Speziell jetzt im Sommer kann man es wieder bestätigt sehen: Das Gras in Nachbars Garten ist immer grüner als das eigene. Genauso wie die Kirschen dort süßer schmecken. Dass der dümmste Bauer die dicksten Kartoffeln hat, weiß man sowieso. Doch glücklich ist derjenige, der sich von alldem nicht die Petersilie verhageln lässt.
Während der eine Teil der Leserschaft angesichts solch blumiger Formulierungen im ersten Absatz bereits weiterklickt, wissen die Zurechnungsfähigeren an dieser Stelle natürlich diese sublimen Hinweise dahingehend zu deuten, dass es im heutigen Blogeintrag um das Vergleichen gehen wird.
Obschon sich ohne das Vergleichen mit Anderen eine Persönlichkeit überhaupt nur schwierig bilden kann, ist es in der Szene der Ratgeber, Kalendersprüche-Aufsager und Persönlichkeitsentwickler vergleichsweise verpönt. Schließlich verhindert allzu eifriges Vergleichen mit anderen das Gedeihen eines normal ausgeprägten Selbstwertgefühls. Denn es findet sich logischerweise immer irgendwo jemand, der noch besser aussieht, einen wohler geformten Körper oder – für manche Männer ist das offenbar von Belang – stattlichere primäre Geschlechtsmerkmale vorzuweisen hat. Ich kann und will auch gar nicht von der Hand weisen, daß solches Messen an anderen auf Dauer nicht unbedingt glücklich macht. Dennoch ist es bloß die halbe Wahrheit. Ist doch von Kindesbeinen an das Nacheifern und Imitieren von anderen selbstverständlicher Bestandteil von Entwicklung, um Fertigkeiten und Eigenschaften überhaupt erst zu erlangen. Auch Erfahrungen, was normal ist und was außergewöhnlich, besser oder schlechter – das alles muss alles zunächst einmal erlernt werden. Und was für Kinder gut ist, kann für Erwachsene ja so schädlich nicht sein. Vielleicht lässt mit zunehmendem Alter der Ehrgeiz nach, sich wieder und wieder neue Ziele zu setzen. Man weiß ja inzwischen, was investiert werden muss, um sich zu entwickeln: Zeit, die man als Erwachsener nicht mehr hat. Mühen, die man nicht mehr auf sich nimmt, sofern die Sache einem nicht wirklich wichtig ist. Insofern wäre es vordergründig in der Tat schlauer, sich nicht mit anderen zu vergleichen.
Dummerweise bekommt man heutzutage nicht mehr nur den neuen Luxus-Schlitten des Nachbarn vor der Haustür präsentiert, sondern darf dank sozialer Netzwerke am süßen Leben selbst flüchtig Bekannter zuhause am Bildschirm teilhaben. Jeder versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Es setzt sich das Bild fest, nur das eigene Leben sei langweilig oder auf andere Weise minderwertig, während alle anderen eigentlich permanent unterwegs sind, feiern, hier fein essen gehen, dort ihren Körper fit halten und weiß der Geier noch alles Erstrebens- wie Nicht-Erstrebens-Werte tun.
Das ist in etwa so das Leben, das ich früher durch die Mattscheibe beobachtete, als ich noch Zeit hatte und daher allabendlich „Verbotene Liebe“ und „Marienhof“ im TV schaute. Die Charaktere dort hatten meistens trotz aufregender Jobs Zeit, sich jeden Nachmittag im „No Limits“ zu begegnen, interessante Gespräche zu führen oder einander aus der Patsche zu helfen, in die sie durch die Intrigen anderer Charaktere mit ebensoviel Zeit hineingeraten waren. Eindeutig spannender als Facebook, aber die hervorzuhebende Gemeinsamkeit ist: Das sieht gut aus. Das wirkt. Das gibt es so nicht. Das ist inszeniert. Dahinter steckt ein stinknormales Leben, von dem 99 Prozent eben nicht präsentiert wird. In sozialen Netzwerken werden nicht wenige zum Darsteller ihrer selbst.
