Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Autor: Micky Seite 12 von 19

Das F-Wort

Von kleineren Aufregern auf der Arbeit abgesehen hält das Leben zur Zeit kaum echte Ärgernisse bereit. Weil umgekehrt allerdings auch nur selten kleine Höhepunkte die Routine des Mittelmaßes nachhaltig durchbrechen, wäre es keine falsche Behauptung, alles plätschere so ein bisschen vor sich hin. Von wegen Wirrnis des Alltags – Übersichtlichkeit ist angesagt.

Obwohl sich die Tage also zur Zeit mehr oder weniger ähneln, würde ich gern der Vermutung widersprechen, mein Dasein sei uninteressant.

Gut, ich müsste mich andererseits nicht wundern, wenn jemand zu einer anderen Einschätzung gelangt. Dass zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung mitunter Welten liegen, kann ja auch ich nicht einfach so abschütteln. Es geht mir ja selbst nicht anders, wenn ich andere Menschen anhand von Ausschnitten ihres Lebens beurteile. Beispiel: Viele Leute stellen ihren Mitmenschen freiwillig Informationen zur Verfügung, die diese nicht wirklich verlangt haben. Das lässt natürlich Schlüsse zu. Mehr noch: Hat man sich vor noch nicht allzu langer Zeit noch darüber echauffiert, wenn man dank Mobiltelefonen unfreiwilliger Ohrenzeuge von teilweise sehr privaten Details aus dem Lebenswandel mancher Zeitgenossen wurde, geht diese Form der Lärmbelästigung inzwischen sogar noch einen Schritt weiter. Offenbar setzt es sich gerade zunehmend durch, mittels Lauthören der Umwelt auch noch die Gesprächsbestandteile der anderen Person zu präsentieren. Ich finde, an diesem Punkt hätte die Datenschutzgrundverordnung ansetzen sollen. Da haben die Gesetzgeber große Chancen liegen gelassen, bitte nachbessern. Niemandem würde es schlechter, dafür vielen besser gehen, wenn es so käme.

Selbst Befürchtungen, kulturpessimistische Feuilletonisten oder Comedians erhielten dadurch keine Inspirationen mehr, würden sich vermutlich schnell in Luft auflösen. Die menschlichen Vorlagen für abgenutzte Witze würden schließlich trotzdem noch frei herum laufen. Ich hatte irgendwann einmal als ich mit dem Hund lief ein solches Gespräch auf der Straße mithören dürfen. Eigentlich war es kein Gespräch, eher ein Monolog. Nein, eigentlich hatte jemand ein Opfer zum Zuhören gefunden. Oft bin ich ja selbst der Ansprechpartner, wenn jemand das Bedürfnis hat, mit einem fremden Menschen etwas besonders Groteskes oder meinetwegen auch nur besonders Irrelevantes teilen zu müssen. Und das nicht erst, seit ich mit dem altersschwachen Hund an meiner Seite nicht mehr schnell genug flüchten kann. In diesem Fall hatte ich das Glück, dass ein Anderer vor mir zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die Unterhaltung handelte grob umrissen von der Verrohung des Menschen anhand ausgewählter Beispiele aus dem Straßenverkehr. Er wollte also etwas für ihn unwahrscheinlich wichtiges loswerden und hatte wohl auch tief in sich drin eine Ahnung, dass er sein Gegenüber eher auf- als unterhält. Weswegen er sicherheitshalber nach jedem zweiten Satz die Ankündigung „Warte, gleich kommt´s“ einstreute. Einmal sogar „Jetzt kommt´s“ Blöderweise kam´s nicht. Da der Hund an meiner Seite wie gesagt einigermaßen alt und schwach ist, musste ich mir dieses Schauspiel ungelogene vier Minuten lang in dieser Ausführlichkeit anhören, ohne dass es letztendlich noch kam. Zumindest nicht bis ich um die nächste Ecke gebogen war.

Hair today, gone tomorrow

Ich zweifle gar nicht daran, dass seine pointenlose Geschichte für ihn ein sehr wichtiges Thema war. Für den gesamten Rest der Welt aber eben nicht, womit wir erneut beim Unterschied zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung angekommen sind. Das ist ja hier im Blog auch nicht wesentlich anders. Woher soll ich wissen, ob es die Welt interessiert, wenn ich beim Friseur war?

Nachdem mir die letzten rund 20 Jahre fürs Haareschneiden die Maschine gereicht hat, um die Matte gelegentlich wieder als Ganzes auf 5 Millimeter zu resetten, ist in mir in den letzten Wochen die Überlegung gereift, dass nicht alles, was für eine Wiese angemessen ist, auch für einen Mann im besten Alter das Mittel der Wahl sein muss. Immerhin könnte eine ordentliche Frisur auch ausschlaggebend sein, dass sich irgendwann doch nochmal eine Dame für mich interessiert. Ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, dass mir inzwischen jedes Mittel recht ist, um auf die richtige zu stoßen. Dafür – so jedenfalls meine Selbsteinschätzung – ist mein Leben auch ohne Partnerin interessant genug. Aber den Wettbewerbsvorteil, dass ich noch eine volle Haarpracht ohne kahle Stellen habe, kann ich ja auch ausnutzen gegenüber den Typen, denen angesichts eher lichten Bewuchses eigentlich kaum nennenswerte Möglichkeiten bleiben, ihre Haare derart gewinnbringend einzusetzen. Folgerichtig kann man bei vielen Männern das, was sich auf ihren Köpfen befindet, auch nicht ernsthaft überhaupt als Frisur bezeichnen.

Ach so, das Ergebnis sollte ich wohl auch kurz erwähnen. Lässt sich sehen. Meinen zumindest ein paar andere Leute. Da stimmen Selbst- und Fremdeinschätzung ausnahmsweise einmal überein. Eine Sache jedoch ist mir aufgestoßen. Dass nämlich einer meiner Kumpels seine Meinung dazu nicht kundtun konnte, ohne das F-Wort zu benutzen. Ich habe es ihm gleich gesagt, und er hat sich auch entschuldigt. Aber woher sollte er auch wissen, dass im Zusammenhang mit einer neuen Frisur die Vokabel „flott“ kein Lob ist, sondern einem Schlag in die Fresse gleicht?! „Flott“ sagen Tanten und Mütter über etwas, das sie für jung oder jugendlich halten. Dass dieser Personenkreis etwas flott findet, ist jedoch gleichzeitig der Beleg dafür, dass dieses Etwas in Wirklichkeit alles mögliche ist, nur nicht lässig. „Swaggy“ würde man heute dazu sagen, aber meine Tanten haben ja sogar noch „flott“ gesagt, nachdem es sich durchgesetzt hat, „cool“ zu sagen. Flott ist also streng genommen das exakte Gegenteil dessen, was damit ausgedrückt werden soll und aus diesem Grund das letzte, was ich hören will, wenn ich das erste Mal seit über 20 Jahren Geld für einen Friseur ausgegeben habe.

Da wir gerade beim Thema sind: Ebenfalls nach Möglichkeit nicht mehr hören will ich Kommentare von Leuten wie dem, der letzten Mittwochabend im Wetterpark durch besondere Schlauheit auffallen wollte. Wollte. Ihr wisst schon: Selbst- und Fremdeinschätzung und so. Wenn man nicht mehr regelmäßig an der Uni oder in Politzirkeln verkehrt, kann man manchmal vergessen, dass es eigentlich überall einen gibt, der meint, alles besser zu wissen. Trolle eben, bei denen ich dachte, dass sie sich inzwischen in den Untiefen des world wide web sehr viel besser aufgehoben fühlen als in der freien Wildbahn. Besagter Troll also hat im Fernsehen eine Sendung gesehen. Und mit diesem Expertenwissen ausgestattet ist es natürlich einfach, dem Pressesprecher des Deutschen Wetterdienstes Ahnungslosigkeit vorzuwerfen, weil jener auf die Stromspannung eines Blitzes komplett andere Zahlen kennt als in besagter Fernsehsendung genannt wurden. Wer im übrigen die Information, wie viele Gewitter es weltweit in jedem Moment gibt, mit dem Satz kommentiert, ihn interessiere nur Deutschland, offenbart vieles, allerdings nicht unbedingt tatsächliches Interesse an einem Thema.

Bereits als vor der Veranstaltung den Gästen Schokoküsse angeboten wurden, soll der durch die Aussage „Bei uns heißen die Negerküsse“ aufgefallen sein. Nur hatte leider niemand danach gefragt, wie die bei „uns“ heißen. Es interessierte auch niemanden sonst, welche Kameradschaftstreffen er wohl meint, wenn er von „uns“ spricht. Sondern die Frage war lediglich gewesen, wer einen haben möchte. Sollte es tatsächlich stimmen, dass der Mensch im wesentlichen der Durchschnitt der fünf Personen ist, mit denen er am meisten zu tun hat, gibt es im Prinzip schon wieder fünf Leute mehr, die ich nicht unbedingt kennenlernen muss.

Sollte die Annahme mit den fünf Personen aber zutreffend sein, stellen sich natürlich umgehend Anschlussfragen. Beispielsweise wer die fünf Personen sind, deren Durchschnitt ich abbilde. Da man mit Mitte 40 in der Regel mangels Zeit seinen Freundeskreis klein hält und die meisten Leute ebenfalls so eingespannt sind, dass man sie höchstens alle zwei Monate trifft, scheidet das selbstgewählte Umfeld praktisch aus. Es bleiben also als Haupteinflüsse im Prinzip nur die Kollegen.

Ohne jetzt irgendjemandem zu nahe treten zu wollen, habe ich da bei einigen von ihnen eine vielleicht manchmal übertriebene, gewiss aber nicht gänzlich unbegründete Skepsis, dass sich solcherlei Prägung auf lange Sicht positiv auf die Entwicklung meiner Persönlichkeit auswirkt.

