Sollte die Theorie zutreffen, dass ein Mensch alle sieben Jahre sein Leben verändert, wäre mein freiwilliger Besuch gleich mehrerer Faschingsumzüge als Ausdruck eines solchen Wandels interpretierbar. Sollte derlei Freizeitgestaltung allerdings eine Reaktion auf die berühmte Frage sein, ob es das schon war oder ob da noch was kommt, müsste ich gestehen, dass mir diese Antwort ganz und gar nicht gefällt. Da wäre ich fast schon dankbar, wenn ersteres zuträfe, weil dann nach sieben Jahren mutmaßlich wieder andere Ideen ins Spiel kommen, wenn ich ´mal ein paar Tage frei habe. Wer weiß, was sonst als nächstes käme. Am Ende würde ich bald Spiele des OFC anschauen…
Eine dritte Möglichkeit, die mein seit jeher gespaltenes Verhältnis zu dem närrischen Treiben am wenigsten antastet, wäre folgende: Sich von Zeit zu Zeit mit eigenen Augen am lebenden Organismus vergewissern zu müssen, ob manche Auswüchse immer noch so übel sind wie man sie in Erinnerung hat.
Und siehe da: Es dauert auch nicht wirklich lange, bis man sich bestätigt sieht. Bereits auf dem Weg zum eigentlichen Geschehen begegnet man ersten Gruppen von Jugendlichen, von denen manche schon grobe Ausfallerscheinungen hinsichtlich Orientierung, Kontrolle und Bewusstsein zeigen, bevor die ersten Motivwagen überhaupt zu sehen sind. Aber scheiß´drauf – Karneval ist einmal im Jahr. Große Flaschen eines bekannten Kräuterlikörs werden herumgereicht, um die Stimmbänder zu ölen. Und als es allmählich ans Einsingen geht, erinnere ich mich auch sofort daran, was ich an Fasching schon immer am meisten hasste: Das Liedgut.
Die Hits der Saison heißen Alkohol Blues oder Johnny Däpp und zeichnen sich wie jeder jeder gute Faschings-/Ballermann/Après-Ski-Song vor allem durch einen hohen Mitgrölfaktor aus. Heißt: Es werden keine allzu großen Ansprüche an die Merkfähigkeit der Chormitglieder gestellt; je weniger Worte im Refrain vorkommen, desto besser.
Immerhin: Die Demokratisierung des Tanzens gelingt gut bei diesem Musikgenre: Jeder kann mitmachen, ohne sich zu blamieren. Fast zumindest. Die Choreographie bei der Hälfte der Lieder ist einfach und besteht aus zwei Elementen, von denen es ausreicht, eine davon zu beherrschen. Geübte performen beide Moves gleichzeitig: Auf der Stelle hüpfen ist der eine Bestandteil. Der andere ist: einen oder beide Arme nach oben strecken und unkoordiniert damit herumwedeln. Falls sich in einer der Hände ein Getränk befindet, muss der Bewegungsablauf leicht variiert werden. Die Figur, die sich dafür anbietet, nennt sich Freiheitsstatue: Der Arm wird dabei fast nicht bewegt, um möglichst wenig zu verschütten. Er muss aber in die Höhe gereckt werden.
Das erschreckende ist ja: Ich erkenne mein früheres Ich da durchaus wieder. Dass wir als halbstarke Dosenbier-Punks den Menschen, von denen wir uns abzugrenzen versuchten, ähnlicher waren als uns lieb sein konnte, wurde vor kurzem erst in einem eigenen Blogeintrag herausgearbeitet. Leider hatte ich nie ein so schönes Kompliment erhalten wie einer der Kumpels, der sich eines Morgens, vom Feiern gezeichnet, dem spontanen Ausruf „Sie schickt der Tod“ konfrontiert sah.
Keine Frage: Wenn der Amtsarzt seine Begrüßung in solche Worte kleidet, ist das nicht das, was man in dieser Situation erwartet. Andererseits ist es eine adäquate Würdigung der dahinter stehenden Leistung. Wenn Fasching lebendig ist, ist Punk erst recht nicht tot. Punk hat nämlich auch die geileren Kostüme.
