Du kommst jetzt gerade ´mal in die zweite Klasse, dachte ich mir. Da stellt sich so manche Frage in dieser Form zum Glück noch nicht.

Eine gescheite Antwort wäre mir auf die Frage meines Sohnes, ob Youtuber ein Beruf sei, auf die Schnelle auch nicht eingefallen. Um ehrlich zu sein, habe ich mehrere Wochen später immer noch keine kluge Antwort darauf. Auf die Annahme, Unboxing-Videos und Beauty Channels wären vorübergehende Irritationen beim Übergang in eine bessere Gesellschaft, mag man sich dann irgendwie doch nicht mehr verlassen.

Ich hätte es mir leicht machen können. Besser: Ich hatte es mir leicht machen wollen. Anschauungsmaterial, bei dem sich selbst ernannte Experten um Kopf und Kragen reden, braucht man schließlich nicht lange suchen. Drei bis vier Beispiele – fertig ist der Verriss!

Sicher ist: Für einige Leute bedeutet es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass sie auf Youtube Erfolg haben, weil sie zur Ausübung irgendeines regulären Berufes ziemlich offensichtlich kaum in der Lage wären. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich übrigens nur unwesentlich von manchem Profifußballer oder auch dem einen oder anderen Polizeibeamten, der andernfalls mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auf der zu bekämpfenden Seite gelandet wäre.

Andererseits möchte ich lieber nicht wissen, was wir früher alles fabriziert hätten, wenn wir dieselben Möglichkeiten gehabt hätten. Aber was hatten wir? Den Offenen Kanal. Wenn wir ein Video gedreht haben, war allein der Datenträger viermal so groß wie ein heutiges Smartphone. Die komplette Ausrüstung wog mehrere Kilogramm und passte auch von der Größe her längst nicht in die Jackentasche. Überall und jederzeit Aufnahmen zu machen, war also nicht drin. Dass wir uns also vorher gut überlegen mussten, was genau um Himmels Willen wir vorhaben, wenn wir die Kamera anschmeißen, hat uns wohl vor großen Fehlern bewahrt. Dieses Korrektiv fehlt heutzutage.

Auch über die Mittel, die den Kids auf Seiten der Verbreitung heute zur Verfügung stehen, hätten wir uns damals gefreut. Wir hatten unsere Zeitschrift, die vierteljährlich erschien, und freuten uns, dass die Auflage von 1500 Exemplaren binnen weniger Tage vergriffen war. Verglichen mit dem, was heutzutage selbst der letzte Honk potentiell an Reichweite erzielen kann, erscheint es fast unglaublich, dass wir uns damit in der Stadt einen gewissen Ruhm erarbeitet hatten.

Gewiss lernten wir in diesem Zusammenhang auch Stress kennen. Doch allein die Erscheinungsweise verhinderte, dass wir jemals auf den Gedanken gekommen wären, Masse statt Klasse produzieren zu wollen. Alles in allem war diese Form von Stress überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Druck, jeden Tag am besten mehrfach irgendetwas veröffentlichen zu müssen.

Natürlich leiden die Inhalte darunter, dass in der schönen neuen Welt ständig nachgelegt werden muss, um im Gespräch zu bleiben. Und natürlich darf man sich darüber amüsieren, wenn deswegen Belanglosigkeiten oder tausendfach Gesagtes in die Welt hinausgetrötet werden muss. Sollte es allerdings wahr sein, dass man in diesem Business umgehend Abonnenten verliert, wenn ´mal ein Tag nichts veröffentlicht wird, muss auch die Frage, was denn da auf der Konsumentenseite bitte durcheinander geraten ist, zumindest gestellt werden dürfen. Ausgebrannte Youtuber sind zur Zeit ein heißes Thema. Das kann bei solch jungen Menschen auch nicht einfach mit einem „selbst schuld“ beiseite gewischt werden.

Selbst bei mir, der ich lediglich einmal pro Woche etwas veröffentliche, erkenne ich Probleme, das neben Vollzeitjob, Hund und Katze, dem Bedürfnis nach Entspannung, Haushalt, Nebenerwerb und dem Versuch, eine Partnerin fürs Leben zu finden, irgendwie zu managen. Fakt ist: Allein das, was sich zur Zeit im Haushalt an unerledigten Aufgaben aufgestaut hat, würde ausreichen, um in weiteren zwei bis drei Partnerinnen den Entschluss zur Trennung reifen zu lassen. Da wird also schon einiges dem Ziel, jeden Sonntag etwas Schönes vorzeigen zu können, untergeordnet. Die Schwierigkeit, dabei überhaupt immer wieder ´mal Themen zu finden, die ich noch nicht beackert habe und zu denen ich gleichzeitig etwas Relevantes zu sagen hätte, ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

Die Antwort, die ich meinem Sohn demnach hätte geben müssen, als er die Youtube-Frage stellte: Beruf ja, erstrebenswert nein.

Nachdem sich allerdings letzte Woche wieder einmal ein hoffnungsloser Fall bei uns im Lager vorgestellt hatte, dachte ich mir zweierlei:

  1. Man muss nicht Youtube anwerfen, um auf selbsternannte Experten zu stoßen.
  2. Vielleicht ist das Geld in eine vernünftige Ausrüstung und die Zeit für die Ausarbeitung eines gescheiten Plans für eine Karriere als Youtuber doch ganz gut angelegt, weil alles besser ist als in irgendeinem Lager dieser Welt mit solchen Kollegen das komplette Leben zu verschenken.