Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: Mai 2018

Abteilung Orakel

Drei ernüchternde Fakten. Erstens: Ein Blogeintrag zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft benötigt keine originelle oder herausfordernde Einleitung. Der Leser kann bei diesem Thema viel einfacher abgeholt werden, etwa in der Art von „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.“ Genau genommen würde es auch reichen, die Daten 14. Juni sowie Russland zu nennen, und alle so: „Yeah!“

WM also. Zweitens: Bald werden auch wieder TV-Sender und diverse andere Medien, Tierparks und ähnliche Instanzen niedliche oder exotische Tiere aus dem Hut zaubern, die uns den Sieger der jeweils bevorstehenden Begegnungen orakeln sollen. Seit dem großen Erfolg von Krake Paul aus dem Oberhausener Aquarium vor acht Jahren setzen etliche auf die PR mittels des Disney-Effektes und werden deshalb sehr wahrscheinlich auch dieses Jahr allerlei Knuddeliges aus Ställen, Nestern und Käfigen an die Öffentlichkeit zerren.

Drittens: Dass beim Voraussagen von Fußballergebnissen Sachverstand nur eine untergeordnete Rolle spielt, beweisen nicht nur tierische Orakel, sondern regelmäßig auch die in Deutschlands Betrieben zu dieser Zeit massenhaft initiierten Tipprunden.

Da das WM-Fieber mich persönlich selbst weniger als drei Wochen vor Anpfiff noch nicht gepackt hat, kann man auch nicht unbedingt davon sprechen, dass die Organisation eines Tippspiels unter den Kollegen besondere Glücksgefühle in mir erzeugen würde. Ich hatte auch lange Zeit irgendwie gehofft, drum herumzukommen, indem ich einfach in keinem Gespräch erwähne, dass wir zur EM vor zwei Jahren auch eins gemacht hatten. Ich ging sogar so weit, die anstehende WM nicht mehr zu erwähnen, um bloß niemanden auf den dummen Gedanken zu bringen, dass wir ja ein Tippspiel machen könnten. Ich war ursprünglich sogar bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen und ganz allgemein Fußball nicht mehr proaktiv zum Gesprächsgegenstand zu machen. Was dies betrifft, hat mich jedoch die Dynamik der Ereignisse von meinem Vorsatz abgebracht, um hiermit wenigstens in einer Nebenerwähnung nochmal den grandiosen Pokalsieg der SGE letzte Woche zu würdigen.

Natürlich steht am Ende der Erkenntnisgewinn, dass es die WM und mit ihr also ein Tippspiel auch ohne mein Zutun auf die Agenda geschafft hat. Die Intervalle zwischen den Nachfragen nach einer Tipprunde wurden kürzer und kürzer. Wer eines machen will, soll sich darum kümmern – diese meine Antwort wurde wie so manches andere in diesem Betrieb so lange überhört, bis es dann irgendwann doch wieder an mir hängenblieb. Nun ja, da ich ja üblicherweise mit Oranje sympathisiere, die allerdings diesmal die WM boykottieren, verschenke ich wenigstens keine Punkte durch Wunschtipps. Ob das allein am Ende reichen wird, mich wenigstens nicht gar zu sehr zu blamieren und in der Wertung weit hinten zu landen, darf allerdings mit Recht bezweifelt werden. Auf den vorderen Rängen werden dafür wie immer diejenigen Sportsfreunde landen, die ihre Voraussagen genauso gut aus dem Kaffeesatz lesen könnten und damit regelmäßig die Gruppe der Experten düpiert.