Abteilung Orakel

Drei ernüchternde Fakten. Erstens: Ein Blogeintrag zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft benötigt keine originelle oder herausfordernde Einleitung. Der Leser kann bei diesem Thema viel einfacher abgeholt werden, etwa in der Art von „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.“ Genau genommen würde es auch reichen, die Daten 14. Juni sowie Russland zu nennen, und alle so: „Yeah!“

WM also. Zweitens: Bald werden auch wieder TV-Sender und diverse andere Medien, Tierparks und ähnliche Instanzen niedliche oder exotische Tiere aus dem Hut zaubern, die uns den Sieger der jeweils bevorstehenden Begegnungen orakeln sollen. Seit dem großen Erfolg von Krake Paul aus dem Oberhausener Aquarium vor acht Jahren setzen etliche auf die PR mittels des Disney-Effektes und werden deshalb sehr wahrscheinlich auch dieses Jahr allerlei Knuddeliges aus Ställen, Nestern und Käfigen an die Öffentlichkeit zerren.

Drittens: Dass beim Voraussagen von Fußballergebnissen Sachverstand nur eine untergeordnete Rolle spielt, beweisen nicht nur tierische Orakel, sondern regelmäßig auch die in Deutschlands Betrieben zu dieser Zeit massenhaft initiierten Tipprunden.

Da das WM-Fieber mich persönlich selbst weniger als drei Wochen vor Anpfiff noch nicht gepackt hat, kann man auch nicht unbedingt davon sprechen, dass die Organisation eines Tippspiels unter den Kollegen besondere Glücksgefühle in mir erzeugen würde. Ich hatte auch lange Zeit irgendwie gehofft, drum herumzukommen, indem ich einfach in keinem Gespräch erwähne, dass wir zur EM vor zwei Jahren auch eins gemacht hatten. Ich ging sogar so weit, die anstehende WM nicht mehr zu erwähnen, um bloß niemanden auf den dummen Gedanken zu bringen, dass wir ja ein Tippspiel machen könnten. Ich war ursprünglich sogar bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen und ganz allgemein Fußball nicht mehr proaktiv zum Gesprächsgegenstand zu machen. Was dies betrifft, hat mich jedoch die Dynamik der Ereignisse von meinem Vorsatz abgebracht, um hiermit wenigstens in einer Nebenerwähnung nochmal den grandiosen Pokalsieg der SGE letzte Woche zu würdigen.

Natürlich steht am Ende der Erkenntnisgewinn, dass es die WM und mit ihr also ein Tippspiel auch ohne mein Zutun auf die Agenda geschafft hat. Die Intervalle zwischen den Nachfragen nach einer Tipprunde wurden kürzer und kürzer. Wer eines machen will, soll sich darum kümmern – diese meine Antwort wurde wie so manches andere in diesem Betrieb so lange überhört, bis es dann irgendwann doch wieder an mir hängenblieb. Nun ja, da ich ja üblicherweise mit Oranje sympathisiere, die allerdings diesmal die WM boykottieren, verschenke ich wenigstens keine Punkte durch Wunschtipps. Ob das allein am Ende reichen wird, mich wenigstens nicht gar zu sehr zu blamieren und in der Wertung weit hinten zu landen, darf allerdings mit Recht bezweifelt werden. Auf den vorderen Rängen werden dafür wie immer diejenigen Sportsfreunde landen, die ihre Voraussagen genauso gut aus dem Kaffeesatz lesen könnten und damit regelmäßig die Gruppe der Experten düpiert.

Letztgenannte nämlich berücksichtigen neben Formkurven von Teams sowie einzelner ihrer Akteure sämtliche verfügbaren Statistiken, Gelbsperren, drohende Gelbsperren, Verletzungen, antizipierte taktische Erwägungen, die Dynamik eines Turniers und vieles mehr. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass solches Wissen beeindruckt, aber in den meisten Fällen falsch gewichtet wird. Anders formuliert bleibt ein Favorit auch dann noch Favorit, wenn der eigentlich gesetzte Verteidiger verletzungsbedingt ausfällt. Die Geheimformel für den Tippspielerfolg lautet also nicht etwa: Argentinien könnte im Turnier an dem Druck scheitern, dass es für viele im Aufgebot die mutmaßlich letzte Gelegenheit ihrer Karriere ist, Weltmeister zu werden. Kroatien dagegen hat die stärkste Mannschaft in seiner Geschichte, also wird Kroatien überraschend 1:0 gewinnen. Sondern: Argentinien? Die sind eigentlich immer vorne dabei, Kroatien ist nicht so gut, also 2:0 für Argentinien. Das tatsächliche Endergebnis ist anschließend in den meisten Fällen bestens geeignet, die Laien zum Jubeln und die Experten zum Kotzen zu bringen.

Dabeisein ist alles

Ich muss zugeben, dass es der Wissenschaft mit solchen Befunden nebenbei gelungen ist, mich mit meinen schlechten Platzierungen bei früheren Tippspielen zu versöhnen. Das bringt mir zwar meinen Spieleinsatz nicht wieder, lässt mir aber immerhin einen Teil meiner Ehre.

Darüber hinaus formulieren diese Erkenntnisse die Strategie für die kommende Tipprunde: Einfach ´mal den ersten intuitiven Tipp stehen lassen anstatt ihn umgehend wieder zu zerreden.

Da die Niederlande nicht teilnehmen (ich wiederhole es nur für den Teil meiner Leser, die es nicht oft genug hören können), muss ich jetzt lediglich noch bei den Engländern meine Fanbrille abnehmen anstatt mir bei ihnen regelmäßig Siegchancen einzubilden, wo bei Licht betrachtet keine sind.

Wenn ich beides beherzige, steht meinem nächsten Triumph beim Wetten eigentlich fast nichts mehr im Weg. Das letzte Mal, dass ich im Zusammenhang mit Fußball Geld gewonnen habe, war noch bei der klassischen Toto-Elferwette. Die Bundesliga spielte seinerzeit noch geschlossen samstags um 15.30 Uhr, und ich bekam seinerzeit etwa 6 Mark und 50 Pfennige für neun Richtige. Den Gewinn musste meine Mutter abholen, weil ich noch lange nicht volljährig war und also gar nicht hätte spielen dürfen. Man merkt an diesen Begleitumständen also schon, dass das alles runde 20 Jahre zurückliegen muss.

Dann freue ich mich doch jetzt schon auf unsere Grillfeier, wenn mir als Spielleiter die Aufgabe obliegt, mich selbst zu ehren für den ersten Platz. Die Vorstellung gefällt mir. Seit meiner Zeit als Vorsitzender im Schützenverein habe ich mich nicht mehr selbst aufgerufen. Wozu auch? Meinen Namen zu nennen oder zu hören, wenn es um herausragende Leistungen geht, bildet mein Selbstverständnis jedenfalls authentischer ab als ein professionelles Lächeln bei der Überreichung des Preisgeldes an die Kollegen ohne nennenswerten Fußballhintergrund, während sich in der Tasche die Hand zur Faust ballt.

Wobei die Zeremonie vor zwei Jahren eigentlich bewies – viertens: mit Helium im Körper geht auch das.

Alle Jahre wieder

Die Steuererklärung hat mit dem Geburtstag der Schwiegermutter mehr Gemeinsamkeiten, als man oberflächlich betrachtet vermutet. Offensichtlich ist zunächst: Beides findet einmal im Jahr statt. Reicht auch. Häufiger fände ich unangebracht. Es geht aber noch weiter. Beides rangiert in der Beliebtheit nur knapp über Wurzelbehandlungen oder Magenspiegelungen. Die Vorfreude ist – sagen wir – überschaubar.

Weil man also im Grunde ohne weiteres gut bis sehr gut leben könnte, wenn es beides nicht gäbe, werden sie zunächst bis kurz vor Ultimo gekonnt ignoriert. Und am Ende macht man aber doch mit, um größeren Ärger zu vermeiden. Ich würdige eigentlich zu selten mein Glück, dass ich seit einiger Zeit nur noch einen dieser beiden Pflichttermine beachten muss.

Es ist im Falle der Steuererklärung das Unerquickliche daran ja nicht nur die wertvolle Lebenszeit, die einem dadurch unnötigerweise von der Uhr genommen wird. Als besonders lästig empfinde ich persönlich vor allem auch, dass sie mir meine nicht zufrieden stellende finanzielle Gesamtsituation vor Augen führt, obwohl ich darüber in dieser Ausführlichkeit eigentlich gar nicht Bescheid wissen wollte. Sie erinnert mich einmal im Jahr daran, dass ich im Leben auch ´mal Entscheidungen getroffen habe, die damals sicherlich richtig gewesen sein mögen, die ich mit dem Wissen von heute allerdings nicht mehr exakt so treffen würde. Wer konnte denn zum Beispiel ahnen, dass Geld irgendwann eine doch sehr viel größere Rolle spielen würde als man sich das in jungen Jahren erträumt hatte. Da kommt dann auch wieder die Schwiegermutter ins Spiel, die ja von Beginn an skeptisch war ob meiner Erklärung, dass es zu viel mehr als einer Stehplatzkarte ja auch nicht ausreichen müsse.

Ihre Skepsis hätte mich natürlich meinerseits skeptisch machen müssen. Ein Gedanke sicher lohnenswert, ihn weiter zu verfolgen. Stattdessen soll aber die Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle gelenkt werden, an der ich wohl definitiv verkehrt abgebogen bin.

