Als die Welt noch in Ordnung schien, das heißt zu einer Zeit, in der mir schon länger gedämmert war, dass sie keineswegs in Ordnung ist, aber eine intakte, weil frische Beziehung die Illusion nährte, dass wenigstens individuell alles gut werden könne, begab es sich eines Sonntagmorgens, dass meine spätere Frau mich mit einem Vorschlag überraschte: Sie hatte einen Flohmarkt für uns herausgesucht, den zu besuchen unser Vormittagsprogramm des damaligen Tages werden sollte. Sie hatte ja offensichtlich keine Ahnung, was sie damit anrichtet. Denn hätte sie diese Ahnung auch nur im Ansatz gehabt, dass das nämlich die folgenden Jahre unsere Beschäftigung für ziemlich jeden Sonntag von März bis Oktober wird – sie wäre an besagtem Tag wahrscheinlich bis zum Nachmittag liegengeblieben.

Flohmarktbegeistert war ich freilich schon vorher gewesen. Bereits früh in meinem Leben überzeugte mich das Konzept, dass Gegenstände, für die ich mich mit einiger Berechtigung niemals interessiert habe, durch die bloße Tatsache, dass sie günstig zu erstehen sind, plötzlich ein dringendes Bedürfnis in mir wecken, sie haben zu müssen.

Bis kurz nach dem Aufwachen an besagtem Tag hieß Flohmarkt für mich aber: Samstags am Offenbacher Maindamm. Dieser Markt war eine Institution. Schon als ich mein geringes zur Verfügung stehende Einkommen noch überwiegend in Alkoholika angelegt hatte, war ich Woche für Woche dort anzutreffen. Auch um nach Schnäppchen zu sehen, aber eigentlich mehr um Leute zu treffen. Der Spaziergang entsprang also einer ähnlichen Motivation wie derjenigen, wegen der manche Leute Spiele des OFC besuchen. Wie vom Leben allgemein erwartet man auch von diesen 90 Minuten nicht viel, bekommt am Ende sogar auch meistens genau das, nämlich nichts, aber man hat dafür einen Haufen Bekannter gesehen. Zweck erfüllt, bis nächste Woche dann..!

Die Sonntagsmärkte haben mir dann gänzlich neue Möglichkeiten eröffnet: Mit deutlich weniger Aussicht auf Treffen von Bekanntschaften zwar, dafür aber mit einer Vervielfachung potentieller Angebote, die ich nicht ablehnen kann.

Dabei muss ich mir selbst zugute halten, bis auf wenige Ausnahmen nie geschmacklose Einrichtungsgegenstände angeschleppt zu haben, sondern immer nur Dinge, die ich gebraucht habe. Ja, vielleicht brauchte ich sie nicht sofort, sondern hatte eher so einen Verdacht, ich könnte sie irgendwann einmal gut gebrauchen. Also genau genommen Sachen, die man überhaupt nicht braucht, aber trotzdem mitnimmt. Weil man die „nie wieder so günstig“ bekommt. Regalmeterweise Bücher habe ich im Laufe eines halben Lebens auf diese Weise akkumuliert. Ohne Aussicht, jemals alles lesen zu können, es sei denn, ich würde das andere halbe Leben durch irgendwelche Umstände zum Privatier. Dann dürfen aber keine neuen Titel mehr dazukommen. Wenn ich ehrlich bin: Nach einem gut durchdachten Plan klingt das nicht.

Der Preis ist heiß

Dabei wäre alles halb so schlimm, wenn nicht die Ahnung, dieses oder jenes vielleicht irgendwann im Laufe des restlichen halben Lebens noch zu benötigen, auf der anderen Seite das größte Hindernis wäre, sich auch ´mal wieder von Dingen zu trennen. Nehmen wir als Beispiel den Zimmerbrunnen in der Optik einer prall gefüllten Obstschale. Meine nunmehrige Ex-Gattin, in der Anhäufung von Tinnef ja nun selbst kein unbeschriebenes Blatt, hatte entschieden, dass in der Wohnung dafür kein Platz ist. Ich bin sehr sicher, dass ich das Teil nach der Trennung verwendet hätte. Vielleicht nicht aus ästhetischen Gründen, denn zugegeben war der Brunnen irgendwie in der Tat hässlich. Aber aus Prinzip hätte ich den hier aufgestellt! Bloß dass der Brunnen schon längst Geschichte ist. Nicht dass sie ihn nach einer gewissen Karenzzeit einfach heimlich entsorgt hätte. Nein, sie hat ihn auf dem Flohmarkt verkauft. An jemand Unbekannten, einfach so. Immerhin hat uns die Aussicht, dass der ungeliebte Brunnen möglicherweise im nächsten Haushalt das exakt gleiche Schicksal erleidet wie hier, am Ende beide amüsiert.

Welche Erkenntnis lehrt uns diese Episode? Schlicht und einfach dass ich als Verkäufer mutmaßlich nicht so gut geeignet bin, weil ich mir dieses Eventuell-noch-mal-brauchen-und-deshalb-selbst-an-dem-letzten-Mist-noch-hängen-Gefühl so teuer bezahlen lassen wollen würde, dass niemand auf die Idee käme, den aufgerufenen Preis auch zahlen zu wollen.

Immerhin: Wenn ich mich dazu durchringe, mich von etwas zu trennen, dann zu Discountpreisen: „Jedes Buch 1 Euro, 2 Bücher 2 Euro“ Was auch immer letzten Endes die Motivation für den Einzelnen gewesen sein mag – die Mehrheit hat gleich zwei Titel gekauft. Irgendwann probiere ich auch aus, ob es mit „Jedes Buch 1 Euro, 2 Bücher 3 Euro“ auch so gut funktioniert.

Wo wir gerade beim Thema sind: Selbst nach einem halben Leben Flohmarkterfahrung ist mir das Verhandeln bis heute ein Graus. Entweder ist mir der genannte Preis genehm und ich zahle bereitwillig, oder ich gehe kommentarlos weiter. Man könnte also sagen: Ich habe das Prinzip Flohmarkt nicht verstanden. Mindestens genauso wahrscheinlich ist aber der tiefer liegende Grund meiner Antipathie gegen das Schachern eine generelle Abneigung fremden Menschen gegenüber. Mit dem Resultat, dass ich mit ihnen auch nicht mehr reden möchte als unbedingt notwendig. Diese meine aufrichtige Misanthropie hält mich jedoch nicht von Tagträumen ab, in denen mir ein Verkäufer sagt: „Moment, Du bekommst noch etwas ´raus. Ich habe zwar gesagt, dass ich fünf Euro dafür haben möchte, aber doch nur in der Annahme, dass Du mir dann einen bietest und wir uns dann nach siebenmal hin und her bei drei Euro treffen. Womit ich als Erlös für diesen zeitlos schönen Zimmerbrunnen sehr zufrieden bin. Daher bekommst Du noch zwei Euro zurück.“

Offen gestanden: Ein besonders realistisches Szenario ist das nicht.

Ähnliches gilt für die Vorstellung, die Welt könnte irgendwann doch noch wenigstens halbwegs in Ordnung werden.

Trotzdem höre ich nicht auf, daran zu glauben.