Es war vielleicht etwas ruhiger als üblich, aber dafür kann es an einem Sonntagmorgen so viele unterschiedliche Gründe geben, dass ich dem Geschehen zunächst keine Bedeutung beimaß. Erst als ich an den Kiosk gelangte, an welchem ich mir die damals für solche Arbeitstage obligatorische Flasche Apfelwein zu erstehen gedachte, dämmerte mir, dass ich etwas Entscheidendes außer Acht gelassen hatte: Sollten vergangene Nacht tatsächlich die Uhren zurückgestellt worden sein, wäre das nicht nur die Erklärung dafür, dass die Trinkhalle meines Vertrauens noch geschlossen hat, sondern darüber hinaus auch die Ankündigung für mich selbst, dass ich ziemlich genau eine Stunde zu früh zum vereinbarten Treffpunkt erscheinen würde.

Wenn man erst vier Stunden vorher ins Bett gegangen ist, weil seinerzeit der äußere Taktgeber des Schlaf-Wach-Rhythmus´ die Sperrstunde des Stammlokals war, ist eine Stunde eine sehr lange Zeit.

Es würde angesichts eines derart vorbelasteten Verhältnisses zur Zeitumstellung demnach nicht überraschen, wenn ich die gerade getroffene Entscheidung, im Jahre 2021 letztmalig die Zeit umzustellen, uneingeschränkt begrüßen würde.

Allerdings habe ich seit der Beendigung des Studiums sehr zu schätzen gelernt, dass wir das Beste aus beiden Welten vereinen: Sommers abends länger hell, winters trotzdem morgens zu einer vertretbaren Zeit endlich irgendwann auch ´mal hell. Dass uns die halbjährliche Zeitumstellung als kostenlose Zugabe ein hervorragendes Smalltalk-Thema beschert, goutiere ich genauso wie die kleinen Gehässigkeiten, die ich dann stets über die armen Unschuldigen ausstreuen darf, die wegen dieser Stunde zwei Wochen lang komplett durchdrehen.

Da ich mir letzten Endes aber kein Urteil über die Reaktionen der Körper anderer Menschen erlauben darf, habe ich mir Letzteres jedoch zumindest teilweise abgewöhnt.

Zum Abgewöhnen ist wie üblich auch die Debatte zum Thema. Schon die Penetranz, mit der eine unverbindliche Online-Befragung zum Thema zur „Abstimmung“ geadelt wird, führt fast zwangsläufig zu der Frage, wie gescheit es ist, dass diese Leute tatsächlich alle wählen gehen dürfen. Man kennt ja inzwischen den Typ Teilzeitleitartikler, der den ganzen Tag lang sämtliche Internetforen dieser Welt zumüllt. Entsprechend weiß man solche Falschbehauptungen auch einzuordnen. Der Spaß hat aber spätestens dort seine Grenzen, wo professionelle Journalisten diese Unterscheidung ebenfalls nicht mehr vorzunehmen in der Lage sind.

Damit nicht genug, fühlen sich die Gegner der Zeitumstellung durch das Abstimmungs-, das heißt also das Umfrageergebnis als Teil einer überwältigenden Mehrheit, weil sich immerhin über 80 Prozent der Teilnehmer für ein Ende der Zeitumstellung ausgesprochen haben.

Man sollte es daher noch einmal von dieser Seite aus betrachten: 99 Prozent der 510 Millionen EU-Bürger haben an der Umfrage überhaupt nicht teilgenommen. Die Legitimation für die Abschaffung der Zeitumstellung bilden 4,6 Millionen, davon rund zwei Drittel aus Deutschland. Es kann mir im Grunde genommen egal sein, doch sehe ich die Gefahr, dass sich irgendwann der Rest des Kontinents die Frage stellt, ob die Deutschen denn wirklich keine anderen Sorgen haben.

Ich maße mir nicht an, über das Privatleben aller Befragungsteilnehmer Bescheid zu wissen. Ich tippe aber, dass die in vielen Haushalten gängige Praxis, am Wochenende ´mal richtig auszuschlafen, auch von vielen Zeitumstellungsgegnern ausgeübt wird. Diese lassen somit Woche für Woche eine Verschiebung ihres Schlaf-Wach-Rhythmus´ zu. Freiwillig und völlig ohne Meckern. Manchen davon gelingt montags die Umstellung auf die Woche nicht wirklich. Das soll kein Plädoyer für die Abschaffung der Wochenenden sein, weil man sich dadurch ganz andere Probleme generieren würde. Aber ehrlich und konsequent wäre genau das, wenn man das Argument der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch die Zeitumstellung ernst nimmt.

Vielleicht bin ich bei diesem Thema inzwischen etwas arrogant geworden, aber ich lasse mich von Leuten, die sich am Tag vier bis fünf Büchsen Energydrinks ´reinballern, nur ungern über gesundheitliche Gefahren dieser einen Stunde mehr oder weniger aufklären. Ich habe mit den Widersprüchlichkeiten meiner eigenen Persönlichkeit schließlich schon hart genug zu kämpfen.

Leider ist die Diskussion mit der Entscheidung, die Zeitumstellung abzuschaffen, nicht beendet. Es muss noch die Frage beantwortet werden, ob dauerhaft „Sommer-“ oder „Winterzeit“ gelten soll. Schon werden die argumentativen Geschütze in Stellung gebracht, und wenn sich dabei erneut auf das Ergebnis dieser windigen Umfrage berufen wird, steht zu befürchten, dass es ab 2021 im Dezember und Januar morgens nicht vor 9 Uhr hell wird, weil die Masse scheinbar glaubt, dass ständige Sommerzeit ständigen Sommer bedeutet.

Es läuft darauf hinaus, dass am Ende jedes Land die Zeit hat, die es verdient.