Irgendwann im Mai 2005, die Beziehung zu meiner heutigen Ex-Gemahlin war gerade ein knappes Jahr jung, ersteigerte ich aus der dunklen Ahnung heraus, dass ich ihr wohl etwas mehr bieten müsste als eine Dreiviertel-Stelle als ungelernter Lagerhelfer, in einer Nacht-ohne-Nebel-Aktion bei ebay eine gebrauchte Hüpfburg. Fortan arbeitete ich mit Hochdruck nebenher an meiner nunmehrigen Bestimmung, mir ein Imperium an Mietartikeln für Veranstaltungen aufzubauen. Der Hüpfburg folgten bald eine zweite und eine dritte, Glücksräder, Torwand, Kickertische, aber auch weniger sinnvolle Anschaffungen wie eine mobile Umkleidekabine und allerhand Dekoration. Das Inventar meines Allerlei-Verleihs füllte bald drei Garagen, und irgendwann war mein gesamtes Erspartes aufgebraucht. Es zeigte sich sehr schnell, dass ich vom Geschäftemachen in diesem Leben keine rechte Ahnung mehr bekommen würde. Aber mein Traum lebte weiter. Ein Traum, in welchem es hieß „Frag´ doch ´mal bei Mickys Welt“, wann immer für irgendeine Veranstaltung etwas Nützliches oder besonders Absurdes benötigt würde.

Gescheit gescheitert

Hätte ich zu jener Zeit einfach meine wöchentliche Arbeitszeit bei meiner normalen Anstellung aufgestockt, hätte dies mit Sicherheit zuverlässiger Geld in die Haushaltskasse gespült. Aber darum ging es längst nicht mehr nur. Irgendwie wollte ich was eigenes. Lieber ab und zu mit anstrengenden Kunden zu tun haben als täglich mit speziell einer anstrengenden Kollegin. Um die Verluste des Vermietungs-Geschäfts auszugleichen, versuchte ich mich kurz, aber erfolglos als LR-Berater im Multi-Level-Marketing. Als das nicht funktionierte, wurde ich Süßwarenhändler mit einem Snack Box Service. Weil schließlich nur wenige Menschen glaubwürdiger Süßwaren unter die Leute bringen können als ich. Dass ich mich mit allem hoffnungslos überladen hatte, ging mir erst sehr viel später auf.

Eine Kultur des Scheiterns existiere hierzulande nicht, wird allenthalben geklagt. Damit ist relativ sicher nicht gemeint, dass sich etliche gescheiterte Existenzen in guten und sehr guten Positionen befinden. Das gehört im Gegenteil fast schon zur Leitkultur dieses Landes, wenn ich mich so umschaue. Da passt es schon fast wieder, dass mein persönlicher Beitrag zum Thema äußerst unspektakulär daherkommt. Verbrannte Erde habe ich jedenfalls nirgendwo hinterlassen. Gut, ich habe mein weniges Erspartes verbrannt, aber außer mir selbst habe ich niemandem geschadet. Das Gewerbe besteht sogar bis heute. In abgespeckter Form und reduziert auf Luftballondienstleistungen. Und inzwischen sind meine Steuerbescheide auch nicht mehr nur vorläufig, weil eine Gewinnerzielungsabsicht nicht zu erkennen sei. Demnach könnte man zu dem Urteil gelangen, dass ich nicht ´mal für ein ordentliches Scheitern richtig gut zu gebrauchen bin.

Weil diese Überlegung zwar zulässig, als Schlussgedanke für diesen Blogeintrag allerdings unpassend wäre, muss ein positiv stimmender Abschluss her. Einer, der idealtypisch mit dem vorangegangenen Text und nicht mit dem DFB-Pokalsieg zusammenhängt. Nehmen wir doch das hier: Abgesehen von der LR-Episode waren alle Bemühungen trotz allem irgendwie typisch Micky.

Ein zumindest ansatzweise versöhnlich stimmender Gedanke. Noch eine Sache, die bei dieser jährlichen Pflichtübung eventuell zu wenig von mir gewürdigt wird.

One Night Stand am Samstagnachmittag

Entgegen der landläufigen Meinung gibt es im Frühjahr sehr wohl Lästigeres als Heuschnupfen. So imposant sich dieser im Einzelfall auch äußern mag, so geringwertig ist er genau genommen gegenüber einem Phänomen, an dem man als Fußballfan in dieser Zeit leidet. Wenn sich die Spielzeit ihrem Ende nähert und also wichtige Entscheidungen ausgespielt werden, sieht man sich das ein ums andere Mal mit Vereinen mitfiebern, deren Schicksal einen sonst berechtigterweise nicht die Bohne interessiert. Und das bloß weil sie einem anderen Verein, der in der Tabelle aktuell mit dem eigenen konkurriert, wertvolle Punkte abnehmen könnten.

Könnten. Man ahnt schon, worauf es hinausläuft. Meistens tun sie einem diesen Gefallen nämlich gar nicht und man hat völlig umsonst einer Truppe wie dem FC Augsburg die Daumen gehalten. Vielen Dank auch!

Da die Tabellenkonstellation gerade gegen Ende einer Saison nur höchst selten Spielbegegnungen hervorbringt, die zum sportsmännischen Wunsch einer gerechten Punkteteilung veranlassen, kommt der Moment des Daumenhaltens für einen ansonsten eher verhassten Verein beinahe zwangsläufig. Kennzeichen einer solchen merkwürdigen Verschwisterung auf Zeit ist übrigens zuvorderst ihre Einseitigkeit. Den Akteuren des anderen Vereins ist es nämlich einigermaßen egal, wen er im Falle von Sieg, Unentschieden oder Niederlage außerdem noch begünstigt.

Jetzt ist die Ausgangssituation vor dem letzten Spieltag der gestern abgelaufenen Saison folgende gewesen: Da mein Verein sein letztes Spiel ziemlich sicher verlieren würde, konnte ich mir wenigstens sparen, Hertha BSC gegen Leipzig über die Maßen viel Erfolg zu wünschen, auf dass der Verein meines Herzens letztere noch überholt. Nicht dass man nicht sowieso jede Woche zum jeweiligen Gegner der Leipziger hält, aber diesmal wäre der Nutzen noch größer. Weil man aber wie gesagt verlieren wird, war man auf fremde Schützenhilfe angewiesen, um wenigstens den siebten Platz zu behaupten. Ich durfte mich also eine Woche lang mit dem Gedanken anfreunden, dem FC Bayern sowie dem HSV die Daumen zu drücken, damit diese gegen Stuttgart respektive Mönchengladbach gewinnen. So weit, so schlecht bis hierhin. Es kam aber noch schlimmer. Ausgerechnet der HSV ist nun allerdings seit mindestens fünf Jahren eigentlich eher eine Belastung als eine Bereicherung für die Bundesliga. Wenn die gewinnen sollen, müsste ich gleichzeitig auch noch dem VfL Wolfsburg viel Erfolg wünschen, damit der direkte Abstieg für die Hamburger endlich eingetütet wird. Von neun Partien mussten also gleich drei in meinem Sinne ausgehen. Das alles nur weil mein eigener Klub nicht in der Lage sein würde, sein eigenes Spiel zu gewinnen.

Und dann ist Wolfsburg seinerseits ja auch nicht unbedingt der Verein, dem man unter allen Umständen einen Verbleib in der Bundesliga wünscht. Damit also gewährleistet wird, dass mindestens einer aus der Auswahl HSV oder Wolfsburg in der nächsten Spielzeit eine Klasse tiefer antreten muss, hat man bereits vergangenes Wochenende zum FSV Mainz gehalten.

Mainz.

Die Absurdität eines solchen Verhaltens zu begreifen hilft, wenn man es einmal ausspricht: „Ich hoffe, dass der FSV Mainz am Wochenende gewinnt.“ So was sagt man doch nicht! So was wagt man nicht einmal zu denken. Unter solchen Voraussetzungen also überhaupt noch von Vorfreude auf den nächsten Spieltag zu sprechen, ist der blanke Hohn. Das hat mit Sport nichts mehr zu tun!

Nur Fußball

Es gibt ja Leute, die kultivieren das über die komplette Saison hinweg, ganz gleich, wohin die Reise des eigenen Vereins im weiteren Verlauf des Spieljahres noch geht. Solchen Quatsch habe ich zum Glück nur kurze Zeit mitgemacht und wurde von meinem eigenen Verein aufgeklärt. Dass es nämlich nichts bringt, wenn ein Mittelklasseverein am 11. Spieltag einen vermeintlichen Konkurrenten aus dem Weg räumt und man deswegen vom 6. auf den 5. Platz klettert. Denn gewöhnlich steht man am 34. Spieltag sowieso wieder nur auf dem 14. Platz und hat rein gar nichts davon gehabt. Besagter Mittelklasseverein steht dann übrigens in der Tabelle einen Platz über dem eigenen, zwei Punkte mehr als wir. Hätte er also am 11. Spieltag standesgemäß verloren statt uns unfreiwillig zu einem Kurzzeit-Hoch zu verhelfen, wären wenigstens in diesem einem Punkt die Verhältnisse wieder gerade gerückt, wenn schon der ganze Rest der Saison seit dem 12. Spieltag irgendwie zum Wegsehen war.

Halten wir fest: Das Fremdgehen im Saisonendspurt ist zwar schon erbärmlich genug, im Einzelfall aber leider auch alternativlos. Ein Techtelmechtel zu einem verfrühten Zeitpunkt allerdings vereint gleich mehrere Nachteile eines klassischen Seitensprungs in sich:

Man weiß vorher schon, dass es irgendwie nicht ganz in Ordnung ist.

Der Spaß ist von begrenzter Dauer.

Irgendwann holt es einen sowieso ein.

Trotzdem würde man es wohl wieder tun.

