Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – niemals war diese Praxis wertvoller als in den heutigen Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen. Wenn ich mich in meinem liebsten aller sozialen Netzwerke umschaue, entdecke ich zur Zeit pro Tag etwa ein Dutzend Fotos von Grills in allerlei Variationen. Das wären dann 12000 Wörter, die zu lesen wären, wenn es eben diese Fotos nicht gäbe. Unterstellen wir bei mir eine durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von 300 Wörtern pro Minute, habe ich 40 Minuten kostbarer Lebenszeit gespart. Anschaulicher: 40 Minuten ist etwa die Zeit, die Holzkohle benötigt, bis sie ausreichend durchgeglüht ist. Wer einmal mit leerem Magen Kohle entzündet hat und diese Zeitspanne abwarten musste, bis er sein Grillgut überhaupt auflegen konnte, weiß: 40 Minuten können sich ziehen. Insofern: ein Hoch darauf, dass man heutzutage nicht lang und breit erklären muss, wann, wo und mit welchem Grill was gegrillt wurde, sondern einfach ein Bild davon hochlädt. So wissen alle Bescheid, die es wissen wollen. Und ganz nebenbei hat man damit auch alle erreicht, die es nicht unbedingt wissen wollten.

Unabhängig von solchen Überlegungen kann es natürlich gar keinen Zweifel geben: Neben Autofahren und Jammern gibt es nur wenig, was so unzweideutig zu Deutschland gehört wie das Grillen. Grillen ist populär. Etwas, wofür man hierzulande regelrecht brennt. Schön zu beobachten gerade letztes Wochenende, dem ersten in diesem Jahr mit beständigem Sonnenschein und Temperaturen im T-Shirt-Bereich. Bestes Wetter. Gute Laune. Geschätzt alle 50 Meter qualmt ein Grill. Ob in Höfen, Parks, auf Balkonen oder Terrassen – jeder will dabei sein. Und aus dem Nichts kommt irgendwo jemand um die Ecke, der die Nase rümpft: „Angegrillt habe ich schon im Januar!“

Einer Statistik aus dem letzten Sommer zufolge sieht sich jeder Vierte als Ganzjahresgriller. Gleichzeitig gab von den Befragten jeweils gerade ein Prozent an, im Dezember oder Januar auch tatsächlich gegrillt zu haben. Im November sowie im Februar waren es satte null Prozent, im März wenigstens noch drei Prozent. Halten wir fest: Man würde gerne das ganze Jahr über grillen. Jedoch nur, sofern das Wetter dies zulässt. Hut ab! Das zeugt von ähnlicher Konsequenz wie ein Bekenntnis eines beliebigen Akteurs im Profi-Fußball zur Gültigkeit von Verträgen oder generell seinem aktuellen Verein. Dazwischenkommen kann schließlich jederzeit irgendetwas. Dass aber noch in ein und derselben Untersuchung der Anspruch von der Realität dermaßen zerlegt wird, ist auch eher selten.

Ich weiß nicht, wann genau der Begriff des Angrillens überhaupt angefangen hat, mich derart zu nerven. Mit einiger Wahrscheinlichkeit aber in etwa zu dem Zeitpunkt, als von irgendwoher einer beifallheischend „Hab´ ich schon längst“ rief, wann immer die Rede davon war. Es gibt Wintergrillen mit langjährigen Traditionen. Von Gemütlichkeit ist das zwar irgendwie ein Stück weit entfernt, das Schulterklopfen nach überstandener Tortur dafür umso größer. Ich habe damit auch überhaupt kein Problem, selbst wenn bei diesen Ereignissen ursprünglich wenigstens Teilmotiv war, dass irgendjemand irgendjemandem anderen irgendetwas beweisen wollte. Bloß sollen manche Zeitgenossen damit aufhören, so zu tun, als würden im Sommer ausschließlich Amateure grillen.

Aber gut, das sind zum Teil dieselben Leute, die einem Vorträge darüber halten können, wieso nur Holzkohle die einzig wahre Methode ist, ihr Steak zu garen, um sich dann ein gutes Stück vom Discounter aufzulegen.

Dann lieber Nudeln

Generell könnte einem der den allermeisten Grillevents innewohnende Kult um das Fleisch suspekt sein, selbst wenn man selbst nicht vegetarisch, pescetarisch oder vegan lebt. Ich kannte übrigens ´mal einen, der allen Ernstes behauptet hat, „in der Theorie“ überzeugter Vegetarier zu sein. Ich war mir nicht sicher, ob das die Angelegenheit besser oder schlechter macht und hatte es so stehenlassen. Mein Mitleid, dass er nach wie vor Fleisch essen muss, obwohl er es eigentlich besser weiß, hält sich bis heute aber in sehr engen Grenzen. Der wahre Genießer weiß ohnehin, dass beim Grillen der Speisezettel egal ist, weil das Verbringen von Zeit mit guten Freunden, noch dazu unter freiem Himmel, das ist, worauf es ankommt. Was letzten Endes bereits in unserer adoleszenten Sturm-und-Drang-Phase die besondere Attraktivität des Freiluftbrutzelns gekennzeichnet hat.

