Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky Seite 14 von 19

Nadeln im Heuhaufen

Was nicht ist, kann zwar noch werden, aber bis jetzt war dieser Winter beileibe kein ausgesprochen strenger. Klar, wer im Norden Amerikas lebt, wird dazu unter Umständen eine andere Meinung haben, aber in der dortigen Gegend dürfte die Anzahl meiner Leser überschaubar sein. Und im Grunde soll es auch weder ums Wetter noch um Geographie gehen, sondern um Eichhörnchen.

Bevor der Winter Einzug hält, verbuddeln diese nämlich gewöhnlich irgendwo ihre Nahrungsvorräte. Das Irgendwo kann dabei durchaus wörtlich genommen werden, denn das Eichhörnchen merkt sich viele, aber nicht alle seiner Vorratskammern. Einige der vergessenen Nüsse und Eicheln keimen im nächsten Jahr und verjüngen als Nebeneffekt der Vergesslichkeit den Wald.

Dass nicht alles nachahmenswert ist, wofür die Natur erfolgreich Modell steht, möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen:

Ich bin ja im Lager eines Onlinehändlers neben anderem hauptsächlich dafür verantwortlich, dass wir ein bestimmtes Teil idealtypisch dort auffinden, wo wir es erwarten können, weil wir sie ja zu exakt dem Zweck des besseren Wiederfindens an exakt einer bestimmten Stelle deponiert hatten. Die Ware dorthin zu räumen, wo sie auch hingehört, ist demnach immer noch das bestgeeignete Mittel, sie wiederzufinden, wenn sie benötigt wird. Die mit einigem Abstand zu diesem Optimum nur zweitbeste Möglichkeit: Man räumt es falsch weg, kann sich aber immerhin noch daran erinnern, wo genau oder wenigstens wo ungefähr das gewesen sein könnte. Gar keine Option ist jedoch die Eichhörnchen-Praxis: Erstmal irgendwohin mit dem Zeugs, zu etwa 85 Prozent finden wir es schon wieder.

Ein Elefant hingegen kann selbst auf 50 Kilometer Entfernung noch zielsicher ein bestimmtes Wasserloch ansteuern. Heißt deshalb von Elefanten lernen auch siegen lernen? Eher nein: Leider ist die Haltung von Elefanten mit größeren Kosten verbunden als die einer Schar Eichhörnchen. Das Geld ist aber nicht der einzige Einwand gegen eine Herde Elefanten: Die Breite der Regalgassen müsste gegenüber dem jetzigen Zustand massiv erhöht werden. Ohne Umzug wäre das gar nicht zu bewältigen. Und wenn man schon die einzigartige Gelegenheit hat, in Dietzenbach arbeiten zu dürfen, gibt man die ja nicht so ohne weiteres auf.

Man ahnt vielleicht schon, dass sich derzeit einige Eichhörnchen unter meine Kollegen gemischt haben. (Die für Eichhörnchen typische Geschwindigkeit muss man sich dabei freilich wegdenken.) Und mittendrin statt nur dabei: Ich, der Betriebs-Panda.

Der Panda ist ja eher so ein „Ach Gott, wie süüüß“-Wesen. Seine Zugehörigkeit zur Familie der Bären ist ihm allerdings eher weniger anzumerken, sondern er lässt sich eher auf die Attribute gemütlich, gefräßig, etwas dabbisch reduzieren. Ein Bär, immerhin, ein Bär, der täglich 10 Stunden und länger mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt ist. Ein Bär, dessen Schilddrüse im Normalmodus so aktiv ist wie die eines Schwarzbären beim Winterschlaf! Den wiederum ein Panda gar nicht benötigt, weil er sich ohnehin permanent im Beinahe-Winterschlaf befindet. Besser geht’s nicht. Als reichte das alles nicht schon aus, bietet der Panda für mich persönlich ein weiteres tolles Identifikationsmerkmal obendrauf, weil: Einzelgänger. Das Beste kommt aber erst noch: Ein Bär. Also Fleischfresser. Der zum Veganer mutiert ist. Würde die Story jemand erfinden, alle fänden es unglaubwürdig. Die Realität aber macht aus dem Panda eine Comic-Figur erster Güte. Genauso wenig ernstzunehmen wie Delfine, deren Ruf, letzten Endes nichts anderes als schwule Haie zu sein, sie sich ja ebenfalls hart erarbeitet haben.

Ein bisschen hinkt der Vergleich natürlich noch. Es gibt Situationen, da ähnele ich eher dem Stier in der Arena, aber man weiß ja:

Was nicht ist, kann noch werden

Ich war auch nicht in jeder Phase meines Lebens auf den Panda festgelegt. Streng genommen habe ich lange Zeit gar keinen Gedanken daran verschwendet, welches Tier ich wäre oder welches ich gern wäre. Im Kontext mit meiner Alkoholentgiftung saß ich vor etlichen Jahren in einer Gruppe mit einigen anderen Psychos, als mir diese Frage das erste Mal seit meinen Kindheitstagen wieder begegnete. Meine Antwort seinerzeit: Adler. Die Leiterin der Gruppe hatte in dieses Bild einiges hineininterpretiert: Sich die Welt gleitend von oben ansehen, über den Dingen schweben, eine andere Perspektive einnehmen und all solches Zeugs. Die hatte sich da so ´reingesteigert, dass ich anschließend selbst nicht mehr wusste, ob ich das Tier aus den von ihr vorgetragenen Gründen genannt hatte oder doch einfach nur, weil ich von der Frage überrumpelt wurde und in dem Moment wie sonst auch so häufig einfach nur an den Fußballverein meines Herzens gedacht hatte, dessen Wappentier nun ´mal der Adler ist.

Viele Jahre später, wieder war es mehr Zufall als dass ich mir die Frage ernsthaft gestellt hätte, habe ich dann die Hummel extrem gefeiert. Das hat sicher auch mit einer schwer zu leugnenden figürlichen Ähnlichkeit zu tun. Hauptsächlich aber bin ich der teils bis heute überlieferten Legende auf den Leim gegangen, wonach die Hummel fliegt, obwohl sie nach Gesetzen der Aerodynamik eigentlich gar nicht fliegen könne. Gegen alle Gesetze, das war irgendwie Punk, das hatte Identifikationspotenzial! Never mind the eagle, here´s the bumblebee!

Die Begeisterung für die Hummel hielt nicht allzu lange an. Genau genommen war es in dem Moment vorbei, als ich mir die Zeit nahm, das einmal etwas genauer zu recherchieren. Dank des world wide web ja kein großer Auftrag mehr. Ernüchterung. Längst widerlegt. Da ihre Flügel nicht steif sind, sondern durch ihre Bewegung einen Unterdruck erzeugen, geht alles mit rechten Dingen zu. Trotzdem ist die Geschichte bis heute Bestandteil etlicher Motivationsseminare. Ich gönne es ihr. Weil 200 Flügelschläge pro Sekunde auch eine respektable Leistung sind, von der wir alle nur träumen können. Doch wäre es auch nicht redlich, ums frei nach Einstein zu sagen, einen Fisch danach zu beurteilen, wie schnell er auf einen Baum klettern kann. Und beim Thema Baumklettern sind wir wieder bei den Eichhörnchen sind wir wieder auf der Arbeit und der Frage, welches Tier geeignet ist, mich im Lager zu unterstützen.

Die Antwort könnte eine Hunderasse sein, auf die ich vor einiger Zeit in anderem Zusammenhang gestoßen bin: Der Leonberger, über den es heißt, er sei „meist gelassen, lärmunempfindlich und ausgeglichen und lern- und arbeitswillig“. Damit lässt sich doch schon ´mal arbeiten. Lärmunempfindlich wäre nicht ganz unwichtig, weil bei uns ja den ganzen Tag das Radio läuft und ab und zu auch Sender mit eher fragwürdiger Musikauswahl laufen. Bewegungsfreude und starke Nerven sind in keinem Lager der Welt Nachteile, im Gegenteil. Die Bereitschaft, sich unterzuordnen, wird gern noch zu seinen Eigenschaften erwähnt. Auch da hätte er manch menschlichem Kollegen gegenüber die Nase vorn. Die Kosten für so ein Rudel Leonberger – schwer zu sagen, grob geschätzt jedenfalls irgendwo zwischen Eichhörnchen und Elefant. So gesehen ein guter Kompromiss. Die Reaktion der Bosse auf diesen Vorschlag? Ich formuliere es ´mal so: Euphorisch kenne ich anders. Zögernd trifft es vielleicht eher.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Baumelnde Seelen

Freie Tage. Die Seele soll baumeln.

Wie sich erst unlängst wieder bestätigte: Zwar ist das als gut gemeinter Rat schnell mit auf den Weg genommen. Klingt ja auch irgendwie attraktiv. (Zumindest solange man es sich nicht bildlich vorstellt.) Doch wenn es an die Umsetzung geht, wundert man sich schon manchmal, wie anstrengend das sein kann. Wie soll die Seele auch baumeln, wenn der Kopf tänzelt wie ein Boxer beim Kampf und Dich auffordert: Was Du jetzt nicht machst, machst Du erst recht nicht, wenn Deine Tage nicht mehr frei sind.

Gedacht, getan: Man kann ja ´mal schauen, was für Pflegefälle in der Online-Singlebörse meines Vertrauens neu in der Verlosung sind. Und schon muss ich höllisch aufpassen, dass die Seele nicht vom Baumeln ins Taumeln gerät. Angesichts ausbleibender Antworten auf ebenso geistreiche wie kreative Nachrichten meinerseits stellt sich einmal mehr die Frage: Was beziehungsweise wen erwarten die denn eigentlich noch alles? Wenn das alles Topmodels wären – vielleicht könnte ich nachvollziehen, dass meine Anschreiben von ihnen als anmaßend empfunden werden. Ich schreibe ja aber auch nicht jede an, sondern denke mir da schon (meistens) etwas dabei; bis ich aktiv werde, müssen also ein paar Dinge mehr passen als „Sieht geil aus..!“ Idealtypisch tut sie das auch, aber wenn ich etwa in einem Profil lese, dass die potentielle Partnerin drei- bis viermal im Jahr in Urlaub verweilen möchte, bin ich auf allen Ebenen ´raus. An Frauen mit Nicknames wie Sporty_Spice_75 braucht ein Bewegungslegastheniker wie ich ebenfalls keine Nachrichten schreiben, weil diese niemals gelten ließen, dass ich auf der Arbeit eigentlich genug Bewegung habe.