Die Attraktivität des Flirt-Gegenübers spielt eine nicht nur tendenziell untergeordnete Rolle.

Ich möchte diesen Vereinen ihre Existenzberechtigung gar nicht absprechen. Wobei… ich fange den Absatz besser noch einmal an: Abgesehen von wenigen Ausnahmen, einige davon wurden hier bereits erwähnt, möchte ich diesen Vereinen ihre Existenzberechtigung gar nicht absprechen. Im Grunde genommen können sie ja nicht einmal etwas für ihr Problem, dass sie maximal halb so lässig sind wie mein Verein.

In diesem Sinne, nicht geehrte Damen und Herren von FCX, SVX, RBX oder wie Ihr alle heißt: Bildet Euch bitte nichts darauf ein, mich für 90 Minuten als Fan gewonnen zu haben. Ich bin ein Mann nicht ´mal für eine Nacht, sondern beschränke mich auf 90 Minuten am Nachmittag, zur Not auch am Abend, wenn der Spielplan das nur so einrichten kann. Selbstverständlich zuzüglich Nachspielzeit. Aber am nächsten Wochenende seid Ihr für mich wieder das, was Ihr schon immer wart: Fischköppe, Karnevalsvereine oder Bauern. Es gibt, das liegt bereits in der Logik der nun folgenden Aussage, nur einen geilsten Verein der Welt.

Alles andere ist sowieso nur Fußball.

Nur geträumt

Lohnarbeit bedeutet für die wohl meisten Menschen zunächst Mittel zum Zweck. Daneben kann sie eine Reihe anderer Funktionen haben. Manche Wenige sprechen dann von Erfüllung, Berufung, Bestimmung. Für viele Andere dürften wenigstens noch unterschiedlich ausgeprägte Formen von Selbstbestätigung zutreffend sein. Eines kann man dem Broterwerb allerdings ganz sicher nicht unterstellen: Dass er in besonderem Maß geeignet wäre, der Zeit, die um diese Arbeit herum stattfindet, einen kreativen Schub mitzugeben. Gelegentliche Inspirationen zu Blogthemen sind eher die diese Regel bestätigenden Ausnahmen.

Als ob die wenig liebevolle Umarmung des Alltags durch die Erwerbstätigkeit nicht schon ausreichen würde, kam bei mir dieser Tage dann auch noch das hier dazu:

Ich träumte des Nachts, wie der für unser bei der Arbeit anfallende Altpapier zuständige Containerdienst, nachdem er zunächst wie vorgesehen geleert hatte, am gleichen Tag ein zweites Mal kam und diesmal den ganzen Container mitnahm, um diesen frech einige Meter weiter bei der benachbarten Firma wieder abzustellen. Es hätte ein Traum nach meinem Geschmack werden können, der allerdings leider von meinem Wecker unterbrochen wurde, bevor ich deswegen Rangeleien mittlerer Güteklasse anzetteln durfte. Ohne dieses Happy End hinterlässt er vor allem Fragen.

Nicht viel besser zwei Tage später, als ich miterleben musste, wie es plötzlich Publikumsverkehr in unserem zur Zeit sowieso schon nicht besonders aufgeräumten Lager gab und ich mich darum kümmern musste, dass alte Frauen ihre Rückgaben korrekt erstattet bekommen. Was soll das? Gerade zum Wochenende hin hätte ich endlich ´mal wieder einen Traum erwartet, in dem die Fußballmannschaft meines Vertrauens im Saisonendspurt ein furioses 7:1 hinlegt. Eben einfach einen Traum, wie ihn jeder andere vernünftige Mensch träumt. Dass nach solchen Träumen meistens ein Grottenkick samt ernüchterndem 1:3 zu verbuchen ist – geschenkt! Aber ich will endlich wieder dahin, dass Träume meine Sehnsüchte, Hoffnungen, Ahnungen und auch Ängste ausdrücken. Und nicht so einen Scheißdreck wie Papiercontainer oder die Verwandlung meines Arbeitsplatzes in einen Supermarkt.

Es geht dabei nicht primär darum, dass mich die Arbeit nicht mehr allein in meinen Wachphasen über den Feierabend hinaus beschäftigt. Oder dass ich jetzt gleich zweimal bereits vor dem Aufwachen mitten in dem Thema bin, das ich unter normalen Umständen erst bei der morgendlichen Hunderunde allmählich in Angriff nehme. Verstörend ist vielmehr die völlige Unsinnigkeit dieser Träume. Wenn in diesen Träumen tatsächlich Unterbewusstes verarbeitet wurde, dann gute Nacht! Dann habe ich genug gesehen. Ich möchte bitte nicht tiefer in die Materie eintauchen und plädiere auf Schlafentzug.

Es gibt ja diese offensichtlichen Träume. Beispielsweise solche, in denen man nackt ist. Solche, in denen man von einer Wespe gestochen wird, deswegen aufwacht und feststellt: Okay, ein Stich als Symbol für Sex klingt in der Theorie gut, aber in diesem Fall lag der Traum wohl daran, dass so ein Vieh zwischen Fensterscheibe und Vorhang hin- und herbrummt. Und es gibt Träume, bei denen – egal was man tut – man ständig zu spät ist, sich vom Ziel im Gegenteil eher noch weiter entfernt als dass man sich ihm näherte. Kurz: Es gibt Träume, die im Prinzip wenig Spielraum für Fehlinterpretationen lassen. Aber ich muss ja von Nebensächlichkeiten wie unserem Papiercontainer träumen und werde damit morgens dann allein gelassen. 1:0 daher für die Theorie, dass Träume bloß sinnlose Neuronenstürme sind.

Tatsächlich gehört die Frage, warum wir überhaupt träumen, zu den Fragen mit noch einigem Klärungsbedarf. Gesichert dagegen ist, dass der Präfrontale Cortex beim Träumen weniger aktiv ist. Das ist der Bereich, der Vernunft in unser sonst triebhaftes und ungestümes Handeln bringt. Bevor wir zum Beispiel ausrasten, kontrolliert er, ob dies aktuell wirklich geboten ist. Man könnte daher auch sagen: Das ist der Teil des Hirns, der die Langeweile in unseren Alltag bringt. Also – um das Eingangsthema nicht völlig aus den Augen zu verlieren – eng verwandt mit der Lohnarbeit. Andererseits gibt es natürlich auch gewichtige Gründe, weshalb sich der PFC im Laufe der Zeit durchgesetzt hat. Platt formuliert sorgt er mit dafür, dass wir beim Mensch überhaupt vom vernunftbegabten Wesen sprechen können. Auf ihn zu verzichten, verspräche nur eine kurze Weile lang Spannung und Amüsement. Die weitgehende Ausschaltung dieses Teils des Gehirns könnte aber immerhin der Grund sein, wieso die meisten Träume mit bizzar oder grotesk im Grunde noch reichlich beschönigend umschrieben sind.

Eine eingeschränkte Funktion dieses Körperteils ist allerdings auch kein Alleinstellungsmerkmal eines Traumes. Das Phänomen kenne ich bei manchen Aushilfskollegen auch aus der Wachphase. Daher stört es mich dann auch irgendwie, wenn die frontale Hirnrinde seine Arbeit auf Sparflamme verrichtet. Anders formuliert: Solange ich mit dafür verantwortlich bin, dass das Lager funktioniert, würde ich gern bei allen Mitarbeitern auf einen Präfrontalcortex in seiner vollumfänglichen Funktion zurückgreifen wollen. Was die Leute dann in ihrer Freizeit damit anstellen, soll mir egal sein.

Dieser Text jedenfalls endet hier und damit meinen Träumen nicht ganz unähnlich an einem Punkt, den ich zu Beginn nicht wirklich voraussehen konnte.

Generation Unauffällig

Zu den dringendsten Problemen der Menschheit gehört die Frage sicherlich nicht. Sie darf einen aber schon beschäftigen. Und sie beschäftigt jeden. Irgendwann ist man nämlich zu alt, um sich täglich mit Freunden an einem belebten Platz zu betrinken und dort Passanten anzupöbeln. Andererseits ist man definitiv noch nicht in dem Alter, in dem einem gar nichts anderes übrigbleibt als zum Bingo-Nachmittag zu gehen. Wohin also geht man mit Mitte 40, das ist die Frage.

Jenseits von bierseligen Zusammenkünften auf unbequemen Festzeltbänken auf Festplätzen – eine überbezahlte Coverband ist hierbei noch das günstigste musikalische Szenario – fallen spontan zunächst fast ausschließlich Gelegenheiten ein, bei denen man auffällt. Man weiß zum Beispiel, dass man zu alt ist, wenn man vor einem Tanzlokal von anderen Wartenden mit der irgendwo zwischen Frage und Feststellung angesiedelten Bemerkung konfrontiert wird: „…und Sie wollen sicher nur jemand abholen…“

Da ich zum Glück erstens nicht tanze und zweitens meinen erlesenen musikalischen Geschmack nicht mit der breiten Masse teile, sind solche Probleme für mich theoretischer Natur. Doch auch jenseits von Discos und Clubs gibt es Veranstaltungen, bei denen zumindest die Frage gestattet ist, ob es nicht eventuell doch unangebracht wäre, diese aufzusuchen. In der Regel sagt zwar niemand etwas. Das macht die Angelegenheit aber nicht zwangsläufig besser. Die Erinnerung an die Zeit, als ich um die 20 war, ist natürlich nicht mehr glasklar. Aber eines haben wir angesichts doppelt so alter Menschen bei solchen Anlässen bestimmt nicht gedacht: Coole Sau, ich hoffe, ich gehe in diesem Alter auch noch regelmäßig auf solche Veranstaltungen wie diese hier.