Letztgenannte nämlich berücksichtigen neben Formkurven von Teams sowie einzelner ihrer Akteure sämtliche verfügbaren Statistiken, Gelbsperren, drohende Gelbsperren, Verletzungen, antizipierte taktische Erwägungen, die Dynamik eines Turniers und vieles mehr. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass solches Wissen beeindruckt, aber in den meisten Fällen falsch gewichtet wird. Anders formuliert bleibt ein Favorit auch dann noch Favorit, wenn der eigentlich gesetzte Verteidiger verletzungsbedingt ausfällt. Die Geheimformel für den Tippspielerfolg lautet also nicht etwa: Argentinien könnte im Turnier an dem Druck scheitern, dass es für viele im Aufgebot die mutmaßlich letzte Gelegenheit ihrer Karriere ist, Weltmeister zu werden. Kroatien dagegen hat die stärkste Mannschaft in seiner Geschichte, also wird Kroatien überraschend 1:0 gewinnen. Sondern: Argentinien? Die sind eigentlich immer vorne dabei, Kroatien ist nicht so gut, also 2:0 für Argentinien. Das tatsächliche Endergebnis ist anschließend in den meisten Fällen bestens geeignet, die Laien zum Jubeln und die Experten zum Kotzen zu bringen.

Dabeisein ist alles

Ich muss zugeben, dass es der Wissenschaft mit solchen Befunden nebenbei gelungen ist, mich mit meinen schlechten Platzierungen bei früheren Tippspielen zu versöhnen. Das bringt mir zwar meinen Spieleinsatz nicht wieder, lässt mir aber immerhin einen Teil meiner Ehre.

Darüber hinaus formulieren diese Erkenntnisse die Strategie für die kommende Tipprunde: Einfach ´mal den ersten intuitiven Tipp stehen lassen anstatt ihn umgehend wieder zu zerreden.

Da die Niederlande nicht teilnehmen (ich wiederhole es nur für den Teil meiner Leser, die es nicht oft genug hören können), muss ich jetzt lediglich noch bei den Engländern meine Fanbrille abnehmen anstatt mir bei ihnen regelmäßig Siegchancen einzubilden, wo bei Licht betrachtet keine sind.

Wenn ich beides beherzige, steht meinem nächsten Triumph beim Wetten eigentlich fast nichts mehr im Weg. Das letzte Mal, dass ich im Zusammenhang mit Fußball Geld gewonnen habe, war noch bei der klassischen Toto-Elferwette. Die Bundesliga spielte seinerzeit noch geschlossen samstags um 15.30 Uhr, und ich bekam seinerzeit etwa 6 Mark und 50 Pfennige für neun Richtige. Den Gewinn musste meine Mutter abholen, weil ich noch lange nicht volljährig war und also gar nicht hätte spielen dürfen. Man merkt an diesen Begleitumständen also schon, dass das alles runde 20 Jahre zurückliegen muss.

Dann freue ich mich doch jetzt schon auf unsere Grillfeier, wenn mir als Spielleiter die Aufgabe obliegt, mich selbst zu ehren für den ersten Platz. Die Vorstellung gefällt mir. Seit meiner Zeit als Vorsitzender im Schützenverein habe ich mich nicht mehr selbst aufgerufen. Wozu auch? Meinen Namen zu nennen oder zu hören, wenn es um herausragende Leistungen geht, bildet mein Selbstverständnis jedenfalls authentischer ab als ein professionelles Lächeln bei der Überreichung des Preisgeldes an die Kollegen ohne nennenswerten Fußballhintergrund, während sich in der Tasche die Hand zur Faust ballt.

Wobei die Zeremonie vor zwei Jahren eigentlich bewies – viertens: mit Helium im Körper geht auch das.

Alle Jahre wieder

Die Steuererklärung hat mit dem Geburtstag der Schwiegermutter mehr Gemeinsamkeiten, als man oberflächlich betrachtet vermutet. Offensichtlich ist zunächst: Beides findet einmal im Jahr statt. Reicht auch. Häufiger fände ich unangebracht. Es geht aber noch weiter. Beides rangiert in der Beliebtheit nur knapp über Wurzelbehandlungen oder Magenspiegelungen. Die Vorfreude ist – sagen wir – überschaubar.

