So etwas sagt man doch nicht! Jedenfalls nicht mehr. Dachte ich zumindest. Entsprechend bin ich regelrecht zusammengezuckt, als ich die Tage einen Mann, als dieser zu einem anderen Mann ins Auto stieg, zur Begrüßung sagen hörte: „Was bringst denn Du für ein Wetter mit?“

Donnerwetter, dachte ich, das sind ja Aussichten. Schließlich sagt es nicht eben wenig über den Zustand einer Gesellschaft aus, wenn Einzelne mit Sprüchen, die vor 40 Jahren einmal originell waren, heute noch andere beeindrucken wollen.

Aber ich übe Nachsicht. Weil Smalltalk ein Grundbedürfnis und das Wetter dafür nach wie vor ein geeigneter Einstieg ist. Man darf halt nur nicht zu viel erwarten. Das gilt für den Smalltalk genauso wie für den Versuch eigentlich spaßbefreiter Zeitgenossen, einfach ´mal einen lässigen Spruch ´rauszuhauen.

In diesem Punkt Milde walten zu lassen bedeutet allerdings nicht, gleich jegliche Überlegung zu unterdrücken, warum zum Henker ein völlig zu Recht in Vergessenheit geratener Spruch wie dieser aus der Mottenkiste gekramt werden muss, obwohl der Typ ja seit dem Aufstehen Zeit genug gehabt hätte, sich einen originelleren Gesprächseinstieg auszudenken. Und bei genauerem Hinsehen stellt man auch rasch fest, dass es sich dabei mitnichten um einen Einzeltäter handelt, sondern dass dahinter eine gewisse Methode erkennbar ist und solche Jahrzehnte alten Phrasen nämlich häufiger recycelt werden als der oberflächliche Blick vermuten lässt:

Bleiben wir zunächst beim Wetter. Einer der Kalendersprüche meiner Generation überhaupt ist ja die Behauptung, es gebe kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. „Am Arsch die Räuber“ kann ich dazu nur sagen. Wer schon einmal dabei zusehen musste, wie ein Tornado schön das Dach über dem Kopf abfräst, wird anerkennen müssen, dass es sehr wohl schlechtes Wetter gibt. Wenn also das nächste Mal irgendwer mit dieser unhaltbaren These vom Wetter und der Kleidung um die Ecke kommt, darf man ihm getrost ein „Erzähl´ mir nichts vom Gipskrieg“ entgegen schmettern. Das ist die Universalformulierung, um eine Behauptung zurückzuweisen.

Wem da der rhetorische Feinschliff fehlte, der drückte seine Zweifel an einer Aussage gerne auch mit einem trocken vorgetragenen „Da lacht die Koralle“ aus. Das klingt weniger offensiv, funktioniert allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen: Während die Formel mit dem Gipskrieg zur Kennzeichnung jedweden Unfugs als Unfug taugt, bezieht sich die Redewendung mit der Koralle speziell auf jemandes Erklärungen, in Zukunft dies oder jenes zu tun oder zu unterlassen. Typisches Anwendungsbeispiel wäre als Entgegnung auf die Ankündigung des notorischen Säufers, er wolle seine Exzesse von nun an nur noch sehr sparsam dosiert einsetzen, wenn man genau weiß, dass er drei Tage später von diesem Vorsatz nicht mehr viel wissen möchte. Jeder kennt ja mindestens einen dieser Ankündigungsweltmeister („Ich komm´ morgen vorbei, geht nicht, gibt’s nicht“), die auf kleinste Irritationen ihrer gewohnten Abläufe mit Sprüchen wie „Ein alter Mann ist kein D-Zug“ oder „Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“ reagieren. So Leute halt, die man eben doch irgendwann auf Augenhöhe ertragen muss, wenn stets der Klügere nachgibt.

Es darf nicht überraschen, dass man sich mit solchen Menschen hin und wieder in einem offenen Schlagabtausch wiederfindet. Dann ist es natürlich äußerst hilfreich, eine passende Formulierung für das Zünden der nächsten Eskalationsstufe parat zu haben. Aus heutiger Sicht kaum nachzuvollziehen, hielten wir eine Zeitlang Phrasen wie „Noch so´n Spruch – Kieferbruch“ als Ankündigung einer unmittelbar bevorstehenden körperlichen Auseinandersetzung für zielführend. Fortgeschrittene benutzten Varianten wie „Noch so´n Satz – Zahnersatz“. Selten so gelacht. Eigentlich kein Wunder, dass der Angesprochene sich von solchen Sprüchen in aller Regel maximal unbeeindruckt zeigte. „Ruckzuck sind wir ein Knäuel“ war charmanter, letzten Endes aber auch nur geringfügig geeigneter, eine bessere Verhandlungsposition zu erlangen. Im Normalfall war die großspurig angekündigte zünftige Rangelei demnach weniger wahrscheinlich als es die Ausdrucksweise vermuten ließ.

Dabei hätte man ein bis zwei Anekdoten von mittleren Ausschreitungen an anderer Stelle gut gebrauchen können. Dann nämlich, wenn man ´mal wieder von irgendeinem Kegelbruder der Eltern aufgefordert wurde: „Erzähl´ doch ´mal einen Schwank aus Deiner Jugend!“

Und vielleicht hätte man anstatt schüchtern zu schweigen in solchen Momenten besser das Visier hochgeklappt. Etwa so: „Ich glaub´, mein Schwein pfeift! Nachdem Ihr mir sonst seit Jahren erfolgreich eingeredet habt, dass der Krümel zu schweigen hat, wenn der Kuchen spricht, spiele ich gewiss nicht den Pausenclown, weil Euch gerade Eure eigene Unterhaltung langweilt. In fünfzehn Jahren werde ich mit meiner Therapeutin herausgearbeitet haben, dass die Kombination dieser beiden Sprüche dazu geführt hat, nur dann zu reden, wenn ich gefragt werde. Also seht es mir nach, dass mein Bedürfnis nach Smalltalk im Moment ausgereizt ist.

Und wo wir gerade dabei sind: Mir ist und bleibt es egal, ob egal nun ein Handkäs´ ist oder nicht. Entscheidet Ihr Euch lieber endlich ´mal, ob es in meinem Zimmer aussieht wie bei Hempels unterm Sofa oder wie bei den Hottentotten. Das macht nämlich einen Riesenunterschied. Und überhaupt: Kommt Ihr erst ´mal in mein Alter!

Wenn Ihr ernsthaft etwas für meine Entwicklung tun wollt, erläutert mir doch einfach ´mal: Wie muss man sich das vorstellen, wenn ein Hamster bohnert? In etwa so, wie Hechtsuppe zieht?

Eins vielleicht noch: Das Wetter wird auch von niemandem mitgebracht, sondern das ist meistens schon da. Damit Ihr das endlich ´mal kapiert!“

Klar kann man auf das Problem, dass die meisten Sprüche nach mehrmaliger Wiederholung einfach nicht mehr witzig sind, auch diplomatischer aufmerksam machen. Aber ein bisschen Spaß muss schließlich sein.

In diesem Sinne Ende Gelände. Ich mache mich vom Acker und sage Wirsing, tschüssikowski und bis Baldrian!