Ich betreibe mit meinen Dating-Bemühungen also alles andere als Flächenbombardements, sondern trete gezielt an diejenigen heran, bei denen ich wenigstens annehme, ihnen auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Deswegen muss ich hier ´mal in aller Deutlichkeit loswerden: Wenn man vom Mensch als vernunftbegabtem Wesen spricht, ist damit ja nicht automatisch gemeint, dass diese Begabung auch eingesetzt wird und überall nur noch vernünftiges Handeln herauskommt. Konkret: Ihr seid um die 40 Jahre alt, die Zeit ist auch an Euch nicht völlig spurlos vorübergegangen. Und selbstverständlich tragt Ihr Narben aus vorangegangenen Beziehungen mit Euch herum. Das ist Euer gutes Recht! Aber, und zwar genau deshalb: Wenn es irgendwo einen Prinzen gibt, der auf dem Pferd umherreitet, seine Prinzessin einzusammeln und fortan auf Händen zu tragen und jeden Wunsch von den Lippen abzulesen – wenn es den gibt, dann kommt der wahrscheinlich nicht zu Euch.

Was zu Euch kommt, sind ganz normale Männer, und man sollte zufrieden sein, wenn deren Persönlichkeitsstörungen noch unterhalb der behandlungswürdigen Schwelle liegen. Alternativ kommen Männer, die – vorzeigbar oder nicht ist hierbei unerheblich – kaum bemüht sind, ihre eindeutigen Absichten zu verdecken und das offenbar auch bei der erstbesten Gelegenheit durch Zusenden von Fotos ihrer primären Geschlechtsmerkmale bereitwillig dokumentieren. Nennt mich altmodisch, aber das ist krank. Hochgradig. Auf solche Ideen käme ich überhaupt nicht. Am Ende jedoch geht es aus wie immer: Es wundern sich die braven Männer, warum die Verrückten eine größere Attraktivität auf die Frauenwelt ausstrahlen, während die Frauen sich über Pimmelbilder wundern, die man ihnen zukommen ließ. Normal ist das alles nicht. Und da soll ich mich nicht aufregen?! Ganz ehrlich: Wie soll die Seele baumeln, wenn der Kopf sich den ganzen Tag aufregen muss?! Nicht möchte – muss.

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, eigentlich gar nicht mehr so heftig auf solche Unbill reagieren zu wollen. Bringt ja auch eigentlich nichts. Neues Jahr, alte Leier. Ich finde, das geht besser. Eine Überleitung zu einem anderen Thema bekomme ich dummerweise nicht mehr hin, daher einfach nochmal

zurück auf Anfang

Freie Tage. Die Seele soll baumeln.

Wie sich erst unlängst wieder bestätigte: Zwar ist das als gut gemeinter Rat schnell mit auf den Weg genommen. Klingt ja auch irgendwie attraktiv. (Zumindest solange man es sich nicht bildlich vorstellt.) Doch wenn es an die Umsetzung geht, wundert man sich schon manchmal, wie anstrengend das sein kann. Wie soll die Seele auch baumeln, wenn der Kopf tänzelt wie ein Boxer beim Kampf und Dich auffordert: Was Du jetzt nicht machst, machst Du erst recht nicht, wenn Deine Tage nicht mehr frei sind.

Gedacht, getan: Man kann ja ´mal schauen, wie ich diesen Blog hier noch besser machen kann. Besser geht ja bekanntlich immer.

Nicht dass ich das bis heute Erreichte nicht zu schätzen wüsste: Etwa dass einige Freunde keinen Beitrag verpassen und die Lektüre fest in ihre sonntägliche Morgenroutine integriert haben. Oder dass Leute öffentlich oder unter vier Augen regelmäßig teils umfassende Rückmeldung geben. Das ist wichtig. Natürlich könnte ich jetzt behaupten, dass ich in erster Linie für mich schreibe und nicht für andere und generös vom Idealismus berichten, der mich dabei antreibt. Aber natürlich sind wir alle Kind, brauchen Reaktionen auf unser Tun, am liebsten natürlich Bestätigung, Leckerlis, Kekse.

Insofern natürlich erst einmal ein fettes Dankeschön an alle, die bis heute durch ihre Kommentare, ihre unterlassenen Kommentare, ihre Facebook-Likes oder ihr Weitersagen mit dazu beigetragen haben, dass ich das bis heute mit nicht nur gleichbleibender, sondern steigender Motivation regelmäßig betreibe.

Aber natürlich stellen sich auch Fragen. Beispielsweise ob die Entwicklung hier endet oder ob das alles noch ausbaufähig ist. Ganz konkret wohl: Ob das alles ein netter Zeitvertreib für mich, meine Freunde und Bekannten bleibt oder ob meine Texte potentiell auch bei Menschen funktionieren, die mich nicht näher kennen. Von den Antworten hängt halt ab, ob sich überhaupt der Versuch lohnt, das größer machen zu wollen. Die bisherigen Reaktionen decken eben auch die komplette Bandbreite an Meinungen ab, die diese Fragen zulassen.

Immerhin: Selbst die, die das tendenziell verneinen würden, zweifeln ja nicht an einem grundsätzlichen Talent, Gedanken strukturiert, anregend formuliert und ohne allzu grobe Fehler niederzuschreiben. Die größte Würdigung meiner Arbeit am Meilensteinbildhauer war der Rat, dass ich versuchen solle, mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Ich täte nichts lieber als das. Leider hatte bisher zuerst das Schicksal andere Pläne mit mir und anschließend ich andere Pläne gehabt. Inzwischen wäre ich wieder bereit.

Nüchtern betrachtet ist das Problem dieses Blogs dabei nicht nur die mangelnde thematische Eingrenzung, sondern dass innerhalb dieser Nicht-Struktur Nonsens-Texte auf einen nachdenklichen folgen und umgekehrt. Das mag, wer genau hierauf steht, als Markenzeichen interpretieren, einen Hinweis darauf, wofür der MSBH steht. Während andere Leser ob dieser Vielfalt noch suchen, ob er eigentlich überhaupt für irgendetwas steht außer Selbstbeweihräucherung.

Unabhängig vom Profil dieses Blogs und der Qualität des Ausstoßes scheint mir aber das größte Problem zu sein, dass mit dem Verfassen von solchen Texten in aller Regel grundsätzlich kein Geld zu verdienen ist. Auch wenn die Vorstellung natürlich eine schöne wäre: Mit einer Tätigkeit Geld zu verdienen, die man erstens mag und zweitens auch noch einigermaßen gut kann.

Wäre aber vielleicht auch etwas zuviel erwartet. Schließlich ahnen wir alle, dass es in der arbeitsweltlichen Realität in aller Regel umgekehrt läuft und es um gutes Geld zu bekommen kein Hindernis ist, wenn jemand keine der beiden Voraussetzungen erfüllt.

Für den Fall allerdings, dass sich das Blatt einmal wendet, habe ich vergangene Woche ein paar prächtige und wie üblich absolut ernstgemeinte Slogans entwickelt. Viel Spaß damit:

  • MSBH. Alles andere ist nur Information
  • Mittelmäßig. Sophisticated. Brillant. Herausragend: MSBH
  • alternativ: Mindfucking. Stabil. Brontal. Hirnverbrannt: MSBH
  • MSBH: Herausragend durch Mittelmaß
  • MSBH: Enterbrainment deluxe

Und zu guter Letzt meine Lieblingsparole:

  • MSBH. Mehr Swag geht nicht!

Wie man sieht, wäre ich also auf den Ernstfall nicht nur vorbereitet, sondern auch allmählich bereit, die Herbeiführung desselben aktiv voranzutreiben. Daher ist dieser Blogeintrag mehr als hier sonst üblich ein Appell an alle, mir einmal grundsätzlich rückzumelden, für wie realistisch Ihr meinen Traum von einem zweiten Standbein neben der Lagerlogistik haltet. Mit Vorschlägen, wie ich ihm im Rahmen des MSBH oder jenseits davon näher komme, setze ich mich auch gern auseinander. Sprecht mich an, schreibt mir Nachrichten oder in die Kommentare – wie Ihr wollt. Ich danke Euch jetzt schon!

3 gute Gründe, warum Du Deine Geräte einfach ´mal abschalten solltest. Und Dein Gehirn dafür ein

Unsitte. Entgegen etlichen anderen Ausdrücken kann man sich bei diesem Wort einen neutralen Gebrauch schon kaum vorstellen. „Unsitte“ ist schon immer mehr Kampfbegriff und beinhaltet einen ganzen Komplex an Werten und Normen. Unsitte werfen die Bewahrer den Modernisierern vor. „Unsitte“ rufen die Gesitteten etwa, wenn im Stadion Pyrotechnik benutzt wird. Oder wenn Apfelwein mit Cola gemischt wird. Kurz: Wer Unsitte sagt, verrät damit, auf welcher Seite er steht.

In vollem Bewusstsein darüber, als altmodisch abgestempelt zu werden, möchte ich hiermit Front machen gegen eine Angelegenheit, die mich persönlich immens stört. Gäbe es den Begriff Unsitte noch nicht, müsste man ihn hierfür erfinden. Denn nie war er so gerechtfertigt wie hier.

Ich bin nämlich des inflationären Gebrauchs des Etikettes „Eilmeldung“ langsam überdrüssig. Bald jeder Furz, den jemand irgendwo auf der Welt lässt, wird umgehend zu einer Eilmeldung hochgejazzt. Ein seit mehreren Wochen vermisster Mann wird tot aufgefunden. Zu spät, um auf diesen Umstand angemessen reagieren zu können, ist es also allemal. Warum also kann diese Nachricht nicht warten, sondern wird als breaking news auf die mobilen Endgeräte dieser Republik gefunkt? Lustig ist das nicht.

Da sich die Mediennutzung so weit verschoben hat, dass die halb- oder ganz-stündlichen regulären Nachrichtensendungen in Radio und TV ohnehin nicht mehr die Rolle von einst spielen, bräuchte man eigentlich sowieso keine Eilmeldungen mehr. Wo Nachrichten ständig sind, ist auch nichts zu unterbrechen.

Andererseits ist natürlich das Gedränge, bei wem eine Information als erstes zu lesen, hören oder sehen gibt, ununterbrochen. Was dazu führt, dass Nachrichten ohne jegliche Relevanz zu Eilmeldungen geadelt werden, damit auch bloß niemand anderes früher das Publikum mit diesem Kram penetriert. Naturkatastrophen, der Beginn militärischer Handlungen, das sind Eilmeldungen wert. Die Rückkehr von Mario Gomez zu einem mittelmäßigen Erstligaverein ist es – bei allem Respekt – nicht!

Ich verbinde mit 2018 natürlich nicht die Hoffnung, dass sich daran viel ändert. Eher steht das Gegenteil zu befürchten, und der Überbietungswettbewerb wird immer skurriler.