Weil man also im Grunde ohne weiteres gut bis sehr gut leben könnte, wenn es beides nicht gäbe, werden sie zunächst bis kurz vor Ultimo gekonnt ignoriert. Und am Ende macht man aber doch mit, um größeren Ärger zu vermeiden. Ich würdige eigentlich zu selten mein Glück, dass ich seit einiger Zeit nur noch einen dieser beiden Pflichttermine beachten muss.

Es ist im Falle der Steuererklärung das Unerquickliche daran ja nicht nur die wertvolle Lebenszeit, die einem dadurch unnötigerweise von der Uhr genommen wird. Als besonders lästig empfinde ich persönlich vor allem auch, dass sie mir meine nicht zufrieden stellende finanzielle Gesamtsituation vor Augen führt, obwohl ich darüber in dieser Ausführlichkeit eigentlich gar nicht Bescheid wissen wollte. Sie erinnert mich einmal im Jahr daran, dass ich im Leben auch ´mal Entscheidungen getroffen habe, die damals sicherlich richtig gewesen sein mögen, die ich mit dem Wissen von heute allerdings nicht mehr exakt so treffen würde. Wer konnte denn zum Beispiel ahnen, dass Geld irgendwann eine doch sehr viel größere Rolle spielen würde als man sich das in jungen Jahren erträumt hatte. Da kommt dann auch wieder die Schwiegermutter ins Spiel, die ja von Beginn an skeptisch war ob meiner Erklärung, dass es zu viel mehr als einer Stehplatzkarte ja auch nicht ausreichen müsse.

Ihre Skepsis hätte mich natürlich meinerseits skeptisch machen müssen. Ein Gedanke sicher lohnenswert, ihn weiter zu verfolgen. Stattdessen soll aber die Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle gelenkt werden, an der ich wohl definitiv verkehrt abgebogen bin.

Irgendwann im Mai 2005, die Beziehung zu meiner heutigen Ex-Gemahlin war gerade ein knappes Jahr jung, ersteigerte ich aus der dunklen Ahnung heraus, dass ich ihr wohl etwas mehr bieten müsste als eine Dreiviertel-Stelle als ungelernter Lagerhelfer, in einer Nacht-ohne-Nebel-Aktion bei ebay eine gebrauchte Hüpfburg. Fortan arbeitete ich mit Hochdruck nebenher an meiner nunmehrigen Bestimmung, mir ein Imperium an Mietartikeln für Veranstaltungen aufzubauen. Der Hüpfburg folgten bald eine zweite und eine dritte, Glücksräder, Torwand, Kickertische, aber auch weniger sinnvolle Anschaffungen wie eine mobile Umkleidekabine und allerhand Dekoration. Das Inventar meines Allerlei-Verleihs füllte bald drei Garagen, und irgendwann war mein gesamtes Erspartes aufgebraucht. Es zeigte sich sehr schnell, dass ich vom Geschäftemachen in diesem Leben keine rechte Ahnung mehr bekommen würde. Aber mein Traum lebte weiter. Ein Traum, in welchem es hieß „Frag´ doch ´mal bei Mickys Welt“, wann immer für irgendeine Veranstaltung etwas Nützliches oder besonders Absurdes benötigt würde.

Gescheit gescheitert

Hätte ich zu jener Zeit einfach meine wöchentliche Arbeitszeit bei meiner normalen Anstellung aufgestockt, hätte dies mit Sicherheit zuverlässiger Geld in die Haushaltskasse gespült. Aber darum ging es längst nicht mehr nur. Irgendwie wollte ich was eigenes. Lieber ab und zu mit anstrengenden Kunden zu tun haben als täglich mit speziell einer anstrengenden Kollegin. Um die Verluste des Vermietungs-Geschäfts auszugleichen, versuchte ich mich kurz, aber erfolglos als LR-Berater im Multi-Level-Marketing. Als das nicht funktionierte, wurde ich Süßwarenhändler mit einem Snack Box Service. Weil schließlich nur wenige Menschen glaubwürdiger Süßwaren unter die Leute bringen können als ich. Dass ich mich mit allem hoffnungslos überladen hatte, ging mir erst sehr viel später auf.