„Eine Krone ist nur ein Hut, in den es hineinregnet“ (Friedrich der Große)
Entsprechend lautet die erste Regel: Vergleiche lohnen sich nur, wenn alle Umstände berücksichtigt werden. Wenn ich als Beispiel den gegenwärtigen US-Präsidenten allein nach seinem Geld und seinem Einfluss beurteile, kann ich nur verlieren. Wenn ich dagegen seine soft skills berücksichtige, seinen Charme, seine emotionale Intelligenz oder seinen Intellekt, relativiert sich nicht nur einiges. Eher vieles. Würde man ihm einen Eimer voll Sand gegenüberstellen, würde bezüglich letztgenannter Eigenschaften der Eimer besser abschneiden. Das Ideal ist vor diesem Hintergrund vielleicht doch nicht so erstrebenswert.
Wenn ein Rockstar den Freitod wählt, der oberflächlich betrachtet ein Leben führte, das Generationen von Jugendlichen sich ersehn(t)en und als Gegenentwurf zum oben angeführten „Erfolgs“-Typ durchaus taugt, ist das aktuell ein weiteres eindringliches Beispiel für solcherlei Einsichten. Der andere hat dies. Hat das. Vielleicht hat er aber das andere gerade nicht, was man selbst aber hat.
Die gute Nachricht aus dem Hause Meilensteinbildhauer: Weder dass Vergleich zwangsläufig in Neid ausartet noch dass man sich immer nur aufwärts vergleichen muss, sind in Stein gemeißelte Tatsachen.
Doch was wird mir denn geboten, wenn ich den Blick nach unten richte und mich mit denen vergleiche, die vom Schicksal weniger begünstigt wurden. Richtig angewandt kann auch das den ein oder anderen Kopf gerade rücken, sollte er sich ´mal in einer Schieflage befinden und annehmen, es könne gar nicht mehr schlimmer kommen.
Es war um den Jahreswechsel 2000/2001 herum, dass ich nach einem Klinikaufenthalt zur Alkoholentgiftung mein Leben verhältnismäßig neu sortieren musste. Zu jener Zeit hatte ich eigentlich jederzeit damit zu rechnen, dass irgendeine Kleinigkeit die Skepsis an dem eigentlich als Befreiung empfundenen neu eingeschlagenen Weg beförderte. Etwa weil ein falsches Wort zur falschen Zeit mir beziehungsweise meinem Unterbewussten signalisierte, daß mir nun eben nicht sehr viel mehr Möglichkeiten offen stehen als vorher. Daß es mir unterm Strich mitnichten besser geht als vorher, sondern ich den Rest meines noch damals noch relativ jungen Lebens als spaßbefreiter Trottel lebe. In diversen Selbsthilfegruppen, die ich seinerzeit besuchte, habe ich zum Teil wirklich heruntergerockte Menschen angetroffen, bei denen die Probleme trocken erst richtig angefangen haben. Das war damals nicht das, was ich mir erhofft hatte. Es war auch eher nicht das Ziel, das man in einer Selbsthilfegruppe verfolgen sollte. Andererseits konnte ich mich angesichts der dort vorherrschenden „Schlimmer geht immer“-Mentalität kaum dagegen wehren, mich besser zu fühlen als das Gros der anderen Teilnehmer. So sehr ich mir eventuell auch etwas anderes für diese Leute gewünscht hätte.
Streng genommen ging und geht es allerdings jedem einzelnen dieser Menschen noch deutlich besser als manch anderem. Weil sie zum Beispiel abends ein warmes Bett und eine ebensolche Zudecke haben, dazu ein Dach über dem Kopf. Und das Wasser für den Kaffee, der in diesen Gruppen exzessiv konsumiert wird, kommt aus dem Hahn und muss nicht erst aus einer verunreinigten Quelle an einem mehrere Kilometer entfernten Ort zu Fuß herbeigeschafft werden.
Vielleicht denkt der eine oder die andere daran, wenn es wieder einmal nicht so läuft. Oder an den folgenden Spruch von Jemandem, der für viele Lebenslagen einen Spruch auf Lager hat (nein: nicht Gung): „Hast Du einen Garten und eine Bibliothek, dann hast Du alles, was Du brauchst.“ (Cicero)
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