Wäre das alles das einzige Ärgernis im Zusammenhang mit Bemühungen, größtmögliches Interesse zu wecken – man könnte sich damit irgendwie noch arrangieren. Doch die Aufmerksamkeitsökonomie treibt ja noch manch andere seltsame Blüte. Seit ich an dieser Stelle regelmäßig Texte veröffentliche, suche ich ja gelegentlich Anregungen, wie das eine oder andere eventuell besser gemacht werden könnte. Natürlich suche ich das dort, wo ich garantiert keine guten Tipps finde, sondern eher Hinweise der Qualitätsklasse „5 einfache Tricks, mit denen Du SOFORT mehr Leser gewinnst“ Konsequenterweise ist der erste dieser Tricks, die Überschriften nach dem gleichen Schema aufzubauen. Statt immer nur zu meckern, habe ich diesmal auch etwas getan und diesen sensationellen Trick gleich ausgetestet. Dies nur als Erläuterung für alle, die sich bis jetzt gefragt haben, was ich diesmal für eine merkwürdige Überschrift gewählt habe.

Klingt auch eigentlich nicht ´mal ganz schlecht. Kann man so machen. Zumindest sofern man bei seinen Texten keinen Mindestehrgeiz an Originalität und geistiger Reife hat. Die besondere Tragik liegt leider darin, dass dieser unbedingte Wille zur Austauschbarkeit in der Tat sein Publikum findet. Die Reichweite lügt nicht.

Komplexe neue Welt

Aufmerksame Beobachter dürften inzwischen den Verdacht bestätigt sehen, dass mit der Ablösung von „Inhalt“ durch „content“ nach und nach auch der Anspruch an die Qualität des Inhalts verloren gegangen ist. Entscheidend scheint nicht mehr, was veröffentlicht wird, sondern dass veröffentlicht wird. Und nicht nur die Kulturpessimisten wundern sich, warum ein paar Menschen gescheiter werden, während die große Masse dümmer wird. Anderen wiederum kommt gerade letzteres sehr entgegen. Dabei hatte man einst das emanzipatorische Potential des www durchaus gefeiert. „Komplexe neue Welt“, denke ich mir während ich die Gedanken dazu in einen Topf werfe und unter gelegentlichem Rühren bis zur gewünschten Konsistenz zu einem breiigen Gebilde verarbeite. Was bleibt einem auch sonst übrig, wenn man selbst im Tauziehen um Aufmerksamkeit nicht nur mit den besten Freunden oder dem Nachbarn, sondern genauso mit Parteien und Großkonzernen konkurriert. Um hier nur einige wenige Akteure genannt zu haben.

Was bleibt, was kommt? Wer vermag das schon zuverlässig vorauszusagen? Man kann sich eine Zeit zurückwünschen, in der sich einem Zuviel an unerwünschter Information durch einen profanen „Bitte keine Werbung“-Aufkleber auf dem Briefkasten einigermaßen erfolgreich entgegenwirken ließ. So einfach wird es nie wieder sein. Und Wünschen hilft sowieso ungefähr so effektiv wie Beten.

Ab und zu Gehirn einschalten scheint mir da schon erfolgversprechender.

Eignet sich übrigens auch ideal als Vorsatz fürs neue Jahr.

Ich sag´s nur ´mal so.

How much is the fish?

„Da erscheinen erst ´mal ganz Andere auf dem Radar“, beruhigte mich mein Kollege. Zuvor hatte ich die Sorge geäußert, mit unseren Macken könnten wir für die neue Aushilfe mit ihrem Bachelor in Psychologie erstklassige Studienobjekte sein.

Weihnachtsfeiern eignen sich üblicherweise hervorragend, um einen solchen Befund zu belegen. Gleichzeitig kam mir während dieser Festivität auch der Gedanke, dass es genau jetzt an der Zeit wäre, einmal die komplette Belegschaft auszutauschen.

Zugegeben: Eine solche Maßnahme mag zunächst radikal erscheinen. Aber letzten Endes lässt sich nur so ein erneutes Wiedersehen mit den unbeliebtesten Schrottwichtel-Geschenken im nächsten Jahr zuverlässig vermeiden.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es jetzt für oder gegen das Konzept des Schrottwichtelns spricht, aber: Selbst eines von zwei im vergangenen Jahr äußerst gefragten Objekten hatte den neuen Besitzer gerade noch ausreichend beeindruckt, um es nicht bereits im Laufe des Jahres der stofflichen Verwertung als seiner endgültigen Bestimmung zuzuführen, sondern es immerhin bis zur Wiedervorlage in diesem Jahr aufzubewahren.

Dabei war der Eiscrusher so begehrt gewesen. Nachdem der letztjährige Empfänger jedoch gestand, das Küchengerät diese ganzen 365 Tage lang ebenso wenig benutzt zu haben wie sein Vorbesitzer, war der Reiz, das Ding zu ergattern, diesmal auch für alle anderen Teilnehmer schnell verflogen.

Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass es dieses Jahr ein echtes Übergeschenk in der Verlosung gegeben hat: den singenden Fisch.

Noch kürzlich hatten wir uns auf der Arbeit darüber verständigt, uns ein stilvolles akustisches Signal zuzulegen, das die geschätzten Kollegen betätigen, wenn sie mir Arbeit hinstellen. Über Tröten und Rezeptionsklingel sind wir dann darauf gekommen, einen dieser Fische aufzuhängen, die „I will survive“ und „Don´t worry, be happy“ singen. Also hatte ich angekündigt, bei meinen nächsten Flohmarktbesuchen nach einem solchen Fisch Ausschau zu halten.

Und dann wird da auf der Feier dieses Ding ausgepackt! Für einen Moment drohte die große Frage, ob es Zufälle gibt, nicht nur das Wichteln, sondern die komplette Feier zu überschatten.

Um Euch nicht allzu lange im Trüben fischen zu lassen: Gibt es natürlich nicht. Der Fisch kam von einem Aushilfskollegen, der sich nach Bekanntgabe der Neuauflage des Schrottwichtelns an die Unterhaltung erinnert hat. Aber was für ein toller Hecht: Tauscht ´mal eben sein altes FIFA15-Spiel gegen diesen Fisch ein, um ihn uns bei der Weihnachtsfeier zu servieren. Petri Dank für diese Aktion! Wenn demnächst die komplette Belegschaft ausgetauscht wird, dann machen wir bei ihm eine Ausnahme. Und umgehen damit nebenbei eine an sich unzulässige Doppelbestrafung. Denn dieser wäre er dann zwangsläufig ausgesetzt, weil im Sommer auch noch sein Lieblingsfußballverein aus der 2. Bundesliga absteigen wird.

Das Wichteln bescherte uns also Eiscrusher und Fische, dazu hatten wir die obligatorischen Kerzen und DVDs. Bücher waren heuer etwas unterrepräsentiert, aber wir hatten auch das große schwere Päckchen, das Sachkundige umgehend als den alten Tintenstrahldrucker identifizierten, der letztes Jahr schon die Runde gemacht hatte. Im Prinzip auch für diese Aktion einen Daumen hoch. Denn einen Gegenstand wie beispielsweise besagten Icecrusher zu behalten, weil man ihn vielleicht irgendwann einmal benötigen könnte, ist das eine. Für einen Drucker, von dem man schon weiß, dass man ihn nicht in Betrieb nehmen wird, ein ganzes Jahr lang einen Platz irgendwo in der Wohnung vorzuhalten, weil man diesen einen Plan hat: nämlich ihn bei der nächsten derartigen Zusammenkunft wieder in den Ring zu werfen, das hat Stil! Butter bei die Fische: Ich fordere eine Jobgarantie für den jungen Mann!

Schöne Bescherung

Auch den Kollegen, den wir im Vorfeld extra noch mehrfach darauf hingewiesen haben, dass sich als Wichtelgeschenk die eine (!) schmutzige (!) Radzierblende aus dem Vorjahr nicht wiederholen sollte, müssen wir eigentlich im Team behalten. Weil er sich immerhin zu einem selbst gefertigten Schraubstock gesteigert hat. Und weil man bekanntlich nie weiß, wann man zufällig ´mal wieder eine Leiche benötigt und dann dankbar ist, wenn jemand da ist, der eigentlich entbehrlich ist.

Dass diese Frage nicht nur theoretischer Natur ist, zeigte sich, als wir später beim Ausprobieren eines Spiels, bei dem Tischtennisbälle direkt, mit Aufsetzer, über Bande oder andere Hindernisse in einem Becher untergebracht werden müssen, die Figur „Nur über meine Leiche“ spielen wollten. Da wir gerade niemandes sterbliche Hülle bei der Hand hatten, mussten wir uns also eine besorgen. Und also habe ich gefragt, wer aus unserem erlesenen Kreis am ehesten abkömmlich ist. Und dann kann man sich ja sicher sein, dass trotz der enthemmenden Wirkung des Alkohols fast alle schweigen.

Fast.

Man kann sich nämlich genauso sicher sein, dass es einen Kollegen gibt, der völlig unverkrampft spontan ausspricht, was die meisten denken. Und so hatten wir dann doch noch diese eine Situation, in der die Stimmung auch gern ´mal kippt. Dank der souveränen Nicht-Reaktion des Angesprochenen tat sie das nicht.

Zum Glück, denn sonst wäre ein spätes Geständnis womöglich im allgemeinen Trubel untergegangen: Einer der Kollegen hat uns alle beim Wichteln betrogen! Ganz als ob er keine Freundin hätte, die die Bude voll Tinnef stehen hat, hat er seinen Wichtel-Beitrag nämlich extra gekauft. Hätten wir das ´mal gewusst. Er wäre sehr wahrscheinlich einer der ersten Menschen gewesen, die beim Schrottwichteln disqualifiziert werden.

Zumindest bedeutete seine Beichte eine gleichzeitige Entlastung in einem anderen Fall. Denn dass wir nämlich ein Geschenk zu wenig hatten, kann ja mathematisch nur darin begründet liegen, dass einer der Gäste ohne Wichtel erschienen ist. Ich will nicht wissen, was noch alles nach und nach ans Licht kommt.

Der Fisch ist übrigens inzwischen gerade rechtzeitig vor meinem wohlverdienten Urlaub im Lager angekommen, weil dem Begünstigten klar wurde, dass er bei sich zuhause zum Staubfänger mutieren würde. Ich selbst bin mein Puzzle losgeworden. Wie Fische übrigens auch, strahlen Puzzles ja eine gewisse Hektik aus, die meinem Lebenswandel zunehmend weniger entspricht. Ich bekenne: „Zunehmend weniger“ klingt nicht so ganz logisch. Auf der anderen Seite sprechen wir doch aber auch ohne jeden Anflug von Zynismus von „glücklich verheiratet“, ohne dass sich jemand daran stört. Zurück zur Feier: Ich habe eine DVD erhalten. Action. Genau das richtige Genre für jemand, der wie erwähnt beim Puzzlen schon zuviel Adrenalin ausschüttet. Konnte ich noch gegen einen Coming-of-Age-Film eintauschen. Passt eher zu mir. Natürlich nur wenn man die in solchen Filmen obligatorische Lovestory abzieht. Aber um unpassende Geschenke musste ich mir zum Glück sowieso fast nie Gedanken machen. Die waren einfach immer da.

