So sehr mir die Notwendigkeit einleuchtet, sich als Jugendlicher mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln von Eltern und Gesellschaft abzugrenzen zu versuchen, so verborgen bleibt mir auf der anderen Seite regelmäßig folgender Sachverhalt: Wieso wir nämlich all diese Anstrengungen unternehmen, wenn die meisten von uns sowieso irgendwann und meistens ja doch eher früher als später in den Schoß der Gesellschaft zurückkehren.
Da der moderne Mensch ja darauf bedacht ist, Anstrengungen zu vermeiden, setzte ich zu Beginn dieses Prozesses auf eine Strategie der Verheimlichung. Dass es einen mindestens genauso hohen Energieeinsatz abverlangt, beispielsweise ein siebenreihiges Nietenarmband überhaupt unbemerkt von Mutti zuhause aufzubewahren und dieses dann auch noch täglich an ihr vorbei zu schmuggeln, um es eine Straße weiter dann anzuziehen, habe ich erst später gemerkt. Gesagt hatte mir das wie üblich niemand.
Es hatte mir auch niemand gesagt, dass ein Nietenarmband an einem dafür viel zu dünnen Unterarm eines Zwölfjährigen nicht hart, sondern lächerlich aussieht. Mama hätte es gesagt. Aber das hätte ich ihr ja genauso wenig geglaubt wie die Aussage, dass man sich als Mann später überzeugend sexy findet, weil man Hemden trägt.
Eine solche Strategie der Nicht-Konfrontation scheitert jedoch zwangsläufig bei einem bestimmten Thema: Beim Haupthaar muss jeder Millimeter, den es länger getragen werden soll, hart erkämpft werden. Auf diese Weise war ich zwischenzeitlich zu einer dieser mit gewissem Recht in Verruf geratenen Vokuhila-Frisuren gelangt. Wie ich es auch drehe und wende – diese Zeit ist wahrlich keine gewesen, auf die ich heute in irgendeiner Weise stolz sein könnte. Dass ich auf diese Weise garantiert keine Freundin finden würde – Mama hatte es gesagt. Oft genug, dass ich es hätte hören können.
Obwohl sich im Nachhinein viele ihrer Urteile als richtig herausstellten, bin ich bis heute skeptisch, wenn meine Mutter behauptet, irgendein bestimmtes Teil würde mir gut stehen. Das Misstrauen ist vorhanden, obwohl ich zerschlissene Jeans inzwischen freiwillig entsorge. Das – immerhin – muss mir niemand mehr sagen.
Was die Frisur anbelangt, gehe ich mit Seitenscheitel aktuell zurück in eine Zeit, als ich an modische Fragen unbefangener herangegangen bin und die ich ganz grob als „Grundschulzeit“ umreißen würde. Auch in punkto Bekleidung scheint der Trend momentan zurück dorthin zu gehen, als Mama mir meine Sachen morgens noch ´rausgelegt hat: Weg von Motiv-T-Shirts, Fußballtrikots und ähnlichem Klimbim, hin zu Hemden und Polohemden, gerne einfarbig. Sich hierbei eine gewisse Individualität zu bewahren, ist die größere Herausforderung als das Ausmustern der alten Klamotten. Ich komme allmählich in ein Alter, in dem man sich schon aufgegeben hat, wenn man weiterhin ausschließlich T-Shirts mit der Aufschrift „Legenden sterben nicht im Bett“ oder vergleichbaren Inhalten trägt.
Am Anfang war das Bandshirt
T-Shirts der Bands, die man live gesehen hat, gehörten zu den ersten Kleidungsstücken, die man sich gänzlich ohne elterliche Mitbestimmung zugelegt hat. Über die Jahre wurden sie ergänzt durch Stücke mit Polit-Motiven oder Wappen von beliebten Fußball-Vereinen, bis man irgendwann an den Punkt gelangte, an dem man von Kollegen aufgefordert wird, sich umzudrehen, weil hinten mit Sicherheit etwas besonders Geistreiches zu sehen ist, wenn auf der Vorderseite schon nicht „Hier könnte Ihre Anzeige stehen“ oder „Banausenpower Offenbach“ zu lesen ist.
Falls übrigens jemals jemand auf die Idee kam, sein Shirt durch die charakteristischen Umrisse eines Bügeleisens, das zu lange darauf gestanden hat, aufzuwerten – so richtig gut gelingt es nicht. Eine halbe Stunde hat das Scheißding auf dem T-Shirt gestanden., bis eine leichte gelblche Verfärbung zu erkennen war.
Vielleicht hatte seinerzeit sogar schon meine Ex-Gattin Recht, die gelegentlich darauf hinwies, dass ich keine 35 Baseballkappen mit Aufdrucken wie „Sprite“, „Mars“ oder „Hilti“ benötige, zumal wenn sie mir ohnehin nicht auf meinen Schwellschädel passen. Hier alsbald für eine gewisse Verkleinerung des Sortiments zu sorgen , halte ich für eine dem Alter von fast 47 Jahren angemessene Maßnahme. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass solche Werbeartikel nicht gemeint sind, wenn von „Markenkleidung“ die Rede ist.
Beim Entsorgen von in die Jahre gekommener Garderobe lauert freilich stets die Gefahr, einzelne Teile in die Kategorie „Auf der Arbeit kann man es noch anziehen“ einzuordnen. Zwar weiß ich nicht, woher ich mir diese Herangehensweise angeeignet habe. Was ich aber sicher weiß, ist folgendes:
So viel arbeiten wie ich Teile im Schrank liegen habe, die irgendwann einmal mit diesem Prädikat verliehen wurden, kann ich schon fast gar nicht mehr. Und wer es genau wissen will: Will ich eigentlich auch gar nicht.
Stattdessen sollte ich mir lieber ein Outfit erhalten, das es mir erlaubt, auch ´mal auf ein Konzert zu gehen, ohne dass ich sofort auffalle und mir jeder ansieht, dass ich dort eigentlich schon nicht mehr hingehöre. Ein Outfit, das dort im Laufe der Veranstaltung gern auch ´mal drei bis vier Bierduschen abbekommen kann, ohne dass ich mit dem Gefühl nach Hause gehe, mir jetzt irgendwas ruiniert zu haben. Ein Outfit, das wenigstens zum Teil überdeckt, dass ich durch Nicht-Trinken sowie Nicht-Bewegen zur Musik bei solchen Gelegenheiten gerade schon genug auffalle. Das wäre tausendmal gescheiter als sich Dutzende T-Shirts für die Arbeit aufzubewahren.
Schlimmer ist diese Einstufung für die Arbeit ist eigentlich lediglich die Klassifizierung „für zuhause reicht´s noch“. Falls ich einmal fluchtartig das Haus verlassen muss, möchte ich nämlich angemessen angezogen sein, wenn ich sonst schon keine gute Figur mache. Das steht natürlich in gewissem Widerspruch zu der Praxis, nackt zu schlafen, die mich ja schon einmal in die nicht unbedingt als würdevoll zu bezeichnende Situation gebracht hatte, nachts im Treppenhaus mit vor den Schambereich gehaltener Fußmatte zwei von der Nachbarin verständigte Polizeibeamte begrüßen zu dürfen. Aber immerhin weiß ich seit dieser Nacht, die mich darüber hinaus auch noch 368 DM für den Schlüsseldienst gekostet hat, was wirklich peinlich ist. Gemessen an dieser Situation ist es ein geradezu angenehmes Gefühl, wenn man sich in Fragen angemessener Bekleidung erst in dem Jahr wirklich findet, in dem man 47 Jahre alt wird.
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