Niemand hat so gedacht. Das waren Fremdkörper. Auch wenn sie niemanden ernsthaft gestört haben, war es schon zumindest so, dass sie einem aufgefallen sind. Ernst genommen hat die jedenfalls niemand. Die konnten nur verlieren. Entweder haben sie so teilgenommen wie wir, dann waren sie peinlich. Oder sie haben sich altersgerecht verhalten. Ihre Biere geschluckt und sich ansonsten zurückhaltend verhalten. Dann waren sie etwas weniger peinlich, aber eben trotzdem noch alt. Und passten demnach dort nicht hin. Klingt hart, aber das war einfach so. Und jenseits von blöden Witzen haben wir uns zumindest in meinem Umfeld niemals ernsthaft der Frage gestellt, was wir eigentlich machen, wenn wir dereinst die Seiten gewechselt haben würden.

Etliche Jahre später ist auch diese Frage geklärt und mit dem alten Sprichwort „Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt“ zutreffend beschrieben. Wenn Jüngere ein Problem mit unserer Anwesenheit haben, ist es vor allem eines: ihr Problem nämlich. Sicher kommt uns dabei heute zugute, dass die Zeiten sich allgemein etwas gewandelt haben und man heutzutage vieles mehr als früher ungestraft tun darf, wenn man ein bestimmtes Alter überschritten hat. Die Möglichkeiten der Teilhabe sind größer geworden. Beispiel Konzerte: Es gibt Kapellen, die treiben seit 30 oder 40 Jahren ihr Unwesen. Oder nach 35 Jahren seit zwei Jahren wieder. Da darf man auch als alter Mann ´mal hingehen. Wenn man sich bemüht, rechtzeitig vor Ort zu sein, bekommt man je nach Örtlichkeit eventuell auch einen Sitzplatz. Sanitäter sind in aller Regel bei solchen Veranstaltungen vor Ort. Was also soll schon passieren?! Natürlich spielt bei Musikanten, die sich in noch gehobenerem Alter befinden als man selbst auch ein Stück Angst mit, einer von ihnen könne den Zugabenteil verpassen, weil er vorher das Zeitliche segnet. Da man den vollen Eintrittspreis bezahlt hat, wäre das ein unbefriedigendes Ende eines solchen Abends. Aber dabei sein ist bekanntlich alles.

Couch oder glücklich

Leider finden nicht ständig gute Konzerte genau dann statt, wenn man auch Zeit hat. Manche Künstler erdreisten sich ja sogar, unter der Woche aufzutreten. Dann können da ja nur die Jüngeren hingehen. Darüber hinaus muss natürlich auch das Finanzielle im Auge behalten werden, weil der lässige Mittvierziger zu seinen monatlichen Fixkosten inzwischen auch Ausgaben für Cremes und Medikamente zählt. Die günstige Alternative, schon früher gern gepflegt: Nachwuchsbands. Da gab es meistens was zu lästern, da gab es aber auch Riesenüberraschungen. Aber im Alter nimmt man vom Besuch weiterer solcher Veranstaltungen spätestens dann Abstand, wenn man einmal von einem anderen älteren Anwesenden angesprochen wird: „Und – bei welcher Band spielt Ihr Nachwuchs mit?“

Wenn es denn wenigstens so wäre! Theoretisch könnte es mir noch bevorstehen, zumal sich kürzlich erst herausstellte, dass Fußball bei meinem Kleinen mangels Talent schon einmal keine Option sein wird. Ganz der Papa eben. Dass aber eine schon im Ansatz gescheiterte fußballerische Karriere nicht zwangsläufig zu einer Zukunft als Rockstar führt, ist leider ebenso klar. Ich knabbere heute noch dran.

Aus all diesen bis hierhin aufgezählten Gründen besuche ich hauptsächlich Veranstaltungen mit mindestens ´mal gemischtem Publikum. Am besten solche, die wochenends stattfinden und vor Einbruch der Dunkelheit enden. Meines Erachtens die bessere Alternative als es sich komplett zuhause einzurichten. Couch, TV, Hund, Erdnüsse. Eben so, wie manch andere aus unserem Jahrgang das bereits zu einer Zeit als Erfüllung betrachteten, als wir die Wochenenden noch durchgemacht haben. Das klingt nicht nur gemütlich, das ist auch gemütlich. Falls uns doch ´mal jemand animieren will, dies oder jenes mitzumachen, können wir immer noch hanebüchene Ausreden erfinden oder kurzfristig relativ unglaubwürdig krank werden.

Probleme mit diesem Lebensentwurf ergeben sich nur dann, wenn man nicht den Rest des Lebens ohne Partner an der Seite verbringen möchte. Denn zuhause sinken die Chancen beachtlich, jemanden zu treffen, der diese Rolle erfüllen könnte. Schon deshalb empfiehlt es sich, die eigenen vier Wände hin und wieder zu verlassen. Sehr gelegentlich soll diese Methode zum gewünschten Ergebnis führen. In diesem Fall wäre es jedoch der falsche Ansatz, anzunehmen, jetzt sei alles gut, man hat einen Partner und also brauche man das Haus nicht mehr verlassen. Abwegig? In einer britischen Studie aus dem vergangenen Jahr gaben 70 Prozent der 5000 Befragten an, so zu denken. An einem sehr ähnlichen Punkt befand ich mich schon einmal, weiß daher: Als Grundlage für eine Beziehung ist eine solche Denkweise nur bedingt tauglich.

Viele Menschen sterben mit 25, werden aber erst mit 75 begraben“, urteilte schon Benjamin Franklin. Sein an sich generell auf mangelnde Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung bezogene Spruch kann in meinen Augen problemlos aufs Weggehen angewendet werden. Regelmäßige Unternehmungen bestätigen mir, dass ich noch am Leben bin. Gerade seit dem letzten Jahr habe ich eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Orte und Veranstaltungen aufgesucht und nur selten hinterher bereut, dass ich es getan habe. Manchmal hätte ich die besten Ausreden gehabt: Alleine macht es keinen Spaß, das Wetter ist nicht so der Hit, der Hund, der Kater, schlecht geschissen, alles zusammen, was auch immer. Und natürlich war ich auch glücklich, wenn ich später wieder bei Hund und Herd war. Aber ich war froh, weg gewesen zu sein. Mich währenddessen gar amüsiert zu haben. Mich nicht davon beeindrucken lassen zu haben, dass es unter Umständen keine meinem Alter angemessene Veranstaltung war.

Was wäre, wenn..?

Understatement. Das klingt gut, dachte ich mir noch so, als ich das bei einer Frau mit auch ansonsten aussagekräftigem Profil bei einer Online-Singlebörse unter „Ich mag“ entdeckte. Untertreibung, das ist ein schönes Stilmittel, das in meinem rhetorischen Alltag seinen festen Platz hat und auch hier in meinen Texten ab und zu Verwendung findet, wenn ein Sachverhalt unangemessen unspektakulär beschrieben werden soll.

Wenn das so ist – da schreibe ich ´mal hin!

Ich hatte glücklicherweise vorher noch zufällig herausgefunden, dass Understatement auch einen Trend beschreibt, nach dem auf das Zurschaustellen von Statussymbolen verzichtet wird, obwohl das Geld dafür vorhanden wäre.

Das hätte schnell peinlich werden können. Also musste ich mein Anschreiben anders formulieren. Musste davon schreiben, dass mir Statussymbole rein gar nichts bedeuten. Würden. Wenn ich mir welche leisten könnte. Ich musste glaubwürdig vermitteln, dass mir zwar aktuell einfach ein paar Groschen fehlen, ich meine Meinung aber auch nicht ändern würde, sollte ich eines Tages in die komfortable Lage kommen, von meinem Lageristengehalt Rolex, Porsche und Yacht finanzieren zu können. Dass ich auf einen Flugzeugträger spare, sollte ich vorerst nicht erwähnen. Um das Ganze noch einmal ernsthaft anzugehen: Ich musste dabei verschweigen, dass es eine Sache gäbe, die mit viel Geld umzusetzen mir eine Herzensangelegenheit wäre: einen eigenen Park nämlich, den ich als standesgemäß empfinden würde.

Kurzum: Ich habe die Frau nicht angeschrieben.

Da ich es gewohnt bin, in solchen Portalen auf meine Nachrichten keine Antworten zu erhalten, macht es aber streng genommen so oder so keinen Unterschied, ob einer solchen Nicht-Reaktion eine Nachricht meinerseits vorausging.Selbst wenn theoretisch natürlich die Möglichkeit besteht, dass sie mit Understatement eigentlich tatsächlich gemeint hat, was ich als erstes vermutet hatte. Aber so schnell gebe ich Leuten gewöhnlich keine zweite Chance, wenn ich mir erst ´mal ein Urteil gebildet habe. Die nur gedachte Nachricht endete also wie so manch anderes Anschreiben an andere Single-Frauen, das ich nicht abgesendet habe, weil ich mir schon im Vorfeld darüber im Klaren war, aus welchen Gründen diese Frau gerade nicht zu mir passen würde. Weil ich sie – zum Beispiel – als oberflächlich, humorlos oder FCB-Fan eingeschätzt habe. Chancen, mich vom Gegenteil zu überzeugen, haben sie auf diese Weise nicht direkt bekommen. Ich muss gestehen: Richtig durchdacht ist das alles nicht.