Was habe ich nicht schon alles zum Geburtstag bekommen in jungen Jahren: Verkehrsschilder und Eisfahnen waren da nur die Spitze des Eisbergs. Oder die sieben-saitige Gitarre, die nicht einmal den Anlass eines Geburts-, Namens- oder Sonstwas-Tages gebraucht hatte, um von der Straße aufgehoben und mir später überreicht zu werden. Die dann irgendwann sehr viel später als Teil einer Showeinlage während des Zeltlagers immerhin einmal in ihrem viel zu langen Leben einen gewissen Zweck erfüllte. Gitarre und Lagerfeuer, das passt halt einfach zusammen. Allzu lange hat sie zwar auch nicht gebrannt, aber um einen Moment knisternder Rockstar-Romantik zu erzeugen, hat es gereicht.

Wie ich so über all das nachdenke, ist es vielleicht doch keine so gute Idee, die komplette Belegschaft auszutauschen. Zum einen habe ich sie alle auch irgendwie lieb gewonnen. Samt ihrer Macken. Zum anderen sind schlechte Geschenke wenigstens retrospektiv für die besseren Storys gut. Gegenüber den mittelmäßigen Gaben haben die richtig schlechten Präsente den eindeutig höheren Erinnerungsfaktor. Und mir gefällt allmählich auch die Vorstellung, bei der Weihnachtsfeier in fünf Jahren zu rätseln, wer den Drucker, den Icecrusher und all das andere uns alle Jahre wieder begegnende Zeug eigentlich ursprünglich eingebracht hatte und durch wessen Hände die Sachen in der Zwischenzeit gegangen sind.

Das ist eigentlich nicht Teil des Spiels. Aber es könnte einer werden.

Rückblickzeit

Der Satz ist in der Adventszeit weiter verbreitet als Erkältungsviren. Als er diese Woche bei einer Unterhaltung zweier Kolleginnen wieder fiel, war ich dementsprechend kurz davor, laut „BINGO“ zu rufen. Gemessen an meinem Nachbarn sind sie mit dieser Erkenntnis wiederum spät dran. Denn dieser erklärt traditionell schon Mitte November das Jahr als „im Prinzip schon wieder vorbei“, um im nächsten Atemzug die Mutter aller Sätze ´rauszuhauen: „Dieses Jahr ging sooo schnell ´rum.“ Es mag natürlich sein, dass ein Jahr kürzer erscheint, wenn man es wie er sechs Wochen vor Ultimo schon für beendet erklärt. Doch beweist die höchsteigene Erfahrung der vergangenen Jahre den wahren Kern einer solchen Aussage: Dass das alles zwar wissenschaftlich kaum haltbar ist, weil nun einmal jedes Jahr gleich lang ist. (Über Schaltjahre und -sekunden sei in diesem Zusammenhang großzügig hinweggesehen.) Dass das subjektive Empfinden sich demgegenüber aber nur in überschaubarem Ausmaß um physikalische Gesetzmäßigkeiten kümmert. Dass – Konsequenz – je älter man wird, die Erde sich umso schneller um die Sonne zu bewegen scheint.

Wobei ich mich offen gestanden in diesem Jahr über mich selbst wundern muss. Weil dieses Jahr irgendwie anders war. Irgendwie länger als vergleichbare Jahre.

Die Suchmaschine zeigt bei der Recherche nach möglichen Gründen für diesen Befund nicht nur geistreiche Ergebnisse an. Wenn man bedenkt, dass der Begriff „Dschungelcamp“ hierzulande die fünft-häufigste Suchanfrage bei Google ist, löst das natürlich keine große Verwunderung aus. Das Bedürfnis nach schrottigen Informationen muss befriedigt werden. Trotzdem hatte ich mir sattelfestere Erklärungen versprochen als beispielsweise diese hier: Wer alt ist, wird langsamer, braucht für einzelne Tätigkeiten länger, kann also nicht mehr so viel erledigen wie ehedem und denkt daher, die Zeit geht schneller um. An Plausibilität kaum zu überbieten.

Manche verweisen auf die im Alter sinkende durchschnittliche Körpertemperatur. Andere werfen – noch präziser – die Hormone in den Raum. So genau wollte ich es dann doch wieder nicht wissen. „Die Hormone“ sind ja nur für so unterschiedliche Angelegenheiten wie beispielsweise Wachstum, Stoffwechsel und Sexualleben zuständig. Die Aufnahmefähigkeit eines durchschnittlichen Internet-Nutzers reicht wohl gerade für die Information, die Hormone seien schuld. Wozu also weiter in die Tiefe gehen und sich mit Nebensächlichkeiten aufhalten wie zum Beispiel der Frage, um welchen aus der ja doch recht mannigfaltigen Auswahl an Botenstoffen es sich dabei konkret handeln könnte. Da hat sich wohl wieder jemand eine Fachzeitschrift wie die BUNTE unters Kopfkissen gelegt und die Essenz des auf diese Weise über Nacht Gelernten am nächsten Morgen auf die Tastatur gespeit. Ich komme mir vor wie bei Woody Allen und seiner Zusammenfassung von „Krieg und Frieden“ nach einem Schnelllesekurs: „Es geht um Russland.“

Wiederum andere Deutungen beziehen ein Jahr auf die Gesamtanzahl gelebter Jahre einer Person. Nach dieser Lesart ist ein Jahr für einen Zehnjährigen eben ein Zehntel seines Lebens, für einen 65-Jährigen jedoch ein bedeutend geringerer Anteil an seinem bisherigen Dasein. Immerhin klingt das bis jetzt plausibler als die bisher skizzierten Erklärungsansätze. Da man allerdings getrost unterstellen kann, dass es mir auch dieses Jahr nicht gelungen ist, die Zahl meiner Lebensjahre zu verringern, erübrigt sich auch diese Interpretation. Schließlich halte ich nach wie vor daran fest, dass mir das Jahr länger vorkommt als frühere. Darüber hinaus kommen ja auch noch ein paar Tage dazu.

Des Rätsels Lösung sehr nahe

scheinen psychologische Denkansätze, die auf die Rolle neuer Erfahrungen abzielen. „Neuartige Erlebnisse dehnen im Rückblick die Zeit.“ Bei einem jungen Menschen kommen im Laufe eines Jahres durchschnittlich mehr vorher unbekannte Eindrücke zusammen als bei einem routiniert auf Autopilot navigierenden 45-Jährigen. Was immerhin Hoffnung auf längere Jahre im Ruhestand lässt, wenn wieder Zeit für neue Erfahrungen vorhanden ist. Ich habe es zwar so nirgends bestätigt gesehen, doch zumindest die Frage sollte gestellt werden dürfen, ob es sich so gesehen positiv auf die wahrgenommene Zeit auswirkt, wenn das Gedächtnis irgendwann nachlässt und man also theoretisch wieder neue Erfahrungen macht, obwohl man das Gleiche schon einmal erlebt hat.
Bis es so weit ist, sollten wir also wo und wann immer es sich anbietet abwechslungsreiche, neue Erfahrungen generieren – „vor allem solche, die mit großen Gefühlen verbunden sind.“ Das Paradoxon, dass in dem konkreten Augenblick des Erlebens die Zeit exakt andersherum wahrgenommen wird als in der Rückbetrachtung, wird übrigens berücksichtigt: Langweilige Momente dauern Ewigkeiten, doch hinterher ist alles rasend schnell vorübergegangen. Umgekehrt geht die Zeit bei anregenden Erlebnissen schneller als einem lieb ist vorüber, was aber später durch besagte Dehnung der Zeit wieder wettgemacht wird.
Das erklärt natürlich alles nicht, wieso ein Fußballspiel beim Stand von 2:1 die 5 Minuten Nachspielzeit die gefühlt längsten zehn Minuten meines Lebens sind, aber alles in allem sieht es stark danach aus, dass ich hiermit die Erklärung gefunden habe, die mir am besten gefällt.

Jetzt ist natürlich nicht für jeden eine ernstzunehmende Option, sich öfter ´mal frisch zu verlieben, ein Studium aufzunehmen, eine Kreuzfahrt zu machen oder auszuwandern. Eine hohe Ereignisdichte schaffen, einfach ´mal wieder etwas anders oder etwas anderes machen als üblicherweise, die berühmt-berüchtigte Komfortzone verlassen – das ist natürlich leichter gesagt als getan, wenn man Tag für Tag auf der Arbeit verbringt und dafür eventuell nicht einmal so viel Gage mit heim bringt, dass damit diese beabsichtigte Abwechslung auch zu finanzieren wäre.

Aber Neues zu lernen, unübliche Orte aufzusuchen, interessante und aufschlussreiche Begegnungen und Gespräche zu suchen sind ja keine gänzlich unlösbaren Probleme. Zudem vielleicht nicht die schlechtesten Vorsätze für 2018, sofern noch keine anderen vorhanden.

Angesichts der zahlreichen Aktivitäten, die ich in diesem Jahr mit und ohne Kind unternommen habe, könnte man meinen, dass ich das erste Mal im Leben intuitiv das Richtige gemacht habe. Das wäre in der Tat bahnbrechend! Zoo, Parks, Feste, Konzerte, Lesungen, das alles sind ja keine Meilensteine, sondern so unspektakulär wie es klingt. Und hat doch einen so nachhaltigen Effekt erzielt. Nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass auch die fruchtbare Beschäftigung mit den Blogeinträgen ihren Beitrag zu diesem erfreulichen Resümee geleistet hat.
Insofern kann und soll dieser Text als ein eindeutiges Plädoyer für mehr Aktivität verstanden werden, gleichgültig welcher Altersklasse man angehört.
Bevor allerdings der Kalender fürs nächste Jahr noch mehr zugeballert wird, sei darauf hingewiesen, dass die Balance zwischen Action und Achtsamkeit entscheidet, ob einem Aktivitäten gut tun.
Wenn ich in einem Jahr also an gleicher Stelle das Thema Stress behandeln sollte, wird das Verhältnis nicht so ausgewogen gewesen sein wie erhofft…

Das Peter-Pan-Syndrom

Irgendwann in der Mitte dieses gerade auslaufenden Jahres muss es gewesen sein, dass ich in einer Talkshow die Kelly Family gesehen habe, wie sie verkünden, dass sie – nicht ganz vollzählig zwar, aber immerhin – wieder zusammen musizieren. Und weil eine gute Talkshow neben der Unterhaltung hauptsächlich dem Zweck dient, die Gäste zu promoten, boten sie in der Sendung auch recht bald eine Kostprobe ihres musikalischen Ausstoßes.

Ich war entsetzt.

Entsetzt über mich, weil ich das nicht einmal so schlecht fand.

