Die Ferienzeit hat häufig selbst dann einen gewissen Erholungsfaktor, wenn der eigene Urlaub schon wieder Wochen vorüber ist oder gar nicht stattfindet. Der gelegentliche leichte Regen erinnert einen daran, dass es momentan nicht unbedingt so viel reizvoller wäre, genau jetzt frei zu haben. Außerdem wird es auf der Arbeit gerade zu dieser Zeit oft etwas gemächlicher. Was Kollegen betrifft, bin ich aktuell vergleichsweise verwöhnt, habe aber schon Betriebe kennen gelernt, bei denen man staunte, wie gut gelaunt und produktiv manche Mitarbeiter sein konnten, wenn sie für zwei bis drei Wochen von gewissen anderen in Urlaub Weilenden in Ruhe gelassen wurden. Auch der Weg in die Firma und von dort weg wird in der Regel stressfreier, weil man ihn sich mit durchschnittlich weniger Menschen teilen muss.

Vor allem aber ist zu dieser Zeit das Einkaufen angenehmer. Was besonders samstags, wenn üblicherweise auch die Amateure einkaufen gehen, ein Labsal für die geschundene Seele ist.

Wer vor dem Hintergrund meiner sonstigen Texte beim Stichwort Einkaufen nun erwartet, eine weitere Episode des bereits mehrfach zu Ende erzählten Themas Flirten im Supermarkt zu bekommen, darf beruhigt aufatmen.

Weil es dazu nämlich nichts zu erzählen gibt.

Zwar hält sich nach wie vor hartnäckig die Legende, dass zwischen Konserven und Teigwaren eine gute Gelegenheit sei, derartige Dinge zu erledigen. Ein repräsentativer Streifzug durch die Geschichte der Paare in meinem näheren Bekanntenkreis ergibt jedoch keinen einzigen Treffer, der als Beleg dafür herhalten könnte.

Sicher: Wenn man manche Pärchen beobachtet, wie sie während ihres Einkaufs die Klingen kreuzen, könnte man unter Umständen potentielle zukünftige Singles erspähen. Fündig würde ich hier also durchaus. Wenn ich professioneller Partnerschaftsberater wäre. Das war es aber auch schon.

Um das Untersuchungsdesign abzurunden, bin ich gestern Abend extra nochmal in den gegenüberliegenden Rewe. Ergebnis: Jeder ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie in einer solchen Stress- und Hetz-Kultur eine angenehme Flirt-Atmosphäre überhaupt entstehen können soll, muss mir erst einmal beantwortet werden. Das kann also alles, ähnlich wie das mit dem Hund als Flirt-Helfer, als Gerücht bezeichnet werden. Und zwar eines der uncoolsten aller Gerüchte. Weil nicht einmal böswillig in die Welt gesetzt. Etwa vom Einzelhandel. Um Hunderttausende verzweifelter Singles in die Geschäfte zu locken. Um dort noch mehr Dinge einzukaufen, die sie nicht benötigen. Sondern einfach nur ein Gerücht. Herkunft ungeklärt. Punkt.

Kein Gerücht dagegen: Wer einem immer begegnet, ob beim Gassigehen oder eben beim Einkaufen, sind die Senioren.

Jetzt ist das Thema Rentner und Einkaufen natürlich ähnlich ausgereizt wie eben erwähnte Leier von der Singlebörse Supermarkt. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Anpassungsfähig sind sie, unsre Ü-60-er. Erinnern wir uns an das Einkaufserlebnis der 80er Jahre: kein Markt – ob HL, Schade oder PLUS – hat sich darüber Gedanken gemacht, welch genialer Dienst am Kunden es doch wäre, wenn diese nur schnell genug durch die Kasse geschleust würden. Dass zu jener Zeit häufiger als heutzutage vorkam, wenn Leute entnervt aufgaben und ihre Einkäufe einfach stehen ließen, wurde in Kauf genommen. Dann kann es auch nicht so wichtig gewesen sein. Es war die Zeit, als die Läden mittags zwischen 13 und 15 Uhr geschlossen hatten und abends ab 18.30 Uhr auch. So wertvoll das für die im Einzelhandel Beschäftigten vielleicht gewesen sein mag – es herrschte ein bisschen die Mentalität: Die Kunden brauchen etwas, also haben sie sich nach uns zu richten. Auf den Gedanken, dass die ihr Feierabendbier dann halt nicht am nächsten Tag holen, sondern dass sie das am gleichen Tag andernorts erledigen, kam offenbar niemand. Dieser Einstellung entsprechend war es auch egal, wenn im vollen Markt exakt eine Kasse besetzt war und es Wartezeiten wie an den damals ebenfalls noch nicht geöffneten Grenzübergängen gab. Man fragte sich manchmal, weshalb überhaupt die Fläche für mehr als zwei Kassen geopfert wurde. Aber das war es dann auch mit der Kritik. Es war die Epoche der Stoiker.

Die Nachkriegsgeneration war schließlich immer noch dankbar, daß es nach Jahren der Entbehrung überhaupt etwas gab. Das Schlangestehen kannten sie in noch einmal anderer Qualität, als es darum ging ein paar Holzbriketts zu ergattern. Derart geprägt wurde selbst Jahre später nicht einmal im Postamt gemeckert, wenn man nach fünfzehn Minuten oder längerer Wartezeit endlich an der Reihe war, dann aber das Pech hatte, exakt zur Mittagspause des Beamten am Schalter ohne Vorwarnung den Rolladen vorm Gesicht heruntergelassen zu bekommen.

Nirgendwo Niveau

Kaum dass es sich jedoch eingebürgert hat, alle Kunden schnellstmöglich durch den Warenausgang zu befördern, wird allerdings ausgerechnet die Generation, die das Schlangestehen von der Pike auf gelernt hat, als erstes ungeduldig. Die Altersgruppe, die sonst jede auch nur minimale Veränderung missmutig bis hin zum ultimativen „Hier komm´ ich nie mehr her“ kommentiert. Wehe, der Kaffee befindet sich nicht mehr dort, wo er jahrelang gestanden hat. Aber sobald eine Veränderung bequem ist, nimmt man sie natürlich gern mit. Also wird schon ab vier Kunden in der Reihe nach einer zusätzlichen geöffneten Kasse gequäkt, was das Zeug hält.

Die Rettungsgasse wird vorsorglich schon ´mal halb blockiert. Rettungsgasse bezeichnet die noch imaginäre Einkaufswagenschlange zur noch leeren Kasse, die aber vermutlich in kurzer Zeit geöffnet wird, damit die alten Herren keinen Lynchmob formieren, wenn ein unschuldiger Marktangestellter erneut vorbeiläuft und tatsächlich anderes zu tun hat als gleich die nächste Kasse zu öffnen.

Da stehe ich nun und stelle mir selbst die Frage, was ich widerwärtiger finde: Das Gezeter während des Vorspiels oder die Szenen, die sich abspielen, wenn der Ernstfall naht. Das Gemetzel um die pole position mit dem Verhalten von Aasgeiern zu vergleichen, würde den Tieren nicht gerecht. Und wer Minuten zuvor noch Zeuge wurde, wie gemächlich und zerbrechlich die alten Körper in den Gängen hin- und hergeschoben wurden, darf sich in der Tat ein klein wenig darüber wundern, wie agil die Mummelgreise auf einmal sind, wenn es um einen Platz an der Sonne geht.

Dass wiederum dieselben Menschen bei so ziemlich jeder anderen Gelegenheit den nachfolgenden Generationen Rücksichtslosigkeit und Egoismus vorwerfen – diesen Widerspruch muss man erst ´mal aushalten können. Eigentlich logisch, daß die Sitten verrohen, wenn solche Leute die Vorbilder sind.

Und dann kommen wieder die Gedanken hoch, die jeder schon ´mal gedacht hat: Die haben doch eigentlich jede Menge Zeit. Und dann muss man sich vergegenwärtigen, dass das so ja gar nicht stimmt. Vermutlich haben sie geringeren Termindruck als ein durchschnittlicher Werktätiger, der ja zwischen Arbeit und Einkauf auch noch irgendwo Zeit braucht, selfies aus dem Fitness-Studio in die Welt zu funken. Setzt man die Wartezeit allerdings ins Verhältnis zur Restlebenszeit, relativiert sich einiges. Das entschuldigt nicht, sich wie die Axt im Wald zu benehmen, generiert aber vielleicht das nächste Mal ein bisschen mehr Verständnis, wenn die Alten es wieder einmal übertreiben.

Da man natürlich heutzutage keinen Text über #Supermarktkasse schreiben darf, ohne sich im Glaubenskrieg zwischen Bar- und Kartenzahlern zu positionieren, bitteschön: Bargeld geht im Durchschnitt schneller. Das wurde einigermaßen repräsentativ ermittelt. Kein Scheiß, da haben sich tatsächlich Menschen Mühe gemacht und Tausende Bezahlvorgänge mit der Uhr gestoppt, um dem Handel die Informationen zu liefern, die er benötigt.

Was bedeutet dieser Befund jetzt für den Alltag? Zunächst: Kein Plädoyer für einen Bummelstreik beim Bezahlen. Aber: Wenn schon für Betrag X in dem Laden eingekauft wird, warum darf ich dann beim Check-Out nicht mehr erwarten als die monoton vorgetragenen Begrüßungsfloskeln, Fragen nach Payback-Karte und Nennung des Zahlbetrags, während schon alles für den nächsten Mohren in der Reihe nach mir vorbereitet wird, der dann ebenfalls umgehend gehen kann, sobald er seine Schuldigkeit getan, sprich bezahlt hat?

Noch eins: Im Laufe eines Lebens verplempert wahrscheinlich jeder ausreichend Zeit mit Schwachsinn verschiedenster Art. Jeder mit auch nur rudimentär ausgeprägter Fähigkeit zur Selbst-Reflexion sollte dies zuzugeben in der Lage sein. Warum also wird dann allenthalben so getan als ob ausgerechnet dort, wo es in Summe gerade ´mal um Sekunden oder wenige Minuten mehr oder weniger geht, die an anderer Stelle achtlos vergeudete Zeit wieder aufgeholt werden könnte?

Analog zum Einkaufen ist das Kehren vor der eigenen Haustür eben eine Beschäftigung mit eher geringem Lustgewinn. Urlaub hin oder her.