Eine Kultur des Scheiterns existiere hierzulande nicht, wird allenthalben geklagt. Damit ist relativ sicher nicht gemeint, dass sich etliche gescheiterte Existenzen in guten und sehr guten Positionen befinden. Das gehört im Gegenteil fast schon zur Leitkultur dieses Landes, wenn ich mich so umschaue. Da passt es schon fast wieder, dass mein persönlicher Beitrag zum Thema äußerst unspektakulär daherkommt. Verbrannte Erde habe ich jedenfalls nirgendwo hinterlassen. Gut, ich habe mein weniges Erspartes verbrannt, aber außer mir selbst habe ich niemandem geschadet. Das Gewerbe besteht sogar bis heute. In abgespeckter Form und reduziert auf Luftballondienstleistungen. Und inzwischen sind meine Steuerbescheide auch nicht mehr nur vorläufig, weil eine Gewinnerzielungsabsicht nicht zu erkennen sei. Demnach könnte man zu dem Urteil gelangen, dass ich nicht ´mal für ein ordentliches Scheitern richtig gut zu gebrauchen bin.

Weil diese Überlegung zwar zulässig, als Schlussgedanke für diesen Blogeintrag allerdings unpassend wäre, muss ein positiv stimmender Abschluss her. Einer, der idealtypisch mit dem vorangegangenen Text und nicht mit dem DFB-Pokalsieg zusammenhängt. Nehmen wir doch das hier: Abgesehen von der LR-Episode waren alle Bemühungen trotz allem irgendwie typisch Micky.

Ein zumindest ansatzweise versöhnlich stimmender Gedanke. Noch eine Sache, die bei dieser jährlichen Pflichtübung eventuell zu wenig von mir gewürdigt wird.

One Night Stand am Samstagnachmittag

Entgegen der landläufigen Meinung gibt es im Frühjahr sehr wohl Lästigeres als Heuschnupfen. So imposant sich dieser im Einzelfall auch äußern mag, so geringwertig ist er genau genommen gegenüber einem Phänomen, an dem man als Fußballfan in dieser Zeit leidet. Wenn sich die Spielzeit ihrem Ende nähert und also wichtige Entscheidungen ausgespielt werden, sieht man sich das ein ums andere Mal mit Vereinen mitfiebern, deren Schicksal einen sonst berechtigterweise nicht die Bohne interessiert. Und das bloß weil sie einem anderen Verein, der in der Tabelle aktuell mit dem eigenen konkurriert, wertvolle Punkte abnehmen könnten.

Könnten. Man ahnt schon, worauf es hinausläuft. Meistens tun sie einem diesen Gefallen nämlich gar nicht und man hat völlig umsonst einer Truppe wie dem FC Augsburg die Daumen gehalten. Vielen Dank auch!

Da die Tabellenkonstellation gerade gegen Ende einer Saison nur höchst selten Spielbegegnungen hervorbringt, die zum sportsmännischen Wunsch einer gerechten Punkteteilung veranlassen, kommt der Moment des Daumenhaltens für einen ansonsten eher verhassten Verein beinahe zwangsläufig. Kennzeichen einer solchen merkwürdigen Verschwisterung auf Zeit ist übrigens zuvorderst ihre Einseitigkeit. Den Akteuren des anderen Vereins ist es nämlich einigermaßen egal, wen er im Falle von Sieg, Unentschieden oder Niederlage außerdem noch begünstigt.

