Mehr noch als durch eine erschreckend erfolglose Rückrunde wurde die Vorfreude durch die Ankündigung gedämpft, wer als Pausenprogramm für das Endspiel verpflichtet wurde. Da habe ich ja nur drauf gewartet. Aber als Eintracht-Fan hat man schließlich schon tiefere Täler durchschritten. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, heißt es ja. Und außerdem war da ja noch Tankard, Frankfurts Antwort auf seichtes Gedudel. Musikalisch stand es also schon vor dem Anpfiff 1:0 für uns. Wer hätte das gedacht?!
1981 war an den Auftritt einer Metal-Kapelle im Rahmen des Pokalfinales ebenso wenig zu denken wie an Helene Fischer. Tankard gründeten sich ein Jahr später, Helene Fischer war noch nicht einmal geboren. Aber 1981 war mein Jahr. Mit meinen neun Jahren das erste große Spiel, bei dem ich bewusst eine neue Rolle für mich generierte: Die Rolle als Eintracht-Fan. Nur echt mit dem Eintracht-Teddy neben mir auf dem Sessel vor dem Fernsehgerät.
„Das müsste jetzt ein Tausender sein“, meinte ich noch, als ich eines der Lose öffnete, die mein Schulfreund und ich auf der Kerb am Offenbacher Mainufer gekauft hatten. Es war ein Tausender. Und ich weiß nicht, was sonst alles zur Auswahl gestanden hatte für dieses Los, aber eigentlich war es so klar wie selten etwas so klar gewesen ist in meinem Leben, daß es dieser Teddy sein muss. Kein besonders schöner Teddy, aber es war dieses Wappen drauf. Die Eintracht war vor kurzem UEFA-Pokal-Sieger geworden, mein Vater würde also stolz darauf sein, wie ich mein Taschengeld umgesetzt habe.
Auf dem Heimweg ist der Bär etwas nass geworden. Der Himmel über Offenbach begann offenbar zu weinen, weil sich an diesem Tag unumkehrbar manifestierte, daß der nächste junge Bub aus dieser Stadt in diesem Leben für den ortsansässigen niederklassigen Verein für alle Zeit verloren geht.
Daß aus dem Grundschüler mit Teddybären bei der nächsten Endspielteilnahme ein ungestümer Jugendlicher geworden sein wird, ahnte ich damals nicht. Ich hatte tatsächlich angenommen, goldenen Zeiten entgegenzusehen. Sieben Jahre waren eine Ewigkeit. Und so fiel der nächste Pokalsieg 1988 standesgemäß mit dem ersten Vollrausch meines Lebens zusammen.
Nach dem Pokal kann ich mich als nächstes erst wieder an ein Aufwachen in meinem vollgekotzten Bett erinnern. Ein Anblick noch unschöner als das Spiel am Vortag, aber wir waren Pokalsieger!
Wie mir hinterher zu Ohren kam, war ich auf der Heimfahrt noch Verursacher einer Rangelei an der Bushaltestelle am Bieberer Ostendplatz. Mein Kumpel, bekennender Fußballbanause, skizzierte den Anlass der Auseinandersetzung hinterher ungefähr so: „Du hast die ganze Zeit von einem Spieler erzählt, dem Du ein Denkmal hinstellen wolltest.“ Daraufhin hätten einige Helden in unsere Richtung gepöbelt. Und da ich mich schon ohne Fremdeinwirkung kaum auf den Beinen halten konnte, war der Ausgang dieser Partie voraussehbarer als der der vorangegangenen Begegnung zwischen meiner Eintracht und dem VfL Bochum. Der Spieler, von dem ich an dem Abend sprach, kann eigentlich natürlich nur Karl-Heinz Körbel sein, späterer Rekordhalter für die Ewigkeit in Sachen Bundesligaeinsätze und an allen vier Pokalsiegen zwischen 1974 und 1988 beteiligt.
´Mal verliert man, ´mal gewinnen die anderen…
Bis 2006 musste ich danach warten, bis es wieder einmal gereicht hat. Gegen den FC Bayern zwar, aber da man als Fußballfan irgendwann aufhört, an Zufälle zu glauben, dachte ich, das wäre eine klare Angelegenheit. Für uns, selbstredend. Weil nämlich die SGE noch jedes Mal, wenn im selben Jahr ein fußballerisches Großereignis in Deutschland stattgefunden hat, das Pokalendspiel gewonnen hatte, konnte das angesichts der bevorstehenden WM natürlich nicht anders sein.
War es natürlich nicht. Das Ergebnis habe ich vergessen. Obwohl ich da schon nicht mehr getrunken habe. Eher verdrängt also. Aber daß wir gespielt haben, das weiß ich noch. Tankard waren übrigens auch dabei.
Es blieb dabei: Was definitiv fehlte, war ein Titel. Es gab eine geklaute Meisterschaft, doch das Label „Meister der Herzen“ wurde damals noch nicht vergeben. Ich habe an dem Tag viel getrunken. Hätten wir die Schale geholt, hätte ich vermutlich ebenfalls viel getrunken. Streng genommen hätte ich auch viel getrunken, wenn die SGE vier Spieltage vor Ende jenseits von Gut und Böse gelandet wäre und es an diesem Tag um überhaupt nichts mehr gegangen wäre. Trotz allen Trinkens um des Vergessens Willen gab es Hoffnung, die geplatzte Meisterschaft könne eventuell nachgeholt werden. Die Liga war zu jener Zeit ja bei weitem noch nicht so zementiert wie heutzutage. Allein: Die Träume wurden sehr bald beiseite gewischt. Stattdessen gab es Abstiege. Echte Abstiege. Nicht nur Beinahe-Abstiege wie wir es gewohnt waren.
Nicht daß die Zeit langweilig oder ohne jegliche Höhepunkte gewesen wäre. Im Gegenteil. Es gab Herzschlagfinals, furiose Europapokal-Auftritte, Last-Minute-Nichtabstiege sowie Last-Second-Aufstiege.
Und es gab dieses eine schönste aller Erlebnisse nach dem 6:3 gegen Reutlingen, als ich mit einer Bekannten mit OFC-Hintergrund irgendwann nach der Übertragung des letzten Spiels dieser Zweitligasaison an der Konstablerwache auf Teile meiner Bezugsgruppe wartete. Nach einem zwischenzeitlichen 3:3 bei gleichzeitiger hoher Führung der Kontrahenten im Fernduell war der ersehnte Aufstieg Mitte der zweiten Spielhälfte in so weiter Ferne, daß es als eines der Frankfurter Fußballwunder in die Geschichte einging, wie das in allerletzter Sekunde doch noch zu einem Happy End gedreht wurde. Entsprechend stand nach dem Abpfiff Frankfurt Kopf: Autokorsos, Fahnenmeere, die halbe Stadt war auf den Beinen. Von all dem äußerlich scheinbar relativ unbeeindruckt kam eine Seniorin an uns vorbeigelaufen und fragte mich ernsthaft: „Habbe se wenigstens gewonne?“
Ich habe nicht geantwortet, daß wir auch unsere Niederlagen auf solche Weise feiern. Weil, genau: Die besten Antworten, immer hinterher und so.
So schön das alles allerdings auch gewesen ist – das ist ja nichts, was man sich als Verein auf den Briefbogen schreibt. Titel müssen her. Leider hat der Verlauf des gestrigen Abends dieses Ansinnen erneut auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch die Eintracht wäre nicht die Eintracht, wenn sie nicht für solche Frustrationsmomente einen allzeit gültigen Spruch recyceln könnte, der seinerzeit von einem der größten Entertainer kreiert wurde, den sie jemals als Trainer beschäftigt hatte: Lebbe geht weider! Passend auch für alle Lebenslagen abseits des Rasens mit Ausnahme vielleicht des eigenen Ablebens.
Da für mich die größere Enttäuschung der Woche sowieso jenseits des Fußballs stattgefunden hat, sollte es nicht allzu schwer fallen, das so bald als möglich abzuhaken und den Blick nach vorne zu richten. Gerade nachdem meine letzten Texte ihren geheimen Schwerpunkt mehrheitlich in der Rückschau auf Vergangenes hatten, würde dem Blog eine Hinwendung zu aktuellen Themen und Storys sicher gut zu Gesicht stehen. Schließlich fängt genau jetzt die Vorfreude auf die nächste Saison an. Darüber hinaus ist heute der erste Tag vom Rest meines Lebens.
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