Jetzt ist es natürlich gewiss nicht so, dass meine persönliche Jahresbilanz durch diesen Vorfall ganz konkret besser oder schlechter würde. Eher ist es so ein diffuses „Was hat die Zeit bloß mit mir gemacht“-Gefühl, das sich über die Jahresendzeitstimmung legt.

Über Jugendsünden wird viel geredet, Altersweisheit ist ein ebenso gern und häufig verwendeter Begriff, doch fast niemand spricht über Alterssünden. Ganz so als ob man mit den Lebensjahren einen Zustand erworben hat, in dem man über den Dingen steht und das (nicht nur musikalische) Urteilsvermögen unfehlbar würde. Welche Rolle spielt es da schon, dass die theoretische Chance, sich anhand der im Laufe der Jahre gewonnenen Erfahrungen ein ausgewogenes Urteil bilden zu können, von gefühlt gerade drei Prozent aller Menschen genutzt wird. Die Mehrheit dagegen übt sich in Altersstarrsinn, was bedeutet: Sie könnte es besser wissen, pfeift aber auf dieses Können.

Pfeifen wir auf mein altersmildes Urteil über die Kelly Family, doch bleiben wir beim spannenden Thema Musik und Jugendsünden. Hierzu bleibt festzuhalten, dass ich mir im Prinzip wenig vorzuwerfen hätte.

Wäre da nicht diese eine Sache.

Fun-Punk.

Der kleine vorlaute Bruder des zwischen kämpferisch und schwarzmalerisch changierenden Polit-Punks schrieb sich die Parole Party auf die Fahnen und gebar Kapellen mit übertrieben bescheuerten Namen wie Abstürzende Brieftauben oder Schließmuskel. Sehr beliebt waren Kombinationen aus den Bestandteilen Bestimmter Artikel + Adjektiv + ein nicht zwingend dazu passendes Hauptwort: Die leeren Versprechungen zum Beispiel. Wie sehr hier der Name schon Programm ist, ergab sich für mich leider erst mit ein wenig zeitlichem Abstand. Gern genannt werden in diesem Zusammenhang auch Die Goldenen Zitronen, die sich allerdings bereits sehr schnell von ihrem Frühwerk distanzierten. In ziemlich genau dem Moment nämlich, in dem die Musikindustrie den Fun-Punk für sich zu vereinnahmen begann und nicht weniger als eine zweite NDW loszutreten plante. Die Toten Hosen dagegen beweisen bis heute, dass ein schlechter Bandname kein Hindernis auf dem Weg nach ganz oben sein muss. Allein mit Liedgut wie „Eisgekühlter Bommerlunder“ wäre dieser Weg freilich alsbald in derselben Sackgasse geendet wie der von hunderten anderen Truppen.

Die für meine Ohren schmerzhafte Erfahrung, dass ein missratener Bandname allein noch keinen amtlichen Fun-Punk garantiert, machte ich, als ich mir ein Album der Angefahrenen Schulkinder zulegte. Von Slogans wie „Tötet Onkel Dittmeyer“ in die Irre geleitet, musste ich feststellen, dass diese Form von Comedy-Theater mitunter genauso zotig, aber leider ganz und gar kein Punk war. Für meinen jugendlichen Geldbeutel war das noch bitterer als für meine Ohren. Da war leider der Spaß vorbei! Wir rechneten ja zu dieser Zeit jeden Geldbetrag in die harte Währung Bierbüchsen um. Hätten wir nicht etwas Geld für Freibad, Konzerte oder eben Tonträger benötigt, hätten unsere Eltern das Taschengeld auch gern in Dosenbier auszahlen können. Für den Gegenwert dieses Fehlkaufs hätte ich jedenfalls einige davon bekommen können und hätte definitiv mehr davon gehabt.

Tonnenweise Dosenbier

Von Dosenbier sangen auch NoRMAhL, die in ihren Ursprüngen das Beste aus beiden Welten bot, die Polit- mit der Spaßfraktion der Punker vereinte, mit der Zeit aber zunehmend unerträglicher wurden, weil das Repertoire zu viel „Biervampir“ und zu wenig „Bandiera rossa“ bereithielt. Inzwischen spielen auch sie seit einigen Jahren wieder, und ein Weggefährte aus dieser Zeit weiß bei unseren sehr gelegentlichen zufälligen Begegnungen regelmäßig einen ihrer Konzerttermine in der Nähe. Aber es würde sich heute nicht mehr echt anfühlen, einen dieser Auftritte zu besuchen. Klingt esoterisch, ist aber so. Und wird auch nicht dadurch schlüssiger, dass die Aussage von jemandem kommt, der mit 45 Jahren immer noch auf der Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft ist. Aber das wiederum gäbe genügend Stoff für einen eigenen Blogeintrag. Oder mehrere. Oder ist das der eigentliche rote Faden des Meilensteinbildhauers: Das niemals abgeschlossene Coming of Age des Protagonisten?

Zum Erwachsenwerden gehört das Austesten dazu, wie viele Dosenbiere in einen einzelnen Menschen hineingehen. Als Angehöriger bestimmter jugendlicher Subkulturen hat man für solcherlei Experimente ausreichend Gelegenheiten, weil im Prinzip das ganze Jahr über Karneval ist. Aber was hat man sich dabei eigentlich gedacht? Gestartet gegen so ziemlich alles, galt der ausgestreckte Mittelfinger der Punks dem bürgerlichen Faschingstreiben doch mindestens genauso wie ihren sonstigen Gebräuchen. Dass das Treiben der Bunthaarigen an und für sich hervorragend in die Szenerie der angepassten Teilzeittrinker zur närrischen Zeit gepasst hat – wollte oder konnte ich das in dieser Zeit nicht raffen? So gesehen wurde bürgerliches Verhalten eher imitiert als persifliert. Es hätte einem zumindest zu denken geben sollen, was für skurrile Leute da plötzlich alle mit auf die Konzerte gingen. Leute, die ohne jeden Anflug von Ironie Oberlippenbärte trugen und manche Geschmacklosigkeit mehr begingen. Der kleinste gemeinsame Nenner war Saufen und Ficken. Ersteres war durchweg gängige Alltagspraxis, dem anderen Element wurde sich eher theoretisch angenähert, dies aber nur nebenbei. Was Fun-Punk von karnevaleskem Schlager oder Après-Ski-Hütten-Sause-Musik unterschied, war neben verzerrten Gitarren hauptsächlich, dass man solch pubertäre Einlagen den jugendlichen Hirnen noch etwas eher verzeihen konnte als erwachsenen Unterhaltungs-Profis.

Einmal Jugend und zurück

Wie es im Leben manchmal so ist: Da lässt man eine Sache ´mal kurz für 30 bis 40 Jahre aus den Augen, und kaum dass man wieder hinsieht, ist alles auf den Kopf gestellt: Weil viele seiner Angehörigen ihr Nimmerland über all die ganzen Jahre nicht verlassen haben oder nach einiger Zeit wieder dorthin zurückgekehrt sind, ist Punk inzwischen von der einstigen Jugendbewegung teilweise zu einer Seniorenbewegung geworden. Das muss nichts Schlechtes heißen. Schließlich sind nicht alle älteren Menschen mit einem Nachmittag beim Bingo zufriedenzustellen. Allerdings hat manche Punkrockband ihren eigenen Legendenstatus dadurch demontiert, dass man ohne echte Not relativ uninspiriert wieder die Instrumente umschnallte und drauflosballerte. Wie früher eben, nur nicht mehr so authentisch. Und weil es sich so gut ergänzt, dass sowohl das jüngere als auch das betagtere Publikum ebenfalls nur wegen der alten Hits die Fäuste reckt, verkommen manche Musikanten als ihre eigene Coverband mit enorm hohem Fremdschämfaktor. Das mag für einen Abend aushaltbar sein, aber taugt das auch für einen kompletten Lebensentwurf?

Dabei geht es um so viel mehr als bloß Musik und die Diskussion, welche der Bands von damals heute noch hörbar sind. Die gibt es nämlich reichlich! Mindestens einmal im Leben stellt sich aber doch die Frage: Bleibt man sich selbst treu oder sorgt die notwendige Weiterentwicklung des Einzelnen irgendwann von selbst und zwangsläufig für das Verlassen des aktuell eingeschlagenen Weges? Man muss übrigens auch gar nicht erst so tun, als wären die Antworten auf diese Frage stets Ergebnisse bewusster Entscheidungen. Gemeinsam ist beiden Wegen immerhin das Beklagen, dass früher alles besser gewesen sei. „Wirst Du eigentlich nie erwachsen?“ Wie so häufig gibt es auch hierzu keine richtige oder verkehrte Erwiderung. Im Einzelfall durchaus als Lob zu betrachten, eine schöne Eigenschaft, die zu besitzen ich mir selbst für den Rest des Lebens wünschte, wenn mir eine Fee oder von mir aus auch ein Flaschengeist einen Wunsch gestatten würde. Wer aber in einem Alter um die 50 immer noch Schlagerpunk mit den gleichen pubertären und schlüpfrigen Texte wie ehedem hört oder gar selbst komponiert, wurde von der allgemeinen Entwicklung wohl abgehängt und sollte dem der Frage konnotierten Vorwurf eventuell ´mal nachgehen.

Otto Rehagel würde es wie folgt kommentieren: „Es gibt nicht alt oder jung, sondern nur gut oder schlecht.“ So einfach ist die Welt. Es muss nur ein Fußballtrainer kommen, um sie zu erklären.

Aus dem Innenleben der Meilensteinbildhauerwerkstatt

Nicht jeder Gedanke, der einem spontan in den Sinn kommt, verdient es, niedergeschrieben zu werden, um Hinz und Kunz damit zu belästigen. Zu dieser Erkenntnis gelange ich ausnahmsweise nicht beim Studieren der Kommentare unter einer beliebigen Nachrichtenmeldung irgendwo im www. Sondern regelmäßig wenn ich auf der Suche nach Inspiration für diesen Blog dem Irrglauben aufsitze, ich könne eventuell in der Datei Resteverwertung fündig werden. Diese enthält, nun ja, Reste. Zum Verwerten. Reste von Texten für diesen Blog, die aus der Endfassung später herausgekürzt wurden. Nicht unbedingt weil sie zu schlecht für eine Veröffentlichung waren. Zugegeben – manche schon auch. Zum Beispiel war ich eine kurze Zeit lang von dem Gedanken begeistert, den in irgendeinem Video aufgeschnappten Begriff der „Sozialakquise“ auf die eine oder andere Weise unterzubringen. Es inzwischen besser zu wissen bedeutet hier: zu wissen, dass es besser war, diese fixe Idee nicht umgehend in die Tat umzusetzen. Nieder mit der Spontaneität! Denn ´mal ehrlich: Natürlich geht es beim Thema Partnersuche, das ja hier regelmäßig mehr als nur eine Randnotiz ist, ums Werben und ums Verkaufen und um nichts anderes. Aber um diese Vokabel nachhaltig witzig zu finden, muss man schon sehr speziell ticken. Zu speziell, um noch zur Kernzielgruppe des Meilensteinbildhauers anzugehören.