Aber was ist das überhaupt wieder für ein Trend?! Understatement! War es nicht seit jeher so, dass Menschen mit normal ausgeprägtem Selbstwertgefühl es sich leisten konnten, auf das Präsentieren von Haus, Auto, Boot zu verzichten? Und dass andere Menschen sich strecken und verschulden, um in Sachen Prestigeobjekte mit den Vorbildern gleichzuziehen? Es mag zutreffen, dass eine prollige Armbanduhr im Jahr 2018 kaum jemanden mehr beeindruckt. In Zeiten von smarten Armbändern schon gleich gar nicht. Dagegen ist die Verfügbarkeit darüber, was die Dinger anzeigen: Zeit nämlich, schon eher sexy. Man kann es also drehen und wenden, wie man möchte – dass Autos und anderer Schnickschnack allmählich ausgedient haben, ist noch längst kein Abgesang auf Status und seine Symbole an sich, weil gleichzeitig andere Dinge an deren Stelle getreten sind.

Weil die Welt aber eben so ist, wie sie ist,

hadere ich weiterhin damit, dass Frauen sich wenn vielleicht nicht unbedingt von Symbolen, so doch aber zumindest von Status beeindrucken lassen. Auch wenn sie beides noch so vehement leugnen. Mir als armer Sau bleiben da als Dinge, die ins Schaufenster zu stellen sich ernsthaft lohnen würden, lediglich solche übrig, welche diese Gesellschaft für ihre Loser eben im allgemeinen für solche Zwecke bereit hält. Aufrichtigkeit zum Beispiel. Oder Humor. Wozu dann ja gegebenenfalls wieder Understatement in seiner anderen Bedeutung zählt.

Die genannten Eigenschaften wenigstens können ständig mit sich geführt werden und sind insofern absolut tauglich als Statussymbol. Weil bekanntlich das schönste Zeichen nichts einbringt, wenn niemand davon etwas mitbekommt. Dieser Hinweis nur für den Fall, dass tatsächlich jemand geglaubt hat, eine Luxus-Uhr wäre aufgrund einer anderen Funktion so beliebt als der, dass sie eben immer und überall mehr oder weniger unauffällig vorgezeigt werden kann. Eine Uhr ist auf Anhieb sichtbar; eine Kreuzfahrt hingegen muss immer erst umständlich erwähnt werden. Ein übrigens häufig unterschätzter Grund für die Beliebtheit von sozialen Netzwerken, weil man dort auch für in ihnen geteilte Dinge Rückmeldung erfahren kann, von denen sonst nur wenige überhaupt etwas mitbekommen hätten.

Ohne solche Verschiebungen würde auch der Bedeutungsschwund von noblen Fahrzeugen in dieser Form nicht funktionieren.

Als jemand, der eine Karre hauptsächlich als Möglichkeit betrachtet, unbeeinflusst von Fahrplanverspätungen, überteuerten wie überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln sowie der mit letzterem einhergehenden Gefahr der Ansteckung mit allerlei Krankheiten zur Arbeit und zurück zu gelangen, habe ich den Fetisch Auto noch nie verstanden. In jungen Jahren schätzte man zusätzlich noch die Möglichkeit, viele Bierkästen gleichzeitig vom Getränkemarkt nach Hause zu transportieren. Etwas später sollte das Auto als Minimalanforderung groß genug sein, um sich nicht bei jedem Ikea-Einkauf ein anderes ausleihen zu müssen. Das war es dann aber auch schon, mehr musste ein Auto nicht draufhaben. Wenn man es vorzeigen will, muss es sowieso auch gepflegt sein. Arbeit, die man sich nicht machen muss, wenn man ansonsten mit sich selbst im Reinen ist. Dass ein schickes Auto ja auch nicht zwangsläufig dazu führt, dass man damit besser fährt, eher das Gegenteil zu beobachten ist, verstärkt bis heute meine Antipathie gegen das Kraftfahrzeug.

Doch nicht nur das Fahrvermögen, auch die Intelligenz des Halters steht in keinem logischen Zusammenhang mit dem Preis der Karre. Als ich mir zu Zwecken der Recherche auf youtube ein Video zum Verhältnis Status und Auto ansah, das den Titel „Warum günstig wenns auch teuer geht?“, kommentierte unter anderem der Nutzer James Bond 007: „weil Dacia lächerlich aussieht. Ich fahre Mercedes weil die Stylisten ausehen“ Sämtliche Fehler stehen original so da. Genau so wie die einzig wahre Antwort auf diesen Kommentar. Da hat dann nämlich tatsächlich einer als Reaktion auf diese Meinungsbekundung ganz trocken geschrieben: „Schade, dass kein Duden mitgeliefert wird.“

In einem Anflug von Wehmut stelle ich fest: Weil es wenig gibt, über das sich so herrlich lästern lässt wie über Autos und ihre Besitzer, würde mir am Ende womöglich sogar etwas fehlen, wenn das Auto als Statussymbol irgendwann tatsächlich ausgedient hätte.

Das ist jetzt ausnahmsweise einmal nicht untertrieben.

Stillleben

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – niemals war diese Praxis wertvoller als in den heutigen Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen. Wenn ich mich in meinem liebsten aller sozialen Netzwerke umschaue, entdecke ich zur Zeit pro Tag etwa ein Dutzend Fotos von Grills in allerlei Variationen. Das wären dann 12000 Wörter, die zu lesen wären, wenn es eben diese Fotos nicht gäbe. Unterstellen wir bei mir eine durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von 300 Wörtern pro Minute, habe ich 40 Minuten kostbarer Lebenszeit gespart. Anschaulicher: 40 Minuten ist etwa die Zeit, die Holzkohle benötigt, bis sie ausreichend durchgeglüht ist. Wer einmal mit leerem Magen Kohle entzündet hat und diese Zeitspanne abwarten musste, bis er sein Grillgut überhaupt auflegen konnte, weiß: 40 Minuten können sich ziehen. Insofern: ein Hoch darauf, dass man heutzutage nicht lang und breit erklären muss, wann, wo und mit welchem Grill was gegrillt wurde, sondern einfach ein Bild davon hochlädt. So wissen alle Bescheid, die es wissen wollen. Und ganz nebenbei hat man damit auch alle erreicht, die es nicht unbedingt wissen wollten.

Unabhängig von solchen Überlegungen kann es natürlich gar keinen Zweifel geben: Neben Autofahren und Jammern gibt es nur wenig, was so unzweideutig zu Deutschland gehört wie das Grillen. Grillen ist populär. Etwas, wofür man hierzulande regelrecht brennt. Schön zu beobachten gerade letztes Wochenende, dem ersten in diesem Jahr mit beständigem Sonnenschein und Temperaturen im T-Shirt-Bereich. Bestes Wetter. Gute Laune. Geschätzt alle 50 Meter qualmt ein Grill. Ob in Höfen, Parks, auf Balkonen oder Terrassen – jeder will dabei sein. Und aus dem Nichts kommt irgendwo jemand um die Ecke, der die Nase rümpft: „Angegrillt habe ich schon im Januar!“

Einer Statistik aus dem letzten Sommer zufolge sieht sich jeder Vierte als Ganzjahresgriller. Gleichzeitig gab von den Befragten jeweils gerade ein Prozent an, im Dezember oder Januar auch tatsächlich gegrillt zu haben. Im November sowie im Februar waren es satte null Prozent, im März wenigstens noch drei Prozent. Halten wir fest: Man würde gerne das ganze Jahr über grillen. Jedoch nur, sofern das Wetter dies zulässt. Hut ab! Das zeugt von ähnlicher Konsequenz wie ein Bekenntnis eines beliebigen Akteurs im Profi-Fußball zur Gültigkeit von Verträgen oder generell seinem aktuellen Verein. Dazwischenkommen kann schließlich jederzeit irgendetwas. Dass aber noch in ein und derselben Untersuchung der Anspruch von der Realität dermaßen zerlegt wird, ist auch eher selten.

Ich weiß nicht, wann genau der Begriff des Angrillens überhaupt angefangen hat, mich derart zu nerven. Mit einiger Wahrscheinlichkeit aber in etwa zu dem Zeitpunkt, als von irgendwoher einer beifallheischend „Hab´ ich schon längst“ rief, wann immer die Rede davon war. Es gibt Wintergrillen mit langjährigen Traditionen. Von Gemütlichkeit ist das zwar irgendwie ein Stück weit entfernt, das Schulterklopfen nach überstandener Tortur dafür umso größer. Ich habe damit auch überhaupt kein Problem, selbst wenn bei diesen Ereignissen ursprünglich wenigstens Teilmotiv war, dass irgendjemand irgendjemandem anderen irgendetwas beweisen wollte. Bloß sollen manche Zeitgenossen damit aufhören, so zu tun, als würden im Sommer ausschließlich Amateure grillen.

Aber gut, das sind zum Teil dieselben Leute, die einem Vorträge darüber halten können, wieso nur Holzkohle die einzig wahre Methode ist, ihr Steak zu garen, um sich dann ein gutes Stück vom Discounter aufzulegen.

Dann lieber Nudeln

Generell könnte einem der den allermeisten Grillevents innewohnende Kult um das Fleisch suspekt sein, selbst wenn man selbst nicht vegetarisch, pescetarisch oder vegan lebt. Ich kannte übrigens ´mal einen, der allen Ernstes behauptet hat, „in der Theorie“ überzeugter Vegetarier zu sein. Ich war mir nicht sicher, ob das die Angelegenheit besser oder schlechter macht und hatte es so stehenlassen. Mein Mitleid, dass er nach wie vor Fleisch essen muss, obwohl er es eigentlich besser weiß, hält sich bis heute aber in sehr engen Grenzen. Der wahre Genießer weiß ohnehin, dass beim Grillen der Speisezettel egal ist, weil das Verbringen von Zeit mit guten Freunden, noch dazu unter freiem Himmel, das ist, worauf es ankommt. Was letzten Endes bereits in unserer adoleszenten Sturm-und-Drang-Phase die besondere Attraktivität des Freiluftbrutzelns gekennzeichnet hat.

Dass darüber hinaus Grillen ein zunächst unverdächtiger Vorwand ist, sich die Kiste zuzuhauen, kam uns in jenen Jahren des öfteren zugute. Schließlich wäre kaum ein Mädchen aus unserem Umfeld freiwillig mit uns in den Park gekommen, hätten wir offen zugegeben, dass der Hauptvorsatz sein wird, die Forschungsreihe fortzusetzen, wie viele Biere in einen jungen Menschen hineingehen und zu welchen Ausfallerscheinungen es dabei kommt. Ich kann mich an einen Nachmittag erinnern, bei dem die Ausgangssituation die Frage gewesen ist, wofür überhaupt Grillanzünder benötigt würden, wenn das knappe Taschengeld doch in zwei zusätzlichen Büchsen Karlskrone sehr viel besser angelegt wäre. So schwierig würde das schon nicht werden, für ausreichend Hitze unter dem Rost zu sorgen.

Nach zwei Stunden erfolg- und würdelosen Versuchens, aus der Kohle eine halbwegs taugliche Glut zu schaffen, hatten die Frauen der Gruppe natürlich Hunger und schlugen vor, zuhause in der Pfanne weiterzu“grillen“. Wir Jungs hatten zwar schon keinen besonders großen Appetit mehr, weil uns zu diesem Zeitpunkt gut die Hälfte unseres Biervorrats bereits zu einem gewissen Sättigungsgefühl verholfen hatte. Ehe andererseits das schöne Grillgut anderntags eventuell schon die Wandlung zum Grillschlecht vollzogen haben würde, stimmten wir dem Vorschlag aber selbstverständlich zu.

In unserer damaligen Wahrnehmung sah so oder so ähnlich der perfekte Tag aus.

Um diesen Text nicht in völlig unangebrachter Nostalgie zu beenden, muss ich ihn an dieser Stelle leider wieder in die Gegenwart hinüberholen. Die durchschnittlichen Ausgaben für einen Grill haben sich in der Zwischenzeit verachtfacht. Auch sind die Geräte seitdem wesentlich voluminöser, das Zubehör umfangreicher und luxuriöser geworden. Zunehmend seltener ist ein Grill lediglich Mittel zum Zweck, willkommen in der Welt der Statussymbole!

Wundert da noch irgendjemanden die Behauptung, der Trend gehe zum Zweitgrill?! Für die Marketingabteilungen der Hersteller eine nur allzu logische Konsequenz aus dem Umstand, dass der durchschnittliche Haushalt eben nicht alle zwei Jahre einen neuen Grill anschafft. Was wurde nicht alles schon als Zweitexemplar zum Trend erklärt: Zweitwagen, Zweithaus, Zweitmann. In solch illustrer Umgebung ragt ein Zweitgrill nun beileibe nicht besonders auffällig heraus, verstärkt aber immerhin das diffuse Gefühl, sich in Konsumfragen über wirklich gar nichts mehr wundern zu müssen.

Manch einen mag das alles auch wurst sein, wiederum andere bevorzugen sowieso Nudeln. Und auch für letztgenannte Gruppe gab es diese Woche eine gute Nachricht:

Nudeln machen doch nicht dick.

Das behaupten jedenfalls kanadische Forscher. Deren Probanden durften pro Woche durchschnittlich 3,3 Portionen Nudeln anstelle anderer Kohlehydrate essen und hatten nach 12 Wochen sogar einen geringfügigen Gewichtsverlust. Nudeln genießen ihren schlechten Ruf also zu Unrecht.

Zumindest Stand jetzt, möchte ich das Kovac-Prinzip auf diese Erkenntnisse übertragen. Denn in der Wissenschaft wie in der Fußball-Bundesliga gilt eine Aussage bekanntlich gerade so lange, bis neue Faktenlagen frühere Gewissheiten über den Haufen werfen. Das kann ´mal länger und ´mal kürzer dauern. Aber bis es soweit ist, können wir ohne Reue Nudeln genießen, während wir uns beruhigt zurücklehnen, weil XY nächste Saison garantiert noch mit unserem Wappen auf der Brust verteidigt, Spiele gestaltet oder auch einfach nur die Mannschaft trainiert.

Vor allem lassen sich – Stand jetzt – von einem Teller Nudeln ebenfalls hervorragend Fotos in den Kosmos der sozialen Netzwerke schicken. Ungezählte Postings aus dem Winter beweisen es.

In diesem Sinn wünsche ich einen angenehmen, warmen, trockenen Sommer!

Na logo

Bärte waren hier im Blog schon Thema gewesen. Nasen auch. Ärsche oder Frisuren hatten wir dagegen noch nicht. Die Gemeinsamkeit zwischen diesen Dingen: Bei manchen Menschen befinden sich alle eben genannten Dinge im Gesicht, höre ich da jetzt einige murmeln. Das mag zutreffend sein, jedoch wollte ich auf etwas anderes hinaus. Und zwar dass sie sich, sofern sie in einer entsprechend attraktiven oder wahlweise schrägen Ausprägung vorhanden sind, vortrefflich als Markenzeichen eignen. Als Beispiel soll die Haarpracht eines aktuellen Präsidenten einer Weltmacht genügen. Dieser würde in seiner Funktion ja an sich kein Wiedererkennungsmerkmal benötigen, hat mit seiner Frisur aber dessen ungeachtet ohne Zweifel eines, das schon mindestens genauso viel Spott hervorgerufen hat wie etliche seiner unbeholfenen Äußerungen.

Erinnert sich jemand an Wolfgang Petry? Mit Vokuhila-Mähne, Popelbremse sowie einem Arm voller Freundschaftsbänder hatte er an Markenzeichen gleich drei. Bei den Stichworten Hut, Sonnenbrille und Nuscheln weiß jeder, dass nur Udo Lindenberg gemeint sein kann. Wer sich an Thomas Anders noch erinnern kann, kann auch wie aus der Pistole geschossen den Namen seiner früheren Ehefrau nennen, weil auf jedem Bild von ihm auch die berühmte „Nora“-Kette zur Schau getragen wurde.

Man ahnt schon: Man muss diese Leute nicht alle gut finden, um die Wirkung gewisser Merkmale anerkennen zu können, ja müssen.

Künstler dürfen aber sogar noch weiter gehen. Wer zum Beispiel leise daran zweifelt, dass sein künstlerischer Ausstoß für genügend Wiedererkennungswert sorgt, wird sich zur Sicherheit für den Anfang eine Maske besorgen.

Prominenz ist aber keine Voraussetzung, ein Markenzeichen zu haben. Prinzipiell kann sich jeder eines zulegen. Das können Dinge sein, die man sowieso immer bei sich hat: Von den bereits erwähnten Nasen und Bärten über Tattoos und Muskeln hin zum Bierbauch. Wenn es nur auffällig genug ist, taugt grundsätzlich fast alles als Markenzeichen. Wenn es nicht ohnehin permanent am Körper befindlich ist, muss es in einer nervenden Penetranz getragen werden. Nora lässt grüßen. Übertrieben konsequent umgesetzt hatte dieses Prinzip auch der Hausmeister eines Mitschülers, in dessen Hof wir in der 7. und 8. Klasse stets abhingen. Der hatte tagein, tagaus dieselbe Malerhose an. Zumindest wurde er über all die Jahre niemals in einer anderen als dieser einen Hose gesehen.

Kurze Zeit später begann ich selbst ganz zaghaft, Charakteristika zu entwickeln, die im weiteren Verlauf zu meinen Markenzeichen werden sollten. Im gleichen Maß wie die bevorzugt konsumierte Musik lauter, härter und ungestümer wurde, wucherten die Haare. Irgendwann kam ein zweites Erkennungszeichen dazu: das obligatorische Bier. Aus Dose oder Flasche, was halt gerade so greifbar war. Diese beiden Eigenschaften erfüllten ihren Zweck. Die meisten wussten sofort: Ja, ich weiß, wen Du meinst.

Natürlich begriff ich auch seinerzeit schon, was da vorging. Spätestens als die Bierflasche und ich als siamesische Zwillinge bezeichnet wurden, ging mir ein Licht auf. Bloß hatte ich das alles nicht unter dem Stichwort Markenzeichen reflektiert. Vorgenommen hatte ich mir das erst recht nicht, sondern es ist einfach so passiert. Wie meistens im Leben halt. Dass ein Markenzeichen authentisch und glaubwürdig zu sein hat, wenn es wirken soll, half mir in dem Moment nur bedingt weiter. Nachdem ich mir dann, fast 20 Jahre ist das inzwischen her, die Haare hatte abschneiden lassen, hatte ich das erste Mal so etwas wie ein Bewusstsein, dass ich mich da gerade selbst eines Markenzeichens beraubt hatte. Mein Bruder immerhin tröstete mich mit dem vollkommen unsentimentalen Rat, dass dann eben ab sofort die kurzen Haare mein neues Markenzeichen werden könnten.

Der mit dem kleinen weißen Hund

Was die Haare betrifft, bin ich sehr skeptisch, ob sie es wurden. Aber seitdem ich dann kurze Zeit später irgendwann auch mit dem Biertrinken aufgehört hatte, weiß ich zwei Dinge sehr sicher. Erstens: Überhaupt keinen Alkohol zu trinken ist definitiv ein Markenzeichen! Zweitens: Leider keins, das besonders sexy ist, das muss ich wohl langsam zugeben.

Wassermann haben sie mich genannt. Damit konnte ich noch leben. Wenn man aber ein Auge auf die gutaussehende Nachbarin einer Bekannten geworfen hat und von genau dieser dann als „der mit dem einen (!) Wasser“ bezeichnet wird, muss man bekennen: Es gibt schmeichelhaftere Wiedererkennungsmerkmale.

