Zuversicht und Daseinsfreude müssen in die Köpfe und in die Texte! Wo in der Vergangenheit viel zu häufig von Dingen die Rede war, die man bereut, soll es im Zuge der Verbreitung von Optimismus und positiver Energie als Einstieg heute um eine Angelegenheit gehen, die ich nicht bereut habe:

Früher waren Tattoos etwas für harte Jungs. Angesichts der Existenz ganzer Berufsbranchen, in denen man heutzutage schräg angesehen wird, wenn man nirgends ein Tattoo hat, wirkt es fast befremdlich, dass man vor etwas über 30 Jahren noch riskiert hat, nirgends eine Arbeit zu bekommen, wenn man irgendwo Anker, Rose und Co gar zu offen präsentierte. Das Stigma lautete: Außer Seemännern haben nur Knastbrüder Tätowierungen. Also nur die ganz Harten.

So wie ich einer war.

Zumindest sah ich selbst mich seinerzeit auf dem bestem Weg, einer zu werden. Damals, in dieser anstrengenden und nur in der Rückschau lustigen ersten Phase der Selbstfindung. Wo in anderen Gegenden dieser Erde Kinder zwischen 13 und 15 Jahren zwangsläufig zu den ganz Harten gehören mussten, wenn sie überleben wollten, kam ich als unschuldiger Bub mit meinem siebenreihigen Nietenarmband um die Ecke. Wohlbehütet genug, dass ich das Teil vor meiner Mutter verstecken musste und es auf dem Schulweg zur Sicherheit erst außer Sichtweite meines Zuhauses angezogen habe. Da baumelte es dann uninspiriert um mein Handgelenk, weil auch das engste Loch dieses identitätsstiftenden Stücks für meine zarten Ärmchen noch viel zu weit gewesen ist.

Im weiteren Verlauf meiner Entwicklung hatte ich die Furcht vor der Reaktion meiner Eltern relativ schnell, also nach zwei weiteren Jahren, etwas abgelegt. Ein harter Junge war ich immer noch. Eigentlich war ich sogar härter denn je zuvor, denn ich hörte inzwischen Rockmusik mit verzerrten Gitarren und Texten über Tod und Teufel, die vorwärts abgespielt um einiges extremer waren als die angeblichen geheimen Botschaften, die sich dem Hörer offenbaren sollten, wenn er sie rückwärts abspielt. Ein Tattoo hätte mir demnach gut zu Gesicht gestanden, fand ich. Wobei meine erste Wahl mit Sicherheit eine unauffälligere Körperregion als das in der Redewendung genannte Antlitz gewesen wäre.

Farbe bekennen: Bier statt Tinte

Gerade weil ich aber in der Zwischenzeit noch härter geworden war, hatte ich unterdessen eine andere Möglichkeit gefunden, dem Rest der Welt zu demonstrieren, wie hart ich war. Außer für Tonträger ging mein Taschengeld fortan in erster Linie für Bier drauf. Abgesehen davon, dass vor dreißig Jahren nicht an jeder Ecke ein Tattoo-Studio war, hätte ich also auf etwas verzichten müssen, das ich gerade erst liebgewonnen hatte. An eine professionell durchgeführte Körperverschönerung war unter diesen Umständen nicht zu denken. Und wie es aussieht, wenn irgendein Freund selbst Hand anlegt, hatte ich ja an meinem Bruder beobachten können, der ungefähr zu der Zeit meiner unrühmlichen Nietenarmband-Episode seine erste Tätowierung präsentiert hatte.

Im Nachhinein kann jeder der Beteiligten absolut nachvollziehen, dass meine Eltern darüber nicht amüsiert sein konnten. Verunstaltet wäre noch einer der harmloseren Ausdrücke für das, was er da seinem Körper angetan hat.