Jetzt ist die Ausgangssituation vor dem letzten Spieltag der gestern abgelaufenen Saison folgende gewesen: Da mein Verein sein letztes Spiel ziemlich sicher verlieren würde, konnte ich mir wenigstens sparen, Hertha BSC gegen Leipzig über die Maßen viel Erfolg zu wünschen, auf dass der Verein meines Herzens letztere noch überholt. Nicht dass man nicht sowieso jede Woche zum jeweiligen Gegner der Leipziger hält, aber diesmal wäre der Nutzen noch größer. Weil man aber wie gesagt verlieren wird, war man auf fremde Schützenhilfe angewiesen, um wenigstens den siebten Platz zu behaupten. Ich durfte mich also eine Woche lang mit dem Gedanken anfreunden, dem FC Bayern sowie dem HSV die Daumen zu drücken, damit diese gegen Stuttgart respektive Mönchengladbach gewinnen. So weit, so schlecht bis hierhin. Es kam aber noch schlimmer. Ausgerechnet der HSV ist nun allerdings seit mindestens fünf Jahren eigentlich eher eine Belastung als eine Bereicherung für die Bundesliga. Wenn die gewinnen sollen, müsste ich gleichzeitig auch noch dem VfL Wolfsburg viel Erfolg wünschen, damit der direkte Abstieg für die Hamburger endlich eingetütet wird. Von neun Partien mussten also gleich drei in meinem Sinne ausgehen. Das alles nur weil mein eigener Klub nicht in der Lage sein würde, sein eigenes Spiel zu gewinnen.

Und dann ist Wolfsburg seinerseits ja auch nicht unbedingt der Verein, dem man unter allen Umständen einen Verbleib in der Bundesliga wünscht. Damit also gewährleistet wird, dass mindestens einer aus der Auswahl HSV oder Wolfsburg in der nächsten Spielzeit eine Klasse tiefer antreten muss, hat man bereits vergangenes Wochenende zum FSV Mainz gehalten.

Mainz.

Die Absurdität eines solchen Verhaltens zu begreifen hilft, wenn man es einmal ausspricht: „Ich hoffe, dass der FSV Mainz am Wochenende gewinnt.“ So was sagt man doch nicht! So was wagt man nicht einmal zu denken. Unter solchen Voraussetzungen also überhaupt noch von Vorfreude auf den nächsten Spieltag zu sprechen, ist der blanke Hohn. Das hat mit Sport nichts mehr zu tun!

Nur Fußball

Es gibt ja Leute, die kultivieren das über die komplette Saison hinweg, ganz gleich, wohin die Reise des eigenen Vereins im weiteren Verlauf des Spieljahres noch geht. Solchen Quatsch habe ich zum Glück nur kurze Zeit mitgemacht und wurde von meinem eigenen Verein aufgeklärt. Dass es nämlich nichts bringt, wenn ein Mittelklasseverein am 11. Spieltag einen vermeintlichen Konkurrenten aus dem Weg räumt und man deswegen vom 6. auf den 5. Platz klettert. Denn gewöhnlich steht man am 34. Spieltag sowieso wieder nur auf dem 14. Platz und hat rein gar nichts davon gehabt. Besagter Mittelklasseverein steht dann übrigens in der Tabelle einen Platz über dem eigenen, zwei Punkte mehr als wir. Hätte er also am 11. Spieltag standesgemäß verloren statt uns unfreiwillig zu einem Kurzzeit-Hoch zu verhelfen, wären wenigstens in diesem einem Punkt die Verhältnisse wieder gerade gerückt, wenn schon der ganze Rest der Saison seit dem 12. Spieltag irgendwie zum Wegsehen war.

Halten wir fest: Das Fremdgehen im Saisonendspurt ist zwar schon erbärmlich genug, im Einzelfall aber leider auch alternativlos. Ein Techtelmechtel zu einem verfrühten Zeitpunkt allerdings vereint gleich mehrere Nachteile eines klassischen Seitensprungs in sich:

Man weiß vorher schon, dass es irgendwie nicht ganz in Ordnung ist.

Der Spaß ist von begrenzter Dauer.

Irgendwann holt es einen sowieso ein.

Trotzdem würde man es wohl wieder tun.