Neben solchen Verfehlungen finden sich aber auch Versatzstücke, die ganz gut waren, aber in den ursprünglichen Zusammenhang nicht mehr hineingepasst haben. Sowie völlig zusammenhanglose Sätze, die auf den Zufall warten, dass ich irgendwann einmal ein Thema bearbeite, in das es hineinpasst. So kam mir irgendwann einmal zu Beginn dieses sich allmählich dem Ende nähernden Jahres in den Sinn, dass ich trotz sensibler Haustiere gegen ein formidables Feuerwerk eigentlich wenig einzuwenden habe. Zumindest dann nicht, solange es dort stattfindet, wo es hingehört, und das ist nun ´mal im Stadion und nirgends anders. Weil die Zeit eigentlich immer gegen mich arbeitet, bot sich kurz nach Silvester naturgemäß so bald keine adäquate Gelegenheit mehr, ihn in irgendeiner Weise unterzubringen. Wenigstens solange ich bei der Erzeugung sprachlicher Äußerungen nicht zum Freien Assoziieren übergehen will. Das können die Menschen, von denen eingangs die Rede war, deutlich besser.

Nachdem ich hiermit also einen vergleichsweise geistreichen Gedanken für den letzten Blogeintrag des Jahres dummerweise heute schon verbraten habe, ist aber anhand des Beispiels hoffentlich klar geworden, was genau in dieser Sammlung passiert. Ich sammle dort Sachen, von denen ich annehme, dass ich sie irgendwann noch einmal brauchen kann. Also genau so wie ich im übrigen Leben Gegenstände wie Schrauben und Muttern, Bücher oder Spielzeuge horte, sammle ich in dieser Datei Ideen.

Doch bei welcher Gelegenheit soll ich zum Beispiel das folgende unterbringen: „Ich bin sowieso jemand, der gern auch mal läuft anstatt mit dem Auto zu fahren. Es gab eine Zeit, in der bin ich so wenig Auto gefahren, da bin ich sogar zum Tanken zu Fuß gegangen.“ Ich hatte im Frühjahr diesen einen Text über bizarre Verhaltensweisen von Autofahrern. Dort hätte er noch am ehesten ´reingepasst, dem Ganzen am Ende aber nochmal eine zusätzliche Dimension gegeben, weswegen er weichen musste.

Grundsätzlich kreist hier ja alles um wiederkehrende Themen: Die Eintracht. Der Hund. Die unfassbare Beschränktheit mancher Zeitgenossen. Die ewige Suche nach einer adäquaten Partnerin. Die Eintracht. Der Hund. Die beinahe unfassbare Beschränktheit manch potentieller Partnerin. Da muss ich sowieso stets auf der Hut sein, mich nicht permanent zu wiederholen. Leider passiert nicht ständig so viel, dass ich jede Woche einen gleichermaßen unterhaltsamen wie originellen Blogeintrag allein aus aktuellen Erlebnissen aus dem Ärmel schütteln könnte. Nach Feierabend meine Macken zu pflegen benötigt ja auch seine Zeit. Andere wiederum würden mir in diesem Zusammenhang eher raten, die Macken unter Kontrolle zu bringen. Dass solche Einwände mit einer gewissen Berechtigung vorgetragen werden, kann ich auch gar nicht leugnen. Schließlich sollen meine Bemühungen, eine Partnerin zu finden, keine billige Echt-Leben-Kopie von Bauer sucht Frau werden. Für jemand, der weder Haus noch Äffchen oder Pferd hat, sowieso schon schwierig genug alles.

Ein Anfang ist gemacht

Da ich finde, dass es an der Zeit für die Überleitung der Woche ist, bitte sehr: Auf welche Weise das alles mit folgendem Gedanken zusammenhängt – ich weiß es nicht, aber mein KFZ-Anhänger wurde wieder besprüht. OFC hinten auf eine Tür. Wieder ´mal so ein „Ausgerechnet…“-Moment. Der Hänger hat trotzdem TÜV bekommen. Das wirft natürlich kein gutes Licht auf den Prüfer. Aber seit dem zweifelhaften Vergnügen einer beruflichen Fortbildung bei der DEKRA-Akademie ist bei mir ohnehin auch der letzte Rest Vertrauen in solche Instanzen verschwunden. Und da es mein Hänger ist, soll es mir natürlich recht sein. Alles andere muss der gute Mann selbst mit seinem Gewissen ausmachen.

Was beim Blick über die Themen des Blogs allemal auffällt: Obwohl sich morgen der Tag jährt, an dem ich diesen Wahnsinn hier begonnen habe, was ja letzten Endes nichts anderes bedeutet als dass sich inzwischen über 50 sehr gute Beiträge angesammelt haben, gibt es trotzdem zwei Themen, die – gemessen an der Rolle, die sie in meinem Leben spielen – hier im Blog bislang deutlich unterrepräsentiert sind: Mein Kater sowie mein Sohn.

Dass beides coole Säue sind, brauche ich wohl nicht extra erwähnen. Was den Kater betrifft, bin ich auch eifrig am Sammeln. (Richtig: Findet sich alles in besagtem Textdokument.) Es sei also hiermit versichert: Da kommt noch was!

Was den kleinen Mann anbelangt, mag es daran liegen, dass sich ein Großteil fabelhafter Storys im Zusammenhang mit Kleinkindern aus dem Kontakt zu anderen Erwachsenen speist. Meist sind diese Anderen dann selbst Betroffene, also ebenfalls Eltern. Zu solchen wiederum habe ich als Teilzeiterziehungsberechtigter eben auch vergleichsweise wenig Kontakt. Das ist für mich als private Person ein Segen. Der öffentlichen, schreibenden Person fehlt allerdings dadurch der Zugang zu einer fast unerschöpflichen Quelle an Inspiration. Ich will gar nicht wissen, was hier im Blog los wäre, würde es zu meinen alltäglichen Prüfungen gehören, mich mit Aussagen ungefähr dieser Qualität auseinandersetzen zu müssen: Meiner kann/konnte ja schon so früh laufen, sprechen, alleine kacken, bügeln. Vermutlich werden diese Wunderkinder mit 12 Jahren schon allein Auto fahren können. Bloß: Dass ein jeder, der nur drei Wochen eher als Gleichaltrige irgendeinen Mist fabriziert, sofort als hochbegabt eingeschätzt wird, ist gag-mäßig auch schon dermaßen überstrapaziert, dass die Welt eines garantiert nicht benötigt: einen zusätzlichen Beitrag meinerseits zu diesem Phänomen.

Andererseits: Sollte die Zeit reif sein und ich überdies der Meinung, dem Themenkomplex noch etwas Gescheites hinzufügen zu können, gibt es auch dafür einen eigenen Text.

Ein Jahr Meilensteinbildhauer heißt ja im Prinzip auch nicht sehr viel mehr als: Ein Anfang ist gemacht.

Hunde, wollt Ihr ewig leben

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, polemisierte einst Helmut Schmidt. Ist der Visionär dann zufällig selbst Arzt, spaltet sich die Fachwelt, während der Laie nur denkt: Was soll das jetzt wieder werden? So geschehen diese Woche nach der Ankündigung eines italienischen Neurochirurgen, im Frühjahr 2018 einen kompletten Kopf zu transplantieren zu wollen.

Ich sehe schon völlig neue gesellschaftliche Konfliktlinien, wenn in ein paar Jahren Gesunde den Kranken vorwerfen: „Du willst doch bloß meinen Körper!“ Ich persönlich muss mir meine Meinung dazu erst noch durch den Kopf gehen lassen und habe mir deshalb auch schon ein paar schöne Männer- und Frauenkörper ausgesucht, auf die mein Schädel gut passen würde. Ich bin da sehr wählerisch, weil ich mir sehr sicher bin, dass mein Kopf den Leib beispielsweise eines FDP-Wählers sehr sicher sehr schnell abstoßen würde. Ein Alptraum wäre auch, nach gelungener Operation in den Spiegel zu schauen und an einer intimen Stelle ein FCB-Tattoo oder ähnlich Unappetitliches zu entdecken. Man sieht schon jetzt: So ganz ohne Risiko ist das alles nicht. Eine Reihe offener Fragen müssen noch geklärt werden, bis das alles serienreif ist.

Dabei ist vieles von dem, was wir heute als normal wahrnehmen, ursprünglich auch lediglich eine Vision im Kopf eines einzelnen Durchgeknallten gewesen. Wenn aber Kopfverpflanzungen normal werden, es also im Kurs Sofortmaßnahmen am Unfallort nicht mehr nur im übertragenen Sinne heißt, man solle nicht den Kopf verlieren, gruselt es mich schon ein wenig.

Was wurde nicht schon alles verpflanzt, um Leben zu verlängern? Haut, Schädeldecke, Penis. Eine ordinäre Nierentransplantation ist ja bald sowas von 90er. Wenn es diese Zweiteilung im Gesundheitswesen nicht sowieso schon gäbe, man käme sich wie ein Patient zweiter Klasse vor, wenn man „nur“ auf eine Leber wartet, derweil der Bettnachbar im Katalog blättert, um sich von eigens zu diesem Zweck aus armen Ländern entführten begnadeten Körpern einen standesgemäßen auszusuchen. Denn wenn ein gesunder Kopf einen anderen Körper bekommt, wird ja streng genommen kein Kopf verpflanzt, sondern ein Körper. Ist schon entschieden, wessen Namen die neu geschaffene Kreatur weiterführen darf? Der Körperspender steuert immerhin den größeren Teil bei. Verliert vor dem Hintergrund all dessen der Begriff „Normalsterbliche“ nicht komplett an Bedeutung?

Auch wenn das Anbringen eines neuen Penis´ wohl nicht primär der Steigerung der Lebenserwartung dient, feiern die Doktoren mit solchen Aktionen tolle Erfolge, die im Einzelfall Leben verlängern können.

The message is… gude Laune

Jetzt aber die gute Nachricht für alle, die das Glück genießen, nicht auf irgendein Körperteil eines geeigneten Spenders angewiesen zu sein: Auch für Otto Normalpatient gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, um wenigstens statistisch betrachtet einem frühen Ableben entgegenzuwirken:

Man kann sich zum Beispiel einen Hund anschaffen, wodurch sozialer Vereinsamung und Bewegungsmangel effektiv vorgebeugt wird, die beide Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein können. Diesen Zusammenhang wiesen kürzlich Forscher der schwedischen Universität Uppsala nach. (Der für unsere Ohren drollig klingende Name soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um seriöse Forschung handelt.) Besonders bei Singles wirkt sich das Vorhandensein eines Hundes außerordentlich positiv aus. Bevor jetzt aber alle ihre Partner aus dem Haus werfen, sei erwähnt, dass das Alleinleben überhaupt erst ein größeres Risiko für solche Erkrankungen begründet.

