Da nur die allerwenigsten Menschen morgens regelmäßig mit dem Gedanken aufwachen, was sie sich denn an diesem Tag vornehmen könnten zu verändern, ist davon auszugehen, dass das Bedürfnis ernstzunehmen ist, wenn es dann doch einmal so weit ist und man eines Morgens die dringende Notwendigkeit dazu verspürt. Das mag im Falle der Klassiker wie Abnehmen, mehr Sport oder weniger Alkohol zu teilweise schönen Ergebnissen führen, stößt jedoch bereits dort das erste Mal an Grenzen, wo mehr Personen als man selbst von dieser Veränderungsabsicht betroffen sind. Und spätestens wenn es sich bei dem zu ändernden Zustand um eine Angelegenheit aus der Arbeitssphäre handelt, ist das alles nicht nur unangenehm, sondern auch ungemein schwierig zu handhaben. Wenn man mit einem Kollegen absolut nicht kann, gibt es im Prinzip nur zwei Alternativen. Boss zu sein könnte die Sache in unethischer Weise zuungunsten des Antagonisten beeinflussen, würde die Entscheidungsfindung aber wenigstens um ein gutes Stück abkürzen. Doch wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, sind die meisten von uns nicht in dieser Position. Jetzt darf man raten, was alle diese Gedanken mit dem Thema des heutigen Blogeintrags zu tun haben.

Die seinerzeitige Unlust, permanent unbefriedigende Auseinandersetzungen mit einer bestimmten Kollegin aus der Buchhaltung führen zu müssen, hat maßgeblich zur Gründung meines Hüpfburgen-Imperiums beigetragen. Das war 2005. Da ich meinen Geschäftssinn glücklicherweise ansatzweise realistisch einschätzen konnte und also wusste, dass ich meinem Plan mit dem Imperium nicht zu 100 Prozent vertrauen konnte, arbeitete ich trotz dieses Drachens von Kollegin weiter im Lager eines Tonträgervertriebs und kümmerte mich um den Aufbau des Imperiums nur nebenher. Die Hüpfburgen sind längst Geschichte, das dazugehörige Imperium wurde nie realisiert, aber die Episode veranschaulicht, dass ich in Sachen Berufsfindung nicht zu jeder Zeit meines Lebens die glücklichsten Hände hatte.

Der erste Beruf, den ich mir als Kind halbwegs ernsthaft für mein späteres Leben vorstellen konnte, war Briefträger. Und das obwohl mir sowohl die realen Zusteller als auch der nette Onkel Heini in der beliebten Serie „Neues aus Uhlenbusch“ vermittelt hatten, dass der Beruf des Postboten einen vergleichsweise geringen Glamour-Faktor hat. Aber es war bodenständiger als Filmschauspieler, Rockstar oder Fußballtorwart. Feuerwehrmann oder Astronaut hatten merkwürdigerweise nie eine Rolle für den kleinen Micky gespielt.

Konditor war in der achten Klasse aktuell, als die Berufsorientierung in der Gesamtschule bei vielen, die nicht planen konnten, nach der neunten noch weitere Jahre dranzuhängen, auch schon Grundsatzentscheidungen erforderte. Konditor deshalb, weil ein Test des Berufs-Informations-Zentrums bei mir dieses Ergebnis einbrachte und ich mit diesem Resultat besser leben konnte als diejenigen Klassenkameraden, denen der Test den Vorschlag einbrachte, es beispielsweise als Damenschneider zu versuchen. Zur selben Zeit hatte ich meine ersten Gehversuche in BASIC auf dem Commodore 64 gemacht und war auf dem besten Weg, selbst geschriebene Software mittels Kleinanzeigen zu vermarkten. Da ich heute weiß, dass ich mich stets nur mit Sachen an die Öffentlichkeit gewagt habe, die wirklich reif sind, können die so schlecht nicht gewesen sein, auch wenn es halt nur BASIC auf dem C64 war.

Was wäre wenn…

Auch wenn mit meiner Affinität zu Computern alle ganz gut hätten leben können, hatte mein Klassenlehrer, in seltener Übereinstimmung mit meinen Eltern übrigens, bereits andere Pläne mit mir: Etwas Kaufmännisches, am besten bei einer Bank. Das waren damals die erstrebenswerten Jobs. Und niemand, am wenigsten ich selbst, dessen Interessen sich im weiteren Verlauf der jugendlichen Selbstfindung bald erneut radikal änderten, konnte ahnen, dass ich Jahrzehnte später tatsächlich einen kaufmännischen Abschluss in der Hand halten sollte. Weil bekanntlich viele annehmen, Lageristen würden den ganzen Tag hauptsächlich uninspiriert Paletten durch die Gegend rangieren, geht in der öffentlichen Wahrnehmung nämlich gern unter, dass Fachkraft für Lagerlogistik ein kaufmännischer Abschluss ist. Nicht dass ich mir besonders viel darauf einbilde, aber unterschlagen wollen wir es dennoch nicht. Überhaupt muss man wohl festhalten, dass das Bild von einem Lageristen tendenziell geprägt davon ist, dass alle denken, das könne man selbst auch gerade noch.

Das ist auf der einen Seite wahr, weil viele Tätigkeiten aus unserem Arbeitsalltag beileibe kein Hexenwerk sind. Man muss auch klar sehen, dass ich überhaupt gar nicht als Aushilfe im Lager begonnen hätte, wenn die Leute das nicht grundsätzlich jedem zutrauen würden. Auf der anderen Seite habe ich im Laufe der Jahre genügend Menschen als lebende Beweise kennenlernen müssen, dass man wirklich nichts mehr voraussetzen kann.

Also kann man durchaus einmal die Frage stellen, was heute in meinem Lebenslauf stünde, wenn ich mich damals ebenfalls angestellt hätte wie die Henne zum Pissen. Weiter gesponnen: Was, wenn die Chefin den Anmerkungen zu meinem als problematisch zu bezeichnenden Alkoholkonsum anders als mit dem Konter „Und Ihr glaubt, dass Ihr bessere Arbeit leistet, weil Ihr nur kifft“ begegnet wäre?

Was wäre, wenn sie nicht irgendwann gegen Ende meines Studiums gesagt hätte, dass sie mich mit Kusshand in Festanstellung nehmen würde?

Was wäre, wenn ich daraufhin gezwungen gewesen wäre, mir einen Job zu suchen, der mehr mit meinem Studienabschluss zu tun hat? Was wäre, wenn ich darüber hinaus den Mut gehabt hätte, bei der Stellensuche auch Angebote in Betracht zu ziehen, die mich zu einem Umzug in eine andere Stadt genötigt hätten? Überhaupt: Was wäre eigentlich gewesen, wenn die eine Bewerbung erfolgreich gewesen wäre, die ich im Bemühen um eine Ausbildungsstelle als Buchhändler abgeschickt hatte, nachdem mir zu Beginn des Politologie-Studiums nicht ganz klar war, ob es das ist, was ich will? Oder wenn ich, als die Absage auf diese eine Bewerbung mich zum Weiterstudieren veranlasst hatte, einmal ansatzweise ernsthaft studienbegleitend meinen eigentlichen Berufswunsch Journalist verfolgt hätte? Die für diesen Beruf eigentlich erforderliche Kommunikationsbereitschaft kann man sich auch antrinken, wie ich irgendwann als freier Mitarbeiter für die Redaktion Sport der lokalen Tageszeitung schnell feststellen konnte. Und so viel schlechter als bei Briefzustellern oder Lageristen würde auch der Glamour-Faktor bei Journalisten kaum sein können.

Ich stelle diese Fragen nicht, um voller Groll verpassten Chancen nachzutrauern. Schon gar nicht um der Behauptung willen, mit anderen Entscheidungen unter Umständen heute ein glücklicherer Mensch sein zu können. Sondern einfach um aufzuzeigen, dass ich bei meinen Entscheidungen im Zweifel immer den Weg des geringsten Widerstandes gegangen bin. Ich weiß nicht, was wäre, wenn ich an irgendeiner Stelle im Lebenslauf einmal anders abgebogen wäre und die mutigere Entscheidung gewählt hätte. Auch niemand sonst kann das von sich mit Sicherheit, sondern bestenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit wissen.

Eigentlich schade angesichts des Erfahrungshintergrundes, dass Dich ein einziger Kollege Jahre Deines Lebens kosten kann und Du deswegen eines Morgens aufwachst und das dringende Bedürfnis verspürst, dass sich etwas ändern muss.