Was bin ich heute noch? Für manche aus dem Viertel der mit dem Westie. Gehe ich ohne den Hund auf die Straße, werde ich von denen nicht einmal erkannt. Farbloser als ein Hund. Das muss mir auch erst ´mal jemand nachmachen. Ist die vollkommene Durchschnittlichkeit selbst schon ein Markenzeichen? Oder muss ich mir was besseres ausdenken?

Experten zufolge ist der Ausgangspunkt eines gelungenen Markenzeichens immer der Markenkern. Nach meinem Empfinden ist der Versuch, sich so etwas vom Flipchart weg zu kreieren schon deshalb von vorneherein zum Scheitern verurteilt, weil das Ergebnis ja den gleichen Experten zufolge auch noch echt authentisch zu sein hat, um erfolgreich zu sein. Nun gibt es wahrscheinlich wenig Unglaubwürdigeres als ein mittels Brainstorming ermitteltes Markenzeichen für eine Persönlichkeitsmarke. „Ich bin dann ´mal cool!“ Der Erfolg gelungener Markenzeichen ist sehr wahrscheinlich dann am größten, wenn gerade keine verkopfte Marketing-Überlegung dahinter steckt, sondern es einfach organisch entstanden ist. Kann sich, zum Beispiel, irgendjemand vorstellen, wie vor ein paar Jahren irgendein Berater zu Angela Merkel gesagt hat: „Formen Sie mit Ihren Händen eine in etwa solche Raute, das symbolisiert Besonnenheit, Ruhe und Kraft“? Auch wenn gerade im Politikbetrieb schon seit einiger Zeit exakt solche Vorgehensweisen eine große Rolle spielen – ein Stratege, der ihr so etwas geraten hätte, wäre vermutlich nicht lange in ihren Diensten geblieben. Sie selbst erklärte dazu, diese Geste helfe ihr, den Rücken gerade zu halten. So einfach kann die Welt sein..!

Zeit also, ´mal wieder etwas Unüberlegtes zu tun.

Die Peinlichen sind immer die Anderen

Zu des Menschen unbeliebtesten Körperteilen gehört zweifelsfrei die Nase. Im Zentrum des Gesichts eher schlecht als recht platziert, bestehen im Normalfall wenig Chancen, sie in irgendeiner Weise zu kaschieren, wenn Form oder Umfang missfällt. Ungeachtet der wertvollen Arbeit, die das Riechorgan in puncto Atemluft, Klang der Stimme oder auch Tragen einer Brille täglich leistet, gibt es für die Nase scheinbar nur wenig schmeichelhafte Bezeichnungen. Zinken, Kolben, Knollen, sind nur einige Beispiele, die unser gespanntes Verhältnis zum Gesichtserker kennzeichnen.

Damit nicht genug, gerät das Ding im Gesicht auch auf etlichen Selfies zum Nachteil. So fanden US-Wissenschaftler unlängst folgendes heraus: Auf etlichen dieser Selbstportraits ist die Nase zu groß, und schuld daran ist die Perspektive. Der relativ geringe Abstand der Kamera zum Motiv lässt die Nase im Verhältnis zum Rest der Visage überproportional groß wirken. Dass der Rüssel aus einer unvorteilhaften Perspektive aufgenommen auch unvorteilhaft wirkt – das konnte man so nicht unbedingt erwarten.

Nicht dass ich es verurteilen würde, wenn sich Wissenschaft an Alltagswidrigkeiten abarbeitet, denn exakt dafür soll sie letzten Endes ja auch dienen. Ich habe während meines Politologie-Studiums das Feeling Bieberer Berg erforscht, Boris Beckers Trennung von seiner Frau Barbara diskursanalytisch durchleuchtet oder meine Diplomarbeit über Fußballfankultur geschrieben. Wissenschaft zum Anfassen also. Aber bei einem Sujet wie der Größe der Nase auf Selfies fehlt dann sogar mir die Ernsthaftigkeit.

Die eigentliche Überraschung ist auch nicht das Ergebnis, sondern dass es überhaupt noch einer solchen Untersuchung bedurfte. Denn schon eine harmlose haushaltsübliche Online-Suche, wie ich zum perfekten Selfie gelange, bringt mir das gewünschte Ergebnis in vieltausendfacher Form.

Und leider noch mehr Ergebnisse, nach denen ich an und für sich nicht gesucht hatte.

Der erste Erkenntnisgewinn nach Betrachten der ersten beiden Videos zum Thema lässt sich jedenfalls etwa so formulieren: Die Relevanz solcher Fragen ist auch Gradmesser für die Dekadenz einer Gesellschaft.

Zweitens bekommt man den Eindruck, dass auf dem Weg zu einem anständigen Selfie die Nase noch das geringste Problem ist. Im Grunde ist alles, was sich im Gesicht befindet, potentiell störend und muss besser in Szene gesetzt werden. Was bei einem zusätzlichen Kinn noch Sinn ergibt, ist bei der Frage, wie weit der Mund geöffnet zu sein hat, um die Lippen weder zu üppig noch zu schmal erscheinen zu lassen, mir persönlich definitiv einen Schritt zu weit.

Den Kulturpessimisten überrascht immerhin, dass sich mitunter durchaus kritisch mit Bildbearbeitungs-Software auseinandergesetzt wird. Sicher mag man das als heuchlerisch empfinden, wenn Glaubwürdigkeit und die viel gerühmte Authentizität erst zum Thema wird, nachdem eine Stunde lang der Hintergrund von störenden Elementen befreit und etwa achtzig Fotos geschossen wurden, von denen dann für die Veröffentlichung dasjenige ausgewählt wird, auf dem die total natürliche Pose (ganz schlimm übrigens: das Duckface) am spontansten wirkt. Aber man darf natürlich auch nicht zuviel erwarten von der Generation, die in wenigen Jahren in Schlüsselpositionen dieser Gesellschaft drängt.

Ungeschminkt und #nofilter

Während man also gerade beginnt, sich mit der Scheingewissheit zu arrangieren, dass so schlimm es also wohl doch noch nicht um unsere Zukunft bestellt ist, gelangt man zum ernsten Hintergrund dieser Studie. Eine steigende Anzahl junger Menschen nämlich erliegt dem Glauben, mit Inanspruchnahme der plastischen Chirurgie ein geeignetes Mittel für zukünftige Posts gefunden zu haben. Ästhetische Eingriffe aus exakt der Motivation heraus, den Zinken auf Selfies besser ins rechte Licht rücken zu können, sind enorm im Kommen.

Wie verkehrt es wäre, angesichts dieses Befundes mit dem Finger reflexartig auf die USA zu zeigen, belegt eine Umfrage aus dem letzten Jahr aus deutschen Landen. Vier von fünf befragten Fachärzten sehen einen wenigstens teilweisen Zusammenhang zwischen Trends in den sozialen Medien und der Nachfrage ihrer Dienstleistungen. Keine weiteren Fragen.

Ich finde allerdings den Ausweg nur mittelmäßig gelungen, sich so gar keine Gedanken über die Wirkung eines Bildes zu machen. Ich gebe zu, mich über misslungene Versuche, am Selfie-Wahn teilzuhaben, gelegentlich sogar sehr gut zu amüsieren. Weil aber die Abkehr von allen Regeln der Selfie-Kunst meistens eher unfreiwillig vollzogen wird, taugt sie als Gegenentwurf zur perfekt inszenierten Instagram-Ästhetik leider gar nicht. Gewollt und nicht gekonnt trifft es schon eher. Als Mitglied mehrerer Single-Gruppen verfüge ich diesbezüglich über reichlich Anschauungsmaterial. Um aufkommenden Fragen vorzubeugen: Nein, ich bin nicht lediglich aus Gründen solcher Recherchen dort Mitglied, wehre mich aber auch nicht, wenn jemand oder etwas dort darum bettelt, mir als Inspiration zu dienen.

Es fängt ja nicht selten schon damit an, dass die Aufnahmen spiegelverkehrt sind. Falls das seinerseits ein Trend sein sollte, den ich nur einfach nicht mitbekommen habe, weil ich nicht hip genug bin – schöner werden die Bilder dadurch trotzdem nicht. Mir ist klar, dass es nicht gerecht ist, aber Männer haben es da manchmal ein Stück weit leichter. Sie können die Gefahr, das Logo ihres Markenpullis in Spiegelschrift abzubilden, einfach umgehen, indem sie sich mit freiem Oberkörper ablichten. Eine Option, von der gerade im Kontext von Singlegruppen auch häufig Gebrauch gemacht wird. Ein weiterer Vorteil dieser Vorgehensweise: Die Frauen der Gruppe scheinen auf solche Fotos stärker zu reagieren. Aber das ist ein anderes Thema. Als nur so halbwegs schöner Mensch habe ich reichlich Erfahrungen mit Nichtbeachtung. Was in der Online-Welt ja die Höchststrafe ist. Ein Selbstportrait soll ja hauptsächlich Anerkennung und Selbstbestätigung verschaffen. Was dann in Respektsbekundungen wie „Du Süße..!“, dem heutzutage wohl unvermeidlichen „Nice!“ oder einfach nur „Maschine!“ Ausdruck findet.

Der Text wäre nicht komplett ohne die Aufforderung an mich selbst, mich an meine eigene Nase zu fassen. Denn nebenbei bemerkt ist es nicht allein die Generation Selfie, welche an diesem Spiel teilnimmt. Ich tue es auch. Alle tun es. Die Peinlichen sind nicht immer nur die anderen. Den großen Unterschied sehe ich vor allem darin, wie abhängig jemand von solcher Art Bestätigung ist. Was letzten Endes darüber entscheidet, wie weit der Einzelne bereit ist, dafür zu gehen.

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