Damit wären wir bei einem weiteren Mittel zu einem längeren Leben. Anders als man normalerweise erwarten würde, ist nämlich auch die Ehe geeignet, die Lebenserwartung zu steigern. Ich würde vorsichtshalber aber auch hier den Einzelfall betrachten. Da eine Eheschließung zunächst unbefristet bis ans Lebensende gültig ist, steigt ja mit der allgemeinen Lebenserwartung auch das Risiko, wenn man sich allzu voreilig auf einen einzigen Partner bis dahin festlegt. Nicht selten geht ja der Partner einem irgendwann so sehr auf den Keks, dass man ihn erschießt. Zumindest einer der beiden hat dann schonmal nicht von der lebensverlängernden Wirkung dieser Institution profitiert. Genauer hingeschaut, findet man auch prompt den Hinweis: Glücklich sollte die Ehe schon sein, um diesen Effekt zu haben. Aber ist das nicht schon ein Widerspruch in sich? Der Vollständigkeit halber sollte Erwähnung finden, dass der mit der Maßnahme des Erschießens in den meisten Gesellschaften riskierte Gefängnisaufenthalt sich dann auf die Lebenserwartung des Schützen ebenfalls negativ auswirkt. Eine Lose-lose-Situation also, weshalb diese Lösung wirklich nur im Notfall angewendet werden sollte.

Weitere Anregungen für ein langes Leben: Das Ausüben einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Das zumindest ist nicht so offensichtlich wie die Empfehlung mit dem Sport, die sich mittlerweile wohl schon herumgesprochen hat.

Ehrenamt, Sport, Hund – all diesen Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie zwar die Lebenserwartung steigern, ihrerseits allerdings ebenfalls Zeit beanspruchen. Die von der Gesamtlebenszeit natürlich wieder abgezogen werden muss, möchte man sich ein ausgewogenes Urteil bilden, ob sich der Einsatz lohnt. Ich habe zwar außer der Sache mit dem Sport alles schon ausgetestet, stehe aber nun vor dem Problem, dass ich noch nicht absehen kann, wie lange ich noch lebe. Bis jetzt habe ich Zeit also nur investiert. Ob ich am Ende des Lebens Zeit herausbekomme, ist kaum seriös vorauszusagen. So oder so – der Unterschied besteht in der Qualität: Sportler sterben gesünder, Ehrenamtler mit sich selbst und der Welt zufriedener, Hundehalter, generell Tierbesitzer glücklicher.

Der letzte Tipp: Eine positive Grundeinstellung bewahren.

Ja, ich musste auch erst einmal lachen. Nach genauerem Hinsehen konnte ich mich der Logik allerdings nicht entziehen: Weil sich durch den permanenten medizinischen Fortschritt natürlich die Wartezeit auf Paradiese, Wiedergeburten und ähnliche Versprechungen durchschnittlich stets weiter verlängert, spricht nämlich überhaupt nichts dagegen, das Leben vor dem Tod etwas würdevoller zu gestalten. Wenn schon nicht gesamtgesellschaftlich, dann wenigstens individuell. Das erfordert mehr als bloße Durchhalteparolen, das muss authentisch vorgelebt werden!

Darüberhinaus: Schlechte Laune konsequent zu Ende gedacht, endet in nicht wenigen Fällen im Freitod. Dieser jedoch, das leuchtet auf den ersten Blick ein, ist mit einem längeren Leben nur selten gut vereinbar. Also am besten immer heiter weiter. Pfandflaschen von glücklichen Senioren eingesammelt! Und bloß einen kühlen Kopf bewahren – man selbst oder jemand anderes könnte ihn noch brauchen.

(K)eine falsche Bewegung

Jeder kennt diese Videos, wo jemand sich ordentlich auf die Fresse legt, weil er Dinge ausprobiert, welche die Evolution für seinen Körper ganz offensichtlich nicht vorgesehen hat. Oder in denen ein gerade errichtetes Werk soeben noch stolz betrachtet wird, um sodann von einer Sekunde zur nächsten zusammenzubrechen. Am Missgeschick Anderer auf solche Weise teilzuhaben ist ein scheinbar fast so großes Bedürfnis wie das Betrachten von Bewegtbildern von Katzen.

Was viele bis jetzt nur geahnt haben: Das könnte alles ich sein. Körperlich so ungraziös, handwerklich so minderbegabt, dass es bis jetzt reiner Zufall ist, noch nicht selbst bei einem peinlichem Fehlgriff oder -tritt auf Video verewigt und viral verbreitet worden zu sein.

Deswegen höre ich mittlerweile immer auf zu arbeiten, sobald eine eingeschaltete Kamera zu wittern ist. Mehr noch: Inzwischen meide ich generell Situationen, in denen ich dazu verleitet sein könnte zu tanzen, Ski zu fahren oder hochkomplexe handwerkliche Tätigkeiten wie das Wechseln eines Leuchtmittels in Gegenden auszuführen, die zu erreichen ich auf Gegenstände steigen müsste. Weil ich aber trotzdem gern helfe, wenn ich gefragt werde, vielleicht aber auch einfach nur weil alle anderen schnell genug weg sind, wenn nach Hilfe gefragt wird, bin ich gern gesehener Helfer bei Umzügen, Entrümpelungen oder einfach überall dort, wo Gegenstände von A nach B bewegt werden müssen. Selbst einen Grabstein habe ich im Laufe meiner Karriere schon geschleppt. Beim Tragen kann ja nicht allzu viel passieren.

Daher hier meine Top 5 der Unfälle bei Möbeltransporten:

Platz 5: Der Auslöser

Weil der nun folgende Geniestreich erst ein Wochenende zurück liegt, ist er überhaupt der Ursprung des Gedankens, dem Thema einen Blogeintrag zu widmen. Und allein schon weil es uns gelungen ist, an dem Tag von fünf Teilen drei nicht im ursprünglichen Zustand ans Ziel zu bringen, ist die Aufnahme in diese Top 5 gerechtfertigt. Drei von fünf – keine ganz schlechte Quote, wenn man die durch Lebenserfahrung gewonnene Einsicht „Schlimmer geht’s immer“ berücksichtigt.

Die Details sind schnell erzählt: Beim ersten Teil, einer Kommode, war ich zum Glück nicht mit beteiligt, als sie auf dem Weg zum Anhänger eine ihrer Türen verlor. Das zweite Missgeschick ist während der Fahrt geschehen, obwohl wir alle bei der Abfahrt noch so glücklich waren, dass alles genau so ´reinpasst, dass die Ladung formschlüssig gegen Verrutschen gesichert war.

Beim dritten Mal, einer Vitrine, kann ich mich leider nicht mehr ´rausreden. Als es galt, das gute Stück am Treppenabsatz über das Geländer zu hieven, bot es sich für mich an, an ein Brett zu greifen, das ursprünglich als Abstandhalter mit zwei einfachen Schräubchen am Oberboden befestigt worden war. Konsequenterweise ist es dann auch passiert. Wo sich kurz zuvor noch eine große Vitrine über meinem Kopf befand, hielt ich jetzt lediglich noch dieses winzige Brettchen in meinen Händen über meinem Kopf als wäre es das Heilige Brett. Währenddessen knallte der schwere Rest des Möbels auf meine Unterarme und von dort zum Glück ohne Umweg über meinen Schädel weiter auf die Treppe, wo sich durch die Erschütterung die Glasscheibe aus dem Rahmen löste und mit viel Rums nach unten Richtung Rückwand donnerte und aber durch eine Fügung des Schicksals unversehrt blieb.

Glück gehört halt dazu.

Platz 4: Vorsicht Glas

Weniger Glück hatte mein Bruder, als wir zusammen eine gebrauchte Schrankwand für ihn abholten. Das Auseinandernehmen, soweit möglich, war schnell erledigt; das Einladen schien dank handlicher, leichter Einzelteile eine Formsache zu werden. Zum Warmwerden hatte ich als erstes die Glastüren in Decken gehüllt und nahe des Einstiegs auf der Ladefläche des 7,5-Tonners deponiert. Am Einstieg. Mit Absicht. Eben weil man dort mit einem Blick sieht, dass schon etwas liegt.

Ich behaupte bis heute, dass das Risiko an dieser Stelle objektiv geringer als an jedem anderen Ort auf der Ladefläche war. Dummerweise schert sich mein Bruder nicht um solche statistischen Details und latscht mit dem ersten Schritt, den er auf dem Fahrzeug macht, auf die Decken bzw. den Inhalt. Das charakteristische Knacksen meldete unbarmherzig zurück, dass von 95 Kilogramm Lebendgewicht ein paar Gramm zuviel für mindestens eine der Glastüren waren. Bei der Größe des Autos waren als Einstiegsmöglichkeit runde zwei Meter in der Breite übrig, die frei von Decken und sonstigem Gedöns waren. Selbst wenn also keine Glastüren darin eingehüllt gewesen wären, bleibt die noch immer unbeantwortete Frage, was genau jemanden dazu veranlasst, bei so viel Ausweichmöglichkeit ausgerechnet über einen Stapel Umzugsdecken zu laufen.

Platz 3: Eltern verzeihen alles

Einer meiner bittersten Momente, der seine Brisanz nicht durch einen spektakulären Sturz erhält, sondern durch den Sachverhalt, dass der Schaden entstand, bevor die Sache überhaupt das allererste Mal benutzt werden konnte.

Die sechs Stühle waren bereits oben, die Herausforderung angesichts eines großen, schweren Tisches hatten mein Vater und ich noch vor uns. Die Herausnahme der vier zusätzlichen Platten, die innerhalb des Tisches auf ihren Einsatz bei einer der damals zahlreichen Festivitäten warteten, sollte uns wenigstens ein bisschen Erleichterung verschaffen. Bezüglich des Tisches hatte das alles auch seinen Zweck zu 100 Prozent erfüllt; das Problem waren die herausgenommenen Platten. Diese wollte ich einzeln aufrecht auf die zur Stufe eingestellte Hebebühne lehnen. Eigentlich sollte so nichts verrutschen können. Sagen wir lieber einschränkend: Solange sich auf dem Fahrzeug niemand bewegt. Genau das war aber ja der Fall, als ich die nächsten Platten holen wollte. Also ist an der wegrutschenden Tischplatte eine Ecke abgesplittert. Was die Funktion freilich nicht beeinträchtigt hat, aber bestimmt nicht das ist, was man sehen möchte, wenn man den Tisch vor gerade einer halben Stunde für einen vierstelligen Betrag neu gekauft hat. Da ich sehr sicher einen guten Teil der Eigenschaften meines Vater geerbt habe, weiß ich inzwischen, wie sehr er sich damals auf die Zunge gebissen haben muss.

