Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Grüner shoppen

Trends, von denen ich eher zufällig im Nachhinein mitbekomme, dass es sie überhaupt gegeben hat, sind mir offen gestanden die liebsten. Völlig unaufgeregt kultiviere ich mein Nicht-Wissen und meine Nicht-Teilhabe, während ich den Bekannten beim Wetteifern zuhöre, wer von ihnen der erste gewesen sein will und etwas Bestimmtes schon gemacht oder besessen hat, bevor alle anderen überhaupt Notiz davon nahmen, dass es so etwas überhaupt gibt. Was ja in den allermeisten Fällen sowieso nichts anderes bedeutet als dass der vermeintliche Gewinner einem geschickten Marketing als erstes auf den Leim gegangen ist.

Meine Neigung zur Ignoranz von Trends jedweder Art zeigt sich insbesondere in den Märkten der Mode sowie der Unterhaltungselektronik. Aber auch „Urban Jungle“ hätte ich beinahe verpasst, wenn ich nicht letzte Woche, also etwa eineinhalb Jahre nach Anwerfen der Trendmaschine und resultierendem Ausspucken des Begriffs zufällig in einer wöchentlich in meinem Briefkasten befindlichen kostenlosen Zeitung einen Beitrag zum Thema gefunden hätte.

Jetzt wird sich jeder pseudo-intellektuelle Blogger natürlich als erstes daran abarbeiten, dass schon der Begriff erstens wenig originell und zweitens mindestens irreführend ist. Wer die von Einrichtungshäusern und Pflanzenhändlern zwecks besserer Darstellung dieses Trends komplett durchgestylten Wohnungen begutachtet, ahnt, dass diese perfekt angeordneten Arrangements von der Unübersichtlichkeit sowohl einer Großstadt als auch eines Dschungels in etwa so weit entfernt ist wie meine SGE von der Verteidigung ihres Titels als DFB-Pokalsieger. Zudem fällt auf, wie sehr es in vielen Beiträgen zum Thema primär um die Instagram-Tauglichkeit der eigenen Wohnung geht und erst irgendwann am Rande auch um den Wohlfühlfaktor derselben jenseits dieser Vorzeigbarkeit.

Damit nicht genug, löst der oft einleitende Hinweis, dass Zimmerpflanzen vor „Urban Jungle“ als relativ spießig galten, zusätzliche Irritationen aus. In welcher Blase lebe ich eigentlich? Nicht nur, dass ich erst jetzt mitbekomme, dass Elefantenfuß und Fensterblatt plötzlich so trendy sind, dass sie aus dem großstädtischem Leben nicht mehr wegzudenken sind – ich hatte darüber hinaus nicht einmal mitbekommen, dass sie vorher als spießig verpönt waren.

Vielleicht bin ich resistent gegen Trends, aber ich hätte mich eigentlich vor dieser Modeerscheinung aufgrund meiner Eigenschaft als Zimmerpflanzenhalter nicht als besonders spießig bezeichnet. Jedenfalls als weniger spießig als der Durchschnitt der Bevölkerung oder wenigstens als der Durchschnitt aller Zimmerpflanzenhalter. Gerade auch weil ich weiß: Spießig sind sowieso immer nur die anderen.

Und: Nur weil Gestrüpp in der Wohnung auf einmal angesagt ist, fühle ich mich dagegen auch nicht besonders hip, bloß weil ich schon Bock auf Pflanzen hatte, bevor Urban Jungle um die Ecke kam. Das wäre ja auch noch schöner.

Spießigkeit als neue coolness

Aber ehrlich gesagt verstehe ich sowieso nicht, weshalb an dieser Stelle ein Gegensatz zwischen Spießern und Hipstern aufgemacht wird. Weil sie wie immer an Äußerlichkeiten festgemacht wird, während es sich in Wirklichkeit eher um eine Frage der Einstellung handelt. Natürlich gibt es auch den real existierenden Prototyp des Spießers, der bereitwillig jedes dementsprechende Klischee bedient. Aber nur weil jemand vom Kopf bis zu den Füßen tätowiert ist und – noch(!) – am Nachtleben teilnimmt, bedeutet das nicht automatisch, dass er immun gegen Spießigkeit wäre. Spießigkeit findet im Kopf statt. Findet – zugegeben – manchmal in Äußerlichkeiten seine Bestätigung. Kehrt dann am Ende aber wieder in den Kopf zurück. Deswegen ist eine Rechtsschutzversicherung definitiv spießiger als ein Bogenhanf.

