Dass ein Mensch auf die Frage nach dem Sinn des Lebens im Laufe desselben unterschiedliche Antworten kreiert, liegt durchaus im Bereich des Zulässigen. Daher sollte ich mit mir selbst nicht allzu hart ins Gericht gehen, wenn ich über eine der zweifelhaftesten Reaktionen berichte, die mir in meinem noch jungen Leben jemals zu diesem Thema eingefallen ist: Griechisch lernen.
Natürlich weiß man es im Nachhinein besser. Doch wenn man nach einer Trennung die Abende nicht mehr gemeinsam überwiegend schweigend vor dem Fernsehgerät verbringt, sondern man alleine scheinbar sehr viel Zeit hat, darüber nachzudenken, wohin man im Leben noch möchte, zieht man nicht zwangsläufig die Möglichkeit in Erwägung, dass das Erlernen einer fremden Sprache eher Ablenkungsmanöver als tatsächliche Antwort auf diese Frage sein könnte.
Die Entscheidung, eine Sprache zu lernen, kommt selten aus dem Nichts. Bei mir schon. Sicher – aus Schulzeiten, die zu jenem Zeitpunkt allerdings auch bereits ihre guten 20 Jahre zurücklagen, wusste ich um eine gewisse Begabung, was Sprachen betrifft. Dummerweise lehrten mich die Erfahrungen auf dem Weg zu meiner allgemeinen Hochschulreife auch, dass – der Begriff legt es schon nahe – heutzutage die allermeisten Sprachen dazu da sind, dass man sie auch spricht. Ohne dieses Dilemma wäre ich in der Schule wohl erst richtig gut in Englisch und Französisch gewesen. So war es eben nur mittelprächtig.
Da ich aufgrund meines Konsumverhaltens der vergangenen Jahrzehnte auch nicht direkt als jemand bekannt war, der gern und häufig verreist, war mein Lernwille auch damit nicht plausibel zu begründen. Gegenüber fußballaffinen Freunden gab ich an, vielleicht doch irgendwann einmal wieder ein Auswärtsspiel der Eintracht besuchen zu wollen. Da die Eintracht regelmäßig der 2. Liga näher als den europäischen Startplätzen war, ahnte inklusive mir selbst niemand, wie weitsichtig diese kühne Aussage in Wahrheit gewesen ist.
Die Wahrheit ist allerdings auch, dass ich zu keinster Zeit geplant hatte, überhaupt jemals Gegenden zu bereisen, deren Erreichung in vertretbarer Zeit das Besteigen eines Flugzeugs erfordern würde.
Als jemand, der sich an der Kasse grundsätzlich in der falschen Schlange einreiht, wäre ich nämlich prädestiniert dafür, bei meiner ersten Flugreise in einer Maschine zu sitzen, die abstürzt oder entführt wird und am Ende in Mogadischu landet. Und so sehr ich mit den Entführern eventuell sogar mit ihrer Ansicht übereinstimme, dass in unserer Gesellschaft einiges nicht rund läuft, so sehr ich sogar bereit wäre, auf vieles – inklusive Flugreisen – zu verzichten, um das alles etwas gerechter zu gestalten, würde mir die Solidarität an diesem speziellen Punkt dann doch etwas zu weit gehen. Auch dass eine gezielte Kugel in den Schädel in Bezug auf die nach wie vor unbeantwortete Frage nach dem Sinn des Lebens für mehr Klarheit sorgt, kann ich mir nur schwer vorstellen. Fast schon zur Nebensache gerät vor diesem Hintergrund, dass mich in Mogadischu selbstredend Griechisch keinen Schritt weiterbringen würde.
Meine Sorge mag unbegründet sein, die Statistik gegen mich sprechen. Andererseits ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass meine Strategie des Nichtfliegens mich bislang jedenfalls relativ zuverlässig davor bewahrt hat, Opfer eines Flugzeugabsturzes oder einer Flugzeugentführung zu werden.
Bis zur Mitte dieses Textes habe ich also keinen vernünftigen Grund geliefert, wieso ich auf Griechisch kam. Demnach liegt die Vermutung nahe, dass eine Frau im Spiel war. In der Tat war meine neue griechische Nachbarin sehr süß und durch ein paar Brocken in einer ihr vertrauten Sprache garantiert maximal zu beeindrucken.
Das erklärt zwar noch nicht, wieso ich zur gleichen Zeit angefangen habe, auch noch Niederländisch zu lernen, aber das hört sich wenigstens nicht nur lustig an, solange es man nicht gut beherrscht, sondern eigentlich immer. Für deutsche Ohren klingt Niederländisch immer so, als hätten ihre Sprecher gerade außerordentlich viel Spaß.
Es klingt auch so, als würden sie gerade beim Essen sein und sich in keinster Weise daran stören, mit vollem Mund zu sprechen.
Neben der Erkenntnis, dass, wer in Offenbach lebt, jede Sprache irgendwann einmal wird anwenden können, war mein Interesse an den beiden Sprachen womöglich schlicht und ergreifend unter anderem auch ein verzweifelter Versuch der Beweisführung, dass ich überhaupt noch in der Lage bin, etwas Neues zu lernen.
Ich investierte also über ein Jahr lang täglich 90 Minuten meiner Zeit, von der ich alsbald feststellte, dass ich von ihr doch nicht so viel zur Verfügung hatte wie ursprünglich angenommen. 90 Minuten, 85 davon lernte ich Vokabeln, weil der Ansatz bestechend logisch klang, wonach ein Kind auch ohne jegliches Lernen von grammatikalischen Regeln automatisch irgendwann in der Lage ist, korrekte Sätze zu bilden.
Irgendwann recht spät stellte ich fest, dass ich im Alltag eindeutig zu wenig Griechisch und Niederländisch hörte, um mit dieser Methode nachhaltige Erfolge zu erzielen.
Ich habe meine Vorgehensweise daraufhin etwas modifiziert. Unnötig zu erwähnen, dass mich auch dieser Kurswechsel meiner Nachbarin nicht näher gebracht hat. Hätte ich die gleiche Zeit darauf verwendet, meine nur gering ausgeprägten handwerklichen Fähigkeiten zu verbessern, hätte ich definitiv einen größeren Eindruck bei ihr hinterlassen. Und ohne jetzt noch tiefer in das Regalfach mit den Geschlechterklischees greifen zu wollen – auch die Annahme, dass es vielen Frauen im Grunde nicht ganz ungelegen kommt, wenn durch mangelnde Sprachkenntnisse des Gegenübers ihre eigene Redezeit nicht gar zu sehr eingeschränkt wird, ist durch diese Episode eher bestätigt als widerlegt.
Nicht zuletzt der Start dieses Blogs und die dadurch erforderliche Neueinteilung meiner zeitlichen Ressourcen haben dem Projekt des Sprachenlernens dann endgültig den Todesstoß versetzt. Zumindest an der sukzessiven Verbesserung der eigenen Sprache wird seitdem aktiv gearbeitet. Und dass mich das Schreiben an sich meinem persönlichen Daseinszweck etwas näher gebracht hat als Griechisch oder Niederländisch, ist schwer zu bestreiten.
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