Platz 2: Mein erstes Mal

Auch wenn mir von vorherigen derartigen Hilfeleistungen die Problematik mit Waschmaschinen bewusst war, handelte es sich eigentlich um einen kleinen Fisch: Eine Waschmaschine von der zweiten Etage in den Keller. Drei Leute, ein Teil, kein Auftrag! Zumindest solange keiner stolpert. Jedoch ist mir dann auf halber Strecke genau das passiert. Mein Partner unten tat geistesgegenwärtig genau das, was man in einer solchen Situation macht: Loslassen und Arsch retten. Ich oben tat geistesgegenwärtig ebenfalls das, was man in einer solchen Situation macht: Ich versuchte, die Waschmaschine festzuhalten. So wie einst mein Kollege sein Bierglas samt Inhalt rettete, als er in der Disco kopfüber mehrere Stufen hinunterfiel, aber keinen Tropfen verschüttete. Anders als dieser konnte ich meinen Kampf aber letzten Endes nur verlieren. Es war ein ziemliches Getöse. Und da Treppenhäuser bekanntlich sehr laut sind, dauerte es nur wenige Sekunden, bis sich die erste Tür öffnete. Eine ältere Frau kam aus ihrer Wohnung, sah sich um und verschwand wieder, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass an ihrer Tür und am Treppenhaus alles intakt geblieben war. Immerhin: Dass sie sich für meinen Zustand überhaupt nicht interessiert hat, obwohl ich gerade meinen kompletten Körper abtastete, sorgte den restlichen Tag immer wieder für Lacher. Schließlich pflegte bereits zu jener Zeit die ältere Generation der jüngeren vorzuwerfen, sich für die Mitmenschen nicht sonderlich zu interessieren. Aus dieser Zeit habe ich mitgenommen, dass das neben anderen Faktoren unter anderem am Mangel an guten Vorbildern liegen könnte.

Platz 1: Die Mutter aller Unfälle

Der Vorfall ereignete sich beim Umzug eines befreundeten Pärchens und hat schon deshalb den ersten Platz verdient, weil wie immer niemand verletzt wurde, es aber dermaßen gepoltert hat, dass alle anderen Beteiligten panisch zu Hilfe geeilt kamen. Jedoch war das einzige, was sie sehen konnten, ein etwas rundlicher Micky, der halb in der Wohnung der unterhalb wohnenden Nachbarin lag, weil deren Tür die Wucht seines Aufpralls nicht standgehalten hat, als er auf der Treppe gestolpert und selbige heruntergepurzelt ist. Die Matratze, die ich gerade heruntertragen wollte, lag passenderweise halb neben, halb auf mir, so dass Sprüche wie „Einen besseren Ort für Deine Pause hast Du wohl nicht gefunden“ natürlich nicht lange auf sich warten ließen, nachdem geklärt war, dass ich keinen bleibenden Schaden mitgenommen hatte.

Die Nachbarin selbst hat, weil abwesend, nichts mitbekommen. Weil die betagte Dame aber an und für sich vorher zugesagt hatte, ihre Tür zu öffnen, damit wir es im engen Treppenhaus mit den großen Teilen etwas leichter haben, haben am Ende alle Helfer von meiner szenischen Umsetzung des Sprichwortes „mit der Tür ins Haus fallen“ profitiert.

Ausblick

Erstaunlicherweise hat mein Ruf unter all diesen Zwischenfällen weniger gelitten als mein geschundener Körper: Ich werde trotzdem immer wieder gefragt. Nicht dass ich diese Absicht verfolge, aber nachdem ich hiermit das ganze Ausmaß öffentlich gemacht habe, würde es mich nicht wundern, wenn das in Zukunft seltener geschähe.

Gute Pläne, schlechte Pläne

Als die Welt noch in Ordnung schien, das heißt zu einer Zeit, in der mir schon länger gedämmert war, dass sie keineswegs in Ordnung ist, aber eine intakte, weil frische Beziehung die Illusion nährte, dass wenigstens individuell alles gut werden könne, begab es sich eines Sonntagmorgens, dass meine spätere Frau mich mit einem Vorschlag überraschte: Sie hatte einen Flohmarkt für uns herausgesucht, den zu besuchen unser Vormittagsprogramm des damaligen Tages werden sollte. Sie hatte ja offensichtlich keine Ahnung, was sie damit anrichtet. Denn hätte sie diese Ahnung auch nur im Ansatz gehabt, dass das nämlich die folgenden Jahre unsere Beschäftigung für ziemlich jeden Sonntag von März bis Oktober wird – sie wäre an besagtem Tag wahrscheinlich bis zum Nachmittag liegengeblieben.

Flohmarktbegeistert war ich freilich schon vorher gewesen. Bereits früh in meinem Leben überzeugte mich das Konzept, dass Gegenstände, für die ich mich mit einiger Berechtigung niemals interessiert habe, durch die bloße Tatsache, dass sie günstig zu erstehen sind, plötzlich ein dringendes Bedürfnis in mir wecken, sie haben zu müssen.

Bis kurz nach dem Aufwachen an besagtem Tag hieß Flohmarkt für mich aber: Samstags am Offenbacher Maindamm. Dieser Markt war eine Institution. Schon als ich mein geringes zur Verfügung stehende Einkommen noch überwiegend in Alkoholika angelegt hatte, war ich Woche für Woche dort anzutreffen. Auch um nach Schnäppchen zu sehen, aber eigentlich mehr um Leute zu treffen. Der Spaziergang entsprang also einer ähnlichen Motivation wie derjenigen, wegen der manche Leute Spiele des OFC besuchen. Wie vom Leben allgemein erwartet man auch von diesen 90 Minuten nicht viel, bekommt am Ende sogar auch meistens genau das, nämlich nichts, aber man hat dafür einen Haufen Bekannter gesehen. Zweck erfüllt, bis nächste Woche dann..!

Die Sonntagsmärkte haben mir dann gänzlich neue Möglichkeiten eröffnet: Mit deutlich weniger Aussicht auf Treffen von Bekanntschaften zwar, dafür aber mit einer Vervielfachung potentieller Angebote, die ich nicht ablehnen kann.

Dabei muss ich mir selbst zugute halten, bis auf wenige Ausnahmen nie geschmacklose Einrichtungsgegenstände angeschleppt zu haben, sondern immer nur Dinge, die ich gebraucht habe. Ja, vielleicht brauchte ich sie nicht sofort, sondern hatte eher so einen Verdacht, ich könnte sie irgendwann einmal gut gebrauchen. Also genau genommen Sachen, die man überhaupt nicht braucht, aber trotzdem mitnimmt. Weil man die „nie wieder so günstig“ bekommt. Regalmeterweise Bücher habe ich im Laufe eines halben Lebens auf diese Weise akkumuliert. Ohne Aussicht, jemals alles lesen zu können, es sei denn, ich würde das andere halbe Leben durch irgendwelche Umstände zum Privatier. Dann dürfen aber keine neuen Titel mehr dazukommen. Wenn ich ehrlich bin: Nach einem gut durchdachten Plan klingt das nicht.

Der Preis ist heiß

Dabei wäre alles halb so schlimm, wenn nicht die Ahnung, dieses oder jenes vielleicht irgendwann im Laufe des restlichen halben Lebens noch zu benötigen, auf der anderen Seite das größte Hindernis wäre, sich auch ´mal wieder von Dingen zu trennen. Nehmen wir als Beispiel den Zimmerbrunnen in der Optik einer prall gefüllten Obstschale. Meine nunmehrige Ex-Gattin, in der Anhäufung von Tinnef ja nun selbst kein unbeschriebenes Blatt, hatte entschieden, dass in der Wohnung dafür kein Platz ist. Ich bin sehr sicher, dass ich das Teil nach der Trennung verwendet hätte. Vielleicht nicht aus ästhetischen Gründen, denn zugegeben war der Brunnen irgendwie in der Tat hässlich. Aber aus Prinzip hätte ich den hier aufgestellt! Bloß dass der Brunnen schon längst Geschichte ist. Nicht dass sie ihn nach einer gewissen Karenzzeit einfach heimlich entsorgt hätte. Nein, sie hat ihn auf dem Flohmarkt verkauft. An jemand Unbekannten, einfach so. Immerhin hat uns die Aussicht, dass der ungeliebte Brunnen möglicherweise im nächsten Haushalt das exakt gleiche Schicksal erleidet wie hier, am Ende beide amüsiert.

Welche Erkenntnis lehrt uns diese Episode? Schlicht und einfach dass ich als Verkäufer mutmaßlich nicht so gut geeignet bin, weil ich mir dieses Eventuell-noch-mal-brauchen-und-deshalb-selbst-an-dem-letzten-Mist-noch-hängen-Gefühl so teuer bezahlen lassen wollen würde, dass niemand auf die Idee käme, den aufgerufenen Preis auch zahlen zu wollen.

Immerhin: Wenn ich mich dazu durchringe, mich von etwas zu trennen, dann zu Discountpreisen: „Jedes Buch 1 Euro, 2 Bücher 2 Euro“ Was auch immer letzten Endes die Motivation für den Einzelnen gewesen sein mag – die Mehrheit hat gleich zwei Titel gekauft. Irgendwann probiere ich auch aus, ob es mit „Jedes Buch 1 Euro, 2 Bücher 3 Euro“ auch so gut funktioniert.

Wo wir gerade beim Thema sind: Selbst nach einem halben Leben Flohmarkterfahrung ist mir das Verhandeln bis heute ein Graus. Entweder ist mir der genannte Preis genehm und ich zahle bereitwillig, oder ich gehe kommentarlos weiter. Man könnte also sagen: Ich habe das Prinzip Flohmarkt nicht verstanden. Mindestens genauso wahrscheinlich ist aber der tiefer liegende Grund meiner Antipathie gegen das Schachern eine generelle Abneigung fremden Menschen gegenüber. Mit dem Resultat, dass ich mit ihnen auch nicht mehr reden möchte als unbedingt notwendig. Diese meine aufrichtige Misanthropie hält mich jedoch nicht von Tagträumen ab, in denen mir ein Verkäufer sagt: „Moment, Du bekommst noch etwas ´raus. Ich habe zwar gesagt, dass ich fünf Euro dafür haben möchte, aber doch nur in der Annahme, dass Du mir dann einen bietest und wir uns dann nach siebenmal hin und her bei drei Euro treffen. Womit ich als Erlös für diesen zeitlos schönen Zimmerbrunnen sehr zufrieden bin. Daher bekommst Du noch zwei Euro zurück.“

Offen gestanden: Ein besonders realistisches Szenario ist das nicht.

Ähnliches gilt für die Vorstellung, die Welt könnte irgendwann doch noch wenigstens halbwegs in Ordnung werden.

Trotzdem höre ich nicht auf, daran zu glauben.

Seite 14 von 19

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén