einem durchschnittlichen Tag kann man also davon ausgehen, dass mindestens ein Idiot dafür sorgt, dass ich bereits um 9 Uhr auf 180 bin.

Und da hat die Arbeit noch nicht ´mal angefangen.

Vielleicht ist die Arbeit auch eigentlich ein wundervoller Ort und die Kollegen dort allesamt spannende Menschen. Was ich einfach nur regelmäßig versäume zu registrieren, weil ich schon zu genervt bin von all den anderen Einzellern, die mir auf dem Weg dorthin schon begegnet sind.

„Absurder Gedanke zum Schluss eben, da hat mir mein Unterbewusstes wohl einen Streich spielen wollen“, denke ich so bei mir, während ich zum garantiert letzten Mal heute früh die Schlummertaste betätige.

Eine Woche voller Fragen

Eine Zensur findet nicht statt. Da mir zudem spontan nur wenig Gründe einfallen, welches Interesse ein Staat haben könnte, die Verbreitung solcher Informationen zu unterbinden, wenn sie doch eines Tages stattfände, muss ich wohl oder übel bis auf weiteres damit leben, dass Meldungen, wonach Schokolade wirksam gegen Husten helfe, auch bei mir ankommen.

Wenn man gerade seinen Schokoladenkonsum reduziert hat, um abzunehmen, kommt man nicht umhin, den Zeitpunkt der Veröffentlichung solcher Erkenntnisse als suboptimal zu beurteilen.

Zwar habe ich gerade keinen Husten. Ich hatte aber schon einmal einen. Sehr unangenehm das. Die auf der Zunge zergangene Schokolade lege sich als Film über gereizte Stellen im Rachen und unterdrücke auf diese Weise den Hustenreiz. Sieht man davon ab, dass ich das schwarze Gold noch nie auf diese Weise genossen habe, legt die beschriebene Funktionsweise auch in keinster Weise nahe, dass sich das in irgendeiner Weise vorbeugend einsetzen ließe.

Und dennoch: Ich habe wirklich sehr selten Husten. Ist das nicht bereits Hinweis genug, eine vorbeugende Wirksamkeit als Annahme für weitere Untersuchungen zumindest ´mal in den Raum zu stellen? Vielleicht bin ich schon die personifizierte Bestätigung dieser These. Das sind Momente, in denen ich überlege, mich und meinen Körper endlich in den Dienst der Forschung zu stellen. Obwohl es, wie beschrieben, wenig bringt, das Zeug nur kurz zu zerbeißen und als nächstes die Speiseröhre mit dem edlen Stoff zu beglücken, wo es um Husten irgendwie so gar nicht mehr geht, bin ich doch meistens unbeschadet durch die Erkältungssaison gelangt. Das kommt ja nicht von ungefähr. Wahrscheinlich war es bei mir die schiere Menge, die mich immunisiert hat. Die sich anschließende Frage ist daher: Soll ich meine Gesundheit aufs Spiel setzen, bloß damit ich abnehmen kann?

Vielleicht hilft mir bei dieser Güterabwägung auch die Empfehlung mit den sogenannten geringen Mengen. Geringe Mengen waren schon immer die Spielverderber. Das waren sie, als von Stressreduktion durch Schokolade die Rede war. Als es um die Ausschüttung von Glückshormonen ging, waren sie erneut die Spaßbremsen. Als die positive Wirkung auf die Gedächtnisleistung entdeckt wurde – richtig, die geringen Mengen waren schon da! Was aber eine geringe Menge ist, bleibt im Unklaren. Daher dachte ich mir lange Zeit: Man wird sich schon etwas dabei gedacht haben, Schokolade in 100-Gramm-Portionen anzubieten. Skeptisch wurde ich erst, als man anfing, uns 93-, 87- oder 81-Gramm-Packungen zu verkaufen und deswegen erste Koch- und Backrezepte umgeschrieben werden mussten. Überhaupt habe ich wohl zu spät im Leben begriffen, dass Schokoladenhersteller keine Pharma-Unternehmen sind.

Sowas sagt einem ja auch keiner.

Dass wir am 2. Februar eines jeden Jahres den Tag des Igels begehen, erfährt man ja auch nur durch Zufall.

Menschen, Tiere, Sensationen

Hat man sich mit dem Widerspruch, dass man zu Ehren eines nachtaktiven Tiers einen Gedenktag feiert, erst einmal abgefunden, wird man auch schon auf die nächste Ungereimtheit aufmerksam: Igel halten für gewöhnlich Winterschlaf, und es könnte daher sein, dass die meisten Igel durch ihre von November bis März währende Nachtruhe nicht nur ihre Winterdepression umgehen, sondern auch ihren Feiertag verpennen.

Das kann man ihnen freilich nicht direkt zum Vorwurf machen. Den meisten Igeln wird es ohnehin egal sein, was die Menschen tun, solange sie nicht gerade Auto fahren, was für Igel die größte Bedrohung überhaupt darstellt. Unterm Strich bleiben Igel putzige Tiere, die ihren „Wie süüüüß“-Faktor insbesondere dann hervorragend ausreizen, wenn sie am Zebrastreifen warten, bis gerade kein Fahrzeug kommt, um sodann die freie Fahrbahn so rasch es ihnen eben möglich ist zu überqueren. Dass es selten geräuschlos vonstatten geht, wenn sie durchs Unterholz rascheln, steigert ihre Sympathiewerte zusätzlich. Und dennoch: Als Wesen, über das man mehr als zwei Absätze eines Blogeintrags schreiben könnte, scheidet der Igel leider aus.

Ausscheiden tut auch der Wombat, ein in Australien beheimatetes Tier, das sowohl von Körpergröße als auch vom Aussehen anmutet, als hätten sich Bär und Meerschweinchen irgendwo in der Mitte treffen wollen. Wombats sind die weltweit einzigen Tiere, deren Kot quaderförmig ist. Eine gängige Erklärung für diese eigenartige Form: Die Tiere markieren ihr Revier, indem sie die einzelnen Quader übereinanderstapeln und so einen möglichst imposanten Haufen vorzeigen.

Obwohl die Wombats also theoretisch in der Lage wären, von einer oberirdischen Behausung wenigstens die Mauern zu errichten, leben sie in selbst gegrabenen Höhlen in der Erde.

Wombats gehören damit eindeutig zu den Tieren, die auf meiner Wunschliste ganz oben stehen, wenn der Klimawandel weitere ursprünglich ganz woanders angesiedelte Tiere in unseren Breitengraden heimisch werden lässt.

Mit Schokolade, Tieren sowie Körperausscheidungen sind nun auch beinahe alle Merkmale eines typischen Blogeintrags zur Sprache gekommen. Hätte ich mir die Anmerkung nicht verkniffen, dass ein zusammengerollter Igel sich nicht eignet, damit Fußball zu spielen, wäre sogar noch ein weiterer Themenklassiker untergebracht gewesen. Aber man kann eben nicht alles haben.

Seite 8 von 19

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén