„Manche Dinge ändern sich nie.“ Zugegeben: Schlecht klingt das zunächst nicht, wenn Freunde solche Dinge über Dich sagen. Man darf sich durchaus geschmeichelt fühlen. Zumindest bis man registriert, dass dieses Urteil genauso gut auf negative Eigenschaften zutrifft, die man lieber längst über Bord geworfen hätte.
Gehen wir runde 35 Jahre zurück: Kaum dass die ersten Haare am Beutel zu sprießen begannen, wahrscheinlich aber sogar noch etwas früher, begann die Suche nach einer adäquaten Partnerin. Das ist für sich genommen noch nicht besonders ungewöhnlich. Originell wird es im Prinzip erst durch die Art und Weise, wie ich gemeinhin versuch(t)e, die Aufmerksamkeit meiner Auserwählten zu erlangen.
Ausgehend von der Überlegung, dass sich Beziehungen am besten anbahnen lassen, wenn man sich ab und zu begegnet, gilt es, Hauptwohnsitz sowie weitere Orte herauszufinden, an denen sich der neue Schwarm bevorzugt aufhält. Am besten mit den dazugehörigen Zeiten.
Irgendwann weiß man zum Beispiel einfach, wann und wo sie Hockeytraining hat oder in welchen Gasstätten sie sich an einem Freitagabend bevorzugt aufhält. Man hat also genügend Anlaufstellen, die man vorher nie, jetzt aber ständig frequentierte, um die Wahrscheinlichkeit eines Aufeinandertreffens zu beeinflussen und dann im Ernstfall das Gespräch mit den Worten eröffnen zu können: „Oh, mit Dir hätte ich hier aber nicht gerechnet.“ Den Verlust meines Glaubens an Zufälle verorte ich nicht ganz zufällig in etwa in dieser Zeit meiner ersten Gehversuche in Sachen unverbindlichen Flirtens. Meine Neigung zu ausgedehnten Spaziergängen dürfte ebenfalls in dieser Phase ausgebildet worden sein.
Wollte man diese Methode als würdelos bezeichnen, käme ich damit eigentlich noch ganz gut weg. Vor allem: In Sachen Effektivität ist bei dieser Vorgehensweise demnach definitiv noch Luft nach oben. Denn egal, wen, wann und wo ich jemand auf solche Weise gestalkt habe – wirklich getroffen habe ich eigentlich niemals eine meiner Herzdamen. Bis heute nicht. Manche Dinge ändern sich eben tatsächlich nie.
Okay – geändert hat sich, dass ich heutzutage besser gekleidet bin als früher. Ansonsten ist alles noch wie zu Zeiten, in denen Mama die Klamotten für mich herausgelegt hat.
Im vorliegenden Fall war es so, dass mir an Fronleichnam eine Lady am Getränkestand aufgefallen war. Ich durfte die Besucher eines Festes mit modellierten Luftballonfiguren beglücken. Wir wechselten ein paar Worte, als ich ihr ein Ballonarmband vorbeibrachte, das ich mit so viel Leidenschaft gefertigt hatte wie ich sie sonst nur selten in eine Ballonfigur ´reingesteckt habe. So ähnlich zumindest habe ich es ihr gesagt. Als sie mit ihrem Dienst fertig war, kam sie nochmal zu mir, um sich zu verabschieden und uns Gelegenheit zu geben, weitere zwei bis drei Minuten zu reden. Das hat zwar ausgereicht, mich nachhaltig zu beeindrucken. Jedoch wartete ich vergeblich auf den Satz „Ich gebe Dir am besten ´mal meine Telefonnummer.“ Manche Dinge ändern sich eben nie.
Also kam es, wie es kommen musste: Ich bin an einem der darauffolgenden Tage nochmal auf diesem Fest vorbeigegangen. Ein Fest, das mir ausreichend Gründe bietet, warum ich dort normalerweise kein Gast bin: Wenn die Presse im Nachgang darüber berichtet, ist in aller Regel eine Gruppe von Menschen abgebildet, die an einem Festzelttisch sitzt und Biergläser in die Höhe stemmt. Auf dem Bild nicht zu sehen ist die musikalische Begleitung aus Schlagermusik. Nein, diese Art von Festen bietet für mich wirklich keinen Grund, sie zu besuchen. Es sei denn, ich soll dort Luftballons modellieren oder ich erwarte, dort einer Frau zu begegnen.
Wie kaum anders zu erwarten war: Manche Dinge ändern sich nie. Die schlechte Musik, die Partyfraktion mit den Bierkrügen, ein paar Bildungsferne – alles war genau wie am Donnerstag oder an jedem anderen Tag dieses Festes in den letzten 50 Jahren. Nur diese Frau war nicht da.
Was lag da näher, als am gleichen Tag zu einem späteren Zeitpunkt nochmal zufällig dort aufzuschlagen, um zu sehen, ob sie in der Zwischenzeit eingetroffen ist?!
Trotz dieser nicht stattgefundenen zufälligen Begegnung war ich erleichtert, dass dieses Fest lediglich an drei Tagen im Jahr stattfindet. Bleibt mir doch auf diese Weise wenigstens erspart, was sich Jahre zuvor zugetragen hatte: Eine mehrere Wochen dauernde Phase, in der ich jeden Abend in dieselbe Kneipe gegangen bin, als logische Folge eines Samstagabends, an dem ich dort einmal eine Gruppe von drei Flugbegleiterinnen, darunter zwei Frauen, getroffen und mit ihr einen angenehmen Samstagabend verbracht hatte. Ich könnte argumentieren, dass mein Freizeitverhalten dadurch keine besonders radikale Umkehr erfuhr, da ich mich zu jener Zeit ohnehin an durchschnittlich fünf Abenden pro Woche in besagter Schankwirtschaft aufgehalten habe. Aber irgendwann war es an der Zeit, auch wieder ´mal etwas anderes zu unternehmen. Freunde sagten mir, dass diese Frauen innerhalb der vergangenen sieben Wochen garantiert einmal in meinem zweiten Wohnzimmer aufgeschlagen wären, wenn ihrerseits auch nur ein Minimum an Interesse bestanden hätte, mir zu begegnen. Dennoch: Ich brauchte einen Verbündeten. Jemand, der immer in diesem Lokal ist und interveniert, bevor die Flugbegleiterinnen enttäuscht wieder umkehren wollen, weil sie mich nicht gefunden haben.
Es gab exakt einen Menschen, der mich unterstützen konnte. Ein Mann, der allabendlich zur etwa gleichen Zeit an der Theke seinen Platz einnahm. Jemand hatte mir ´mal erzählt, dass er 1982, was zu jener Zeit bereits 20 Jahre her gewesen ist, das erste Mal in der Weinstube war und dieser Typ damals schon auf diesem Platz gesessen hat. Ich hatte meinen Verbündeten gefunden!
Der Grund, weshalb ich ihn am Ende doch nicht für meine Zwecke einspannte, ist simpel: Ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Denn bestimmt hat der gute Mann einst aus dem gleichen Motiv, eine Bekanntschaft wiederzusehen, angefangen, diese Kneipe täglich zu besuchen. Und da Alkohol bekanntlich dabei hilft, zu vergessen, behielt er die Gewohnheit einfach bei, auch wenn er im Laufe der Zeit den ursprünglichen Anlass aus den Augen verlor und sich sicher nicht nur einmal die Frage gestellt hat: Was mache ich eigentlich hier?