Wer sich auch nur ein kleines bisschen mit der Ästhetik des Heavy Metal auskennt, wird eine Ahnung davon haben, wie erleichtert ich heute darüber bin, in dieser Phase meines Lebens nicht das Budget für wenigstens eine kleinflächige Körpermodifikation gehabt zu haben. Das Argument, dass auch Tattoos, die einem später peinlich sind, trotzdem zu seinem Träger gehören wie die Lebensphase, in der sie entstanden sind, mag ja schlüssig klingen.. Trotzdem sehe ich Drachen, Schwerter, Dämonen und dergleichen mehr auf Plattencovern einfach besser aufgehoben als auf meinem Körper. Und die Möglichkeit, solche Motive auf Band-Shirts zur Schau zu tragen und sich ihrer zu entledigen, wenn die Phase vorüber ist, hat mir in diesem Fall wenngleich nicht den Arsch, dafür aber diverse andere Körperteile gerettet. Für jemand, der sonst gern ´mal mit sich und der Welt hadert, weil die verkehrte Entscheidung getroffen wurde und es auf der Welt ohnehin ungerecht zugehe, eine echte Genugtuung.

Je ne regrette rien

Ohne die Sorge, ein bestimmtes Motiv könnte nach einer gewissen Weile einfach nicht mehr zeitgemäß für den Träger sein, wäre es heutzutage verdammt einfach: Das Argument, auch das schönste Bild sehe auf dem faltigen Körper eines 60-Jährigen nicht mehr schön aus, wurde mit dem lapidaren Hinweis, dass im Alter auch manches andere nicht mehr so heiß aussieht wie ehedem, längst entkräftet. Zudem sind die Bemalungen in den letzten 30 Jahren einfach gesellschaftsfähig geworden.

Was andererseits neue Probleme mit sich brachte: Sollten Tätowierungen tatsächlich jemals ein Ausdruck von Individualität gewesen sein, sind sie es spätestens seit ihrem gesellschaftlichen Durchbruch definitiv nicht mehr. Wer sich noch an die liebevoll, aber zutreffend als „Arschgeweihe“ bezeichneten Tribals am Steiß erinnern kann, weiß was ich meine. Die waren am Ende so originell, dass sie jeder einfach nur noch weghaben wollte. In kleineren Dimensionen wiederholte sich das mit Delfinen am Knöchel, Sternen und später Unendlichkeitsschleifen an jeder erdenklichen Stelle. Würden die Betroffenen zugeben, dass sie sich ihr unwahrscheinlich individuelles Motiv abgeschaut haben, anstatt es als das Resultat eines wahnsinnig kreativen Prozesses, wäre am Ende des Tages auch wenig bis nichts dagegen einzuwenden.

Seinen ursprünglich einmal gedachten Zweck, ihren Träger aus der Masse aller anderen herauszuheben, erfüllt das Tattoo daher bereits seit längerem nicht mehr uneingeschränkt.

Wo niemand mehr an der Körperkunst Anstoß nimmt, nimmt man auch generell nicht so viel Notiz davon. Das Besondere verschwand ab exakt dem Moment, in dem gefühlt jeder mindestens ein Bild zur Schau trug. Wie ernüchternd muss die Erkenntnis wirken, dass die einzigen, die sich für Dein Tattoo interessieren, andere Tätowierte sind, die dann ihrerseits bereitwillig ihre Kunstwerke vorzeigen. Hat etwas von Schwanzvergleich, würde ein guter Freund von mir an dieser Stelle urteilen. Was durch den Umstand, dass zumindest in Deutschland die Mehrheit der tätowierten Menschen inzwischen Frauen sind, eine besondere Note erhält.

Spätestens an dieser Stelle haben wir uns maximal von den Zeiten entfernt, in denen Tattoos noch eine Angelegenheit für harte Jungs waren.

Da ich sowieso niemals zu dem harten Jungen geworden bin, der ich eigentlich hatte werden wollen, habe ich heute genau genommen sogar doppelten Grund zu der Behauptung, nichts zu bereuen.