Storytelling leicht gemacht
Das Thema Verkleidung war bei mir an allen drei Tagen schnell ausdiskutiert: Für eine schmucke Kopfbedeckung aus Modellierballons brauchen geübte Hände nicht länger als 10 bis 15 Minuten. Wer es nicht kann, und das sind die meisten, schätzt den Aufwand dafür aber als mindestens doppelt so hoch ein. Für Bieber, Mühlheim und Heusenstamm sollte das reichen. Ich hatte auch kurz überlegt, als Clown zu gehen, aber das hätte sich vom Arbeitsalltag nur minimal unterschieden. Wenn ich eines nicht brauche an Fasching, sind es Fragen, warum ich mich nicht verkleidet habe.
Mit dem Kopfschmuck aus Ballons hatte ich auch so eine Art Alleinstellungsmerkmal. Wenn ich Blicke und Gestik richtig interpretiere, fanden auch andere die Hüte einigermaßen originell. Eine Clownin drückte mir ein Fläschchen Kleiner Feigling in die Hand. Da haben sich die 10 Minuten für meinen Ballonhut ja gelohnt, dachte ich und reichte das Getränk weiter an jemand, der es dringender brauchte als ich. Vielleicht hatte sie mich ja auch nur verwechselt. Der größte Vorteil an meiner Kostümierung: Ich brauchte unterhalb des Kopfes keinerlei Rücksichten nehmen und konnte mich warm einpacken. Kalt war es nämlich. Was einige Herren der Schöpfung natürlich nicht davon abhielt, ihre Kleidung auf ein Minimum zu reduzieren, sobald der Körper von innen mit wärmenden flüssigen Substanzen versorgt war. Unterhalb des Kopfes, hiermit verrate ich kein Geheimnis, spielt zur Fastnacht auch die größere Rolle. Wenn von Vereinen in Sonntagsreden gern als einer großen Familie gesprochen wird – es gibt Karnevalsvereine, bei denen das durchaus wörtlich genommen werden kann.
Das klingt moralinsauer. Allerdings sind das natürlich auch alles Gefahren, derer man sich hin und wieder durch Besuche entsprechender Veranstaltungen bewusst machen muss: Dass man beim Fasching aus Versehen eine Frau anspricht, für die das unrhythmische Zucken zu schlechter Musik, affektive Feierlaune und frivoles Verhalten zum guten Geschmack gehört. Während ich hier so zielsicher auf mein Lieblingsthema zusteuere, erinnere ich mich an den Kommentar einer Freundin vor ein paar Tagen, mir fiele ja jede Woche eine ganze Geschichte ein. Was ja so nicht stimmt. Ich habe ein Reservoir an vermutlich nicht mehr als fünf bis sechs Geschichten, die ich jede Woche neu variiere. Eine dieser Geschichten ist die von mir als demjenigen, der nicht nur manche Nacht, sondern Monate und Jahre sein Bett außer mit dem Kater mit niemandem teilt, weil er aufgrund profunder Menschenkenntnis stets schon genau zu wissen glaubt, wieso, weshalb und vor allem warum mit dieser oder jener bestimmten Frau eine Partnerschaft ohnehin nicht gelingen würde. Etliche potentielle Beziehungen habe ich auf diese Weise schon zerredet, bevor überhaupt der erste Kontakt aufgenommen wurde.
Deswegen muss ich auch zugeben, dass ich selbst dort keine Frau anspreche, wo die Gefahr nicht besteht, dass ich dann das ganze Jahr über Karneval habe. Bloß: Nirgends sonst habe ich fürs Nichtansprechen eine so gute Ausrede. Zur Ehrenrettung der Fastnacht sollte aber auch festgehalten werden, dass ich mich gerade in Zusammenhang mit Frauen schon würdeloseren Situationen ausgesetzt hatte als zu einem Umzug zu gehen.
Nach oben angeführter Arithmetik wurde mein Leben bereits sechs Mal von Grund auf erneuert. Das wie beschrieben nicht ganz unkomplizierte Verhältnis zur Damenwelt wurde bei diesen Veränderungsprozessen jedoch scheinbar stets sorgsam ausgespart. Am ehesten noch wurde es verschärft. Vielleicht sollte ich die nächsten sieben Jahre ´mal an einer Entkrampfung arbeiten. Dann wäre ein Besuch eines Faschingsumzugs entweder wirklich Spaß an der Freude oder eine Strategie. In jedem Fall aber lieferte er sich nicht diesem Verdacht von blindem Aktionismus aus wie diesmal.
In diesem Sinn: Wir sehen uns nächstes Jahr. Oder auch nicht. Die Party geht in jedem Fall weiter.
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