Vielleicht macht es Sinn, manchmal Phasen zu durchleben, in denen man sich selbst einmal nicht jeden Tag neu beweisen muss, wie sehr man sich doch permanent weiterentwickelt. Vielleicht macht es Sinn, eine Weile auf einem gewissen Niveau zu verbleiben, sich zu sammeln und erst wenn die Zeit reif dafür ist zum Sprung ins nächste Level anzusetzen. Vielleicht mache ich aktuell eine solche Phase durch und muss mich überhaupt nicht sorgen, weil es gerade ´mal nicht in dem Tempo vorangeht wie ich es vielleicht gern hätte, weil mein anderes Ich mir dezent von hinten die Formel Stillstand ist Rückschritt ins Ohr spricht.

Ja, das Leben ist Seife. Ständig muss man auf der Hut sein, daß es einem nicht aus der Hand gleitet.

Vielleicht wundere ich mich in ein paar Wochen über mich selbst und darüber, wie schwer es mir dieser Tage gefallen ist, mich für Neues zu motivieren und Altes gerade so mit einem Rest an Pflichtbewusstsein aufrechtzuerhalten. Der Alltag hat mich eingeholt. Nicht daß ich mir ihm gegenüber einen furchtbar weiten Vorsprung erarbeitet hätte, doch wenn ich die letzten etwa zwei Jahre zurückblicke, war immer irgendwas neu. Dieses angefangen, mit jenem pausiert, manch anderes Überflüssiges komplett über Bord geworfen.

Fragen, die neu gestellt wurden, vielleicht nach der Trennung überhaupt erst neu gestellt werden konnten. Fragen, die ich mir so generell erstmals stellte. Umorientierung. Wo will ich noch hin? Lohnt sich das in meinem Alter noch? Vielleicht kennzeichnet die derzeitige Ruhephase einfach nur einen notwendigen Zwischenschritt, die Bewältigung einer Etappe. Auf daß ich mir eine Strategie für die nächste konstruieren soll. Eine Etappe mit vielleicht weniger Hauruck und mehr Plan. Mehr aufs Ziel fokussieren statt punkrockmäßig einfach loslegen; weniger spontaner Aktionismus und covfefe, stattdessen mehr Weitsicht. Und: Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, daß Perioden des Nichtstuns zum ganz normalen Repertoire menschlichen Verhaltens gehören. Zumindest normaler als alle 24 Stunden des Tages durchzustylen.

In der Fachsprache nennt man das Chillen. Obwohl „Chillen“ für vieles steht, meistens für das früher gebräuchliche „Abhängen“. Was in meinen Ohren ehrlicher klang. Im Sinne von „Runterfahren“ wird mir der Begriff schon sympathischer. Denn Runterfahren ist wichtig. Ganz unabhängig davon ob man wirklich nichts macht oder ob man die ruhige Zeit zum Reflektieren verwendet, ob eingeschlagene Wege die richtigen sind. Vermutlich gelangt man auch ohne aktives Reflektieren zu vernünftigen Einsichten, wenn man sich eine Zeitlang ausgeklinkt hat. Aber wer weiß das schon so genau. Diejenigen, die vorgeben, es ganz genau zu wissen, sind mir meist sehr suspekt.

Die Menschen sind Föhn

Die Fähigkeit zur Reflektion ist das höchste Gut, das wir haben. Vielleicht ist der schlechteste Rat, den man einem Menschen mit auf den Weg geben kann, sich nicht ständig in Frage zu stellen. Das kann im Einzelfall hilfreich sein. Zum Programm erhöht sorgt ein solches Vorgehen allerdings für einen dauerhaften Nachschub an Leuten, die sich für die Geilsten halten, in Wirklichkeit aber 99 Prozent ihres Umfeldes penetrant auf die Nüsse gehen.

Ja, die Menschen sind Föhn. Zu viele sind zu lange damit beschäftigt, überwiegend nur warme Luft zu produzieren.

Weil sich die Dinge entwickeln, also Zeit benötigen und nicht auf Knopfdruck wie in den Klick-ködernden Youtube-Tutorials à la „4 einfache Tricks für sofort mehr Selbstvertrauen“ funktionieren, sind Pausen wohl doch sinnvoller als ich manchmal anzunehmen geneigt bin. Nicht umsonst spricht man wohl bei der Persönlichkeit eines Menschen von einem Reifungsprozess. Alles andere ist Hollywood. Anders als bei Obst oder Käse verläuft dieser Prozess jedoch weder linear noch wird er durch bloßes Herumliegen in Gang gesetzt. Analog zu Obst oder Käse wird jedoch alles faul, wenn es zu lange einfach nur herumliegt. Ja, vielleicht ist jetzt die Zeit, für einen längeren Moment Luft zu holen. Aber nur, um anschließend mit Feuer richtig durchzustarten.

Vielleicht gehört zur Entwicklung von Persönlichkeit auch die eine oder andere Entscheidung, die man mit dem Wissen von später so auch nicht mehr treffen würde. Bis heute weigere ich mich, solche Entscheidungen als „falsch“ einzuordnen. Fast jede Entscheidung ist für den Moment, in dem sie getroffen wird, richtig. Als richtig oder falsch, schlecht oder gut wird sie erst im Nachhinein interpretiert. Das kann jeder. Hinterher ist man immer schlauer.

Daß ich beispielsweise so etwas wie berufliche Karriere komplett ignoriert habe, seit dieser eine vielleicht einzige echte Traum geplatzt ist, gehört in diese Kategorie. Daß ich in dieser Hinsicht zu viel dem Zufall überlassen habe und generell zum Teil bis heute mit ähnlicher Konsequenz mein Licht unter den Scheffel stelle, ärgert mich allerdings mehr. Erst recht weil es Menschen in meinem Leben gab, die mir vor 25 Jahren gesagt haben, ich könne mehr aus mir machen. Viel mehr! Das muss man sich vor Augen halten: da existieren Leute, die mehr an mich glauben als ich selbst.

Vielleicht sind solche Menschen das, was mir heute tatsächlich fehlt; Leute, deren Ratschläge ich heute eher annehmen als beiseite wischen würde. Freunde, die ich umgekehrt genauso ermutige, kritisiere und inspiriere – einfach ein Team eben. Ein Team von drei bis fünf Leuten, die sich nicht nur gegenseitig in ihrer Ansicht bestärken, daß sie die Lässigsten sind. Sondern die daran arbeiten, daß sie die Lässigsten überhaupt werden. Oder bleiben.

Was vielleicht auch fehlt, ist die eine, an der man noch näher dran ist als an seinen guten Freunden: Eine Partnerin. Die meine Gespräche mit mir selbst und mit den Haustieren ersetzt durch echte Dialoge. Die meine Innenansichten um die neue Perspektive der Draufsicht ergänzt. Da steckt weniger Sehnsucht dahinter als es vielleicht hier den Anschein erweckt. Da kommt auch kein „Vielleicht“ an dieser Stelle. Es wäre nett, aber zur Zeit geht es auch ohne. Gerade noch so.

So oder so scheint das Leben spannend zu bleiben.

Womit ja auch schon etwas erreicht wäre.

Vielleicht.