Drei ernüchternde Fakten. Erstens: Ein Blogeintrag zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft benötigt keine originelle oder herausfordernde Einleitung. Der Leser kann bei diesem Thema viel einfacher abgeholt werden, etwa in der Art von „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.“ Genau genommen würde es auch reichen, die Daten 14. Juni sowie Russland zu nennen, und alle so: „Yeah!“

WM also. Zweitens: Bald werden auch wieder TV-Sender und diverse andere Medien, Tierparks und ähnliche Instanzen niedliche oder exotische Tiere aus dem Hut zaubern, die uns den Sieger der jeweils bevorstehenden Begegnungen orakeln sollen. Seit dem großen Erfolg von Krake Paul aus dem Oberhausener Aquarium vor acht Jahren setzen etliche auf die PR mittels des Disney-Effektes und werden deshalb sehr wahrscheinlich auch dieses Jahr allerlei Knuddeliges aus Ställen, Nestern und Käfigen an die Öffentlichkeit zerren.

Drittens: Dass beim Voraussagen von Fußballergebnissen Sachverstand nur eine untergeordnete Rolle spielt, beweisen nicht nur tierische Orakel, sondern regelmäßig auch die in Deutschlands Betrieben zu dieser Zeit massenhaft initiierten Tipprunden.

Da das WM-Fieber mich persönlich selbst weniger als drei Wochen vor Anpfiff noch nicht gepackt hat, kann man auch nicht unbedingt davon sprechen, dass die Organisation eines Tippspiels unter den Kollegen besondere Glücksgefühle in mir erzeugen würde. Ich hatte auch lange Zeit irgendwie gehofft, drum herumzukommen, indem ich einfach in keinem Gespräch erwähne, dass wir zur EM vor zwei Jahren auch eins gemacht hatten. Ich ging sogar so weit, die anstehende WM nicht mehr zu erwähnen, um bloß niemanden auf den dummen Gedanken zu bringen, dass wir ja ein Tippspiel machen könnten. Ich war ursprünglich sogar bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen und ganz allgemein Fußball nicht mehr proaktiv zum Gesprächsgegenstand zu machen. Was dies betrifft, hat mich jedoch die Dynamik der Ereignisse von meinem Vorsatz abgebracht, um hiermit wenigstens in einer Nebenerwähnung nochmal den grandiosen Pokalsieg der SGE letzte Woche zu würdigen.

Natürlich steht am Ende der Erkenntnisgewinn, dass es die WM und mit ihr also ein Tippspiel auch ohne mein Zutun auf die Agenda geschafft hat. Die Intervalle zwischen den Nachfragen nach einer Tipprunde wurden kürzer und kürzer. Wer eines machen will, soll sich darum kümmern – diese meine Antwort wurde wie so manches andere in diesem Betrieb so lange überhört, bis es dann irgendwann doch wieder an mir hängenblieb. Nun ja, da ich ja üblicherweise mit Oranje sympathisiere, die allerdings diesmal die WM boykottieren, verschenke ich wenigstens keine Punkte durch Wunschtipps. Ob das allein am Ende reichen wird, mich wenigstens nicht gar zu sehr zu blamieren und in der Wertung weit hinten zu landen, darf allerdings mit Recht bezweifelt werden. Auf den vorderen Rängen werden dafür wie immer diejenigen Sportsfreunde landen, die ihre Voraussagen genauso gut aus dem Kaffeesatz lesen könnten und damit regelmäßig die Gruppe der Experten düpiert.

Letztgenannte nämlich berücksichtigen neben Formkurven von Teams sowie einzelner ihrer Akteure sämtliche verfügbaren Statistiken, Gelbsperren, drohende Gelbsperren, Verletzungen, antizipierte taktische Erwägungen, die Dynamik eines Turniers und vieles mehr. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass solches Wissen beeindruckt, aber in den meisten Fällen falsch gewichtet wird. Anders formuliert bleibt ein Favorit auch dann noch Favorit, wenn der eigentlich gesetzte Verteidiger verletzungsbedingt ausfällt. Die Geheimformel für den Tippspielerfolg lautet also nicht etwa: Argentinien könnte im Turnier an dem Druck scheitern, dass es für viele im Aufgebot die mutmaßlich letzte Gelegenheit ihrer Karriere ist, Weltmeister zu werden. Kroatien dagegen hat die stärkste Mannschaft in seiner Geschichte, also wird Kroatien überraschend 1:0 gewinnen. Sondern: Argentinien? Die sind eigentlich immer vorne dabei, Kroatien ist nicht so gut, also 2:0 für Argentinien. Das tatsächliche Endergebnis ist anschließend in den meisten Fällen bestens geeignet, die Laien zum Jubeln und die Experten zum Kotzen zu bringen.

Dabeisein ist alles

Ich muss zugeben, dass es der Wissenschaft mit solchen Befunden nebenbei gelungen ist, mich mit meinen schlechten Platzierungen bei früheren Tippspielen zu versöhnen. Das bringt mir zwar meinen Spieleinsatz nicht wieder, lässt mir aber immerhin einen Teil meiner Ehre.

Darüber hinaus formulieren diese Erkenntnisse die Strategie für die kommende Tipprunde: Einfach ´mal den ersten intuitiven Tipp stehen lassen anstatt ihn umgehend wieder zu zerreden.

Da die Niederlande nicht teilnehmen (ich wiederhole es nur für den Teil meiner Leser, die es nicht oft genug hören können), muss ich jetzt lediglich noch bei den Engländern meine Fanbrille abnehmen anstatt mir bei ihnen regelmäßig Siegchancen einzubilden, wo bei Licht betrachtet keine sind.

Wenn ich beides beherzige, steht meinem nächsten Triumph beim Wetten eigentlich fast nichts mehr im Weg. Das letzte Mal, dass ich im Zusammenhang mit Fußball Geld gewonnen habe, war noch bei der klassischen Toto-Elferwette. Die Bundesliga spielte seinerzeit noch geschlossen samstags um 15.30 Uhr, und ich bekam seinerzeit etwa 6 Mark und 50 Pfennige für neun Richtige. Den Gewinn musste meine Mutter abholen, weil ich noch lange nicht volljährig war und also gar nicht hätte spielen dürfen. Man merkt an diesen Begleitumständen also schon, dass das alles runde 20 Jahre zurückliegen muss.

Dann freue ich mich doch jetzt schon auf unsere Grillfeier, wenn mir als Spielleiter die Aufgabe obliegt, mich selbst zu ehren für den ersten Platz. Die Vorstellung gefällt mir. Seit meiner Zeit als Vorsitzender im Schützenverein habe ich mich nicht mehr selbst aufgerufen. Wozu auch? Meinen Namen zu nennen oder zu hören, wenn es um herausragende Leistungen geht, bildet mein Selbstverständnis jedenfalls authentischer ab als ein professionelles Lächeln bei der Überreichung des Preisgeldes an die Kollegen ohne nennenswerten Fußballhintergrund, während sich in der Tasche die Hand zur Faust ballt.

Wobei die Zeremonie vor zwei Jahren eigentlich bewies – viertens: mit Helium im Körper geht auch das.