Dass darüber hinaus Grillen ein zunächst unverdächtiger Vorwand ist, sich die Kiste zuzuhauen, kam uns in jenen Jahren des öfteren zugute. Schließlich wäre kaum ein Mädchen aus unserem Umfeld freiwillig mit uns in den Park gekommen, hätten wir offen zugegeben, dass der Hauptvorsatz sein wird, die Forschungsreihe fortzusetzen, wie viele Biere in einen jungen Menschen hineingehen und zu welchen Ausfallerscheinungen es dabei kommt. Ich kann mich an einen Nachmittag erinnern, bei dem die Ausgangssituation die Frage gewesen ist, wofür überhaupt Grillanzünder benötigt würden, wenn das knappe Taschengeld doch in zwei zusätzlichen Büchsen Karlskrone sehr viel besser angelegt wäre. So schwierig würde das schon nicht werden, für ausreichend Hitze unter dem Rost zu sorgen.

Nach zwei Stunden erfolg- und würdelosen Versuchens, aus der Kohle eine halbwegs taugliche Glut zu schaffen, hatten die Frauen der Gruppe natürlich Hunger und schlugen vor, zuhause in der Pfanne weiterzu“grillen“. Wir Jungs hatten zwar schon keinen besonders großen Appetit mehr, weil uns zu diesem Zeitpunkt gut die Hälfte unseres Biervorrats bereits zu einem gewissen Sättigungsgefühl verholfen hatte. Ehe andererseits das schöne Grillgut anderntags eventuell schon die Wandlung zum Grillschlecht vollzogen haben würde, stimmten wir dem Vorschlag aber selbstverständlich zu.

In unserer damaligen Wahrnehmung sah so oder so ähnlich der perfekte Tag aus.

Um diesen Text nicht in völlig unangebrachter Nostalgie zu beenden, muss ich ihn an dieser Stelle leider wieder in die Gegenwart hinüberholen. Die durchschnittlichen Ausgaben für einen Grill haben sich in der Zwischenzeit verachtfacht. Auch sind die Geräte seitdem wesentlich voluminöser, das Zubehör umfangreicher und luxuriöser geworden. Zunehmend seltener ist ein Grill lediglich Mittel zum Zweck, willkommen in der Welt der Statussymbole!

Wundert da noch irgendjemanden die Behauptung, der Trend gehe zum Zweitgrill?! Für die Marketingabteilungen der Hersteller eine nur allzu logische Konsequenz aus dem Umstand, dass der durchschnittliche Haushalt eben nicht alle zwei Jahre einen neuen Grill anschafft. Was wurde nicht alles schon als Zweitexemplar zum Trend erklärt: Zweitwagen, Zweithaus, Zweitmann. In solch illustrer Umgebung ragt ein Zweitgrill nun beileibe nicht besonders auffällig heraus, verstärkt aber immerhin das diffuse Gefühl, sich in Konsumfragen über wirklich gar nichts mehr wundern zu müssen.

Manch einen mag das alles auch wurst sein, wiederum andere bevorzugen sowieso Nudeln. Und auch für letztgenannte Gruppe gab es diese Woche eine gute Nachricht:

Nudeln machen doch nicht dick.

Das behaupten jedenfalls kanadische Forscher. Deren Probanden durften pro Woche durchschnittlich 3,3 Portionen Nudeln anstelle anderer Kohlehydrate essen und hatten nach 12 Wochen sogar einen geringfügigen Gewichtsverlust. Nudeln genießen ihren schlechten Ruf also zu Unrecht.

Zumindest Stand jetzt, möchte ich das Kovac-Prinzip auf diese Erkenntnisse übertragen. Denn in der Wissenschaft wie in der Fußball-Bundesliga gilt eine Aussage bekanntlich gerade so lange, bis neue Faktenlagen frühere Gewissheiten über den Haufen werfen. Das kann ´mal länger und ´mal kürzer dauern. Aber bis es soweit ist, können wir ohne Reue Nudeln genießen, während wir uns beruhigt zurücklehnen, weil XY nächste Saison garantiert noch mit unserem Wappen auf der Brust verteidigt, Spiele gestaltet oder auch einfach nur die Mannschaft trainiert.

Vor allem lassen sich – Stand jetzt – von einem Teller Nudeln ebenfalls hervorragend Fotos in den Kosmos der sozialen Netzwerke schicken. Ungezählte Postings aus dem Winter beweisen es.

In diesem Sinn wünsche ich einen angenehmen, warmen, trockenen Sommer!