Beispiel: Die Nachbarin fragt mich, ob ich mitbekommen hätte, dass die neuen Nachbarn im Treppenhaus rauchen. Habe ich nicht. Sie auch nicht. Ob sie denn etwas gerochen hätte, will ich wissen. Hat sie nicht. Aber es würde sie stören, wenn sie es tun. Schon klar. Das nenne ich spießig. Dass sich die Nachbarin dagegen wenig bis gar nicht daran stört, wenn ihr eigener Gatte regelmäßig einen Zigarillo anwirft, bevor er von ganz oben nach ganz unten durchs Treppenhaus wackelt, macht die Angelegenheit nicht weniger spießig, ist dafür tendenziell eher mein Humor.

Doch verlassen wir diese Nebenkriegsschauplätze und wenden uns einem ernsthaften Problem zu: Wenn es nämlich jemand gibt, der noch nie ein Problem damit hatte, spießige Gegenstände als trendy zu vermarkten, dann sind das die Homeshopping-Sender, die meine Mutter auf den vorderen Programmplätzen gespeichert hat und den halben Tag lang anschaut. Wer sich jetzt fragt, worin genau nun das Problem bestünde, darf sich glücklich schätzen. Alle anderen kennen die Situation, wenn Mutter stolz ihren letzten Einkauf präsentiert und erwartet, dass man das überteuerte, dafür minderwertige Zeug genauso schick und praktisch findet wie sie.

Es ist ja nicht so, dass ich als Pflanzenfreund nicht sowieso schon genügend Sorgen hätte.

Der schwarze Daumen

Nicht allein, dass ich in meiner Wohnung mehr Platz für Pflanzen habe als Licht dafür hereinkommt.

Nicht nur, dass ich ob der Allgegenwärtigkeit des Themas momentan ständig dazu verführt werde, meinen Pflanzenbestand trotzdem weiter zu erhöhen.

Nicht bloß, dass ich nicht einkalkuliere, dass die Dinger idealtypisch auch noch wachsen, sondern ich im Gegenteil damit rechne, dass mir einiges aus der grünen Vielfalt in der nächsten Zeit eingehen wird. So wie ich bis jetzt noch immer geschafft habe, einige der schönsten Gewächse zwar nicht vorsätzlich, so aber dennoch zielgerichtet und gründlich innerhalb kurzer Zeit zu ruinieren.

Auch dass manchmal die Beschaffung adäquaten Ersatzes mit tierärztlichen Behandlungskosten oder anderen Sonderausgaben konkurriert und mein schmales Budget nicht immer ein Sowohl-als-auch akzeptiert, gehört hierher.

Das alles ist aber noch lange nichts gegen die Mutter aller Probleme: Pflanzen und Katzen auf Kompatibilität zu überprüfen.

Wer versucht, seinen Urban Jungle katzengerecht zu gestalten, kann streng genommen nicht viel richtig machen. Eine Modellrechnung: Unter angenommenen 30.000 verschiedenen Zimmerpflanzen können 15.000 beim Shopping außer Acht gelassen werden, weil sie definitiv giftig sind. Dummerweise sind deswegen nicht alle restlichen 15.000 zweifelsfrei unbedenklich für Sammy und Muschi, sondern nur etwa zehn. Bei den anderen 14.990 herrscht Uneinigkeit. Das Ende vom Lied: Die Konsequenz, mit der man anfangs noch anrüchiges Grün meidet, weicht auf, weil man es irgendwann einfach satt hat, wenn man in drei Katzenforen und zwei Büchern gelesen hat, dass eine Pflanze unproblematisch ist und sich aber kurz nach der letztendlichen Anschaffung dann in einem vierten Forum die Behauptung findet: Ätsch! Doch gefährlich. Man erinnert sich daran, dass der Stubentiger Freigänger ist, war oder werden soll und draußen auch niemand auf das Tier aufpassen kann, konnte oder können wird und er aber trotzdem in 99,99 Prozent aller Fälle gesund nach Hause kommt, kam beziehungsweise kommen wird. Mit folgendem Resultat:

Zu den (bis auf Widerruf) unbedenklichen Pflanzen gesellen sich einige, die man sich guten Gewissens zugelegt hat, bevor irgendein Ketzer auf die Gefahren aufmerksam machte. Weil man aber auch nicht pausenlos sämtliche Freunde mit aussortierten Gewächsen zuscheißen kann und weil den Tieren bis dato auch nichts passiert ist, bleibt nach und nach auch das eigentlich ungenießbare Zeug in der Wohnung. Und damit es dort nicht so allein ist, gesellen sich bald einige wenige Pflanzen dazu, von denen man schon vorher weiß, dass sie unter Umständen schädlich sein können. Schließlich ist es mit der anderen nicht ganz astreinen Ware ja auch schon gutgegangen. Ausgesperrt bleiben also am Ende dieser Rolle rückwärts doch nur die in der Modellrechnung genannten 15.000 stigmatisierten Pflanzen. Selbstverständlich abzüglich der Exemplare, die Mütter irgendwann ´mal bei Homeshopping-Sendern für uns bestellt haben und die garantiert unproblematisch sind, weil die dort ja sicher gesagt hätten, wenn die bedenklich für die Tiere wären.

Ich glaube allerdings mittlerweile, dass es meinen Pauli nicht die Bohne interessiert, wieviel Gedanken ich mir über seine Gesundheit mache. Solange nur ausreichend Zypergras im Haus ist, rührt er sowieso nichts anderes an.

Analog dazu lassen sich sehr wahrscheinlich auch meine Zimmerpflanzen höchstens in geringem Maße davon beeindrucken, welche Pflege ich ihnen zukommen lasse. Ob ich peinlich genau auf angemessene Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Licht, Nährstoff- und Wasserzufuhr achte – die meisten machen ohnehin, was sie wollen. Nicht immer zu meinem Gefallen und manchmal ganz hart an der Grenze, ab der ich am liebsten einfach alles zusammen mit einem Plakat „Zum mitnehmen“ auf die Straße stellen will.

In solchen Momenten wünsche ich mir dann auch, es hätte diesen Trend mit den Zimmerpflanzen tatsächlich nie gegeben.

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Schluss mit lustig

  1. Birgit Seibert

    Lieber Micky,
    mein einst (subjektiv) grüner Daumen hat sich wohl in einen dunkelgrünen bis schwarzen verfärbt, denn dieses Jahr landete jede neu gekaufte Pflanze nach wenigen Woche in der Biotonne.
    Der erste Versuch war ein zart rosa blühendes Pflänzchen vom Markt mit dem Namen Zitronenverbene, die sich wohl innen auf meiner Fensterbank nicht sonderlich wohl fühlte und nach zwei Wochen vor sich hin welkte.
    Als nächstes versuchte ich mein Glück mit einem prachtvollen Lavendelstöckchen vom Lidl, das dafür bekannt ist, auch Mücken abzuwehren.
    Es vertrocknete innerhalb von zwei Wochen trotz oder gerade wegen des Gießens.
    Der letzte Versuch begann sehr vielversprechend mit einem Blauen Lieschen, das ich mir auch die letzten zwei Jahre zugelegt hatte und das sich auf dem Balkon offensichtlich wohl gefühlt hat.
    Ich las noch einmal nach, dass direkte Sonne für die blau-lila Pflanze zu heiß sei und nahm sie nachts bis spät morgens herein, um sie dann liebevoll vor meinem Fenster im Schatten zu platzieren.
    Einem der drei Hunde im Haus gefiel mein Blumenstöckchen wohl auch, denn er pieselte dagegen.
    Ich hob den Blumentopf herein und wunderte mich, warum die Blätter nass sind, da es nicht geregnet hatte und bemerkte die hellgelbe Farbe des “Wassers”.
    Ich hab die Pflanze abgeduscht, sie war “not amused” und nach dem Abblühen kamen keine neuen Blüten mehr, was dann auch nicht mehr ganz so hübsch aussah.
    Danach hab ich es aufgegeben, mal schauen, was das nächste Jahr botanisch so bringen wird.

    • Micky

      Bestimmt wird das nächste Jahr in dieser Hinsicht viel besser. Einfach aufgeben wäre jedenfalls schade. Mit ein wenig Glück scheinen Bromelien eine gewisse Langlebigkeit aufzuweisen…

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