Die Attraktivität des Flirt-Gegenübers spielt eine nicht nur tendenziell untergeordnete Rolle.

Ich möchte diesen Vereinen ihre Existenzberechtigung gar nicht absprechen. Wobei… ich fange den Absatz besser noch einmal an: Abgesehen von wenigen Ausnahmen, einige davon wurden hier bereits erwähnt, möchte ich diesen Vereinen ihre Existenzberechtigung gar nicht absprechen. Im Grunde genommen können sie ja nicht einmal etwas für ihr Problem, dass sie maximal halb so lässig sind wie mein Verein.

In diesem Sinne, nicht geehrte Damen und Herren von FCX, SVX, RBX oder wie Ihr alle heißt: Bildet Euch bitte nichts darauf ein, mich für 90 Minuten als Fan gewonnen zu haben. Ich bin ein Mann nicht ´mal für eine Nacht, sondern beschränke mich auf 90 Minuten am Nachmittag, zur Not auch am Abend, wenn der Spielplan das nur so einrichten kann. Selbstverständlich zuzüglich Nachspielzeit. Aber am nächsten Wochenende seid Ihr für mich wieder das, was Ihr schon immer wart: Fischköppe, Karnevalsvereine oder Bauern. Es gibt, das liegt bereits in der Logik der nun folgenden Aussage, nur einen geilsten Verein der Welt.

Alles andere ist sowieso nur Fußball.

Nur geträumt

Lohnarbeit bedeutet für die wohl meisten Menschen zunächst Mittel zum Zweck. Daneben kann sie eine Reihe anderer Funktionen haben. Manche Wenige sprechen dann von Erfüllung, Berufung, Bestimmung. Für viele Andere dürften wenigstens noch unterschiedlich ausgeprägte Formen von Selbstbestätigung zutreffend sein. Eines kann man dem Broterwerb allerdings ganz sicher nicht unterstellen: Dass er in besonderem Maß geeignet wäre, der Zeit, die um diese Arbeit herum stattfindet, einen kreativen Schub mitzugeben. Gelegentliche Inspirationen zu Blogthemen sind eher die diese Regel bestätigenden Ausnahmen.

Als ob die wenig liebevolle Umarmung des Alltags durch die Erwerbstätigkeit nicht schon ausreichen würde, kam bei mir dieser Tage dann auch noch das hier dazu:

Ich träumte des Nachts, wie der für unser bei der Arbeit anfallende Altpapier zuständige Containerdienst, nachdem er zunächst wie vorgesehen geleert hatte, am gleichen Tag ein zweites Mal kam und diesmal den ganzen Container mitnahm, um diesen frech einige Meter weiter bei der benachbarten Firma wieder abzustellen. Es hätte ein Traum nach meinem Geschmack werden können, der allerdings leider von meinem Wecker unterbrochen wurde, bevor ich deswegen Rangeleien mittlerer Güteklasse anzetteln durfte. Ohne dieses Happy End hinterlässt er vor allem Fragen.

Nicht viel besser zwei Tage später, als ich miterleben musste, wie es plötzlich Publikumsverkehr in unserem zur Zeit sowieso schon nicht besonders aufgeräumten Lager gab und ich mich darum kümmern musste, dass alte Frauen ihre Rückgaben korrekt erstattet bekommen. Was soll das? Gerade zum Wochenende hin hätte ich endlich ´mal wieder einen Traum erwartet, in dem die Fußballmannschaft meines Vertrauens im Saisonendspurt ein furioses 7:1 hinlegt. Eben einfach einen Traum, wie ihn jeder andere vernünftige Mensch träumt. Dass nach solchen Träumen meistens ein Grottenkick samt ernüchterndem 1:3 zu verbuchen ist – geschenkt! Aber ich will endlich wieder dahin, dass Träume meine Sehnsüchte, Hoffnungen, Ahnungen und auch Ängste ausdrücken. Und nicht so einen Scheißdreck wie Papiercontainer oder die Verwandlung meines Arbeitsplatzes in einen Supermarkt.

Es geht dabei nicht primär darum, dass mich die Arbeit nicht mehr allein in meinen Wachphasen über den Feierabend hinaus beschäftigt. Oder dass ich jetzt gleich zweimal bereits vor dem Aufwachen mitten in dem Thema bin, das ich unter normalen Umständen erst bei der morgendlichen Hunderunde allmählich in Angriff nehme. Verstörend ist vielmehr die völlige Unsinnigkeit dieser Träume. Wenn in diesen Träumen tatsächlich Unterbewusstes verarbeitet wurde, dann gute Nacht! Dann habe ich genug gesehen. Ich möchte bitte nicht tiefer in die Materie eintauchen und plädiere auf Schlafentzug.

Es gibt ja diese offensichtlichen Träume. Beispielsweise solche, in denen man nackt ist. Solche, in denen man von einer Wespe gestochen wird, deswegen aufwacht und feststellt: Okay, ein Stich als Symbol für Sex klingt in der Theorie gut, aber in diesem Fall lag der Traum wohl daran, dass so ein Vieh zwischen Fensterscheibe und Vorhang hin- und herbrummt. Und es gibt Träume, bei denen – egal was man tut – man ständig zu spät ist, sich vom Ziel im Gegenteil eher noch weiter entfernt als dass man sich ihm näherte. Kurz: Es gibt Träume, die im Prinzip wenig Spielraum für Fehlinterpretationen lassen. Aber ich muss ja von Nebensächlichkeiten wie unserem Papiercontainer träumen und werde damit morgens dann allein gelassen. 1:0 daher für die Theorie, dass Träume bloß sinnlose Neuronenstürme sind.

Tatsächlich gehört die Frage, warum wir überhaupt träumen, zu den Fragen mit noch einigem Klärungsbedarf. Gesichert dagegen ist, dass der Präfrontale Cortex beim Träumen weniger aktiv ist. Das ist der Bereich, der Vernunft in unser sonst triebhaftes und ungestümes Handeln bringt. Bevor wir zum Beispiel ausrasten, kontrolliert er, ob dies aktuell wirklich geboten ist. Man könnte daher auch sagen: Das ist der Teil des Hirns, der die Langeweile in unseren Alltag bringt. Also – um das Eingangsthema nicht völlig aus den Augen zu verlieren – eng verwandt mit der Lohnarbeit. Andererseits gibt es natürlich auch gewichtige Gründe, weshalb sich der PFC im Laufe der Zeit durchgesetzt hat. Platt formuliert sorgt er mit dafür, dass wir beim Mensch überhaupt vom vernunftbegabten Wesen sprechen können. Auf ihn zu verzichten, verspräche nur eine kurze Weile lang Spannung und Amüsement. Die weitgehende Ausschaltung dieses Teils des Gehirns könnte aber immerhin der Grund sein, wieso die meisten Träume mit bizzar oder grotesk im Grunde noch reichlich beschönigend umschrieben sind.

Eine eingeschränkte Funktion dieses Körperteils ist allerdings auch kein Alleinstellungsmerkmal eines Traumes. Das Phänomen kenne ich bei manchen Aushilfskollegen auch aus der Wachphase. Daher stört es mich dann auch irgendwie, wenn die frontale Hirnrinde seine Arbeit auf Sparflamme verrichtet. Anders formuliert: Solange ich mit dafür verantwortlich bin, dass das Lager funktioniert, würde ich gern bei allen Mitarbeitern auf einen Präfrontalcortex in seiner vollumfänglichen Funktion zurückgreifen wollen. Was die Leute dann in ihrer Freizeit damit anstellen, soll mir egal sein.

Dieser Text jedenfalls endet hier und damit meinen Träumen nicht ganz unähnlich an einem Punkt, den ich zu Beginn nicht wirklich voraussehen konnte.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén